Keidel, Eugen 

Geburtsdatum/-ort: 04.09.1909;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 30.12.1991;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Oberbürgermeister
Kurzbiografie: 1929 Abitur am Humboldt-Realgymnasium Karlsruhe
1929–1935 Studium d. Rechtswissenschaft an den Univ. Freiburg, München, Berlin u. Heidelberg
1935–1936 Rechtsreferendariat
1937 Promotion zum Dr. iur. bei Karl Geiler in Heidelberg: „Die Regelung des landwirtschaftlichen Mobiliarkredits“
1938–1946 Tätigkeit in einem Magdeburger Unternehmen
1944–1945 Militärdienst auf dem Flughafen Magdeburg-West
1947–1962 Tätigkeit bei d. Stadtverwaltung Karlsruhe
1954–1961 ehrenamtl. Bundessozialrichter
1955–1991 Vorsitzender des ADAC-Nordbaden e.V., 1972 bis 1979 Mitglied des ADAC-Präsidiums
1962–1982 für zwei Amtszeiten Oberbürgermeister von Freiburg im Br.
1979 Keidel-Turm auf dem Schauinsland
1980 Eugen-Keidel-Mineral-Thermalbad im Mooswald
1982 Ehrenbürger d. Stadt Freiburg im Br.
1984 Dr.-Eugen-Keidel-Förderpreis für junge Handwerker mit überdurchschnittl. Leistungen
2010 Eugen-Keidel-Preis d. Albert-Ludwigs-Universität für hervorragende Leistungen im Bereich d. Phil. Fakultät d. Bildungsstiftung Rhenania
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen (Auswahl): Malteserorden (1968); Ehrensenator d. Universität Freiburg (1969); Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland (1970), mit Stern (1982); Großkreuz mit Stern von Afrika (Liberia, 1971); Staufer-Medaille des Landes Baden-Württemberg (1979); Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (1980); Ehrenbürger d. Stadt Freiburg im Br. (1982); Eugen-Keidel-Wohnheim für Senioren in Fr.-Herdern (1983); Officier dans l´Orde des Palmes Academiques (Frankreich, Jahr unbek.); Großkreuz des italienischen Verdienstordens (Jahr unbek.).
Verheiratet: I. 1938 Liselotte (Rufname Lotte bzw. Lilo) Ingeborg Sofie, geb. Beuscher aus Karlsruhe (1918–2006), gesch. zwischen 1949 u. 1954; II. 1954 Clara (Rufname Claire bzw. Cläre) Luise, geb. Wittmer, aus Karlsruhe (1922–2010)
Eltern: Vater: Georg (1875-1957), Agrarökonom, Genossenschaftspräsident, Landesbezirksdirektor
Mutter: Auguste, geb. Geil (geboren 1883).
Geschwister: Walter (1911–1997), Dr. agr.
Kinder: 3 aus I.;
Peter (geboren 1939),
Michael (geboren 1942),
Marion, verh. Fock (geboren 1946)
GND-ID: GND/118560956

Biografie: Christiane Pfanz-Sponagel (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 233-238

Wenn man ältere Freiburger auf den früheren Oberbürgermeister Keidel anspricht, dann geraten manche regelrecht ins Schwärmen. Keidel erfreute sich großer Popularität. Er genoss weit über die Parteigrenzen hinweg in allen Kreisen der Bürgerschaft Ansehen, Respekt und vor allem Sympathie. 1970 wurde er mit 78 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Wer war dieser schlanke, 1,74 Meter große, stets braungebrannte Mann, was war seine Leistung als Stadtoberhaupt?
Keidel entstammt einer liberalen, im deutschen Südwesten beheimateten Familie, in der öffentliches Engagement geradezu üblich war. Die Eltern und Vorfahren seiner Mutter kamen aus Rheinhessen. Der Großvater Jakob Geil war Weingutbesitzer und Bürgermeister gewesen. Die Vorfahren väterlicherseits stammten aus Zuzenhausen bei Sinsheim, wo die Familie seit 1665 beginnend mit Hans Bernhard Keidel Schultheißen und Kirchenälteste waren. Sein Urgroßvater Leonhard Keidel hatte als badischer Landtagsabgeordneter die erste demokratische Verfassung mitunterzeichnet. Der Vater Georg Keidel war bis 1933 Präsident der Badischen Landwirtschaftlichen Genossenschaftsorganisation Raiffeisen gewesen. Nach der NS-„Machtergreifung“ wurde der der DVP nahestehende Agrarökonom seines Amtes enthoben und zeitweise inhaftiert. Der jüngere Bruder Walter, der Landwirtschaft studiert hatte, trat als Direktor und Vorstandsvorsitzender der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft Badens in die Fußstapfen des Vaters.
