Zenck, Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 19.03.1898;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 02.12.1950;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Musikforscher
Kurzbiografie: 1908-1916 Humanistisches Gymnasium Karlsruhe bis Abitur, gleichzeitig praktisch-musikalische Ausbildung am Konservatorium Karlsruhe (Heinrich Ordenstein)
1916 Soldat im Leibgrenadierregiment 109, 1917 Kämpfe vor Verdun, 1918 im Infanterieregiment 112, Kämpfe in Flandern, verwundet am Kemmel
1919-1924 Studium der Musikwissenschaft an den Universitäten Heidelberg, München und Leipzig
1924 Dr. phil. (Dissertation: „Sixtus Dietrich, ca. 1492-1548“, bei Theodor Kroyer), Dozent für Musikgeschichte am Konservatorium Leipzig und am Kirchenmusikalischen Institut Leipzig
1924-1932 Assistent am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig, 1929 Habilitation („Studien zu Adrian Willaert. Untersuchungen zur Musik und Musikanschauung im Zeitalter der Reformation“)
1929-1932 Privatdozent an der Universität Leipzig
1932-1934 Privatdozent an der Universität Göttingen, 1932-1942 Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts
1933 Eintritt in die SA, 1937 in die NSDAP
1934-1936 Nicht beamteter außerordentlicher Professor, 1936-1937 planmäßiger außerordentlicher Professor, 1937-1941 persönlicher ordentlicher Professor, 1941-1942 ordentlicher Professor an der Universität Göttingen
1938 Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen
1942-1950 ordentlicher Professor und Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Freiburg i. B., 1944-1945 unterbrochen durch Kriegsdienst und Gefangenschaft
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1927 (Hannover) Eva, geb. Grashoff
Eltern: Vater: Gustav, Finanzrat
Mutter: Bertha, geb. Schweikert
Geschwister: eine Schwester
Kinder: 4
GND-ID: GND/116979461

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 302-304

Die Musik war für Zenck von früher Jugend auf bestimmendes Lebenselement. Bis zum Abitur am Humanistischen Gymnasium Karlsruhe erfuhr er eine solide musikpraktische Ausbildung am Karlsruher Konservatorium. Nach der zwangsweisen Unterbrechung des Werdegangs durch den Kriegsdienst, den er an den Brennpunkten der Westfront vor Verdun ableisten musste, nahm er im Herbst 1919 das Studium der Musikwissenschaft an der Universität Heidelberg auf, nachdem er sich zuvor sowohl zur klassischen Philologie wie auch zur Theologie hingezogen sah. Sein Lehrer Theodor Kroyer (1873-1945) erkannte die wissenschaftliche Begabung des Studenten und bot ihm die Assistentenstelle am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig an, wohin Kroyer 1923 berufen worden war. Zenck begleitete ihn in dieses Zentrum der Erforschung der mittelalterlichen Musik, der Orgelbewegung (Karl Straube 1873-1950), der musikalischen Jugendbewegung jener Jahre und der Neu- bzw. Wiederentdeckung der Musik der Renaissance und der Reformation. Hier begannen sich nun die analytische Kraft, die pädagogische Begabung und die praktisch-musikalischen Fähigkeiten des jungen Doktoranden zu entfalten, die erstere bei der Niederschrift seiner Dissertation über den Reformationskomponisten Sixtus Dietrich, die letzteren bei praktischen Aufführungsversuchen der Musik des 16. Jahrhunderts im Rahmen des Instituts. Nach der Promotion im Jahre 1924 war er sowohl am Leipziger Konservatorium als auch am dortigen, von Karl Straube geleiteten Kirchenmusikalischen Institut als Dozent für Musikgeschichte tätig. Den für sein Lebenswerk wichtigsten Komponisten, Adrian Willaert (ca. 1490-1562), den Begründer der venezianischen Mehrchörigkeit, behandelte er in seiner Habilitationsschrift. Die Reputation, die er sich mit diesen Aktivitäten zu verschaffen gewusst hatte, führte im Jahre 1932 zur Berufung des erst 34jährigen nach Göttingen als Nachfolger Friedrich Ludwigs (1872-1930), des Erforschers der Musik des 11.