Götze, Alfred August Waldemar 

Geburtsdatum/-ort: 17.05.1876; Leipzig
Sterbedatum/-ort: 27.11.1946; Gießen
Beruf/Funktion:
  • Germanist
Kurzbiografie: 1895 Abitur an der Leipziger Nicolaischule
1895 Studium der Medizin in Heidelberg
1895/96-1900 Studium der Germanistik, Volkskunde, Geschichte, Geographie und Philosophie in Leipzig
1899 Promotion zum Dr. phil. bei Eduard Sievers
1898-1900 Bibliothekar am Germanistischen Institut der Universität Leipzig
1900-1901 „Vicar“ am König-Albert-Gymnasium Leipzig
1901-1902 Praktikum Universitätsbibliothek Leipzig
1902-1925 Bibliothekar Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., 1924 Oberbibliothekar
1906 Habilitation Freiburg
1912 außerordentlicher Prof. Universität Freiburg i. Br.
1925 ordentlicher Prof. für deutsche Philologie, besonders für Sprachgeschichte und ältere Literatur Universität Gießen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1907 (Freiburg i. Br.) Maria, geb. Kohlund
Eltern: Vater: Dr. Julius Woldemar Götze, Sozialpädagoge
Mutter: Anna, geb. Strüver
Geschwister: keine
Kinder: eine Tochter
GND-ID: GND/118540343

Biografie: Gerhard W. Baur (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 102-105

Götzes Elternhaus bot durch die Vielfalt seiner Freunde und Besucher schon dem Gymnasiasten vielfältige Anregung. Bevor sich sein Vater, der Begründer und Direktor des Leipziger „Deutschen Seminars für Knabenhandarbeit“ der Förderung des „Arbeitsunterrichts“ zuwandte, war der vormalige Gymnasiallehrer für Geschichte und Deutsch Schüler des Germanisten und Nachfolgers der Brüder Grimm – als Wörterbuchleiter – Rud. Hildebrand gewesen, der später sein Freund wurde. Dessen reformerische Gedanken zur Sprachbildung und seine Betonung der gegenstandsgebundenen Seite der Wortkunde sowie des Zusammenhangs von Wort- und Kulturgeschichte könnten beispielgebend für Götzes endgültige Berufswahl geworden sein, wie auch seine eigenen Arbeiten als Wortforscher viele Ähnlichkeiten mit Hildebrands Artikeln im Grimmschen Wörterbuch aufweisen.
Obwohl das Schriftenverzeichnis Götzes 803 Nummern zählt und darunter eine ganze Reihe von Buchveröffentlichungen ist, kennt man ihn – wenn überhaupt – eher als Herausgeber und Bearbeiter, als Mitarbeiter und Organisator vorwiegend sprachwissenschaftlicher Unternehmen. Und doch konnte er, der freundlich-Bescheidene, nur deswegen auf mehreren Gebieten zum maßgeblichen Anreger und Vorbild werden, weil er selbst immer wieder neue Wege durch wissenschaftliches Brachland suchte und bahnte.
Diese wissenschaftliche Lebensleistung vollzog sich bis zur Hälfte seines Arbeitslebens, 22 Jahre lang und bis zu seiner Berufung zum Gießener Ordinarius, sozusagen als Nebentätigkeit neben seiner Hauptbeschäftigung als Bibliothekar oder – im Krieg – als Soldat. Sein genialer Lehrer Eduard Sievers, bei dem er 1899 mit einer Arbeit „Zur Geschichte der Adjectiva auf -isch“ promoviert worden war, rühmt an ihm, der gleichzeitig drei Jahre lang als Institutsbibliothekar dem Leipziger Deutschen Seminar gedient hatte, die „aufopfernde genaue Arbeit“.
