Weil, Hermann 

Andere Namensformen:
  • Weill
Geburtsdatum/-ort: 29.05.1876;  Mühlburg (Karlsruhe)
Sterbedatum/-ort: 06.07.1949; Blue Mountain Lake (New York)
Beruf/Funktion:
  • Opernsänger (Bariton)
Kurzbiografie: 1901 Stadttheater Freiburg
1903 Hoftheater Stuttgart
1910 Kgl. Württ. Kammersänger
1911 erste Auftritte in Bayreuth und an der Metropolitan Opera New York
1917 Internierung in den USA
1933 Entlassung am Württ. Staatstheater
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: 1902 Johanna, geb. Kessler, ev. (geboren 29.5.1879 Bockenheim, gestorben 1967 New York)
Eltern: Vater: Emanuel Weil (geboren 1844 Adelsheim), Notariatsgehilfe, isr, ev. getauft
Mutter: Babette, geb. Hörr, ev. (geboren 1853 Karlsruhe)
Kinder: 2:
Werner (geboren 1908 Stuttgart);
Robert (späterer Nachname: Weir), verh. mit Ruth Wolf, Tochter des Stuttgarter Kommerzienrates Adolf Wolf
GND-ID: GND/117251259

Biografie: Roland Maier (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 237-239

Bis zu seinem erzwungenen Bühnenabschied 1933 war der Sänger Hermann Weil mit Unterbrechungen über drei Jahrzehnte eine der wenigen international bekannten Größen an der Stuttgarter Oper und zählte zu deren ersten Kräften.
Weil wurde in Mühlburg (später nach Karlsruhe eingemeindet) geboren. Er besuchte das Realgymnasium und anschließend, da er Volksschullehrer werden wollte, das Lehrerseminar in Karlsruhe, studierte dann aber am Konservatorium in Karlsruhe Musikwissenschaft und Musiktheorie. Seine pianistische Ausbildung erfuhr er bei Stephan Krehl. Unter Felix Mottl betätigte er sich als Kapellmeister-Volontär in Karlsruhe, daneben erteilte er Klavierunterricht. Am Hoftheater Karlsruhe hatte er eine Stelle als Korrepetitor und Dirigent. Seine Gesangsausbildung absolvierte er in Frankfurt a. M. bei Adolf Dippel.
1901 debütierte Weil als Sänger am Stadttheater Freiburg in der Partie des Wolfram in Wagners „Tannhäuser“. 1903 nahm ihn, nachdem er bei einem Gastspiel in Darmstadt glänzende Kritiken bekommen hatte, das Württembergische Hoftheater in Stuttgart unter Vertrag. Um auswärtigen Abwerbungsversuchen zu begegnen, war man bereit, den Gagenforderungen des „eleganten Baritons“ weitgehend zu entsprechen. Ebenso sollte die Ernennung des Hofsängers durch Wilhelm II. zum Königlichen Kammersänger dessen Bindung für die Zeit nach der Eröffnung des neuen Hoftheaters 1912 bestärken. U. a. trat Weil 1905 als Jochanaan in der Premiere der Richard-Strauss-Oper „Salome“ auf; später sang er den Orest in „Elektra“ vom selben Komponisten. In der Uraufführung von „Prinzessin Brambilla“ von Walter Braunfels 1909 gab er den „von Karnevalsschwänken übersprudelnden“ Diener Pantalone, und in „Der arme Heinrich“ von Hans Pfitzner sang er den Dietrich. Im selben Jahr gastierte er in Amsterdam als Sebastiano in d’Alberts „Tiefland“. 1910 zeigte Weil als Kurwenal in Wagners „Tristan und Isolde“ eine „wunderbar zart empfundene Weichheit aller Gefühlsstimmungen“ und zugleich ein „dramatisches Feuer“. Es folgten erste Auftritte bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth, wo er sich als Gunther und Amfortas, vor allem aber als Hans Sachs in den „Meistersingern“, seine Paraderolle schlechthin, auch international einen Namen machte. So kam er 1911 einem Ruf der Metropolitan Opera in New York nach, wo er für sechs Spielzeiten gastierte. Das Württembergische Hoftheater musste sich mit den transatlantischen Engagements abfinden, verpflichtete Weil jedoch, der seine Wohnung in Stuttgart beibehielt, zu einer Mindestzahl von heimatlichen Auftritten pro Saison, zu denen ihn das Publikum, das nach internationalen Stars gierte, mit Begeisterung erwartete.
