Binder, Paul 

Geburtsdatum/-ort: 29.07.1902;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 25.03.1981;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Wirtschaftsprüfer, Staatsekretär in Württemberg-Hohenzollern, MdL-CDU, Mitglied des ersten Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Kurzbiografie: 1920–1922 Abitur, dann Banklehre
1922–1925 Studium d. Nationalökonomie u. Rechtswissenschaften in Stuttgart, Tübingen, Rostock u. Dijon
1925 Dr. sc. pol. d. Univ. Tübingen: „Die Darstellungsmöglichkeiten politischer u. psychologischer Einflüsse auf die Kursgestaltung einer Währung“
1929–1937 stv. Sekretariatsleiter bei d. Dt. Bau- u. Bodenbedarf, Berlin, bis 1930, dann Revisor, Wirtschaftsprüfer u. Prokurist bei d. Dt. Revisions- u. Treuhand AG, Berlin
1937–1940 stv. Direktor d. Dresdner Bank, Berlin
1941–1945 Wirtschaftsprüfer in Berlin, dann in Stuttgart
1945 Landesdirektor d. Finanzen in Württemberg-Hohenzollern
1946–1947 Eintritt in die CDU, Staatssekretär u. Vizepräsident d. Regierung von Württemberg-Hohenzollern; Mitglied d. Beratenden Landesversammlung
1947–1952 MdL Württemberg-Hohenzollern
1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rats
1952–1957 Vorsitzender des CDU-Kreisverbands Stuttgart
1952–1960 Mitglied d. Verfassunggebenden Landesversammlung bis 1953, dann MdL-CDU
1963–1978 Vorstandsmitglied des Wirtschaftsrats d. CDU e.V.
1964–1968 Mitglied des Sachverständigen Rats zur Begutachtung d. gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Bundesverdienstkreuz mit Stern (1962); Ehrensenator d. Univ. Tübingen (1965); Professor des Landes Baden-Württemberg (1972)
Verheiratet: 1947 Gisela, geb. Soll, Dr. phil.
Eltern: Vater: Paul Martin, Bankier
Mutter: Frieda, geb. Barth
Geschwister: Marie-Anne
Kinder: 2; Sybille Maria u. Gabriele
GND-ID: GND/117757306

Biografie: Günter Buchstab (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 35-38

Binder vereinigte in seiner Person die in Deutschland seltene Verbindung von Wirtschaft und Politik. Der Wirtschaftsprüfer, Finanz- und Währungsfachmann nahm als „Mann der ersten Stunde“ im Südwesten Funktionen und Ämter in Staat, Parlamenten und auch in der CDU wahr. Als Mitglied des Parlamentarischen Rats und in den 1960er-Jahren als einer der „Fünf Weisen“ erlangte er überregionale Bedeutung.
Nach Abschluss der höheren Schule absolvierte Binder zunächst eine Banklehre im väterlichen Betrieb, bevor er von 1922 an Nationalökonomie und Rechtswissenschaften studierte, in Stuttgart und Tübingen, wo er der vom süddeutschen Liberalismus geprägten Studentenverbindung „Akademische Gesellschaft Stuttgardia“ beitrat. Dort schloss er sein Studium im Februar 1925 mit der Promotion ab. Nach einem weiteren Semester in Rostock setzte er seine Ausbildung in einer Textilfabrik in Dijon fort, wechselte dann zur Merchant-Bank in London und schließlich in die Direktion der Disconto-Gesellschaft in Berlin. 1929 bis 1930 arbeitete er als stellvertretender Sekretariatsleiter bei der Deutschen Bau- und Bodenbedarf, anschließend bis 1937 als Revisor und schließlich als Wirtschaftsprüfer und Prokurist bei der Deutschen Revisions- und Treuhand AG. Zwischen 1937 und 1939 war er in der Dresdner Bank in Berlin als Leiter der Konsortialabteilung IV beschäftigt, der zentralen operativen Stelle für die Akquisition und Abwicklung von „Arisierungen“ jüdischer Unternehmen. Anfang 1941 machte er sich als Wirtschaftsprüfer in der Reichshauptstadt selbständig, nach Kriegsende verlagerte er seine Wirkungsstätte nach Stuttgart.
Spätestens seit April 1944 stand Binder in Verbindung mit Ludwig Erhard, mit dem er über die Gestaltung der Nachkriegswirtschaft korrespondierte. In den Planungen der Industrie für die Nachkriegszeit war er als Experte für Preispolitik vorgesehen. Bereits am 1. Juli 1945 legte er einen „Bericht für die Sanierung von Deutschlands Währung und Finanzen“ vor, der auf ein Gutachten zurückging, das er für den zum inneren Kreis des Widerstands gegen Hitler gehörenden, nach dem 20. Juli 1944 ermordeten Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg (1902–1944) angefertigt hatte.