Schon vier Jahre nach Amtsantritt an der Freiburger Universitätsbibliothek habilitierte er sich. Von einer Arbeit über „Die hochdeutschen Drucker der Reformationszeit“ (1905) ausgehend, in der er die je besondere und teilweise grundstürzend neue Sprachprägung der mittel- und süddeutschen Druckwerkstätten aufzeigte, fand er zur Erforschung der Geschichte der Reformationsliteratur (z. B. in seiner Habilitationsarbeit „Martin Butzers Erstlingsschrift“ 1907) und ihres besonderen, erklärungsbedürftigen Wortschatzes. Das schlug sich zunächst nieder in der Mitarbeit an der Ausgabe von Luthers Predigten und Schriften aus dem Jahr 1522 (Band 10 und 13 der Weimarischen Lutherausgabe), in Untersuchungen über Flugschriften aus dem Beginn der Reformationszeit und zahlreichen lexikographischen Arbeiten, die in F. Kluges „Zeitschrift für deutsche Wortforschung“ veröffentlicht wurden.
Götze nützte für seine Arbeiten jede freie und sogar manche dienstliche Minute aus. Denn seit 1906 befragte Götze regelmäßig mit dem erblindeten F. Kluge einmal wöchentlich badische Studenten nach den an ihrem Heimatort gebräuchlichen Mundartwörtern und -lautungen und brachte die Ergebnisse für das von beiden projektierte und später von E. Ochs begonnene Badische Wörterbuch auf Zettel.
Außerdem hatte Götze schon jahrelang gesammelt, als er 1912 sein „Frühneuhochdeutsches Glossar“ veröffentlichte, das auf seinen 136 kleinen, engbedruckten Seiten die lexikographische Lücke überbrücken sollte zwischen dem guterforschten Mittelhochdeutschen (durch die Wörterbücher von Benecke/Müller/Zarncke und Lexer) und dem durch das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm an sich breit abgedeckten Neuhochdeutschen. Doch groß angelegte Werke brauchen ihre Zeit und besondere Kraft. Götze wußte das, als er sich seit 1908 und bis 1932 zu den Mitarbeitern gesellte, die dieses Jahrhundertwerk weiter- und zu Ende führen wollten. Seine lexikographische Wegstrecke waren die Stichwörter „weh-Weinraute“; die Arbeit an diesen ersten 977 von insgesamt 1824 Spalten des 14. Bandes sollte für über 20 Jahre einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Doch reduzierte ihm das badische Kultusministerium wegen dieser Aufgabe die Dienstzeit auf die Hälfte, behielt allerdings dafür auch 1/5 seiner Bezüge ein. Seit 1926, dem Todesjahr F. Kluges, führte er dessen „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ weiter und brachte 1934 die stark veränderte 11. Auflage heraus. Durch diese und weitere Aufgaben in seinem neuen Gießener Wirkungskreis bedingt, mußte er die Mitarbeit am Grimmschen Wörterbuch einstellen. Ein Lernergebnis an der Arbeit hieran war der Plan zu einem eigenen Wörterbuch, das knapper als das Vorgängerwerk und für jeden verständlich geschrieben, nach seinem Willen ein Volks- und Hausbuch für den Gebildeten und Sprachinteressierten werden sollte. Unter Mithilfe vieler Mitarbeiter konnte er von 1939 bis 1943 vier von den insgesamt acht Bänden von „Trübners Deutschem Wörterbuch“ herausbringen, in denen der deutsche Wortschatz in ausgewählten Wortgeschichten, kulturgeschichtlich vertieft, dargeboten wurde.
Neben den Bereichen der Lexikographie und der Geschichte der Reformationsliteratur galt Götzes Interesse der sprachlichen Volkskunde. „Volkskundliches bei Luther“, 1909, erwuchs aus seiner Lutherforschung; nach jahrelanger Beschäftigung mit dem Gegenstand erschien 1921 die facettenreiche Schrift „Vom deutschen Volkslied“.