Keidel wurde in Mannheim geboren. Die Quadratestadt war um die Wende zum 20. Jahrhundert gleichermaßen vom liberalen Bürgertum wie der organisierten Arbeiterschaft geprägt. Keidel besuchte zunächst das Realgymnasium I, ab 1927, dem Umzug seiner Eltern nach Karlsruhe, das dortige Humboldt-Realgymnasium. Nach anfangs schwachen Leistungen entwickelte er sich zu einem mittelmäßigen Schüler, der zwei Jahre später sein Abitur bestand. 1929 nahm Keidel das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg auf. Er schloss sich dem traditionsreichen, sich als unpolitisch verstehenden Corps „Rhenania Freiburg“ an. In München, Berlin und Heidelberg setzte er seine Studien fort. Zu Studienzwecken hielt er sich auch in England, Italien und Ungarn auf, wo sein Vater 10 Jahre lang Generaldirektor der Ungarisch-Deutschen Landwirtschafts-AG gewesen war. Nach der I. juristischen Staatsprüfung 1935 und dem – nicht beendeten – Referendariat promovierte er 1937 bei Karl Geiler in Heidelberg mit einem finanzwirtschaftlichen Thema, das deutlich den Bezug zum agrarischen Genossenschaftswesen erkennen lässt.
Neben dem Studium nahm sich Keidel immer Zeit für seine sportlichen Hobbys. Von 1931 bis 1935 fuhr er Autorennen. Seine Begeisterung für den Motorsport ging soweit, dass er eine Fahrerlizenz erwarb und darüber nachdachte, in das Rennsportteam von Daimler-Benz einzutreten. Nur das neu erwachte Interesse am Flugsport hielt ihn von diesem Schritt ab. Zu seinem 70. Geburtstag kaufte sich der autobegeisterte Kommunalpolitiker, der über 25 Jahre den Vorsitz des ADAC Nordbaden innehatte, einen Porsche. Außerdem gehörten das Reisen und die Jagd zu seinen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen, auch bei Safaris in Afrika, denen er bis ins fortgeschrittenere Alter nachging.
Keidel begann seine berufliche Laufbahn in der freien Wirtschaft, weil sich die Verfolgung, besonders durch den NS-Gauleiter Wagner, nicht nur gegen den Vater, sondern dessen ganze Familie richtete. Keidel, der sein Referendariat nicht beenden konnte, fand keine Aufnahme im inzwischen NS-dominierten öffentlichen Dienst in Baden. Er übernahm daher die Leitung der Rechtsabteilung eines Magdeburger Großunternehmens, der Maschinenfabrik Buckau R. Wolf. Dort vertiefte er seine Kenntnisse im Arbeits- und Sozialrecht und entwickelte sich zum Wirtschaftsfachmann. Keidel, dessen drei Kinder in Magdeburg geboren wurden, kehrte nach dem II. Weltkrieg in die alte Heimat zurück. In die Zeit zwischen 1949 und 1954 fiel die Scheidung von seiner ersten Ehefrau, der Mutter seiner Kinder, und die Wiederverheiratung.
Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP von 1937 bis 1944 wurde Keidel 1947 im Entnazifizierungsverfahren zunächst als „Mitläufer“ eingestuft. Ein Jahr später beantragte er eine Neuaufnahme seines Falles und verteidigte sich damit, dass er wie sein Vater unter politischer Verfolgung gelitten habe, indem man ihm bei der Ablegung des Examens und der Durchführung des Referendariates Steine in den Weg gelegt habe. In der Hoffnung, „das auf der Universität Gelernte nach der Staatsprüfung und nach einem ordnungsgemäßen staatlichen Vorbereitungsdienst wenigstens zu einem Abschluss zu bringen, sowie vor allem meinem Vater in seinem Kampf gegen das Naziunrecht besser helfen zu können, trat ich in die ehemalige NSDAP ein.“ (GLA 465 a/51 Nr. 53/422) Die Spruchkammer Karlsruhe erkannte die „besonderen Umstände“ seines Parteieintritts an und erklärte Keidel nun zum „Entlasteten“.