-14. Jahrhunderts, auf einen der angesehensten musikwissenschaftlichen Lehrstühle des Deutschen Reiches. Zuerst noch nicht in vollem Ausmaß spürbar wurde die aussichtsreiche Perspektive, die sich mit dieser Berufung auftat, durch die Ereignisse der Jahre von 1933 an empfindlich beeinträchtigt. Was sich hinter dem vermeintlich frühlingshaften Aufbruch jener Zeit unter der Chiffre „Nationale Revolution“ an Lügenhaftigkeit verbarg, erschloss sich damals nur wenigen. So trat auch Zenck mit allen anderen jüngeren Dozenten der Universität Göttingen in die SA ein und wurde 1937, nach seiner Bekundung „automatisch“, in die NSDAP aufgenommen. Zeitzeugen bestätigen, dass es solche „korporative“ Übernahmen in die NSDAP ohne schriftlichen Antrag tatsächlich gab, vor allem von SA-, HJ- oder BdM-Mitgliedern. Die Zeitgeschichtsschreibung (Buddrus) weist demgegenüber darauf hin, dass in der NSDAP-Kartei nur stehe, wer selbst Mitglied habe werden wollen, also einen entsprechenden Antrag eingereicht habe. Ein Gelehrter vom geistigen Zuschnitt Zencks mit dem Wahrheitswillen des Wissenschaftlers, der feinen Sensibilität des Künstlers und seiner religiösen Bindung musste von Jahr zu Jahr mehr erkennen, dass das NS-System auf Lug und Trug beruhte. Nach dem Zeugnis eines Göttinger Kollegen, des Historikers Siegfried Kaehler, hat Zenck „nach 1940 aus seiner scharf ablehnenden Haltung gegen das NS-System und gegen den Hitlerkrieg“ ihm, Kaehler, gegenüber kein Geheimnis gemacht. Schwierigkeiten entstanden für Zenck schon bald nach 1933, da er „säumig bei der Durchführung des SA-Dienstes“ war, weshalb er denn auch zeit seiner Zugehörigkeit zur SA in einem niederen Mannschaftsdienstgrad verblieb. Der Ernennung zum Professor gingen erhebliche Querschüsse der Parteiinstanzen voraus. Erst sieben Jahre nach der Berufung wurde er zum planmäßigen Ordinarius ernannt, und Beamter auf Lebenszeit wurde er gar erst im Jahre 1944, mit 46 Jahren. Diese zeigt, wie belastet sein Verhältnis zur NSDAP tatsächlich war. 1942 folgte er einem Ruf in die badische Heimat, an die Universität Freiburg, wobei das dortige musikwissenschaftliche Extraordinariat in ein Ordinariat umgewandelt wurde, und gleichzeitig wurde das Ordinariat für Kirchenrecht als Extraordinariat niedriger gestuft – offensichtlich der der theologiefeindlichen NSDAP zu zahlende Preis für die Berufung des in Parteikreisen argwöhnisch beäugten „radikalen Kritikers der nationalsozialistischen Kulturpolitik“ (Kaehler). Schon bald stieß Zenck mit dem „gottgläubigen“ Reichsstatthalter Robert Wagner zusammen; gegen dessen Widerstand verteidigte er mit Erfolg während des Wintersemesters 1943/1944 die Veranstaltung einer Aufführung der Matthäuspassion. Aber nach nur knapp zwei Jahren wurde die Lehr- und Forschungstätigkeit Zencks in Freiburg jäh beendet: im November 1944 sank mit der Innenstadt Freiburgs auch das Musikwissenschaftliche Institut in Schutt und Asche. Zenck wurde am 27. November 1944 als Feldwebel zu einem Baupionierersatz- und Ausbildungsbataillon nach Schwäbisch-Gmünd einberufen. Er überlebte die Agonie der letzten Kriegsmonate und kehrte am 27. November 1945 aus französischer Gefangenschaft nach Freiburg zurück. Dort hatten gleich nach der Katastrophe des Jahres 1945 Bemühungen um den Wiederaufbau der Universität, aber auch um die Wiedergutmachung des früheren Dozenten während des „Dritten Reiches“ angetanen Unrechts eingesetzt. Im Zuge dieser Bemühungen war der frühere Freiburger musikwissenschaftliche Ordinarius Willibald Gurlitt, der 1937 als Ehemann einer „halbarischen“ – in damaliger Terminologie – Ehefrau amtsenthoben worden war, schon im Mai 1945 