Die Kriegsjahre, die Götze von Juni 1915 bis November 1918 beim Militär in Waldshut verbrachte, waren überhaupt eine Zeit vielfältigster Tätigkeit; die Arbeit bei der Postüberwachung ließ offensichtlich produktive Nebenbeschäftigung zu. Anregend und innovierend wirkte er in der Namenkunde: schon 1916 hatte er alle Flurnamen der Stadt Waldshut und alle erreichbaren historischen Quellen hierzu erhoben; die 1923 gedruckte Arbeit über „Die alten Namen der Gemarkung Waldshut“ war methodisch vorbildlich, wirkte aber leider weniger in Baden als in Hessen. Einen weiteren namenkundlichen Anstoß gab er durch sein Buch „Familiennamen im Badischen Oberland“ (1918). Durch Schüler und von ihm angeregte gleichstrebende Verfasser größerer Namenbücher wie (Heintze-)Cascorbi, Gottschald, Bahlow, Brechenmacher und Nied wirkte er ab den 20er Jahren in die Breite, besonders als er schon in Freiburg und verstärkt in Gießen zahlreiche namenkundliche Dissertationen vergab und in 22 Heften des von ihm begründeten Hessischen Flurnamenbuchs oder in den Gießener Beiträgen zur deutschen Philologie publizierte.
Ebenfalls in Waldshut entstanden sind drei weitere, ganz unterschiedliche Schriften. In „Das Elsaß und die poetische Literatur des Weltkriegs“ (1917) beschäftigte er sich zum ersten und einzigen Mal mit der modernen Literatur. Erstes zusammenfassendes Ergebnis seiner wortgeschichtlichen Arbeiten und gleichzeitig Grundlegung für künftige lexikographische Arbeiten war die meisterhafte Studie, Wege des Geistes in der Sprache“ (1918). Diese „Gedanken und Beobachtungen zum deutschen Wortschatz“, so der Untertitel, wollten eine „gemeinverständliche Wortlehre des Neuhochdeutschen ... im knappsten Umriß“ geben. Recht modern mutet das letzte Kapitel vom „Vorwalten des männlichen Geistes in der Sprache“ an, in dem Götze mit vielen Beispielen die sprachliche Benachteiligung der Frau aufweist.
Mit „Anfänge einer mathematischen Fachsprache in Keplers Deutsch“ (1919) öffnete Götze den Blick für das Spezifische der Fachsprachen; viele seiner Schüler lenkte er fortan zur Untersuchung spezifischer Fachsprachen.
Überhaupt war Götze ein wegen seiner Klarheit und seinem Blick für das Wesentliche und die großen Zusammenhänge beliebter Lehrer, der auch selbst anpackte, wenn er geeignete Hilfsmittel für den akademischen Unterricht vermißte. So entstanden 1920 sein „Frühneuhochdeutsches Lesebuch“ und 1922 die „Proben hoch- und niederdeutscher Mundarten“.
Es darf nicht verschwiegen werden, daß sich in Götzes Denken und Schreiben schon seit dem 1. Weltkrieg Nationales zuspitzen kann zu Nationalistischem und Militaristischem.
Sein 1915 erschienener Artikel „Deutscher Krieg und deutsche Sprache“, fast unverändert noch einmal 1918 und 1940 – als Rede zur Grimmfeier der Universität Gießen – herausgebracht, weist auf den als positiv empfundenen Zusammenhang zwischen Sprache und Krieg hin, der als „geistige Macht“ wie aller Kampf „auch die deutsche Sprache gesegnet und bereichert“ habe. „Er [der Krieg G. W. B.] lenkt die Phantasie, auch die sprachliche, in gesunde Bahn, leiht ihr leuchtkräftige Bilder, reißt sie zurück von blasser Abstraktion und zwingt sie konkret bei einfachen, überzeugenden Anschauungen zu bleiben“. Es bleibt ihm aber das Bedauern, daß nach langer sprachlicher Vorherrschaft des Germanischen und des mittelalterlichen Deutschen die Heeressprache und mit ihr die Allgemeinsprache seit dem 16. Jahrhundert immer stärker „durchsetzt ist mit Scharen schwer auszurottender Fremdwörter“. „Die schlimmste Verwelschung“ habe jedoch der 30jährige Krieg gebracht. Beim Eintreten für „deutsche Art“ und „deutsches Wesen“ sieht Götze 1915 und wieder 1940 „die Hoffnung ..., unser deutscher Krieg möge uns auch sprachlich wieder deutsch werden lassen von Grund aus“.
