Lask, Emil 

Geburtsdatum/-ort: 25.09.1875; Wadowice
Sterbedatum/-ort: 26.05.1915; Turza-Mała
Beruf/Funktion:
  • Philosoph
Kurzbiografie: 1894 Abitur in Freienwalde an d. Oder
1894–1895 Studium d. Jurisprudenz u. Philosophie in Freiburg bei Heinrich Rickert (➝ IV 229)
1896 Studium d. Philosophie in Straßburg bei Wilhelm Windelband (➝ IV 323)
1898–1901 Promotion in Philosophie in Freiburg bei Rickert: „Fichtes Idealismus u. die Geschichte“, summa cum laude
1901–1904 Staatsrechtliche und rechtsphilosophische Studien in Berlin
1905 Habilitation in Heidelberg bei Windelband: „Rechtsphilosophie“; Privatdozent
1910 ao. Professor an d. Univ. Heidelberg
1911–1912 Hauptwerke: „Die Logik d. Philosophie u. die Kategorienlehre“ u. „Die Lehre vom Urteil“
1913 Etatmäßiger ao. Professor in Heidelberg
1914–1915 Kriegsfreiwilliger; gefallen in den Karpaten
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., ab 1895 ev.
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Vater: Leopold (1841–1905), Papierfabrikant
Mutter: Cerline († 1921), Lehrerin
Geschwister: 2; Berta (1878–1967) u. Helene
Kinder: keine
GND-ID: GND/118569856

Biografie: René Raschke (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 245-248

Lask wurde als erstes von drei Geschwistern in der kleinen Stadt Wadowice bei Krakau im österreichischen Galizien als Sohn deutschsprachiger Juden geboren, die aufgrund ihrer Abstammung aus der Provinz Posen preußische Staatsangehörige waren. Weil der Vater, der bis dato Direktor und Mitinhaber einer Papierfabrik war, selbst eine eigene Fabrik erworben hatte, zog die Familie 1885 nach Falkenberg in die Mark Brandenburg um. Dorthin behielt Lask zeit seines Lebens einen besonderen, heimatlichen Bezug. Er besuchte das humanistische Gymnasium im benachbarten Freienwalde an der Oder und bestand 1894 die Reifeprüfung. Danach wurden ihm der Breisgau und später die Kurpfalz zur Heimat.
Lask schrieb sich anfangs für ein „Brotstudium“ an der juristischen Fakultät in Freiburg ein, studierte aber sogleich auch Philosophie, der sein Hauptinteresse galt. Heinrich Rickert, der Neukantianer und Privatdozent an der Freiburger Universität, an dessen Kolleg Lask teilnahm, eröffnete ihm über die Philosophiegeschichte den deutschen Idealismus Kants und Fichtes. Aber auch seine erkenntnistheoretischen Überlegungen sowie der unerschöpfliche Versuch einer ganzheitlichen Systematik waren für Lask prägende Einflüsse. Obwohl Rickert ihn ausführlich über die Widrigkeiten einer philosophischen Karriere informierte, blieb Lask bei seinem Entschluss. 1895 konvertierte er zum Protestantismus und wechselte nach einjährigem Militärdienst zum WS 1896/97 für weitere philosophische Studien zu seinem zweiten Lehrer in der Philosophie, zu Wilhelm Windelband nach Straßburg. Dieser eröffnete ihm das Denken vor allem hinsichtlich der Wertsphäre. 1898 kehrte Lask jedoch nach Freiburg zurück, wo er bald auch promoviert wurde.
Die Grundlagen der erkenntnistheoretischen Systematik Rickerts und die Wertphilosophie Windelbands waren das Rüstzeug für Lasks philosophische Tätigkeit, und das Verhältnis zu seinen Lehrern war von freundschaftlicher Verehrung geprägt. 1898 bis 1901 arbeitete Lask in Freiburg unter Rickerts Anleitung an seiner Dissertation über Fichtes Idealismus, die er 1902 veröffentlichte, ein „Meisterstück“, so sein Doktorvater. Die philosophische Frage nach der Wert-Individualität, also wie ein allgemein Geltendes einem individuell Seienden real zukommen kann, verriet deutlich Neukantianische Prägung südwestdeutscher Provenienz. Lask galt als scharfsinniger Denker, der lieber im Geiste zu Hause war als in der Welt der Tat. Er war aber auch als reisefreudiger und lebensfroher Mensch mit dem Drang zu akademischer Karriere bekannt, was ihn in gewisser Weise unausgewogen erscheinen ließ. Sein von selbstironischen Zügen getragener Humor konnte bereits in jungen Jahren auch anklingende Einsamkeit und Schwermut des Philosophen nicht überdecken, der immerfort mit seinen Gedanken rang. Die philosophiegeschichtliche Grundhaltung der Dissertation verschob sich nach Abschluss der Arbeit zu darin bereits deutlich anklingenden systematischen Fragen.