Doch drohte nach Kriegsbeginn 1914 die Stimmung gegen ihn umzuschlagen. Als er erfuhr, dass in Stuttgart Dutzende anonymer Briefe eingegangen waren, die sich darüber empörten, dass der Sänger „sein Land in Not und Gefahr um schnödes Geld verlassen“ habe, zeigte Weil sich tief betroffen. Er rechtfertigte sich damit, dass er in den USA viel „für die deutsche Kultur“ leiste und die gefährdete deutsche Oper unter keinen Umständen „dem hart kämpfenden Deutschtum New Yorks“ verlorengehen dürfe. Außerdem überwies er regelmäßig Spenden in die Heimat, u. a. an ein Stuttgarter Heim für erblindete Soldaten. In den USA wurde er nach deren Kriegseintritt 1917 als „feindlicher Ausländer“ für zwei Jahre interniert. Sein Versuch, nach Kriegsende wieder in deutscher Sprache in der Wagner-Rolle des Hans Sachs in den USA aufzutreten, scheiterte an einem Boykott aufgrund der dort grassierenden antideutschen Stimmung. Es folgten nun Auftritte in Mailand, Madrid, Berlin und Brüssel. Nach einem dreijährigen Engagement an der Wiener Hofoper kehrte Weil an die Württembergische Oper zurück und wurde fortan im „Kunstfach als Helden- und lyrischer Bariton“ festes Mitglied des Ensembles. 1924 bei der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele begegnete man ihm dort jetzt wegen seiner teilweise jüdischen Abstammung mit Vorbehalten. Doch in Stuttgart wurde er weiterhin als ein ebenso „musikalischer und stimmbegabter Sänger“, wie „intelligenter und erfahrener Darsteller“ verehrt. Selbst der ansonsten keine antisemitischen Attacken auslassende NS-Kurier machte hiervon noch im Sommer 1931 keine Ausnahme. Bezüglich der Aufführung des „Ring des Nibelungen“ schwärmte das Nazi-Blatt: „Als vornehmer Wotan beherrschte Hermann Weil das eindrucksvolle Geschehen. Seine Stimme bekommt ihre überragende Geltung schon durch den edlen, metallischen Klang; seine Auffassung ist durchdacht, sein Gebärdenspiel würdig und hoheitsvoll. Dass Weil Bayreuther Luft atmete, das erhält ihn jung und frisch“.
Weil war nicht nur ein großer Wagner-Interpret. Mit seiner gut gebildeten, voluminösen, warmen und klangvollen Stimme lagen ihm, wie nur wenigen deutschen Baritonen, auch die lyrischen sowie die dramatischen Partien in Verdis Opern. Nach späterem Urteil des bis 1933 amtierenden Generalintendanten Kehm zählte Weil zu den „hervorragendsten und meistbeschäftigten“ Mitgliedern der Stuttgarter Oper. In der Spielzeit 1932/33, als Weils stimmliche Fähigkeiten bereits ihren Zenit erreicht hatten, stand er als der nach wie vor unangefochtene Opernstar mit seinem umfangreichen Repertoire fast ständig auf der Bühne. Seine häufigsten Auftritte hatte er in dieser Saison in Verdis „Rigoletto“, gefolgt von Beethovens „Fidelio“, Lortzings „Undine“, Strauss’ „Rosenkavalier, Mascagnis „Cavalleria rusticana“ sowie in acht weiteren Opern.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Württemberg kam dann das Aus. Geradezu gespenstisch geräuschlos sollte der eben noch umjubelte Sänger von der Bühne verschwinden. Am Tage vor dem „Judenboykott“ des 1. April 1933 gab man ihm am Eingang des Theaters zu verstehen: „Sie brauchen nicht mehr zu kommen!