Jänecke, Ernst Georg Gustav 

Geburtsdatum/-ort: 04.03.1875; Alt-Warmbüchen (bei Burgdorf in Hannover)
Sterbedatum/-ort: 04.01.1957;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1881-1894 Realgymnasium I in Hannover
1894-1895 Studium TH Hannover
1895/96 Studium Universität Göttingen
1896-1897 Studium Universität München
1897-1898 Studium Universität Berlin
1898 XII Promotion zum Dr. phil., Universität Berlin
1899-1900 Einjährig-Freiwilliger im Füsilier-Regiment 73 Hannover
1900-1905 Assistent am Anorganisch-Chemischen Laboratorium, TH Hannover
1905 II Habilitation zum Privatdozenten für physikalische Chemie ebd.; Probevortrag „Chemismus der Legierungen“
1912 IV Prädikat Professor ebd.
1920 II.24. Tod der Ehefrau nach nur 4 Tagen Kranksein; IX.01, Eintritt an das Forschungslaboratorium der BASF Ludwigshafen
1921 II Übersiedlung nach Heidelberg
1930 VII Dr.-Ing. E. h. TH Aachen
1931 IX ordentlicher Honorarprofessor für physikalische Chemie an der Universität Heidelberg
1935 IV.01. Pensionierung von der BASF, Ende der Experimentalarbeit
1955 Beendigung der Vorlesungen
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1. 1909 Hannover, Hedwig, geb. Smend (1886-1920)
2. 1921 Heidelberg, Liesel, geb. Velde (1895-1966)
Eltern: Georg Friedrich William (1831-1908), Hof- und Ziegeleibesitzer zu Alt-Warmbücher
Johanne Auguste Karoline, geb. Warnecke (1844-1904)
Geschwister: Marie, verh. Hempel (1869-1930)
Karl (1871-1931)
Willy (1872-1928)
Louis (1878-1960)
Kinder: Jürgen (1910-1922)
Hilde (geb. 1912), verh. Kisselmann
Ludwig (Lutz) (1918-1944)
Günther (1923-1942)
Horst (1924-1945)
Joachim (geb. 1929)
GND-ID: GND/117059072

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 174-176

Jänecke entstammt einer alten hannoverschen Familie. Sein Großvater war Mitbegründer des „Hannoverschen Kuriers“ und der Firma „Gebr. Jänecke&Schneemann. Druckfarbenfabrik“. Jäneckes Vater besaß eine Ziegelei, die er später verkaufte. Er zog nach Hannover um und trat 1878 bei „Gebr. Jänecke&Schneemann“ ein. Wahrscheinlich weckte dieses Unternehmen, ein Druckfarbenhersteller, das technologische Interesse seiner Söhne. Seine Kindheit schildert Jänecke als fröhlich und glücklich. Bis ins hohe Alter hielten sich die besten Beziehungen zwischen den Geschwistern. Die Erziehung in der Familie prägte Jäneckes Arbeitsfleiß, der während seines ganzen Lebens für ihn typisch war. Als Knabe besuchte Jänecke das Realgymnasium I in Hannover. In den letzten Schuljahren trat seine Begabung in Mathematik hervor, die später seine ganze Tätigkeit grundlegend bestimmte. In der Prima erstellte Jänecke seine erste selbständige Arbeit, indem er alle 15 halbregelmäßigen mathematischen Körper, die sogenannten archimedischen Körper, berechnete und körperlich darstellte, woran er sich nicht ohne Stolz noch im Alter erinnerte. In der Oberprima wurde Jänecke „Primus Omnium“. Wie sein Zeugnis der Reife zeigt, bekam Jänecke „sehr gut“ in Mathematik, in Chemie, Zeichnen und Turnen, wie auch für „Betragen und Fleiß“; in fast allen anderen Fächer erhielt er die Note „gut“.
Es folgten Studienjahre an der TH Hannover und an den Universitäten Göttingen, München und Berlin. In Hannover hörte Jänecke besonders den Mathematiker C. Runge, in Göttingen, den Physikochemiker W. Nernst, in München, den Organiker A. v. Baeyer. In Berlin schloß Jänecke cum laude in den Fächern Chemie, Physik, Mathematik, Philosophie. Letztere war damals „Zwangsfach“; Mathematik war für Chemiker selten. Bei Emil Fischer promovierte Jänecke als Organiker. Sein Dissertationsthema lautete „Über Amidodiäthylketon, Amidodiäthylcarbinol nebst einigen Derivaten“.