In seinem philosophischen Verständnis führte Lask das Denken seiner beiden wichtigsten Lehrer fort und wandte es konsequent auf das Recht an. Daher wechselte er von 1901 bis 1904 nach Berlin, um sich dort in staatsrechtlichen und rechtsphilosophischen Studien in die Frage zu vertiefen, wie aus einem allgemein geltenden Recht überhaupt so etwas wie besondere Inhalte hervorgehen konnten. Mit dem Resultat dieser Studien, seiner „Rechtsphilosophie“, habilitierte sich Lask im WS 1904/05 in Heidelberg bei dem 1903 dorthin berufenen Windelband. Am 11. Januar 1905 hielt Lask seine Antrittsvorlesung „Hegel in seinem Verhältnis zur Weltanschauung der Aufklärung“. Zunächst machte er sich als forschender Privatdozent einen Namen. Er hielt gut besuchte Vorlesungen zur Geschichts- und Sozialphilosophie, zu Kant, zur Logik und zur Erkenntnis- sowie Wissenschaftstheorie. Außerdem gab er zahlreiche Übungen privatissime et gratis. 1908 arbeitete Lask an der Organisation und Realisierung des „III. Kongresses für Philosophie“ in Heidelberg mit, in dessen Verlauf er zum Thema „Gibt es einen ‚Primat der praktischen Vernunftʻ in der Logik?“ sprach. Nachdem der Lehrstuhl des Neukantianers Kuno Fischer (1824–1907) nach dessen Emeritierung 1906 unbesetzt geblieben war, wurde Lask auf Anregung Windelbands und Rickerts zunächst ab Februar 1910 ao., ab April 1913 etatmäßiger ao. Professor in Heidelberg und neben Windelband Mitdirektor des philosophischen Seminars. Zu Lasks Hörern zählten u. a. Karl Jaspers (BWB II 236), Georg Lukács (1885–1971), Ludwig Marcuse (1894–1971), Helmuth Plessner (1892–1985) und Nicolai von Bubnoff (➝ I 83). Enger befreundet war Lask mit Philipp Witkop (➝ II 313), Fedor Stepun (1884–1965), den Eheleuten Lina und Gustav Radbruch (➝ I 223) sowie mit Marianne (BWB II 476) und Max Weber (➝ I 266), bei dem er bereits in Freiburger Studententagen Nationalökonomie gehört hatte.
In seiner Heidelberger Zeit vollzog Lask vor allem die eigene Abgrenzung zu seinen Lehrern Windelband und Rickert. Seine beiden ineinandergreifenden Hauptwerke „Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre“ (1911) und „Die Lehre vom Urteil“ (1912) verdeutlichen dies. Die Künstlichkeit der formalen Logik erscheint für Lask nur noch als subjektives Hilfsmittel der Erkenntnis. Das zu erkennende Material lässt sich nicht vollständig in erkennbare Form auflösen, sondern bewahrt stets einen dem rationalen Logos unzugänglichen, irrationalen Rest. Die Formen der Erkenntnis unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Geltung voneinander, sondern hinsichtlich der Bezeichnung eines besonderen Materials. Damit wird das Material zum eigentlich differenzierenden Prinzip der Erkenntnis. Wahrheit gründet also auch nicht mehr ausschließlich im Urteil des Subjektes, sondern außerhalb des Urteils im Gefüge von Form und Materie, Erkennen wird zu einem Akt der Hingabe an das Material. Dennoch liegt hier kein radikaler Objektivismus vor, dem das Subjekt verlustig geht. Denn in der Entdeckung der Unmittelbarkeit des Lebens als eben jene Hingabe des Erlebnissubjektes schlägt er die entscheidende Brücke zwischen den erkenntnistheoretischen „Stockwerken“, wie er formuliert, von Sein und Gelten.
Lask meldete sich unmittelbar nach Kriegsbeginn freiwillig und fiel wenige Wochen später, nachdem er im Februar 1915 an die Karpaten-Front gekommen war. Er wurde vermutlich von russischen Soldaten in einem Massengrab beerdigt. Seine Schwester Berta motivierte das Ableben ihres Bruders zu den Gedichtbänden „Stimmen“ (1919) sowie „Rufe aus dem Dunkel“ (1921). Außerdem verewigte sie den Bruder in ihrer autobiographischen Romantrilogie „Stille und Sturm“ (1955) in der Figur Egon Weygandts.
