Fuchs, Marta Emilie Mina 

Geburtsdatum/-ort: 01.01.1898;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 22.09.1974;  Stuttgart-Sonnenberg
Beruf/Funktion:
  • Sängerin
Kurzbiografie: 1918 (ca.)-1923 Gesangsausbildung an der Musikhochschule Stuttgart, in München und Mailand
1923-1928 Konzertsängerin in Stuttgart
1928-1930 Opernsängerin im Stadttheater von Aachen (Altistin)
1929 Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen (Annina im „Rosenkavalier“)
1930-1945 Mitglied der Dresdner Staatsoper, seit 1936 gleichzeitig der Berliner Staatsoper, Kammersängerin (Sopranistin)
1933-1942 Mitwirkung bei den Bayreuther Festspielen (Isolde, Kundry, Senta, Brünnhilde in „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“, Ortrud, Venus)
1933, 1935-1937 Gastspiele bei den Wagneraufführungen in Amsterdam, 1938 Gastspiel am Théâtre des Champs-Elysées in Paris (Isolde)
1936 Gastspiel des Dresdener Ensembles an Covent Garden in London (Marschallin im „Rosenkavalier“, Donna Anna in „Don Giovanni“, Ariadne in „Ariadne auf Naxos“)
1941 Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen (Gräfin in „Figaros Hochzeit“), 1942 Gastspiel an der Wiener Staatsoper
1945-1952 Gastspiele an der Stuttgarter Staatsoper (Leonore in „Fidelio“, Brünnhilde)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, seit 1922 Mitglied der Christengemeinschaft
Eltern: Ernst Georg Fuchs, Dekorationsmalermeister
Wilhelmine Katherine Christiane, geb. Goll
Geschwister: Ernst Gottlob Walter, gefallen 1914
GND-ID: GND/116844426

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 144-146

„Das schwäbische Götterkind“ soll die frühere württembergische Königin die junge Sängerin Marta Fuchs genannt haben, und sie war es: „Alles geben Götter, die unendlichen,/ Ihren Lieblingen ganz:/ Alle Freuden, die unendlichen,/ Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.“ Auf wenige Götterlieblinge läßt sich dies Dichterwort so vorbehaltlos anwenden wie auf die Sängerin Marta Fuchs. Sie war, künstlerisch und menschlich, eine Ausnahmeerscheinung. Etwas anderes als den musikalischen Beruf scheint es in der Vorstellung der Heranwachsenden von vornherein nicht gegeben zu haben. Der Vater, grundsolider schwäbischer Handwerker – und ihr bester Freund –, ermöglichte das kostspielige Gesangsstudium im heimatlichen Stuttgart und in den Musikzentren München und Mailand; fünf Jahre lang übte sie dann, als Altistin bzw. Mezzosopran, den Beruf der Konzertsängerin aus. In diesem Stimmfach trat sie auch ihr erstes Opernengagement in Aachen an, wo sie, erstmals ihr komödiantisches Temperament erprobend, als Carmen, Azucena und Orpheus – u. a. – debütierte. Ihr Ruf verbreitete sich in den Fachkreisen schnell, und 1930 holte Fritz Busch die 32jährige nach Dresden, wo sich ihre laufbahnbestimmende Wandlung zur Hochdramatischen vollzog und wo sie in ein Ensemble hineinwuchs, das damals in Deutschland kaum seinesgleichen hatte, auch in Berlin nicht. Alle Freuden, die unendlichen, begannen: Schon nach drei Jahren im neuen Fach kam der Ruf nach Bayreuth, wo sie fast zehn Jahre lang der umjubelte Star in den dortigen Hauptpartien ihres Fachs, vor allem den drei Brünnhilden, war. Mit ihren Wagnerrollen erwarb sie sich den Ruf der großen Tragödin, des „strahlenden Mittelpunkts“ der Festspiele, wie ein Kritiker schrieb. Sie war aber nicht nur im Wagnerfach erfolgreich, auch, unter anderem, bei Verdi (Eboli) und Richard Strauß (Ariadne, Arabella, Octavian und Marschallin, Maria im „Friedenstag“). Eine berühmte Kollegin, Elisabeth Höngen, bezeichnete die Marschallin von Fuchs als „die größte von allen“. An die 80 Partien hat sie gesungen. Leider existieren nur wenige Plattenaufnahmen von der weit ausladenden Pracht ihrer Stimme in den großen hochdramatischen Rollen.