Sein zweiter Lehrer war Physikochemiker J. H. van’t Hoff, dem Jänecke, mit dessen Genehmigung, später sein bedeutendes Buch über gesättigte Salzlösungen widmete. Nach der Promotion arbeitete Jänecke 4 Monate vor dem Militärdienst als Chemiker bei „Gebr. Jänecke&Schneemann“, später, 1905-1906, für 9 Monate im Kaliwerk Benthe AG bei Hannover. Die Erfahrung bei diesen Unternehmen, wie auch zuvor van’t Hoffs Vorlesung, richtete Jäneckes Interesse auf die angewandte physikalische Chemie und auch auf eines ihrer damals wichtigsten theoretischen Gebiete, nämlich die Phasenlehre, welcher er bis zum Lebensende treu blieb. Nach Ableistung seiner Militärdienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger trat Jänecke als Assistent am Anorganisch-Chemischen Laboratorium der TH Hannover an und führte hier seine erste Forschungsarbeit im obengenannten Gebiet durch: „Über die Auffindung chemischer Verbindungen von Metallen unter sich mit Hülfe von Schmelz- und Erstarrungskurven. Anwendung der Methode auf Legierungen von Na-K-Hg-Cd“. Dies wurde seine Habilitationsschrift. Als Privatdozent las Jänecke über Phasenlehre, Metallographie und Kalilager Deutschlands. Gleichzeitig wurde er Assistent am Bauingenieurslaboratorium der TH und leitete dessen chemische Abteilung. Parallel dazu führte er seine wissenschaftlichen Forschungen durch. Er fand eine neue Methode der Darstellung der Sättigungsverhältnisse von kompliziert zusammengesetzten Salzlösungen (1906-1908). Diese „Jänecke-Diagramme“, seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung, wurden nach sorgfältiger Überprüfung durch van’t Hoff anerkannt, aber zunächst überwiegend im Ausland angewandt. Sie werden bis heute genutzt. Jänecke selbst hat seine Diagramme zur Erklärung der Bildung deutscher Kalisalzlager angewandt. Außerdem wandte Jänecke die Phasenlehre bei verschiedenen technischen Objekten an. Er befaßte sich mehrfach mit Untersuchungen über Legierungen, über Phasengleichgewichte in Fluidengemischen (z. B. aus Wasser, Kohlensäure und Ammoniak), über Kalilager und über Zement. Ein Zementklinkerbestandteil wurde nach ihm „Jäneckeit“ genannt. Jänecke trug viel zur Verbreitung von Erkenntnissen über die Phasenlehre durch mehrere Übersichtsartikel und Bücher bei. Für Jahrzehnte blieb Jänecke fast der einzige bedeutende Vertreter und Verfechter der Phasenlehre in Deutschland. Erwähnt seien auch seine auf der Phasenlehre fußenden späteren Betrachtungen über die Schrumpfung der Erde, den Zustand des Erdinnern und über die Entstehung der Planeten. Jänecke hatte offenkundige Neigung, Aufsätze zu verfassen und schrieb über verschiedene Gegenstände, z. B. über einen Mörtel aus dem spätrömischen Kastell Altrip oder: „Kann man aus der Spur eines Rades die Fahrrichtung erkennen?“. Insgesamt publizierte er, einschließlich Neuauflagen und Übersetzungen, 220 wissenschaftliche Aufsätze.
Jänecke blieb an der TH Hannover bis 1920. In diesem Jahr verließ er wegen des unerwarteten Todes seiner Frau seine Heimatstadt und wechselte von der akademischen Tätigkeit zu einer industriellen. Er folgte, dank Vermittlung von Prof. M. Bodenstein und seinem Freund Dr. M. Buchner, dem Ruf der BASF nach Ludwigshafen. Nach vier Monaten in Mannheim (vom September 1920 bis Februar 1921) zog Jänecke nach Heidelberg um, wohin seine Kinder aus Hannover gefolgt waren. Während seiner Jahre bei der BASF arbeitete er über die Technologie der Salze zur Düngerherstellung. Hierher gehören mehrere Erfindungen, die aus seiner Erfahrung mit der angewandten Phasenlehre stammten. Insgesamt erlangte Jänecke die Patente für 24 Erfindungen, teilweise zusammen mit seinen Mitarbeitern. Es glückte ihm aber nicht, die industrielle Anwendung dieser Erfindungen zu erreichen.
