Krieck, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 06.07.1882;  Vögisheim bei Müllheim
Sterbedatum/-ort: 19.03.1947; Moosburg an der Isar
Beruf/Funktion:
  • Pädagoge
Kurzbiografie: 1892–1898 Realschule Müllheim
1898–1900 Lehrerseminar Karlsruhe
1900–1924 Lehrer in Pforzheim, Weinheim u. Mannheim
1914–1916 Teilnahme am I. Weltkrieg
1928–1933 Dozent an. d. Pädagogischen Akademie d. Univ. Frankfurt am M.
1931 VIII.–1932 X. Zwangsversetzung an. d. Univ. Dortmund
1932 I. 1 Eintritt in die NSDAP u. den NS-Lehrerbund
1932 X.–1933 V. Dozent an. d. Pädagogischen Akademie d. Univ. Frankfurt am M.
1933 V.–1934 IV. o. Professor u. Rektor d. Univ. Frankfurt am M.
1933/34–1938 X. Mitglied d. SS u. des Sicherheitsdiensts als Obersturmbannführer
1934 V.–1945 o. Professor an. d. Univ. Heidelberg;
1936/37 Rektor
1935–1938 Gaudozentenführer
1938 Rücktritt von allen Ämtern
1945–1947 Internierung im US-Camp Moosburg an d. Isar
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Dr. phil. h. c. d. Univ. Heidelberg (1923); Goethe-Medaille (1942); Goldenes Parteiabzeichen d. NSDAP (1942)
Verheiratet: 1911 Maria, geb. Perrin
Eltern: Vater: Ernst (* 1854), Kleinbauer u. Handwerker
Mutter: Karoline (* 1854)
Geschwister: Friedrich
Kinder: Ilse
GND-ID: GND/118566806

Biografie: Benjamin Ortmeyer (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 231-234

Nach dem Besuch der Realschule und zweijähriger Ausbildung am Karlsruher Lehrerseminar war Krieck bereits mit 18 Jahren Volksschullehrer. Ohne zuvor als Frontsoldat eingesetzt gewesen zu sein wurde er 1916 wegen Krankheit aus dem Militär entlassen und übte den Lehrerberuf dann in verschiedenen Gemeinden Pforzheims, die längste Zeit, bis 1924, aber in Mannheim aus.
Neben seiner Tätigkeit als Lehrer verfasste und veröffentlichte er diverse Schriften zu Politik, Philosophie und Erziehung. 1923 wurde er für seine Arbeit „Philosophie der Erziehung“ von der Universität Heidelberg zum Ehrendoktor ernannt. Schließlich gab er seinen Beruf auf und lehnte 1924 sogar einen Ruf an die TH Dresden ab, um sich vier Jahre lang ganz als freier Autor zu betätigen. Der Preußische Kultusminister C. H. Becker (1876–1933) berief Krieck 1928 in der Nachfolge Georg Reichweins (1886–1928) als Dozent an die Pädagogische Akademie Frankfurt.
Seit Ende der 1920er Jahre trat Krieck immer wieder für die NSDAP als Redner auf, ohne jedoch Parteimitglied zu sein. Im Sommer 1931 hielt er vor Studenten eine Rede über das anzustrebende „Dritte Reich“, die er mit einem „Heil dem Dritten Reich!“ schloss. Vom amtierenden Kultusminister Adolf Grimme (1889–1963) wurde Krieck schließlich an die Universität Dortmund versetzt. Er wurde nun endgültig NSDAP-Mitglied und trat auch in den NS-Lehrerbund ein. Bekannte Kollegen, etwa Alfred Baeumler (1887–1968), Eduard Spranger (BWB IV 351) und Peter Petersen (1884–1952) verfassten und unterzeichneten einen Aufruf zur Rücknahme der Versetzung. Diese wurde dann nach einem ausgesetzten Dienststrafverfahren 1932 wieder zurückgenommen. Krieck kehrte als Professor nach Frankfurt zurück.
1933 stieg Krieck zum Rektor der Frankfurter Goethe-Universität auf. Er rief einen Ausschuss für „politisch Verdächtige“ ins Leben, was die Entlassung und den Ausschluss vieler, vor allem jüdischer Professoren, Dozenten und Studenten zur Folge hatte und gründete, ganz in der Euphorie der NS-„Machtübernahme“, seine eigene, NS-ausgerichtete Zeitschrift „Volk im Werden“, deren Redaktion er bis 1942 leitete.