Im Juli 1947 nahm Keidel das Angebot der Stadt Karlsruhe an, sich um deren Wirtschafts- und Versorgungseinrichtungen zu kümmern. Aufgrund seiner erfolgreichen Arbeit wurde der „Aushilfs Angestellte“ bereits nach einem Jahr zum Rechtsrat ernannt und als persönlicher Referent von Oberbürgermeister Töpper mit dem gesamten Personalwesen der Stadt betraut. 1951 übernahm er die Leitung des neu geschaffenen Schul- und Kulturdezernates. Neben dem Schulhausbau gehörte die Einrichtung der Mittelschulzüge, technischen Oberschule und Bundesfachschule sowie die Etablierung der Europaschule und der Erhalt der Karlsruher Musikhochschule zu seinen Aufgabenbereichen. Seit 1955 Stadtdirektor, engagierte sich Keidel auf dem Kultursektor, für die Neuordnung des Büchereiwesens, die Schaffung der Kulturpreise und die Förderung von großen Ausstellungen und Konzerten. Wegen seiner Kenntnisse im Tarifrecht wurde er in den Vorstand der Kommunalen arbeitsrechtlichen Vereinigung Baden-Württembergs gewählt und 1954 zum ehrenamtlichen Bundessozialrichter ernannt.
Keidels Wahl zum Freiburger Oberbürgermeister am 7. Oktober 1962 im zweiten Wahlgang war eine große Überraschung. Der bis dato unbekannte, geschiedene, protestantische Sozialdemokrat aus Karlsruhe hatte in der Bischofsstadt und CDU-Hochburg als Außenseiter gegolten. Doch bereits im ersten Wahlgang hatte er beim unerwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem favorisierten Freiburger CDU-Bürgermeister Gerhard Graf einen knappen Stimmenvorsprung, freilich ohne das erforderliche Stimmenquorum zu erreichen. Mit der überwältigenden Mehrheit von 65 Prozent der Stimmberechtigten entschied Keidel den zweiten Wahlgang klar für sich. Damit trat zum ersten Mal ein Sozialdemokrat an die Spitze der Freiburger Stadtverwaltung.
Sein engagierter Wahlkampf und die im Vorfeld der Wahlen zum Teil offen geführten Querelen innerhalb der CDU (vgl. Lehr, in: BWB V 236) trugen wahrscheinlich ebenso zu deren Debakel bei wie der Wunsch vieler Freiburger nach einem Neubeginn in der Stadtverwaltung. Keidels 2/3-Mehrheit kam weniger von Wählern, die SPD wählen wollten, sondern von unzufriedenen Bürgern, die einen „anderen Mann“ suchten, „der mit den bisher im Rathaus herrschenden Kräften nichts zu tun hatte, einen Mann, von dem sie hofften, er werde die Stadtverwaltung etwas mehr in Schwung bringen“ (Erfüllte Pflicht, S. 13).
Keidel trat kein leichtes Erbe an, nicht zuletzt weil durch die Erkrankung seines Vorgängers Josef Brandel Nachholbedarf bestand. Das noch unter den Kriegszerstörungen leidende Freiburg stand vor einer Reihe von Problemen: Es mangelte an Wohnungen, und die Infrastruktur, besonders die Wasserversorgung und das Verkehrswesen, musste ausgebaut werden.
In seiner ersten Haushaltsrede vor dem Gemeinderat Anfang 1963 skizzierte Keidel sein Programm. Er bezeichnete die Wohnungsnot als das „schlimmste menschliche Problem“ (Erfüllte Pflicht, S. 22) und förderte fortan den Wohnungsbau mit einem umfassenden Programm, zusätzlichen Finanzierungshilfen der Stadt und der Bereitstellung von Gelände. Von 1962 bis 1970 entstanden in Freiburg 12 800 neue Wohnungen. Die Stadtteile Weingarten und Landwasser wurden förmlich „aus dem Boden gestampft“ (BZ, 4.9.2009). Auch die Stadtbezirke Bischofslinde, Lairnen und Binzengrün mit ihren seinerzeit typischen Hochhäusern wurden damals gebaut. Diese neuen Stadtteile markierten die Ausdehnung der Stadt nach Westen, der Stadtbahnlinien, Parkanlagen und Gewerbeflächen mit neuen Arbeitsplätzen folgten.