Interessanterweise nahm im Jahr 1999 eine amerikanische Chemiefirma Kontakt mit dem Sohn von Jänecke auf, um Zugang zu den zahlreichen Veröffentlichungen aus dieser Zeit zu erhalten. Die Arbeiten über Ammoniumnitrat und andere Düngersalze seien noch heute wesentlich auf diesem Gebiet und wurden deshalb ins Amerikanische übersetzt. Jedes Jahr werden noch etwa drei seiner damaligen Veröffentlichungen im sog. „Citations-Index“ erwähnt.
Bereits während der Einstellungsgespräche bei der BASF bat Jänecke inständig, gleichzeitig Vorlesungen an der Universität Heidelberg halten zu dürfen. Sein Wunsch wurde jedoch abgelehnt, und Jänecke hielt nur eine längere Vortragsreihe für die Herren von der BASF. Erst im WS 1931 konnte er als ordentlicher Honorarprofessor für physikalische Chemie an der Universität zu lesen beginnen. Obwohl seit 1935 im Ruhestand, führte er seine Vorlesungen und Seminare über verschiedene Themen aus der Phasenlehre bis ins Alter von 80 Jahren durch, wobei er eigene geometrische Drahtmodelle benutzte, die er seit 1905 herstellte. Nach dem Krieg nahm er als erster wieder den Lehrbetrieb in seinem Institut auf und konnte im ersten Friedenssemester 1945/46 vor 50 Zuhörern lesen.
Jänecke war kein politischer Mensch; er gehörte nie der NSDAP an (wie auch keiner anderen Partei). Wie sein Sohn mitteilt, (und einige Privatdokumente bestätigen), war Jänecke „gegen Hitler eingestellt, hat das aber nie offen ausgesprochen“. Drei ältere Söhne hat Jänecke im Krieg verloren. Seine letzten zehn Jahre wurden durch die Beschlagnahmung seines Hauses erschwert, das für die amerikanische Verwaltung genutzt und ihm erst kurz vor seinem Tod zurückgegeben wurde. Trotz allem arbeitete Jänecke unermüdlich und war bis zu seinen letzten Tagen um die Ergänzungen zu seinem Buch über Legierungen bemüht. Die Arbeit erfüllte sein ganzes Leben. „Mit Konzert, Theater, Kino hat er nichts gehabt“, wie seine Tochter sich erinnert. Als Erholung diente ihm seine „Fotoleidenschaft“ und später die Arbeit im Garten. Daneben „liebte er Geselligkeit“. Uneigennutz und stete Einsatzbereitschaft zeichneten sein Leben und Wirken aus.
Quellen: Dokumente im Familienbesitz; Stadtarchiv Hannover; UA Hannover; Unternehmensarchiv der BASF: W 1, Jänecke; UA Heidelberg Personalakte 4353; Rep. 27, N 641; Stadtarchiv Heidelberg; Stadtarchiv Mannheim
Werke: Neue Darstellungsform der wässerigen Lösungen zweier und dreier gleichioniger Salze ..., Zeitschrift für anorganische Chemie, 1906, Bd. 51, 132-156; Gesättigte Salzlösungen vom Standpunkt der Phasenlehre, 1908; Die Entstehung der deutschen Kalisalzlager, 1915, 2. Aufl. 1923; Kurzgefaßtes Handbuch aller Legierungen, 1937, 2. Aufl. 1949; Die Welt der chemischen Körper bei hohen und tiefen Temperaturen und Drucken, 1950
Nachweis: Bildnachweise: siehe Literatur. mit Angabe (Bild)

Literatur: I. C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bde. 1-VII b, 1863-1992: V, 580-581, VI, 1217, VIIa, 603-604 (mit der Bibliographie); Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1931, 841 (Bild); Nachrichten aus Chemie und Technik, Jg. 3, 7. März 1955, 50 (Bild); Deutsches Geschlechterbuch, Bd. 177, 1978, 356, 399; Catalogus Professorum. Der Lehrkörper der TH Hannover 1831-1956, 44 (Bild); Catalogus Professorum der Universität Hannover, 1981, 127 (Bild)
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