Zentrum von Lasks Leben war die wissenschaftliche Arbeit an entscheidenden Problemen der Transzendentalphilosophie. Noch vor dem I. Weltkrieg brach er die Grenzen der einseitig an einer erkenntnistheoretischen Logik orientierten südwestdeutschen Schule auf. Indem Lask nicht nur das Sinnlich-Anschauliche sondern auch das Unsinnlich-Geltende zum Gegenstand des Erkennens erhob, wandte er in einer Logik der Philosophie den Kritizismus auf sich selbst an. Dieses „Grenzdenken“ veranlasste ihn zur Einführung einer neuen Sprache, die nur vor dem geistigen Horizont des Gesamtsystems ihren Sinn zu entfalten vermag. Trotz des fragmentarischen Charakters seines Gesamtwerks besteht Lasks Verdienst in der währenden Betonung der Unabhängigkeit des Form-Material-Gefüges des Erkenntnisgegenstandes von subjektiven Leistungen und in der Thematisierung der hingebend-erlebenden und konkreten Subjektivität. Seine ontologische Fragestellung, die sowohl die Kategorienlehre Windelbands ablehnt als auch die Erkenntnistheorie Rickerts sprengt, führte Lask zu einer transzendentalphilosophischen Position, die ihn in deutlicher Nähe zum durch seine „Logischen Untersuchungen“ (1900/01) weltbekannten Phänomenologen Edmund Husserl (➝ III 135) und seiner Losung „zu den Sachen selbst“ erscheinen lässt – ein Novum in der Philosophie neukantianischer Prägung. Zu den klassischen Themen der Professorenphilosophie, Erkenntnis, Form, Materie, Wert und Geltung, traten bei Lask geradezu erfrischend anmutende Fragen zur Geschichtlichkeit hinzu, zum individuell und nicht deduzierbar Irrationalen und zum Leben. Lasks Motiv einer Grundlegung der Philosophie in einer selbstreflexiven Systematik eröffnete damit inhaltlich bereits philosophische Felder, die erst im späteren Verlauf des 20. Jh.s wirklich Anklang finden sollten.
Dennoch geriet Lasks Philosophie durch die Krise des Neukantianismus in den 1920er Jahren und dann durch die Verachtung für jüdische Philosophen in der NS-Zeit im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit. Dass er aber zu Lebzeiten durchaus Breitenwirkung fand, belegen nicht allein seine Briefkorrespondenz aus dem Nachlass, die bis heute editorisch nicht aufgearbeitet und systematisch ausgewertet ist, sondern auch neueste Studien. Deutlich erkennbar ist der Einfluss auf die Fundamentalontologie Martin Heideggers (➝ I 162), die Methodologie Max Webers und die Rechtsphilosophie Gustav Radbruchs. Auch Lasks nicht unumstrittene und in zahlreiche Sprachen übersetzte „Rechtsphilosophie“ fand in der Fachwelt Gehör. Sein Leben, Denken und Wirken bleibt aber bis heute in vielerlei Hinsicht Forschungsdesiderat; eine umfassende kritische Würdigung seiner Bedeutung ist noch immer nicht absehbar.
Quellen: UB Heidelberg Heid. Hs. 3820 Nachlass Lask; UA Heidelberg PA 1905, Personalakten Lask.
Werke: Fichtes Idealismus u. die Geschichte, Diss. phil. Heidelberg 1901, 1902; Rechtsphilosophie 1905; Die Logik d. Philosophie u. die Kategorienlehre 1911; Die Lehre vom Urteil, 1912; E. Herrigel (Hg.), Gesammelte Schriften [Lasks], 3 Bde., 1923–1924.
Nachweis: Bildnachweise: UB Heidelberg Heid. Hs. 3820/3; C. Dehlinger/K. Fischer/Th. Jung/ H. Oßmann (Hgg.), Metzler Philosophen Lexikon, 1989, 440; U. Glatz, Emil Lask, 2001, Einband; http://www.ottogross.org/albums/album14/OG_70.jpg.

Literatur: G. Lukács, Emil Lask, in: Kant-Studien 22, 1918, 349– 370; J. Sieger, Das Recht bei Emil Lask, 1964; H. Sommerhäuser, Emil Lask in d. Auseinandersetzung mit Heinrich Rickert, 1965; H. Sommerhäuser, Emil Lask zum 90. Geburtstag, in: Zs. für philosoph. Forschung 21/1, 1967, 136–145; K. Hobe, Emil Lask, 1968; N. Altwicker, Geltung u. Genesis bei Lask u. Hegel, 1971; K. Hobe, Zwischen Rickert u. Heidegger, in: Philosoph. Jb. 78, 1971, 360–376; H. Roshoff, Emil Lask als Lehrer von Georg Lukács, 1975; R. Hofer, Gegenstand u. Methode, 1997; S. Nachtsheim, Emil Lasks Grundlehre, 1997; U. B. Glatz, Emil Lask, 2001.
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