Dieterich, Viktor 

Geburtsdatum/-ort: 26.08.1879;  Neuenstadt
Sterbedatum/-ort: 08.12.1971;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Forstwissenschaftler
Kurzbiografie: 1897 Abitur am Tübinger Stift
1898-1902 Studium der Forstwissenschaft in Tübingen
1902 Eintritt in die württembergische Forstverwaltung
1904 Forstliche Staatsprüfung, anschließend Tätigkeit in der Forstverwaltung
1905 Assistent bei Prof. Bühler in Tübingen
1908 Mitarbeiter der Forstdirektion Stuttgart
1914-1917 Kriegsdienst
1918 Wiederaufnahme der Tätigkeit in der Forstverwaltung, dann Leiter des Forstamts Mössingen, daneben Lehrauftrag an der Universität Tübingen
1921 Professor der Forstwissenschaft an der Universität Freiburg
1922 Leiter der Württembergischen Forstlichen Versuchsanstalt in Tübingen
1925 Oberforstrat bei der Württembergischen Forstdirektion in Stuttgart
1931 Professor der Universität München
1946-1953 Emeritierung und kommissarische Leitung des Instituts
1954 Ehrendoktor der Universität Göttingen
1963 Wilhelm-Leopold-Pfeil-Preis der Stiftung F.V.S. zu Hamburg
1967 Ehrendoktor der Universität München
Weitere Angaben zur Person: Verheiratet: 1908 Maria, geb. Essig. Weitere biographische Angaben wegen Vernichtung der Personalakten durch Luftangriff und Tod auskunftsfähiger Verwandter nicht möglich.
Eltern: Carl Dieterich
Marie, geb. Hochstetter
GND-ID: GND/117637505

Biografie: Karl Hasel (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 86-88

Geboren als Sohn eines Postmeisters in Neuenstadt an der Kocher, besuchte Dieterich das Humanistische Gymnasium zuerst in Maulbronn und später in Tübingen. Mit dem Forstwesen verbunden durch den Großvater mütterlicherseits, studierte er nach Ablegung der Reifeprüfung Forstwissenschaft an der Universität Tübingen und legte dort 1902 die Abschlußprüfung ab. Seine Lehrer Anton Bühler, Thuisko Lorey und Hugo Speidel hatten großen Einfluß auf seine Entwicklung. Alsdann unterzog er sich der Ausbildung für den württembergischen Staatsforstdienst und legte 1904 die forstliche Staatsprüfung ab. Er war dann in der Forstverwaltung tätig, arbeitete aber schon bald, seiner wissenschaftlichen Neigung folgend, unter Anton Bühler im forstlichen Versuchswesen, das später eine Zeitlang Schwerpunkt seiner Arbeit werden sollte. In dieser Zeit entstand seine Dissertation „Elemente der Wertsmehrung in der Forstwirtschaft“ (1911); er entwickelte darin neue Wege in der allmählich sich herausbildenden forstlichen Betriebswirtschaftslehre. 1913 wurde er, ungewöhnlich früh, Herausgeber der forstlichen Zeitschrift Silva in Tübingen, die er, auch durch zahlreiche eigene Aufsätze, zu hohem Ansehen brachte; sie ist 1937 nationalsozialistischer „Flurbereinigung“ zum Opfer gefallen. Praktische Erfahrung in Forstbetrieb und Forstverwaltung, von der er ein Leben lang zehrte, erwarb er sich als Forstamtsleiter in Mössingen, als Leiter des württembergischen forstlichen Versuchswesens und zuletzt als Oberforstrat der württembergischen Forstdirektion in Stuttgart. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze aus dem Gebiet der forstlichen Ertragslehre und des Waldbaus. Berufungen als Professor nach Tharandt und Eberswalde lehnte er ab. Gekrönt wurde Dieterichs wissenschaftliche Laufbahn, als er 1931 auf den durch Julius Lehr und Max Endres berühmt gewordenen Münchener Lehrstuhl für (wie er es nannte) forstliche Wirtschaftslehre berufen wurde, den er bis 1953 innehatte. Damit begann sein eigentliches wissenschaftliches Lebenswerk.
