Noether, Max 

Geburtsdatum/-ort: 24.09.1844;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 13.12.1921; Erlangen
Beruf/Funktion:
  • Mathematiker
Kurzbiografie: 1850-1858 Volksschule (bis 1854), dann Lyzeum in Mannheim
1858-1865 Privatstudien
1865-1866 Arbeit an der Sternwarte Mannheim
1866 Okt.-1868 Mär. Studium der Mathematik und der theoretischen Physik an der Universität Heidelberg; Promotion summa cum laude zum Dr. phil.
1868-1869 Weitere Mathematik-Studien bei A. Clebsch in Gießen und Göttingen
1870 Nov. Habilitation in Mathematik an der Universität Heidelberg „Über Flächen, welche Schaaren rationaler Curven besitzen“; Probevorlesung (18. 11.) „Über die Krümmung der Flächen“
1874 Nov. außerordentliche Professor für Mathematik an der Universität Heidelberg
1875 1. Apr. außerordentlicher, ab 1888 Apr. ordentlicher Professor für Mathematik an der Universität Erlangen
1917 7. Jan. Geheimer Hofrat
1918 1. Apr. Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., ab 1920 ev.
Verheiratet: 1880 (Wiesbaden) Ida Amalia, geb. Kaufmann (1852-1915)
Eltern: Vater: Hermann (1807-1894), Kaufmann
Mutter: Amalia (Malchen), geb. Würzburger (1812-1872)
Geschwister: 4:
Sara (geb. 1839), verheiratete Noether
Emil (geb. 1842)
Frida (geb. 1846), verheiratete Roos
Carl Salomon (geb. 1849)
Kinder: 4:
Amalie Emmy (1882-1935), Professorin für Mathematik in Göttingen und Bryn Mawr (USA)
Alfred (1883-1918), Dr., Chemiker
Fritz Alexander Ernst (1884-1941), Professor für Mathematik in Karlsruhe, Breslau und Tomsk (UdSSR)
Gustav Robert, Buchhändler (1889-1928)
GND-ID: GND/117039411

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 216-218

Noether wurde als drittes Kind eines Kaufmanns und Mitbegründers des Eisengroßhandelsgeschäfts „Joseph Noether&Co“ in Mannheim geboren. Vorbereitet durch Privatunterricht während des letzten Jahres der Volksschule konnte der Zehnjährige in die dritte Klasse des Mannheimer Lyzeums aufgenommen werden. Obwohl der jüngste seiner Klasse, hatte Noether immer gute Noten und wurde in Mathematik und Physik „belobt“. Nach vier Jahren wurde er in die Oberquinta promoviert. Mit 14 Jahren aber erkrankte Noether an spinaler Kinderlähmung, was zu einer dauernden Behinderung an einem Bein führte und sein Leben nachhaltig beeinflusste. Er las viel, betrieb vor allem Mathematikstudien. Ab 1865 widmete sich Noether an der Mannheimer Sternwarte unter der Leitung des Hofastronomen Prof. Schönfeld, dem er sich dann lebenslang zu Dank verpflichtet fühlte, der theoretischen Astronomie. Die Berechnung der Bahn eines Kometen wurde seine erste wissenschaftliche Arbeit.
Im Herbst 1866 immatrikulierte sich Noether in Heidelberg und studierte Mathematik und theoretische Physik. Daneben hörte er auch Vorlesungen von Helmholtz und Bunsen. Schon nach drei Semestern bestand er im Hauptfach Mathematik und den Nebenfächern Mineralogie und theoretische Physik seine Doktorprüfung. Damals war in Heidelberg noch keine Dissertation Pflicht. Seine Lehrer O. Hesse und G. Kirchhoff waren „vollständig“ und „in hohem Grade befriedigt“. Nach dem Rat seines ehemaligen Mitschülers J. Lüroth ging Noether zum Weiterstudium zu A. Clebsch nach Gießen und dann mit ihm nach Göttingen. Die drei Semester bei Clebsch, inmitten einer Gruppe von begabten, jungen Mathematikern haben die künftige wissenschaftliche Richtung Noethers bestimmt: die Hinwendung zur algebraischen Geometrie. Nach Hause zurückgekehrt schrieb Noether seine Habilitationsschrift, und im Herbst 1870 erwarb er die venia legendi in Mathematik. Er las über „Theorie der algebraischen Formen“, „Determinantentheorie“, „Algebraische und Abelsche Funktionen“. Im Herbst 1874 wurde Noether außerordentlicher Professor, bald aber folgte er dem durch F. Klein angeregten Ruf nach Erlangen, wo er fortan blieb. Nach 25 Semestern wurde er zum ordentlichen Professor befördert.
