Julius, Paul 

Geburtsdatum/-ort: 14.10.1862; Liesing bei Wien
Sterbedatum/-ort: 09.01.1931;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Farbstoffchemiker
Kurzbiografie: 1880 VII. Abschluss d. k. k. Staats-Realschule im IV. Bezirk Wien (Kommunal-Oberrealschule)
1881 IX.–1884 V. Chemiestudium an d. TH Wien, am 16. Juli 1883 I. Staatsexamen
1884 IX.–1885 VII. Assistent an d. Handelsakademie Wien
1885/86 (WS) Chemiestudium an d. Univ. Basel
1886 III. 11 Promotion „insigni cum laude“: „1. Das ß-Dinaphthol u. α,α-Dinaphtil. 2. Die Zusammensetzung des Magdalarotes“
1886 III.–1888 VI. Assistent bei d. Redaktion d. „Chemische Industrie“ in Berlin
1886 VI. 15 Eintritt in die BASF
1906 VII. 1 Prokurist u. stellvertr. Leiter des Hauptlaboratoriums
1915 V. 15 Stellvertr. Direktor u. Vorstandsmitglied
1918 Leiter des Hauptlaboratoriums
1919 XI. 15 o. Direktor u. Vorstandsmitglied
1925 V. 29 Geheimer Kommerzialrat
1926 Vorstandsmitglied d. IG Farbenindustrie ab 1. Jan., am 30. Juni Pensionierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Dr. techn. Wiss. h. c. d. TH Wien (1917); Preuß. Verdienstkreuz für Kriegshilfe (1918); Dr.-Ing. h. c. d. TH Karlsruhe (1921)
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Vater: Hermann (1825–1900), Chemiker u. Fabrikleiter
Mutter: Ernestine, geb. Waldöstl
Geschwister: unbekannt
Kinder: keine
GND-ID: GND/117659584

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 184-187

Julius, Sohn eines Chemikers und Fabrikleiters, folgte wohl den Berufsspuren des Vaters. Nach der Wiedner Kommunal-Oberrealschule in Wien begann er Technische Chemie an der dortigen TH zu studieren. Zum Ende des SS 1883 bestand er die erste allgemeine Staatsprüfung mit „ausgezeichnetem“ Ergebnis und wurde Privatassistent von Philipp Weselsky (1828–1889), Professor für analytische Chemie. In diesem Jahr erschienen die ersten beiden Arbeiten Julius‘, die schon seinen erfinderischen Geist widerspiegelten. Herbst 1883 ging Weselsky in Pension und Julius studierte und arbeitete weiter bei dem Farbstoffchemiker Rudolf Benedikt (1852–1896). Die nächsten vier Arbeiten Julius‘ entstanden 1884.
Im Herbst dieses Jahres engagierte Zdenko Skraup (1850–1910), Professor an der Wiener Handelsakademie und gleichzeitig Privatdozent an der TH, Julius als Assistenten. Dieser Dienst dauerte nur einige Monate, da Julius gleichzeitig seinen Militärdienst zu leisten hatte und ein Unfall im Laboratorium ihn für einige Zeit arbeitsunfähig gemacht hatte, wie er selbst berichtet. Dann entschied sich Julius, nach Basel zu wechseln, um dort auf dem Gebiet der künstlichen organischen Farbstoffe zu promovieren. Das konnte er während eines Semesters im organischen Praktikum schaffen, das Rudolf Nietzki (1847–1917) leitete.
Es ist anzunehmen, dass Julius während seiner Baseler Zeit auch Vorlesungen von Emil Nölting (1851–1922) über Farbstoffchemie in Mülhausen besuchte. Im nächsten Jahr zumindest publizierte der junge Doktor eine Monographie über künstliche organische Farbstoffe „unter Zugrundelegung“ von Nöltings Vorlesungen.
Nach der Promotion ging Julius nach Berlin, wo er Assistent in der Redaktion der Zeitschrift „Die chemische Industrie“ wurde. In Berlin entfaltete Julius eine intensive literarische Arbeit: Außer vier Artikeln über seine Basler Ergebnisse verfasste er bis Mai 1887 die schon erwähnte Monographie, die ihn in der Fachwelt bekannt machte. Daraufhin lud ihn der Vorstand des wissenschaftlichen Versuchslaboratoriums der AG für Anilinfabrikation Gustav Schultz (1851–1928) zu einer weiteren literarischen Zusammenarbeit ein, woraus das rasch bekannt gewordene Nachschlagewerk hervorging, das im August 1888 erschien und 1902 schon die 4. Auflage erlebte. Die später unter dem Titel „Farbstofftabellen“ erschienenen Auflagen 5 bis 7, 1914, 1923 und 1931, wurden von G. Schultz bearbeitet und herausgeben; anders als in der NDB dargestellt ohne Beteiligung von Julius.