Kritik gab es auch. Ein Fachkenner wie Walter Legge äußerte sich nach einer Ariadne-Aufführung sehr zurückhaltend: „Marta Fuchs sang einen Großteil der Ariadnemusik eindrucksvoll, doch wie sie ihre Höhe behandelte, läßt einen gelegentlich daran zweifeln, ob sie mit dem Umsatteln vom Mezzo- zum dramatischen Sopran gut beraten war.“ Gleichwohl lud er sie ein, bei der von ihm in den dreißiger Jahren veranstalteten Hugo-Wolf-Edition mitzuwirken, sie sang sechs Lieder in dieser ersten Gesamtausgabe des Wolfschen Werks. Insgesamt aber waren die Urteile der Musikkritik positiv, oft hymnisch. Da ist von „monumentalem Gesangsstil“, „imponierender Größe“, „erschütternder Gewalt der Darstellung“ die Rede; immer wieder wurde die „hinreißende Gestaltung“ der Sängerin gerühmt.
1922 war sie Rudolf Steiner begegnet, und seit dieser Zeit war sie eine überzeugte Jüngerin der Anthroposophie. Dies wirkte sich bis in die Methode ihrer künstlerischen Arbeit aus, bis in das „stumme Üben aus der künstlerischen Kraft der reinen Vorstellung“. „Darin besteht mein Üben, eine Gestalt, eine Linie, eine Bewegung so bestimmt im Inneren zu bilden, daß der Körper und die Stimmorgane folgen müssen.“
Den Zenit ihrer Laufbahn erreichte Fuchs während des „Dritten Reiches“. Sie war, gestützt auf ihr hohes Ansehen, von einzigartiger Unbefangenheit gegenüber den Größen des Nationalsozialismus. Bei Göring z. B. beklagte sie sich bitter über das Verbot der Christengemeinschaft, ohne Erfolg; aber wieviele Künstler haben es in jener Zeit überhaupt gewagt, bei einem der Gewaltigen wider den Stachel zu löcken? Anfeindungen blieben denn auch nicht aus; in der vom Reichspropagandaministerium zusammengestellten Liste der steuerprivilegierten Künstler – von deren Einkommen blieben 40 von Hundert steuerfrei – sucht man sie als eine der ganz wenigen Prominenten vergeblich. Aber sie gehörte zu den 82 Mitgliedern – von etwa 45 000 – des deutschen Theaterlebens, die für absolut unersetzlich gehalten und in die sogenannte Gottbegnadetenliste aufgenommen wurden; diese 82 wurden während des Krieges von jeglichem Kriegseinsatz freigestellt.