zurückberufen worden. Über die Einstellung jedes einzelnen Dozenten entschied die französische Militärregierung auf Vorschlag eines „Senatsausschusses für die politische Bereinigung“. Dieser Ausschuss empfahl der Militärregierung die Wiedereinstellung Zencks, der „die ganze Gefährlichkeit der nationalsozialistischen Bewegung nicht von Anfang an durchschaut“, ihr aber „von Jahr zu Jahr kritischer gegenübergestanden“ habe. Die Militärregierung folgte dieser Empfehlung, und der Ausschuss setzte eine Gehaltsminderung von 10% für zwei Jahre fest. Auch Willibald Gurlitt stimmte, nach einigem Zögern, der Rückberufung des von ihm hochgeschätzten Zenck zu. So hatte das Musikwissenschaftliche Institut nach der Rückkehr Zencks am 3. August 1946 zeitweilig zwei Direktoren. Entspannt wurde diese auf Konflikt angelegte Situation dadurch, dass Gurlitt 1946-1948 als Gastprofessor in Bern wirkte, und im Wintersemester 1949/1950 wurde Zenck ein Arbeitsurlaub für die Edition der Gesamtausgabe der Werke Willaerts gewährt. Zu dieser Zeit kämpfte er aber schon gegen die schließlich todbringende Krankheit, einen Gehirntumor. Dies sind die äußeren Daten eines leider nur kurzen Gelehrtenlebens, dessen eigentliche wissenschaftliche Ernte noch bevorstand und dessen Ertrag durch die Wirren der Zeit so ungünstig wie nur möglich beeinflusst wurde. In Anbetracht dieser Beeinträchtigungen kann die Lebensleistung Zencks nur als erstaunlich bezeichnet werden. Die kritische Gesamtausgabe der Werke Adrian Willaerts wird immer mit Zencks Namen verbunden bleiben. Er gelang ihm noch trotz der gesundheitlichen Gefährdung, den I. Band der vom American Institute of Musicology in Rom besorgten Gesamtausgabe der Werke Willaerts herauszubringen. Auf der Basis der grundlegenden Planung Zencks setzte sein Kollege und Freund Walter Gerstenberg die Herausgebertätigkeit fort. Aber Zencks Forschungen blieben keineswegs auf Willaert beschränkt, er veröffentlichte eine Reihe wichtiger Aufsätze zur spätmittelalterlichen Messen- und Motettenpolyphonie, zur Choralkolorierung und zur Cantus-firmus-Bearbeitung und schrieb über „Die Musik im Zeitalter Dantes“ (1935), über „Grundformen der Musikanschauung“ (1940-1941) und über „Numerus und Affectus“, Studien zur Musikgeschichte, die Walter Gerstenberg 1959 herausgab. Stets ging es Zenck, einem der besten Kenner der Musik des italienischen und deutschen 16. Jahrhunderts, um die „musikgeschichtliche Wirklichkeit“, d. h. um Form und Aufbau, Struktur und Gestalt des Kunstwerks, aber auch – besonders bei der Musik der Reformationszeit – um den religiösen Sinngehalt. Er galt, seit frühen Leipziger Tagen, als erfolgreicher Universitätslehrer: „Fortzeugend lebendig bleiben wird auch das Hohe und Zarte, Strenge und Milde, das er in die Seelen seiner Schüler gesenkt hat“ (W. Gurlitt).
Quellen: Mitteilungen von Pfarrer i. R. Michael Zenck, Sulzburg; Pers.-Akte H. Zenck im UA Freiburg i. B.
Werke: Vollständige Bibliographie in: H. Zenck, Numerus u. Affectus, Studien zur Musikgeschichte, hg. von Walter Gerstenberg, 1959.
Nachweis: Bildnachweise: im Besitz von Pfarrer i. R. Michael Zenck, Sulzburg.

Literatur: Eckhard John, Bernd Martin, Marc Mück, Hugo Ott (Hgg.), Die Freiburger Univ. in d. Zeit des Nationalsozialismus, 1991; Willibald Gurlitt, Zum Tode von Professor H. Zenck, in: BZ vom 12. 12. 1950; Gedenkfeier für Professor Zenck, in: BZ vom 5. 6. 1950; Walter Gerstenberg, H. Zenck (19. 3. 1898 bis 2. 12. 1950), in: Musikforschung IV, 1951, 341 ff.; Walter Rausch, Regelung, u. Gerhard Rilk, Korporativ überführt, in: FAZ vom 26. 11. 2003; Johannes Saltzwedel, Von Goethe zu Hitler, in: Der Spiegel vom 24. 11. 2003; H. Zenck, in: MGG Bd. 14, 1216-1218 (Walter Gerstenberg); Lt. 6, 8.
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