Der nächste bedeutende Abschnitt im Leben Julius‘ begann mit seinem Eintritt bei der BASF. Er nahm die deutsche Staatsangehörigkeit an, wurde zu einem der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Farbstoffe und arbeitete dort fast vier Jahrzehnte. Julius wurde in das 1887 neu etablierte Hauptlaboratorium übernommen, das anfangs unter der Leitung von Heinrich Caro und August Bernthsen (➝ V 15), ab 1890 von Bernthsen allein stand. Zuerst fungierte er als Bernthsens Mitarbeiter, nach und nach arbeitete Julius aber immer selbständiger. Als Bernthsen 1898 die gesamte Patentarbeit der Firma übernommen hatte, wurde Julius zum Leiter der Forschungsabteilung des Hauptlaboratoriums befördert und 1906 stellvertretender Laborleiter. Tatsächlich leitete er alle chemischen Arbeiten im Laboratorium bereits ab 1898, dessen Forschung sich ausschließlich auf Farbstoffe konzentrierte, seinem Hauptinteresse. Julius war glücklich mit seiner Arbeit und lehnte einige Rufe an Hochschulen ab, einschließlich dem verlockenden Angebot auf die Professur für organische Technologie der TH Wien.
Obwohl Julius zu verschiedenen Farbstoffklassen mehrere wertvolle Erfindungen beigetragen hatte, wurde er vor allem als großer Kenner und Erfinder auf dem Gebiet der Azofarbstoffe bekannt, die als die wichtigsten technischen Farbstoffe gelten. 1892 entdeckte Julius die nach ihm „Julius-Säure“ benannte Verbindung, 2-Amino-5-Naphtol-7-Sulfonsäure, woraus sowohl als Ausgangsprodukt wie in Form ihrer Derivate ein außerordentlich wichtiges Zwischenprodukt in der Fabrikation der substantiven oder direkten Azofarbstoffe wurde.
Der größte Erfolg Julius‘ aber war die Schaffung der Lackfarbstoffe: 1899 entdeckte er das „Litholrot R“, woraus sich ein neuer Zweig der Farbstoff-Fabrikation entwickelte, die der organischen Pigmente oder sog. Lackfarbstoffe. So bezeichnet man lösliche Farbstoffe, die sich in wasserunlösliche Salze oder Komplexverbindungen überführen lassen und deswegen als „Körperfarben“ zu Anstrichzwecken, in der Tapetenindustrie usw. Verwendung finden. Julius selbst war am weiteren Ausbau dieses Zweiges herausragend beteiligt, und erfand weitere zehn Lackfarbstoffe.
Ein anderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit bei der BASF war die Anleitung und Ausbildung der Nachwuchskräfte. „Meisterhaft wusste er dem Anfänger den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe zu zeigen und etwa einen unerwarteten Reaktionsverlauf mit wenigen Reagenzglas-Versuchen aufzuklären“, bezeugten seine Mitarbeiter. Bei aller Liebe zur Chemie veranlasste Julius seine Mitarbeiter, ihre Ergebnisse auch wirtschaftlich zu kalkulieren. Aus seiner Schule ist eine Reihe namhafter Erfinder hervorgegangen.
Julius‘ Arbeitsmethode mag treffend als Teamarbeit bezeichnet werden: Wenn er eine neue Perspektive sah, wurden alle Mitarbeiter auf das zu lösende Problem angesetzt, was die Ergebnisse wesentlich verbessern half. Insgesamt erfand Julius 35 neue Farbstoffe; seine Arbeit spiegelt sich in etwa 85 deutschen und 86 amerikanischen Patenten wider; seine Erfindungen wurden auch in England und Frankreich patentiert. Mit Recht gilt Julius als einer der produktivsten Erfinder der BASF vor dem I. Weltkrieg. Dem Temperament nach Choleriker, konnte Julius außer sich vor Wut geraten, war aber rasch und willig bereit, geschlagene Wunden zu heilen. Zu seinem 25-jährigen Dienstjubiläum wurde eine humorvolle Fest-Zeitung durch die Belegschaft des Hauptlaboratoriums herausgegeben.