“. Denn Weil galt, obwohl er, wie bereits seine Eltern, evangelisch getauft war, der neu eingesetzten Theaterleitung als „Jude“, da seine Großeltern väterlicherseits der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatten. Nach der 1935 mit den Nürnberger Rassegesetzen nachgelieferten Definition war Weil somit „Mischling 1. Grades“. Da für die Spielzeit 1932/33 ein gültiger Vertrag bestand, wurde er mit deren Ablauf am 1. August 1933 zur Ruhe gesetzt und erhielt fortan eine monatliche Pension. Als man erwog, dem ehemaligen Aushängeschild der Oper wenigstens eine Ehrenmitgliedschaft der Württembergischen Staatstheater zuteil werden zu lassen, wurde „erschwerend“ festgestellt, dass der älteste Sohn vor einigen Jahren anlässlich seiner Eheschließung wieder der jüdischen Religionsgemeinschaft beigetreten war, seine Geschwister mit Juden verheiratet waren und er selbst der Stuttgarter Freimaurerloge „Zu den drei Cedern“ angehört hatte. Kultminister Mergenthaler beschied lakonisch: „Als Judenstämmling kann der Kammersänger Weil nicht zum Ehrenmitglied der Staatstheater ernannt werden.“ Weil zog sich mit seiner Ehefrau in die Schweiz zurück, behielt aber sein Domizil in Stuttgart. Hier war er nach seiner Pensionierung innerhalb der Danneckerstraße in eine benachbarte kleinere Wohnung umgezogen. 1940 erfolgte die offizielle Abmeldung des Wohnsitzes, und Weil übersiedelte in die USA. Auch die beiden Söhne waren ins Exil gegangen. Doch trug er sich während des Krieges weiterhin mit dem Gedanken, zurückzukehren und sich im Schwarzwald niederzulassen.
Nach seiner Vertreibung aus den Württembergischen Staatstheatern hatte Weil seine Karriere als Opernsänger beendet. In New York erteilte er Gesangsunterricht und lebte zurückgezogen in ruhigen Verhältnissen. Die Sommer verbrachte er mit seiner Frau und seiner Schwester am Blue Mountain Lake im Staat New York. Als er wie so oft wieder einmal morgens allein mit seinem kleinen Motorboot zum Fischen hinausgefahren war, stürzte er über Bord und ertrank.
Quellen: HStAS EA 3/150 Bü 3318 a; StAL EL 350 I Bü 30851; E 18 V Bü 144; E 18 VI Bü 1078; E 18 VII Kritiken; E 18 VII Bü 360; FL 300/33 Bü 1438 und 5046.
Werke: Thannhäuser (Odeon) 1909, zusammen mit Hermine Bosetti 1911: La Traviata (Odeon), Rigoletto (Odeon), sowie Schallplatten der Firmen Amerikanische Columbia, HMV-Records, Pathé-Platten Berlin, Vox, Deutsche Grammophon.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Stuttgart; StAL Theaterakten; Bauz, 2008, 59.

Literatur: Jürgen-Dieter Waidelich, Vom Stuttgarter Hoftheater zum Württembergischen Staatstheater, 1956; Maria Zelzer, Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, 1964, 155, 444, 490; Walter Strauss (Hg.), Lebenszeichen, Juden aus Württemberg nach 1933, 1982; Stephan Stompor, Künstler im Exil,1994, 500-502, 568; Karl-Josef Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, 2003; Bruno Jahn, Deutsche biographische Enzyklopädie der Musik, 2003; Jürgen Kesting, Die großen Sänger, 2008, 206-207, 855; Hannes Heer u. a., Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der „Juden“ aus der Oper 1933 bis 1945. Der Kampf um das Württembergische Landestheater Stuttgart, 2008, 106; ders., Die Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945, 2012, 284, 341; Ingrid Bauz/Sigrid Brüggemann/Roland Maier, „Sie brauchen nicht mehr zu kommen!“ Die Verdrängung der Künstlerinnen und Künstler jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung aus dem Stuttgarter Theater- und Musikleben durch die Nationalsozialisten, 2008, 59-60.
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