Mit der Erweiterung der Wassergewinnungsgebiete im Dreisamtal und dem Bau eines zweiten Wasserwerkes bei Hausen an der Möhlin ging Keidel sofort nach seinem Amtsantritt ein weiteres Kernproblem an und sicherte durch dieses Millionenprojekt die Wasserversorgung der damals in der Bundesrepublik am schnellsten wachsenden Stadt. Auch die nach den Zerstörungen im II. Weltkrieg noch krankende Infrastruktur, Verkehrswege und Ver- und Entsorgung, konnte in Keidels Amtszeit modernisiert werden. Die Stadtwerke und die Verkehrs AG wurden in den 1970er-Jahren in privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen umgegründet.
Dem überzeugten Europäer lag auch die Weiterentwicklung der Städtepartnerschaften am Herzen. Bei seinem Amtsantritt Ende November 1962 hatte Freiburg bereits mit der französischen Stadt Besançon eine Partnerschaft geschlossen. Keidel nun begründete Städtepartnerschaften mit Innsbruck 1963, 1967 mit Padua und 1979 mit Guildford. Da ihm auch die Wiedergutmachung des NS-Unrechts an den Juden Anliegen war, besuchte er Israel und führte Gespräche über Städtepartnerschaften. In seiner Amtszeit wurden auch ehemalige jüdische Mitbürger in ihre alte Heimat eingeladen.
Bald nach seinem Amtsantritt suchte Keidel den Kontakt zur Universität, um die Interessen der Stadt und der Hochschule miteinander abzustimmen, auch wenn er betonte, Freiburg sei keine ausgesprochene Universitätsstadt, sondern „eine Stadt mit einer Universität“ (Erfüllte Pflicht, S. 42). Damit wollte er ausdrücken, dass die Universität entscheidend zur Bedeutung der Stadt Freiburg beiträgt, dass sie daneben aber noch andere Elemente tragen. Das hat gewiss das städtische Selbstbewusstsein gestärkt. Keidel machte ferner klar, dass die Universität für Freiburg nicht nur eine Chance bedeute, sondern ihre Existenz die Stadt auch vor große Aufgaben stellte. Dennoch setzte er sich nachdrücklich für die Versorgung von Studenten und Dozenten mit Wohnraum ein sowie die Erweiterung des Universitätsgeländes. Für die vorwiegend von Studenten und Schülern getragenen Proteste gegen die Fahrpreiserhöhungen im Februar 1968 fehlte Keidel jedoch gänzlich das Verständnis. Ganz Vertreter der Kriegsgeneration wollte der „Stadtvater“ mit „harter Hand“ gegen die rebellierende Jugend und ihren Undank für die Wiederaufbauleistung durchgreifen. Höhepunkt und Abschluss von Keidels erster Amtszeit war die 850-Jahr-Feier der Stadt 1970. Die Jubiläumsfeierlichkeiten bildeten die Geburtsstunde von Bürgerfesten wie dem Schlossbergfest und sogenannten „Hocks“ in den Stadtteilen.
Mit dem Hinweis auf seine Erfolgsbilanz sowie auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmten Wahlkampfreden gewann Keidel gegen den Herausforderer, den Bonner Staatssekretär Heinrich Barth von der CDU, eindrucksvoll mit 78,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 70,3 Prozent. Vor allem in den neuen Stadtteilen im Westen, Landwasser und Weingarten, war sein Erfolg überwältigend. Dennoch soll sich Keidel über die Tatsache, dass 22 Prozent der abstimmenden Freiburger nicht für ihn votiert hatten, so gegrämt haben, dass er am Wahlabend zu Hause blieb. Wahrscheinlich waren es solche Verhaltensweisen, die ihm im Volksmund den Spitznamen „Eugenius Maximus“ einbrachten; denn ein Ergebnis von fast vier Fünftel der Stimmen bei hoher Wahlbeteiligung stellt für sich schon einen Rekord dar.