Neben seinen chemischen Arbeiten beschäftigte sich Julius mit der Numismatik und führte einen beachtlichen Briefwechsel mit europäischen Antiquaren und Numismatikern. Seine 1959 leider verloren gegangene Sammlung von Medaillen, Orden, Ehrenzeichen und Münzen der Zeit der Französischen Revolution und Napoleons I. umfasste 4 355 Objekte und wurde als die bedeutendste Spezialsammlung auf diesem Gebiet bezeichnet. Er erforschte gründlich Ursprung, Zweck und Beziehungen seiner Objekte und stellte seine Sammlung auch anderen Forschern zur Verfügung. Mit gutem Gespür für Schönes sammelte Julius auch Malerei; seine Heidelberger Villa habe einem Museum geglichen.
Mensch von heiterer Lebenseinstellung, glänzender Redner, gleichzeitig Gourmet von Rang bildete sich um Julius lange Zeit ein Zentrum der Geselligkeit. Nach dem unglücklichen Ausgang des I. Weltkriegs konnte er sich aber in den neuen Verhältnissen nicht mehr zurechtfinden, sondern zog sich zurück und ging mit 63 Jahren in Pension – zweifellos auch wegen seiner Herzkrankheit, der er schließlich erlag.
Etwa die Hälfte seines Vermögens, ca. 1 Mio. Reichsmark, vererbte Julius der IG Farbenindustrie AG „für mildtätige Zwecke an die Belegschaft innerhalb des Reiches“, die „Julius-Stiftung“. Mit einem Teil seines Erbes sind noch heute Repräsentationsräume der BASF geschmückt.
Quellen: StA Basel-Stadt, Bestand UA Basel XI 4.2 c u. R 3.3, 295–297, Promotionsakten; UnternehmensA d. BASF, W1 Julius; Auskünfte des ATU Wien vom 17. u. 25. 3. 2008 u. des StadtA Heidelberg vom 15. 4. 2008.
Werke: Über das Verhalten von Chlor-, Brom u. Jodsilber gegen Brom u. Jod, in: Zs. für analyt. Chemie 22, 1883, 523–525; Ein neuer Exiccatoren-Aufsatz, ebd. 525 f.; (mit R. Benedikt) Über Diresorcin u. Diresorcinphtalein, in: Sitzungsberr. d. k. k. Akad. d. Wiss. Wien (2. Abt.) 89, 1884, 662–672; Über eine neue Reaktion des Benzidins, ebd. 678 f.; Notiz über das Hydrobromapochinin, ebd. 92, 1886, 779–782; Über die Zusammensetzung des Magdalrotes, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 19, 1886, 1365–1368; (mit E. Jacobsen) Über ein Condensationsproduct d. Zimmtsäure u. Gallussäure, ebd. 20, 1887, 2588 f.; Die künstlichen organischen Farbstoffe, 1887; (mit G. Schultz) Tabellarische Übersicht d. künstlichen organischen Farbstoffe, 1888, 2. Aufl. 1891, 3. Aufl. 1897, 4. Aufl. 1902; (mit M. A. Kunz) René Bohn (1862–1922), in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 56, 1923, A, 13–20; Zu August Bernthsens 70. Geburtstag, in: Zs. für angew. Chemie 38, 1925, 737–739.
Nachweis: Bildnachweise: Ölportrait von L. Bamberger, 1925, im Verwaltungsgebäude d. BASF; UnternehmensA d. BASF, Bildersammlung, Julius ; Reichshandb. d. Dt. Ges. Bd. 1, 1930, 855 (vgl. Literatur).

Literatur: Poggendorffs biogr.-literar. Handwörterb. VI, Teil 2, 1937, 1262; H. Pflitzner, Julius, in: NDB 10, 1974, 658; L. Blangey, Die Entwicklung d. Lackfarbstoffe. Zum 65. Geburtstag von Paul Julius, in: Zs. für angew. Chemie 40, 1927, 1127–1130; A. Lüttringhaus, Paul Julius †, ebd. 44, 1931, 109– 111 (mit Bildnachweis); K. H. Meyer u. L. Blangey, Paul Julius †, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 64 A, 1931, 49–57 (mit Bildnachweis); F. Mayer, Paul Julius †, in: Chemiker-Ztg. 55, 1931, 69; Anonym, Geheimrat Dr. Paul Julius †, in: Melliand Textilberr. 12, 1931, 153; Otto Helbing Nachf. München, Auktions-Katalog 66, 1932, Vorwort (mit Bildnachweis); Jens Ulrich Heine, Verstand u. Schicksal. Die Männer d. IG Farbenindustrie, 1990, 95; Carsten Reinhardt, Forschung in d. chemischen Industrie: die Entwicklung synthetischer Farbstoffe bei BASF u. Hoechst, 1863 bis 1914, 1997, Freiberger Forschungshefte D, 202, 15, 153–158, 168–181 u. 190–195.
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