Nach einjähriger Amtszeit als Rektor in Frankfurt erhielt Krieck 1934 die Berufung an die Universität Heidelberg und trat in die SS und den Sicherheitsdienst ein. 1935 stieg er innerhalb der verschiedenen NS-Organisationen zum Gaudozentenführer und Obersturmbannführer auf und übernahm ein Jahr später das Rektorat der Universität, das er aber bald, wie seine übrigen Parteiämter, niederlegte. Der Rückzug aus sämtlichen politischen Ämtern ab April 1936 und der Austritt aus der SS am 20. Oktober 1938 waren u. a. Folge des Kompetenzgerangels zwischen Krieck und dem ehemaligen Sächsischen Kultusminister Wilhelm Hartnacke (1878–1952), sowie mit Alfred Baeumler (1887–1968) um die Führungsposition unter den NS-Ideologen. Dieser Streit wurde von höherer Stelle mittels Berichterstattungsverbot von SS- und SD-Chef Reinhard Heydrich (1904–1942) unterbunden.
Die Jahre 1936/38 markieren eine Zäsur in der Karriere Kriecks unter den Intellektuellen im NS-Staat; er verlor an Einfluss, nicht zuletzt wegen des Aufstiegs seines Weggefährten Alfred Baeumler. Baeumler hatte Krieck den Rang abgelaufen. Krieck schrieb und publizierte aber zunächst nahezu ungehindert weiter. Mit seinen Veröffentlichungen der 1940er Jahre versuchte er, die „Verjudung“ der deutschen Wissenschaft der vergangenen Jahrhunderte u. a. bei Kant, Hegel, Herder und Nietzsche nachzuweisen und geriet darüber sogar in Konflikt mit der Zensur, die von Krieck mehr Respekt den großen Deutschen gegenüber forderte.
Trotzdem erhielt Krieck zu seinem 60. Geburtstag 1942 das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP und von Hitler die Goethe-Medaille verliehen, eine der höchsten Auszeichnungen für Wissenschaftler des Nationalsozialismus. Eine Berufung nach Straßburg lehnte Krieck in diesem Jahr ab und blieb bis zur Einstellung des Lehrbetriebs im WS 1944/45 Dozent in Heidelberg.
Am 6. April 1945 wurde Krieck von den Alliierten in seiner Heidelberger Wohnung verhaftet und in das Internierungslager Moosburg an der Isar gebracht. Während seiner Haft arbeitete er mit seinem Anwalt Klaus Curtius an einer Strategie zu seiner Rehabilitierung. Diese Strategie basierte auf der Verharmlosung seiner Partei-Mitgliedschaften, -ämter und Veröffentlichungen und einer Uminterpretation seiner langjährigen und andauernden Konflikte mit anderen NS-Größen und Organisationen als angebliche Widerstandsakte.
1947 verstarb Krieck im Alter von 64 Jahren im Hospital des US-Camps 71 und hinterließ ein Vermögen von 48 000 RM. Seine Tochter Ilse betrieb das Verfahren zur Entnazifizierung Kriecks nach dessen Tod weiter.
Kriecks Veröffentlichungen umfassen etwa 780 Monographien und Aufsätze, viele davon publiziert in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Volk im Werden“. Sein wirkungsmächtigstes Buch, die 1932 erschienene „Nationalpolitische Erziehung“, wurde besonders für die Lehrerschaft verfasst und präsentiert seine Thesen in expliziter Nähe zu den NS-Zielen. Dieses Buch avancierte im NS-Staat zum Standardwerk der Lehrerbildung und wurde bis Kriegsende in mehr als 80 000 Exemplaren verbreitet. Krieck favorisierte „funktionale Erziehung“ und forderte die Pädagogik als eine Art Grundtechnik zur Eingliederung des Individuums in die Gemeinschaft durch die Auflösung seiner individuellen Eigenschaften. Menschen stellen in dieser Theorie nur das Material zur Bildung der Nation dar. „Der wahre Führer aber schafft aus dem Material der Massenpsyche eine organische Gestalt, eine neue wahrhafte Gemeinschaft.“ (1922, S. 97) Bereits in diesem Buch entwickelte Krieck die Pädagogik als „Rassenzüchtung“: „Das edle Blut, der Inbegriff edler Rassen und hohen Menschentums überhaupt, bezeichnet wohl die biologische Unterlage für alles Geistige.“ (1922, S. 116).