Die Liste der Themen, über die Noether in Erlangen las, ist lang; an die wiederholten, allgemeinen Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung, Analytische Mechanik, Analytische Geometrie schließen sich spezielle Themata an, die er schöpferisch bearbeitete, z. B. „Theorie der Abelschen Funktionen“ (1885/86), „Anwendung der elliptischen Funktionen auf Geometrie“ (1888/89) oder „Kurven- und Flächentheorie“ (1892). Seine Lehrtätigkeit setzte Noether auch nach der Emeritierung fort; 1914 bis 1918 hatte er als einziger die Mathematik an der Universität vertreten.
Anfang der 1890er Jahre wurde Noether auch organisatorisch tätig und förderte von Anfang an „aufs eifrigste“ den Plan eines Zusammenschlusses der deutschen Mathematiker; aktives Mitglied schon bei der Gründung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (1890), wurde Noether 1899 ihr Vorsitzender. In Erlangen fungierte Noether 1896/97 und 1904/05 als Dekan; ab 1897 war er Mitglied des Senats der Universität. Er wirkte auch im Vorstand der Physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen, davon zwei Jahre, 1893 und 1894, als „Erster Direktor“. 1893 war er außerdem in die Redaktion der „Mathematischen Annalen“ eingetreten und zeigte sich dabei als äußerst gewissenhafter und kritischer Redaktor, der der Zeitschrift und vielen Verfassern wertvolle Dienste geleistet hat und auch auf diese Weise Wichtiges zur Entwicklung der mathematischen Wissenschaft beitrug.
Noether wurden viele Ehrungen zuteil, so Mitgliedschaften an den Akademien zu München, Berlin, Göttingen, Turin, Rom, Paris und Budapest. In Erlangen wurde Noether in das Goldene Buch der Universität eingetragen (etwa um 1902). „Nur die ersehnte Berufung an eine größere Universität blieb aus“, so sein Freund und Biograph A. Brill. Wahrscheinlich deswegen überredete Noether seine Tochter, sich taufen zu lassen und konvertierte zur gleichen Zeit, 1920, ebenfalls. Das ganze Leben des in seiner Beweglichkeit Eingeschränkten war der Wissenschaft gewidmet, und es ist kein Zufall, dass gleich drei seiner vier Kinder Wissenschaftler wurden. Es trug sich weitgehend in Erlangen zu. Allerdings machte er Reisen, insbesondere, um führende Vertreter seines Faches zu besuchen, in Berlin, Wien und Paris; auch wohnte er den Mathematiker-Kongressen in Zürich (1897), Heidelberg (1904) und Rom (1905) bei. Der körperlich Behinderte ertrug sein Schicksal mit Mut und Willensstärke, ohne ein Wort der Klage. Er hatte indessen das Glück, die fruchtbare Entfaltung seiner Arbeit zu erleben.
Noether verfasste mehr als 80 Artikel zu Themen der Mathematik und ihrer Geschichte. Sein Lebenswerk aber galt der Entwicklung der algebraischen Geometrie. Hier hat er maßgeblichen Einfluss ausgeübt. Wissenschaftliche Höhepunkte finden sich bereits im ersten Jahrzehnt seiner Tätigkeit. Schon seine erste rein mathematische Arbeit war „von fundamentaler Bedeutung“ (F. Klein). Die Bearbeitung des noch heute bedeutenden „Noetherschen Fundamentalsatzes“ bezüglich der algebraischen Funktionen stammt vom Jahr 1872. Auf diesen Satz gestützt schuf Noether in Zusammenarbeit mit A. Brill die klassische Darstellung der Lehre von den ebenen algebraischen Kurven. Brill hat später eingeräumt, dass Noether dabei die führende Rolle zukam. Mit den gleichen Prinzipien behandelte Noether auch die Theorie der algebraischen Raumkurven, wofür er 1882 den Steiner-Preis der Berliner Akademie erhielt. Außerdem hat Noether die sehr komplexe Theorie der algebraischen Flächen grundlegend erforscht. Als Vollendung seines Werks in der algebraischen Geometrie, gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Mathematik, erschien 1894 die große Abhandlung über die Entwicklung der algebraischen Funktionen.