Der Sprachpurismus des Etymologen Götze führte ihn 1936 sogar zu einer rassistischen, antisemistischen Argumentation für Sprachreinheit. Er hatte herausgefunden, daß das Wort „keß“, ursprünglich aus der Gaunersprache kommend, eine frühe versteckende Abkürzung des Anfangsbuchstabens für das jiddische „kochem“ ,gescheit' sei. „Der in Landstreicherei und Verbrechertum gesunkene Teil der Judenschaft hat das Versteckspiel ersonnen ... Gottlob haben wir wieder gelernt, daß wir Germanen sind. Wie verträgt sich damit die Pflege einer im jüdischen Verbrechertum wurzelnden Unsitte? Auch auf die Herkunft von Wörtern wie berappen, beschummeln ... und ihresgleichen sollte sich der Deutsche nachgerade besinnen. Es ist seiner nicht würdig, seinen Wortschatz aus dem Getto zu beziehen und aus der Kaschemme zu ergänzen.“ Hier wurde kurzschlüssig „die vaterländische Aufgabe der Sprachreinigung mit dem nun (1936) zum Gesetz erhobenen Rassismus“ verbunden (P. von Polenz).
Werke: Bibliographie der Schriften von 1898-1941 zusammengestellt von Friedrich Stroh in: Dt. Wortgeschichte. Hg. von F. Maurer und F. Stroh, Bd. 3, Berlin 1943, S. 273-315. Wiederabgedruckt in: Ludwig Erich Schmitt, A. Götze (1876-1946) als Germanist in Leipzig, Freiburg u. Gießen. Gießen 1980, 27-78. Dazu Ergänzungen 1942-1948 von L. E. Schmitt, 79-81.
Nachweis: Bildnachweise: in F. Stroh, Handbuch d. german. Philologie, Berlin 1952, Tafel 5; in L. E. Schmitt, A. Götze (1876-1946) als Germanist ... (s. o.) II; in L. E. Schmitt, A. Götze (1876-1946)/Germanist (s. o.) nach 320.

Literatur: G. Eis, A. Götze †, in: Zs. f. dt. Philologie 70, 1948/49, 97 f.; F. Stroh, A. Götze, dem Gießener Germanisten z. Gedächtnis, in: Die Erlanger Univ. 1, 1947, 19 ff.; ders. A. Götze z. Gedächtnis, in: Hessische Blätter f. Volkskunde 42, 1951, 112-115; E. Küster, A. Götze †, in: Nachrichten d. Gießener Hochschulgesellschaft 16, 1946/47, 134; W. Mitzka, A. Götze z. Gedächtnis, in: Nachrichten d. Gießener Hochschulgesellschaft 18, 1949, 62-74; K. Waller, A. Götze z. Gedächtnis, in: Jb. der Männer vom Morgenstern 33, 1951; M. Trapp, Ein beispielgebender Gelehrter. Zum 100. Geb. d. Germanisten A. G, in: Gießener Allgemeine 15.5.1976, 6; W. Spanner, A. Götze 1876-1976, in: JLU-Forum, Mitt. der Justus Liebig-Univ. Gießen 1976, Nr. 61, 17; L. E. Schmitt, A. Götze (1876-1946) als Germanist ...(s. o.); ders. A. Götze (1876-1946)/Germanist, in: Gießener Gelehrte in d. ersten Hälfte des 20. Jhs. Hg. von H. G. Gundel u. a. Marburg 1982, 318-325; H. Gold u. a., Zur Arbeit A. Götzes am dt. Seminar 1925-1945, in: Germanistik in Gießen 1925-1945. Gießen 1982, 35-52.
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