1932 ging Krieck dann noch einen Schritt weiter. Jetzt heißt es, gegen die Krise des Staates, die u. a. durch den „Rassenmischmasch“ der Vergangenheit entstanden sei, „[…] hilft nur der Endsieg der höheren Rasse mit Ausscheidung des Gegnerischen, wenn nicht das Volk untergehen soll.“ (1932, S. 25). „Völkische Erziehung“ bedeutete für ihn Erziehung „nicht mit intellektuellen Beweisen und Argumenten, sondern mit der Urkraft des Rhythmus, der auf der Grenze alles Rationalen und Irrationalen beheimatet ist.“ (1932, S. 38)
Mit der verschärften Politik des NS-Staates nahm auch Kriecks Antisemitismus eliminatorischen Charakter an. So ging es ihm 1943 darum, ob das Judentum, im Prinzip eine Krankheit, heilbar sei „oder ob das heillos und hilflos verdorbene Einzelleben um der Gesundheit des ganzen willen zu amputieren sei, wie der Strafrichter kranke Glieder am Volkskörper abschneidet, wie der Chirurg Glieder des Leibes um der Erhaltung des Restes willen amputiert.“ („Heil und Kraft“, 1943, S. 102)
Krieck hatte sich mit seinen Versuchen, den großen Deutschen der Geistesgeschichte ihre „Verjudung“ nachzuweisen, jedoch ins Abseits der führenden NS-Intellektuellen gestellt. Dazu betonte er 1943 in einem Brief an den Heidelberger Rektor Schmitthenner (➝ III 239): „Es soll mir niemand vorwerfen, ich sei von der Linie des Nationalsozialismus abgefallen, weil ich den Abfall von dieser Linie nicht mitmache.“
Quellen: GLA Karlsruhe 2244-46, N. Krieck, Zugang 2005-80; UA Heidelberg Generalia-PA Prof. Ernst Krieck.
Werke: Eckard Thomale, Bibliographie Ernst Krieck, 1970 (213 S.). – Auswahl: Persönlichkeit u. Kultur, 1910 (512 S.); Die dt. Staatsidee, 1917 (223 S.); Philosophie d. Erziehung, 1922 (309 S.); Menschenformung, 1925 (371 S.); Erziehungsphilosophie, 1930 (123 S.); Nationalpolitische Erziehung, 1932 (186 S.); Die Judenfrage, in: Volk im Werden Heft 1, 1933, 57–63; Völkisch-politische Anthropologie, Teil 1–3, Weltanschauung u. Wissenschaft, Bd. 1–3, 1936–1938 (Teil 1: 118 S., Teil 2: 172 S., Teil 3: 231 S.); Leben als Prinzip d. Weltanschauung u. Problem d. Wissenschaft, 1938 (269 S.); Der Mensch in d. Geschichte, 1940 (362 S.); Erlebter Neuidealismus, 1942 (57 S.); Heil u. Kraft, 1943 (203 S.).
Nachweis: Bildnachweise: BA Bild 183-R24765; Müller, 1978, Vorspann (vgl. Literatur).

Literatur: Arnolf Niethammer, Ernst Kriecks Bildungstheorie u. die Elemente „totaler Erziehung“, 1960 (220 S.); Shaul Esh, „Nationalpolitische Erziehung“ – ein Eckpfeiler des Nationalsozialismus, in: Internationales Jahrb. für Geschichtsunterricht Bd. 8, 1962, 125–136; Gerhard Müller, Ernst Krieck u. die NS-Wissenschaftsreform, 1978 (615 S.); Gerda Stuchlik, Goethe im Braunhemd. Universität Frankfurt 1933–1945, 1984 (232 S.); Monika Leske, Philosophen im „Dritten Reich“, 1990 (318 S.); Hermann Giesecke, Hitlers Pädagogen, 1993, 31–73; Chaim Seeligmann/Stefan Schnurr, Ein Antisemit – aber kein Rassist?, in: Neue Praxis Heft 1, 1995, 39–69. Ernst Hojer, Nationalsozialismus u. Pädagogik: Umfeld u. Entwicklung d. Pädagogik Ernst Kriecks. 1996 (172 S.); Helmut Wojtun, Die politische Pädagogik von Ernst Krieck u. ihre Würdigung durch die westdt. Pädagogik, 2000 (172 S.); Klaus-Peter Horn, „Die Hauptsache ist, dass ein deutlicher Protest erfolgt“. Die ‚Strafversetzungʻ Ernst Kriecks 1931 im Kontext, in: Jahrb. für historische Bildungsforschung Bd. 8, 2002, 289–320; Benjamin Ortmeyer, Pädagogik, Rassismus u. Antisemitismus – Ernst Krieck, in: M. Brumlik/B. Ortmeyer (Hgg.), Erziehungswissenschaft u. Pädagogik in Frankfurt – eine Geschichte in Portraits. 90 Jahre Johann Wolfgang Goethe-Universität, 2006, 41–67.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)