Es gibt viele gut beglaubigte Zeugnisse ihres couragierten Auftretens. Walter Erich Schäfer berichtet, Hitler habe die Künstlerin ganz besonders geschätzt und habe sie immer gebeten, neben ihm zu sitzen, wenn er die Künstler in Bayreuth nach den Aufführungen zum Essen einlud. Hitler, der Vegetarier, füllte einmal bei solcher Gelegenheit seinen Teller voll mit Salat. Marta Fuchs: „Esset Sie dees alles, Herr Hitler?“ (Sie sagte immer „Herr Hitler“ und vermied das offizielle „Mein Führer“.) „Natürlich“, antwortete Hitler. Marta Fuchs: „Bei ons dahoim fresset dees d’Goiße.“ 1938 in Bayreuth: „Herr Hitler, dees sag I Ihne, wenn Sie an Krieg anfanget, na schwätz I koi Wort meh mit Ihne.“ Hitler soll gelacht haben, und 1939, kurz vor Kriegsausbruch, redete er sie – wieder in Bayreuth – an: „Nun, Frau Fuchs, hat es nun Krieg gegeben?“ Marta Fuchs: „Noi. Aber I trau Ihne net.“
Der Krieg wurde schlimme Wirklichkeit. Für die Nationalsozialisten ging es nun im „Heimatkriegsgebiet“ in erster Linie um die Stärkung des Durchhaltewillens der Bevölkerung, und dazu setzte Goebbels die Popularität der beliebten Künstlerin wie auch die all ihrer Kollegen und Kolleginnen zielbewußt ein. Bis zum bitteren Ende hielt sie im zerbombten Berlin aus – „aus dem sich einer nach dem anderen verzog“ (Tiana Lemnitz) –, um den gequälten Menschen noch ein wenig Glück und Freude zu schenken. Und dann kamen die unendlichen Schmerzen, die Götter ihren Lieblingen schenken.
Nach der Rückkehr in die schwäbische Heimat trat sie noch gelegentlich auf, sang auch noch in Konzerten, aber in relativ frühen Jahren setzte das „Verdorren“ der stimmlichen Mittel ein, wie sie sich in der ihr eigenen Drastik ausdrückte. Sie, deren Lebenszentrum sich „mitten im Innersten der Musik“ befand – wie es ein Rezensent beschrieb –, sah sich des wichtigsten Mediums beraubt, mit dem sie bisher sich und ihre Kunst der Umwelt mitteilen konnte. Es kamen die Jahre, in denen sie „mit einer klaglosen Entschlossenheit ohnegleichen“ ganz dem Studium der „Menschenweisheit“, der Anthroposophie, lebte, wo sich ihr Dasein in der Enge eines bescheidenen Zimmerchens im Altenheim vollendete, „um sich in die Weiten der ihr schon heimatlich vertrauten geistigen Welt aufzuschwingen“ (F. M. Reuschle).
Quellen: Mitteilungen von Dr. Walter Erich Schäfer, Generalintendant
Nachweis: Bildnachweise: in: Schallplattenkassette The Record of Singing (Beiheft), Volume Three, EMI Records Limited London EX 29 0169 3

Literatur: (Auswahl) Josef Müller-Marein/Hanns Reinhardt, Das musikalische Selbstporträt von Komponisten, Dirigenten, Instrumentalisten, Sängerinnen und Sängern unserer Zeit, 1963, 130, 325; Kurt Honolka, Die schwäbische Heroine, Zum Tod der großen Sängerin Marta Fuchs; ws, Mitten im Innersten der Musik, Zum Tode der Kammersängerin Marta Fuchs, in: Stuttgarter Zeitung vom 24.09.1974; Frieda Margarete Reuschle, „Das schwäbische Götterkind“, Im Gedenken an Marta Fuchs, in: Die Christengemeinschaft, Monatsschrift zur religiösen Erneuerung, 46. Jg. 1974, 387-389; Karl Laux, Nachklang, Rückschau auf sechs Jahrzehnte kulturellen Wirkens, 1977; Walter Legge/Elisabeth Schwarzkopf, Gehörtes und Ungehörtes, Memoiren, 1982; Jürgen Kesting, Die großen Sänger Bd. 2, 1986, 787; Oper in Stuttgart, 75 Jahre Littman-Bau, (Hg.) Staatstheater Stuttgart, Generalintendant Wolfgang Gönnenwein, 1987, 139; Joseph Wulf, Musik im Dritten Reich, Eine Dokumentation, 1989 326-327; Oliver Ratkolb, Führertreu und. gottbegnadet, Künstlereliten im Dritten Reich, 1991; MGG 3 788, 4 1907; LB 1
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