Als erstes begründete er in zahlreichen tiefgreifenden Aufsätze in der Silva die forstliche Holzmarktlehre, die bis dahin in Teilen, aber nicht systematisch gepflegt, im Rahmen der Forstpolitik gelehrt wurde. Zuvor hatte die Weltwirtschaftskrise die Forstwirtschaft in unerhörter Schärfe getroffen. Da war es dringend geboten, den bis dahin arg vernachlässigten Holzmarkt zum Gegenstand gesonderter wissenschaftlicher Forschung und Lehre zu machen. Heute ist die Holzmarktlehre wie selbstverständlich ein eigenes Stück der Forstwissenschaft.
Die bescheiden als „Waldwertrechnung und forstliche Statik“ bezeichnete forstliche Wirtschaftslehre war schon lange wegen ihrer waldfremden kapitalistischen Denkweise angegriffen und von vielen als unzureichend erkannt worden. Dieterich hat als erster eine umfassende forstliche Betriebswirtschaftslehre geschaffen und ihr eine weitausgreifende Betriebssystematik und eine die Erfahrungen der Statistik zu Rate ziehende Wert- und Kostenanalyse zugrunde gelegt. So entstand eine dreibändige forstliche Betriebswirtschaftslehre, der erste Versuch der systematischen Gestaltung des Faches.
Auch die wissenschaftliche Forstpolitik wurde von Dieterich völlig neu gestaltet. Er hat der angewandten forstpolitischen Lehre, die das Schrifttum bis dahin ausschließlich beherrscht hatte, eine wissenschaftliche Grundlegung in der Form einer forstpolitischen Funktionenlehre vorausgeschickt, die seine ganz eigene Leistung gewesen ist. Ihre Grundgedanken beherrschen heute die Forstpolitik der Verwaltungen und die Forstgesetzgebung. Ausdruck seines forstpolitischen Wollens wurde die (wegen der Zeitverhältnisse erst) 1953 veröffentlichte „Forstwirtschaftspolitik“. Den einmal gesponnenen Faden aufnehmend, hat Dieterich in der Folge bis zu seinem Tod zahlreiche tiefschürfende Aufsätze zu jeweils aktuellen Fachfrage in forstlichen Zeitschriften veröffentlicht.
Dieterich hat alle Aufgaben in Verwaltung und Wissenschaft sehr ernst genommen und sie mit der ganzen Kraft und dem Feuer seiner Persönlichkeit ausgefüllt, ohne Rücksicht und ohne Kompromiß, ein gewaltiger Redner, ein Sprachschöpfer eigenen Stils. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung war er ein streitbarer und unnachsichtiger und zugleich höchst fairer Gegner, der nie verletzt hat. Als Mensch äußerst bescheiden und rücksichtsvoll, öffentlicher Anerkennung ganz aus dem Wege gehend. Auf wissenschaftlichen Tagungen sah man ihn kaum.
Dieterich war ein äußerst fruchtbarer Schriftsteller; sein Schriftenverzeichnis nennt 7 Bücher und 225 meist umfangreiche Aufsätze, von zahlreichen oft sehr umfassenden Buchbesprechungen ganz abgesehen. In den letzten Jahren, wieder im heimatlichen Stuttgart, befaßte er sich erneut mit Grundfragen der forstlichen Wirtschaftslehre, vor allem mit dem Nachhaltsdenken und der Waldgesinnung, mit den Zusammenhängen zwischen Waldwirtschaft und Landespflege oder Futurologie als Gegenstand forstwissenschaftlicher Forschung.