Keidels zweite Amtszeit brachte einen noch tiefer greifenden Wandel. Mit der gegen die anfänglich große Skepsis der Bewohner durchgesetzten Einrichtung einer der ersten Fußgängerzonen in Deutschland nahm Freiburg eine Vorreiterrolle ein. In Keidels zweite, nun 12-jährige Amtszeit fiel die Eingliederung von bis dahin selbstständigen Umlandgemeinden im Rahmen der Gebietsreform im Land Anfang der 1970er-Jahre. Auch wenn die von Keidel angestrebte Eingemeindung von Gundelfingen, Merzhausen und Umkirch misslang, wuchs die Freiburger Gemarkungsfläche nach der Eingemeindung von Ebnet, Hochdorf, Kappel, Lehen, Munzingen, Opfingen, Tiengen und Waltershofen zwischen 1971 und 1974 von knapp 8000 auf 15 168 Hektar. Keidel förderte diesen Anschluss nicht nur, er bemühte sich auch um die Integration dieser Ortschaften in die Stadt.
Wie schon in Karlsruhe festgestellt, blieb das Bildungswesen auch in Freiburg Keidels Anliegen. Ein Generalschulplan wurde verabschiedet, 17 Schulen und 20 Turnhallen gebaut, worunter die Eröffnung des Deutsch-Französischen Gymnasiums 1977 einen Höhepunkt darstellte. Diese in ihrer Art einzigartige Einrichtung wäre ohne den persönlichen Einsatz des OBs nicht zustande gekommen.
Neue Wege ging Keidel auch bei der Gründung des Zweckverbandes „Industriezone Hochdorf“, der 1969 – noch vor der Gemeindereform – als eine Art Pilotprojekt die interkommunale Zusammenarbeit im Bereich der Industrie- und Gewerbeansiedlung einleiten sollte. Neben der Förderung von Wirtschaft und Fremdenverkehr gehörten auch der Generalverkehrsplan, der Ausbau des Stadtrings und die Bohrungen nach Thermalquellen zu den Projekten Keidels, bis er 1982 mit 72 Jahren nach 20-jähriger Amtszeit als ältester Oberbürgermeister Deutschlands in den Ruhestand ging.
In den zwei Jahrzehnten der „Ära Keidel“ hatte die Stadt, die beim Amtsantritt 1962 noch unter Kriegsfolgen gelitten hatte, ein neues Gesicht erhalten. Freiburg war in eine moderne, weltoffene und wirtschaftlich prosperierende Großstadt verwandelt. Diese insgesamt recht positive Bilanz wurde freilich immer auch durch die glücklichen Rahmenbedingungen der wachstumsstarken 1960er und 1970er-Jahre begünstigt. Keidel konnte durchaus vom Boom der Nachkriegszeit profitieren. Es versteht sich fast von selbst, dass er mit dem ihm eigenen Elan auch bereits zuvor angedachte Projekte umsetzte, weswegen ihn Journalisten „Eugen im Glück“ nannten. Dabei war es ausgerechnet sein ehemaliger Wahlkampfgegner, der Erste Bürgermeister Graf, der als Keidels Stellvertreter die Verwaltung leitete. Der Oberbürgermeister, der sich immer auf die Repräsentation konzentrierte, verstand sich primär als Manager, nie als Verwaltungsmann. Seine Art, Probleme anzupacken und „durchzupauken“, darunter auch impulsiv gefasste und unkonventionelle Ideen, forderten der Stadtverwaltung viel Flexibilität bei der Umsetzung ab. Obwohl Keidel seinen Dezernenten und Amtsleitern weitgehend freie Hand ließ, war er kein einfacher Vorgesetzter; der Chef von gut 3700 Bediensteten galt als „dünnhäutig“, konnte aufbrausend, selbst nachtragend reagieren. Nach außen freilich wahrte er immer die Contenance, erschien als Gentleman mit vollkommenen Umgangsformen. Sein Verständnis von einer bürgernahen Verwaltung kam bei der Bevölkerung gut an. Es war Keidel, der damit begann, Bürgersprechstunden im Rathaus abzuhalten, und 1970 wurde ein telefonischer Aufnahmedienst eingerichtet, der Tag und Nacht für Fragen der Bürger besetzt blieb.