Aufgrund seiner Kompetenz in Finanzfragen wurde Binder am 15. Oktober 1945 nach Tübingen berufen, zunächst als Landesdirektor, dann als Staatssekretär der Finanzen; am 1. November 1946 wurde er auch Stellvertreter von Carlo Schmid. Im Dezember 1945 wirkte Binder auf Einladung der OMGUS-Finanzabteilung bei einer Konferenz deutscher Finanzwissenschaftler mit. Für die CDU, der er Anfang 1946 beigetreten war, gehörte Binder der Beratenden Landesversammlung von Württemberg-Hohenzollern an, wo er vor allem zu Etat-, Haushalts- und Finanzfragen Stellung nahm und aufgrund der prekären Finanzlage einen überaus sorgsamen Umgang mit den Mitteln forderte. Zu weitreichende finanzielle Maßnahmen lehnte er ab, um die Teilung Württembergs in zwei Besatzungszonen nicht festzuschreiben und eine Zusammenführung der beiden Landesteile zu erleichtern. Mutig kritisierte Binder die „Requisitionen“ der französischen Besatzungsmacht wie auch ihre baulichen Maßnahmen in Tübingen. Als er schließlich noch erklärte, dass sich der Aufbau einer Demokratie mit einer Militärregierung nicht vereinbaren ließe, zwangen ihn die Franzosen am 15. Mai 1947 zum Rücktritt von seinen Ämtern. Drei Tage später aber wurde er in den ersten Landtag und zum Vorsitzenden des Finanzausschusses und Mitglied im Sonderausschuss für das Bodenreformgesetz gewählt.
Seine streitbare Haltung war vermutlich der Grund, warum Binder im Frankfurter Wirtschaftsrat nicht als Nachfolger von Johannes Semler zum Zuge kam, der auf Druck der Besatzungsmächte im Januar 1948 sein Amt als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft aufgeben musste. Die CDU/CSU-Fraktion entschied sich schließlich für Ludwig Erhard. So war Binder auf überregionaler Ebene zunächst nur als Mitglied der interzonalen Lastenausgleichskommission tätig, beteiligt auch bei der Vorbereitung der Währungsreform. Aufgrund seiner reichen praktischen Erfahrung und großen wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse wurde Binder aber neben Carlo Schmid vom württemberg-hohenzollerschen Landtag in den Parlamentarischen Rat entsandt.
Nach Bonn ging Binder weniger mit der Intention, an einer „fest umrissenen Verfassung“ mitzuwirken, doch sehr schnell wurde ihm bewusst, dass die zu schaffende Bundesrepublik eine „voll ausgebaute“ Verfassung benötigte. Sein vorrangiges Ziel war die Regelung einer Finanzverwaltung, die für die Länder weitreichende Kompetenzen durch den Aufbau eigenständiger Länderfinanzverwaltungen vorsah, und einen angemessenen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. Aus diesem Grund sah Binder die Frage der Finanzverwaltung stets in engem Zusammenhang mit einer starken Stellung der Länder und ausgeprägten Befugnissen einer Länderkammer. Diese Grundeinstellung vertrat er in seiner Fraktion wie auch als Vorsitzender des Finanzausschusses, der seine Beratungen Anfang Dezember 1948 abschließen konnte. In Hermann Höpker-Aschoff, FDP, dem ehemaligen preußischen Finanzminister, hatte er allerdings einen kompetenten Gegenspieler, dessen Vorstellungen von einer zentralen Bundesfinanzverwaltung mit vertikalem Finanzausgleich in diametralem Gegensatz zu denen Binders standen. Unterstützung fand Höpker-Aschoff, der sich an die Erzbergersche Finanzreform von 1919 anlehnte, bei den zentralistisch orientierten SPD-Vertretern. Das Verhältnis Binders zu seinem FDP-Kollegen war also durchaus konfliktträchtig, blieb nicht ohne erhebliche Verstimmungen. Binder befand sich zudem in einer schwierigen Position, da Höpker-Aschoff schon am 16. September 1948 Detailregelungen einer Finanzverfassung vorlegte, zu der die CDU/CSU-Fraktion noch keine einheitliche Meinung hatte und sich in einer Sitzung am 6.Oktober 1948 auch nicht durchringen konnte, zumal Adenauer ausgeführt hatte, dass er als Föderalist von Anfang an gegen die Erzbergersche Finanzreform war. Adenauer wollte aber „die Frage der Finanzen und der Finanzverwaltung nicht gleichzeitig mit der Frage des Bundesrats und Senats“ behandelt wissen. Dem widersprach Binder, weil man beide Fragen nicht voneinander trennen könne. Es müsse eine starke II. Kammer mit Einfluss auf die Finanzgestaltung geschaffen werden, weil das Hauptgewicht in der Finanzgesetzgebung und -verwaltung nach Lage der Dinge beim Bund liegen werde.