Dieterich war zeitlebens eine Kämpfernatur. Das zeigte schon in den 20er Jahren sein unerschrockenes Eintreten für „Freiheit im waldbaulichen Planen und Handeln“ (Silva 1926). Das war eine Kampfansage und für einen Beamten der württembergischen Staatsforstverwaltung, die den „Blednersaumschlag“ als Betriebssystem für das ganze Land amtlich vorgeschrieben hatte, ein unerhörtes Vorgehen!
Da drängt sich die Frage auf, inwieweit Dieterichs Denken das Handeln von Waldbesitzern, Forstverwaltungen und Regierungen beeinflußt hat. Noch kurz vor seinem Tod schrieb er in einem Brief: „Das Kernübel forstwissenschaftlicher und zumal forstpraktischer Zielsetzung ist die in der Bodenreinertragslehre zur Herrschaft gebrachte, um mich ganz derb auszudrücken, Geldzielsetzung, d. h. eine nur auf den unmittelbaren Geldgewinn ausgerichtete. Die mittelbaren, auch finanziell bedeutsamen Segnungen des Waldes werden verkannt.“ Seitdem hat eine neue Generation von Forstleuten diese Gegensätze überwunden. Die Forstgesetze von Bund und Ländern haben seine Forderung nach Unterscheidung verschiedener Waldfunktionen und nach wohlabgewogenem Ausgleich widerstrebender Interessen zu eigen gemacht. Auf Dieterich zurück geht die Forderung, daß Forstverwaltung und Forstleute die Verantwortung tragen für sämtliche Funktionen des Waldes, und die Erkenntnis, daß es verhängnisvoll wäre, dächten sie allein an die Erzeugung von Holz und überließen die Wahrung seiner anderen Funktionen nichtforstlichen Stellen. Dieterichs unentwegtem Eintreten ist es zu danken, daß die Holzerzeugung heute auch von den Politikern nicht mehr als einzige oder wichtigste Aufgabe der Waldwirtschaft angesehen wird und daß Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen grundsätzlich gleichwertig nebeneinander stehend gesehen werden. Seinen Mahnrufen ist es zu danken, daß landespflegerisches Denken heute mehr denn je Planen und Handeln der Forstwirte bestimmt. Bereits zu Beginn der 50er Jahre forderte er „planmäßige Abstimmung der Holzwirtschaftsziele des Forstwesens mit den Landeskulturaufgaben des Waldbaus“, erklärte er schlicht: „Forstpolitik ist Waldpflege!“, forderte er „waldnaturnahe Waldbewirtschaftung“ und leitete daraus das Verlangen ab, die Forsthoheitsverwaltung nicht so sehr nach dem Muster anderer Zweige der politischen Verwaltung, sondern waldnaturnah auszugestalten. Heute ist das Bekenntnis zu naturgemäßer Waldwirtschaft in aller Munde und erscheint manchmal fast wie ein Alibi. Dieterich hat zu solchem Denken den Grund gelegt.
Werke: Forstliche Betriebswirtschaftslehre, 3 Bde. 1939-1941; Forstwirtschaftspolitik, 1953. Gesammelte Aufsätze, insbesondere zur forstlichen Wirtschaftslehre; Schriftenreihe der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg Bd. 48 Stuttgart 1978 (Hg. Hasel). Hier auch ein vollständiges Verzeichnis aller Veröffentlichungen
Nachweis: Bildnachweise: Foto vgl. H. Rupf in Literatur

Literatur: Zum 70. Geburtstag, Forstwissenschaftliches Centralblatt (68) 1949, Festnummer (Köstler); Zum Gedenken, in: Allgemeine Forstzeitschrift, 1972 Heft 24 (Hasel); Mantel, K., Gesammelte Aufsätze Bd. III, S. 115-122; H. Rupf, Viktor Dieterich, in: Biographie bedeutender Forstleute aus Baden-Württemberg (= Schriftenreihe der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg Bd. 55), 1950, 57-91 mit Bild
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