Etwa ab 1890, in den letzten Jahrzehnten seines Lebens also, wirkte Noether vornehmlich als Mathematikhistoriker, wobei ihm seine hervorragende Kenntnis der gesamten Fachliteratur zugute kam. 15 Artikel und Nachrufe über zeitgenössische Mathematiker, stilistisch immer glänzend, stellen eine ausgesprochene Fundgrube für Mathematikgeschichte dar. Auch seine zahlreichen Rezensionen zeitgenössischer mathematischer Aufsätze sind von einem ausgesprochenen Hang zur Historie gekennzeichnet. Sein Ziel war stets, „das Bewusstsein von der Einheit der Wissenschaft zu stärken, die Kenntnis des bereits Geleisteten der heutigen Produktion zu vermitteln und das Bild bedeutender Männer und ihrer Tätigkeit in dem Gedächtnis der jüngeren Generation frisch zu erhalten“. Stetig ist auch sein Bemühen um fachübergreifendes Denken. „Die größeren Leistungen gehören zumeist Grenzgebieten zwischen mindestens zwei Disziplinen an“, schrieb er 1902. Noether verfolgte immer die Zusammenhänge von Ideen und betonte die Kontinuität der mathematischen Wissenschaft.
Quellen: StA Mannheim Familienbögen, 12/1982, Nr.159; Karl-Friedrich-Gymnasium 40/1971, Nr. 36-44, Nr. 155; 4/1977, Nr. 66-68; UA Heidelberg PA 2059; H-IV-102/68, Nr. 44; H-IV-102/73, Nr. 5; H-IV-102/80; UA Erlangen C4/1, Nr. 681, Auskünfte von Dr. Clemens Wachter vom 4.3. u. 25.3.2004; StA Erlangen III.16.Noether1, Auskünfte von Renate Wünschmann vom 16.3. u. 19.4.2004.
Werke: Elemente d. Bahn des Cometen III, 1861. Astronomische Nachrichten 69, 1867, 103-109; Zur Theorie des eindeutigen Entsprechens algebraischer Gebilde von beliebig vielen Dimensionen. Math. Ann 2, 1870, 293-316; Über einen Satz aus d. Theorie d. algebraischen Funktionen, ebd. 6, 1873, 351-359; (mit. A. Brill), Über die algebraischen Funktionen u. ihre Anwendungen in d. Geometrie, ebd. 7, 1874, 269-310; Zur Grundlegung d. Theorie d. algebraischen Raumkurven. Abhh. d. preuß. Akad. d. Wiss. 1882, 1-120; Zur Theorie d. Abelschen Differentialausdrücke u. Funktionen. Math. Ann. 37, 1890, 417-460 u. 465-499; (mit A. Brill), Die Entwicklung d. Theorie d. algebraischen Funktionen in älterer u. neuerer Zeit. Jahresber. d. dt. Mathematiker-Vgg. 3, 1894, I-XIII, 107-566; Arthur Cayley. Math. Ann. 46, 1895, 462-480; Charles Hermite, ebd. 55, 1902, 337-385; Hieronimus Georg Zeuthen, ebd. 83, 1921, 1-23; Zur Erinnerung an Karl Georg Christian von Staudt, 1901, (auch in: Jahresber. d. dt. Mathematiker-Vgg. 32, 1923, 97-119).
Nachweis: Bildnachweise: StA Erlangen V. E. b. 268, abgedr. in: Geschichte u. Kultur d. Juden in Bayern. Lebensläufe, 1988, 178; Amer. J. of Mathematics vol. 26, 1904, abgedr. in: Mannheimer Hefte 1, 1968, 27.

Literatur: Werkverzeichnis in Math. Ann. 93, 1925 (s. u.); Poggendorffs Biographisch-literarisches Handwörterbuch, III 1898, 977, IV 1904, 1080-1081, V 1926, 910-911, VI 1938, T. 3, 1870; A. Voss. M. Noether, Jb. d. Bayer. Akad. d. Wiss. f. 1921, 42-45; M. Noether †, Math. Ann., 1922, 85, I-III; A. Brill. M. Noether, Jahresber. d. dt. Mathematiker-Vgg. 32, 1923, 211-233; G. Castelnuovo, F. Enriques, F. Severi, M. Noether, Math. Ann. 93, 1925, 161-181 (mit Bibliographie); E. E. Kramer. Noether, Dictionary Sci. Biography, vol. 10, 139-141; A. Dick. Emmy Noether, 1882-1935, Beihefte zur Zs. „Elemente d. Mathematik“ 13, 1970, (Englisch: 1981); Lexikon bedeutender Mathematiker, 1990, 350; R. Fritsch, Noether, in: NDB 19, 1999, 319 f.
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