Einen Senat, der die Länder nicht genügend vertrete, lehnte Binder deshalb ab und plädierte für einen Bundesrat, dessen Vertreter aus den Landtagen stammen oder mit Zustimmung der Regierungen eingesetzt werden sollten. Ein Bundesrat müsse gleichberechtigt dem Bundestag gegenüberstehen und an der Gesetzgebung beteiligt werden. Bei aller Vorliebe für föderative Strukturen, für die sich v.a. die süddeutschen Unionsvertreter einsetzten, wollte Binder den Bund nicht zum Kostgänger der Länder machen. Binder gelang es in den Beratungen seines Ausschusses nicht, die unitarischen Vorstellungen von FDP und SPD abzuwehren. Erst die massiven Vorbehalte der Militärgouverneure vom 2. März 1949 setzten einer ausschließlichen Bundesfinanzverwaltung einen Riegel vor, was erneute Beratungen des Finanzausschusses erforderlich machte. Als neuen Vorsitzenden entsandte die CDU/CSU-Fraktion Theophil Kaufmann. Binder war am 6. April 1949 aus Verärgerung darüber aus Bonn abgereist, dass die CDU/CSU ihn bei der Berufung überging. Die Spannungen zwischen der CDU/CSU-Fraktion und dem energischen und manchmal recht unverbindlich auftretenden Mann ließen sich nicht mehr überbrücken.
Auch im Ausschuss für das Besatzungsstatut wurde Binder, der zudem in dessen Unterausschuss über die Besatzungskosten mitgewirkt hatte, für die abschließenden Sitzungen nach Vorlage des Entwurfs der Außenminister der Westmächte vom 10. April 1949 durch Kaufmann ersetzt. In den ersten Sitzungen hatte Binder aus seiner Abneigung gegen ein Statut keinen Hehl gemacht. Seine Sorge war, dass – wenn durch ein Besatzungsstatut sich die Verhältnisse nicht wesentlich von den bestehenden unterschieden – der künftige Bundesstaat und die Arbeit der künftigen Bundesregierung von vornherein in der Bevölkerung diskreditiert seien. Binder drang deshalb darauf, auf die Besatzungsmächte einzuwirken, um einen radikalen Wandel der Besatzungspolitik und eine Lösung zu erreichen, die den deutschen nationalen Gesichtspunkten Rechnung trage. Obwohl er seine Vorstellungen im Einzelnen nicht durchzusetzen vermochte, bleibt doch sein Verdienst, den föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik mit Nachdruck in Detailerfolgen mitgeprägt und eine zu starke unitarische Orientierung, insbesondere in der Finanzverwaltung, mit verhindert zu haben.
Nach Verabschiedung des Grundgesetzes wandte sich Binder wieder verstärkt seiner beruflichen Arbeit zu, gab allerdings sein politisches Engagement nicht auf, sondern setzte seine Abgeordnetentätigkeit in Württemberg-Hohenzollern, in der Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg 1952/53 und – nach dem Zusammenschluss des Südweststaats, den er von Anfang an angestrebt hatte – als Abgeordneter des Landtags bis 1960 fort. Dort war er Mitglied des Ältestenrats und saß im Finanz- und Kulturpolitischen Ausschuss. Zudem war er zwischen 1952 und 1957 Kreisvorsitzender seiner Partei in Stuttgart und von 1963 bis 1978 Vorstandsmitglied des 1963 gegründeten Wirtschaftsrats der CDU e.V. Außerdem war Binder Mitglied im Bundesausschuss der CDU für Wirtschaftspolitik, dessen Unterausschuss „Finanzen und Steuern“ er leitete. Als Experte in diesem Politikfeld wirkte er an der Einführung der Mehrwertsteuer mit.