Nach eigener Aussage kein guter Redner erfreute sich Keidel, wie der lange Gratulanten-Reigen und die zahlreichen Sympathiekundgebungen bei seinem 70. Geburtstag wieder zeigten, in der Bevölkerung großer Beliebtheit und Popularität. Der direkte Kontakt zum Bürger, ob im Rathaus oder Festzelt, war seine Stärke. Bürgernähe, „Sinn für Kommunikation“, Liebenswürdigkeit und Charme begründeten seine Volkstümlichkeit. „Der Schlüssel zum Verständnis der Persönlichkeit Eugen Keidels liegt jedoch in seiner von einem nüchternen Standpunkt aus nur schwer zu erfassenden Ausstrahlung begründet“ (Freiburger Ztg., 4.9.1979). Keidel war nicht der Mann der Worte, sondern der wohl kalkulierten Gesten. „Ausgestattet mit einem sicheren Instinkt für die Wirkung fast unscheinbarer Gesten, Aufmerksamkeiten, Liebenswürdigkeiten“ vermittelte er seinem jeweiligen Gesprächspartner den Eindruck, „ernst genommen und (…) respektiert zu werden“ (ebd.). Dieser Wesenszug war schon bei seiner Amtseinführung am 13. November 1962 sichtbar geworden, als er Blumen an den Gräbern von Amtsvorgängern niederlegte. Die „BZ“ kommentierte: „eine vornehme Geste“ – es war mehr! Keidel wollte sich damit nach eigener Aussage „zu der langen Geschichte Freiburgs und zu der Arbeit seiner Vorgänger, die ihren Weg vollendet haben, bekennen“ (BZ, 14.11.1962), wobei er keineswegs alle Oberbürgermeister bedachte, sondern nur die besonders erfolgreichen und beliebten: Eduard Fauler (1819–1882), Otto Winterer und Wolfgang Hoffmann. So dokumentierte er auch, in welcher Tradition – über alle parteipolitischen Grenzen hinweg – er sich sah.
Zeitzeugen berichten, dass Keidel immer Geschenke, Wein oder Blumen, im Kofferraum seines Wagens hatte, wenn er zu Auswärtsterminen ging. Vor Ort erkundigte er sich zuerst, wer als letzter im Hause Geburtstag gehabt hatte, dem überreichte er dann das mitgebrachte Präsent. So gewann er Herzen, zumal von einfachen Leuten, die kaum fassen konnten, dass der Oberbürgermeister an sie gedacht hatte. Solch wohlberechnete Inszenierung gehörte zu den Geheimnissen der Popularität Keidels. Der Oberbürgermeister wurde auch immer wirkungsvoll von seiner zweiten Frau Claire unterstützt, die mit ihrer gepflegten, eleganten, damenhaften Erscheinung die Rolle der First Lady gekonnt verkörperte und eine „herausragende Rolle im öffentlichen Leben“ (BZ, 22.6.2010) spielte. Auch die „Grande Dame“ Freiburgs genoss großes Ansehen.
Über das Verhältnis Keidels zu seiner Partei indes ist nur erstaunlich wenig bekannt. Nicht einmal das Datum seines Parteieintritts konnte ermittelt werden. Auch über seine Motive, z.B. Einfluss seiner Mannheimer Herkunft, Kontakte in studentischer Zeit, biographische Erfahrungen, den Einfluss des Karlsruher Oberbürgermeisters Töpper oder nur reines Karrierekalkül, kann nur spekuliert werden. Vielleicht veranlasste das Versagen der bürgerlichen Parteien im „Dritten Reich“ und die NS-Verfolgung seines Vaters Keidel zum Eintritt in die SPD? Der eher großbürgerlich lebende promovierte Jurist indes wurde nie zum typischen „Genossen“, sondern verkörperte den „Typ des liberalen, toleranten und bürgerlichen Sozialdemokraten“ (Südkurier, 3.9.1979), auch wenn ihn politische Gegner gelegentlich als „Salonbolschewisten“ verunglimpften. Da er kaum Ideologien anhing, ja als Oberbürgermeister weitgehend eigenmächtig und ohne Rücksicht auf seine Partei agierte, war sein Verhältnis zur SPD gespannt: „Es ist ein politisches Kuriosum ersten Ranges […], dass Dr. Eugen Keidel [in den letzten Jahren]mehr Unterstützung und Zustimmung bei der CDU fand als bei der eigenen Partei.“ (Freiburger Wochenbericht, 23.8.1979)
Der jahrzehntelange Amtsinhaber hatte erwartungsgemäß viele Ehrenämter und war Träger zahlreicher Auszeichnungen. Von Amts wegen saß er beispielsweise im Aufsichtsrat der Freiburger Stadtwerke und im Verwaltungsrat der Sparkasse. Er nahm Funktionen im Städtetag Baden-Württemberg, im Deutschen Städtetag wie im Badischen Sparkassen- und Giroverband wahr. Dass ihn viele Vereine, etwa die Freiburger Naturfreunde, der Breisgauer Sängerbund und die Narrenzunft oder der Schützenverein (Freiburg-) St. Georgen, zu ihrem Ehrenmitglied ernannten, verwundert nicht. Wohl seiner Auto-Begeisterung wegen war er nicht nur im ADAC engagiert, dem er bereits 1929 beigetreten war. Keidel war auch von 1975 bis 1980 Vizepräsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates und von 1976 bis 1980 Präsident der Deutschen Straßenliga.