Als der Bundestag im Februar 1958 beschloss, den Stand der kaufmännischen Betriebsführung, der Gemeinwirtschaftlichkeit, Sonderlasten sowie der Rationalisierung und Modernisierung der Deutschen Bahn untersuchen und Verbesserungsvorschläge erarbeiten zu lassen, wurde Binder in die entsprechende Prüfungskommission berufen, die Anfang 1960 ihren Bericht abgab. Er selbst legte zu den Ergebnissen der Kommission eine Reihe von Veröffentlichungen vor. Es zählte überhaupt zu seinen Gepflogenheiten, seine wirtschaftspolitischen Aktivitäten, im Zusammenhang etwa mit der Währungsreform, dem Soforthilfe- und Lastenausgleichsgesetz usw., stets publizistisch zu begleiten.
1964 wurde der ausgewiesene Experte in wirtschafts-, konjunktur- und finanzpolitischen Fragen in den ersten Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den „Rat der fünf Weisen“ berufen. Der Rat sollte die Aufgabe haben, Öffentlichkeit und Politik sachkundig und neutral zu beraten, was auch bedeutete, dass die staatliche Wirtschaftspolitik der wissenschaftlichen Kritik nicht entzogen wurde. Auch seine guten Kontakte zur Arbeitgeberseite prädestinierten den Wirtschaftsexperten für diese Aufgabe. In seiner vierjährigen Amtszeit und danach scheute er sich nicht, öffentlich die Bundesregierungen zu kritisieren und zu größerer Ausgabendisziplin zu verpflichten, so wie er es als Landesdirektor für Finanzen in Württemberg-Hohenzollern gehandhabt hatte. Auch forderte er immer wieder, die direkten Steuern zu senken und dafür die indirekten, d.h. die Mehrwertsteuer, anzuheben.
Binder war auch auf zahlreichen anderen Ebenen aktiv. Als Mitglied in der Europäischen Akademie/Deutsche Europa Akademie (1948–1954) befasste er sich mit europäischen Währungs- und Finanzproblemen. Bis ins hohe Alter war er Vorstandsmitglied der Deutschen Sektion des Comité Européen pour le Progrès économique et social. Deren Thema war die europäische Konjunkturpolitik. In dem 1949 in Tübingen gegründeten „Internationalen Bund für Sozialarbeit/ Jugendsozialwerk e.V.“, einem der großen Dienstleister in den Bereichen der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit, war Binder Vorsitzender des Finanzausschusses. Nicht zuletzt war er Gründungsmitglied der Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands, 1951 deren geschäftsführender Vorsitzender, schied aber wegen Differenzen über die Zielorientierung der Gesellschaft noch im gleichen Jahr aus. Unbequemer Mahner war Binder auch in der Wiedervereinigungspolitik, die er zunehmend als illusionär empfand. Zwar dachte er keineswegs an eine Anerkennung der DDR, riet aber schon 1968 dazu, die bisherige Politik aufzugeben und sich auf die innere und äußere Konsolidierung der Bundesrepublik zu konzentrieren, deren Platz er in einem immer enger zusammengeschlossenen Europa sah.
Nach längerer schwerer Krankheit verstarb Binder im 79. Lebensjahr in seiner Heimatstadt.
Quellen: A für Christlich Demokratische Politik, Sankt Augustin, Nachlass Paul Binder.
Werke: Die Darstellungsmöglichkeiten politischer u. psychologischer Einflüsse auf die Kursgestaltung einer Währung, Diss. sc. pol. Tübingen, 1925; Das dt. Währungsproblem, 1948; Die Geldkapitalbildung, 1952; Die Stabilisierung d. Wirtschaftskonjunktur, 1956; Kaufkraft, Produktivität, freie Kapitalbildung, Die Brennpunkte d. gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, 1956; Die Bundesbahn u. ihre Konkurrenten, 1961; Die gemeinwirtschaftlichen u. betriebsfremden Belastungen d. Betriebe des öff. Personennahverkehrs, 1964; Ein anderes Deutschland soll es sein, Eine Standortbestimmung d. Bundesrepublik, 1970; Die Wirtschaft – materielle Grundlage unserer Existenz, Eine Elementarkunde, 1972; Kritik d. traditionellen Wirtschaftstheorie u. d. herkömmlichen Wirtschaftspolitik, 1975.
Nachweis: Bildnachweise: Buchstab, 2008, 103.

Literatur: Johannes Bähr, Die Dresdner Bank in d. Wirtschaft des Dritten Reichs, 2008, 601; Günter Buchstab, Paul Binder (1902–1981), in: In Verantwortung vor Gott u. den Menschen. Christliche Demokraten im Parlamentarischen Rat 1948/49, 2008, 103-112.
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