Keidel starb in der Nacht zu Silvester 1991 im Alter von 82 Jahren. Nach einem zunächst harmlos erscheinenden Autounfall im Sommer des Jahres hatte sich sein Zustand verschlechtert. Tausende erwiesen dem Verstorbenen bei einer ökumenischen Trauerfeier im überfüllten Münster die letzte Ehre. Der amtierende Oberbürgermeister Rolf Böhme würdigte seinen Vorgänger als den „Schöpfer des modernen Freiburgs“.
Quellen: StadtA Freiburg B 5. XIII, Ratsprotokolle 1964–1967 u. 1970–1979, C5/723f., Oberbürgermeisterwahl 1962, C5/5372, Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen d. Verkehrsbetriebe im Febr. 1968 u. K1/48, Nachlass Eugen Keidel, dort auch: Gästebuch (Nummer 2) von Georg u. Auguste Keidel, 1937 ff.; UA Heidelberg Studentenakte UAH StudA Eugen Keidel u. UAH H-II-852/41, Promotionsakte Eugen Keidel; GLA 465 a/51 Nr. 53/422 Spruchkammerakte Eugen Keidel; StadtA Karlsruhe 1/Schulen 5/B 44 u. 45 u. Personalakte Dr. Eugen Keidel; Schriftliche Auskünfte, v.a. zu den Melderegistern aus den StadtA Freiburg, Göttingen, Karlsruhe, Mainz u. Magdeburg vom 21.6.2011, 29.4.2013, 18.4.2013, 25.6.2013 u. 24.9.2012.
Werke: Die Regelung des landwirtschaftlichen Mobiliarkredits, Diss. iur. Heidelberg, 1937.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1970), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 239, StadtA Freiburg. – Ölgemälde von Hans Kreis-Eberlin von 1971 im Rathaus Freiburg; Zahlreiche Fotos in den Fotosammlungen StadtA u. StAF Freiburg.

Literatur: Amt für Statistik u. Einwohnerwesen Freiburg im Br. (Hg.), Die Amtszeit von Oberbürgermeister Dr. Keidel statistisch nachgezeichnet bis 1978, 1979; Dr. Eugen Keidel. Oberbürgermeister von Freiburg im Br. Dokumentation eines Festtages, 1979; Erfüllte Pflicht – genutzte Zeit. Dr. Eugen Keidel. 20 Jahre Oberbürgermeister in Freiburg im Br. 1962–1982. Redaktion Heinz Pfeifer u. Hans Schneider, 1982; Festakt anlässl. d. Verabschiedung von Herrn Oberbürgermeister Dr. Eugen Keidel u. seine Ernennung zum Ehrenbürger d. Stadt Freiburg im Br., 1984; Clemens Seiterich, Georg Keidel, in: BWB 1, 1994,173-175 ; Wolfgang Fiek, Zum Siebzigsten einen Porsche, in: Freiburger Ztg. vom 4.9.2009; ders., Erinnerung an den „Schöpfer des modernen Freiburg“, in: BZ vom 4.9.2009; ders., Wegbereiter des modernen Freiburg, in: BZ vom 13.11.2012; Helmut Köser, Wachstum ohne Grenzen (1952–1990), in: Geschichte d. Stadt Freiburg, hgg. von Heiko Haumann u. Hans Schadek Bd. 3., 2.2001, 454ff.; Walter Preker, Eugen Keidel, in: Freiburger Biographien, hgg. von Peter Kalchthaler u. Walter Preker, 2002, 322f.
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