Maschke, Erich 

Geburtsdatum/-ort: 02.03.1900; Berlin
Sterbedatum/-ort: 11.02.1982;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1906-1917 Volksschule, askanisches Gymnasium in Berlin
1918 Militärdienst
1919-1923 Studium der Medizin in Berlin, Innsbruck und Freiburg
1923-1927 Studium der Geschichte und Geographie in Berlin und Königsberg
1927 Promotion zum Dr. phil. über das Thema „Der Deutsche Orden und Preußen“ bei Prof. Erich Caspar
1927-1932 Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und Mitherausgeber des „Preußischen Urkundenbuchs“ bei der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußen
1929 Habilitation an der Universität Königsberg
1929-1934 Privatdozent für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Königsberg
1934-1935 Außerplanmäßiger Prof. an der Universität Königsberg
1935 Prof. für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Jena
1939-1940 Heeresdienst, zuletzt Oberleutnant, 1940 UK gestellt
1942-1945 Prof. für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Leipzig
1945 Verhaftung in Leipzig, Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion
1953 Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft aus dem Ural
1954 Lehrauftrag für Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Universität Heidelberg
1956 Prof. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Heidelberg
1963 Gastprof. an der École Pratique des Hautes Études in Paris (Sorbonne)
1965 Vorsitzender des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung
1968 Emeritierung. Mitglied: Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung (ordentliches Mitglied), Herder Forschungsrat (außerordentliches Mitglied), Heidelberger Akademie der Wissenschaften (ordentliches Mitglied)
1959 Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (ordentliches Mitglied); 1964-1973 Stellvertretender Vorsitzender; 1975 Ehrenmitglied
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1931 Elisabeth, geb. Horn (1909-1982)
Eltern: Vater: Dr. med. Erich Maschke
Mutter: Elisabeth, geb. Gutzmann.
Kinder: Erich (* 1932)
Wolfram (* 1934)
GND-ID: GND/118578642

Biografie: Eckart Schremmer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 224-227

Der Historiker Maschke gehörte einer Generation an, die wie selten eine Generation zuvor die schroffen Wechselfälle in der Geschichte miterlebte und miterlitt. Seine Forschung zeigt tiefe Spuren von der ungewöhnlichen Zeit und dem besonderen Schicksal des Gelehrten. Er selbst sah seine Arbeit überwiegend als „Antwort“ auf „Herausforderung“. Zwei Jahre vor seinem Tode schrieb er im Januar 1980: „Blicke ich über die Jahrzehnte hinweg, so entsprang nur weniges in meiner Jugend und im Alter unmittelbar meiner geistig-seelischen Entwicklung. Der Zufall führte mich an Quellen ...; Anregungen (wurden) durch Dritte an mich herangetragen“. Zwischen Jugend und Alter sah Maschke den tiefen Graben der achtjährigen Kriegsgefangenschaft von 1945 bis 1953. – Die Herausforderungen waren in beiden Lebensabschnitten unterschiedlich, und also auch die Antworten. Die wirtschaftsgeschichtlichen Studien nach 1955 hatten in seinen Augen keinerlei Bezug zu den Arbeiten bis zum Krieg; und erst über die Jahre hinweg knüpfte er über die Geschichte der mittelalterlichen Stadt, über die Landes- und Sozialgeschichte die Verbindung zu seiner frühen wissenschaftlichen Vergangenheit, der Deutschordensgeschichte. Die Verbindung zur Reichsgeschichte suchte Maschke allerdings nicht mehr; ihm war „dabei klargeworden, wie problematisch es sein konnte, wenn an den Historiker von außen Aufgaben herangetragen wurden, die mit seinen bisherigen wissenschaftlichen Interessen nichts zu tun hatten“. – So ergab sich insgesamt eine in ihrer ungewöhnlichen Weite wohlabgerundete fünfzigjährige Forschung zur Geschichte, Gesellschaft und Wirtschaft Mitteleuropas, die der emeritierte ordentliche Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Heidelberg zu seinem wissenschaftlichen Lebensinhalt machte.
Der gebürtige Berliner folgte zunächst einer Tradition seines Elternhauses und studierte, nach einem Jahr Militärdienst, von 1919 bis 1923 Medizin in Berlin, Innsbruck und Freiburg. Es war aber weniger die eng empfundene Atmosphäre in den Hörsälen der medizinischen Fakultäten, die den suchenden Studenten für das weitere Leben prägte, als die Begegnung mit dem Wandervogel und der Eintritt in die Gemeinschaft der bündischen Jugend. Jetzt öffnete sich die Welt. Den Fahrten am Wochenende folgten mehrwöchige Wanderungen mit Zelt und Lagerfeuer. Damit änderte sich allmählich das Bewußtsein der Neupfadfinder, die sich „Volk vom Eichhof“ nannten. Sie wußten, daß ein neuer Mensch nach dem verlorenen Krieg und der sozialen Krise nur aus dem Grunde der Natur hervorgehen konnte, sie wußten, die Stadt ist böse, das Land ist gut; und schließlich entdeckten sie eine Brücke zu sich selbst: das Verstehen ihrer Gegenwart durch die Kenntnis der Vergangenheit. Diese Brückenfunktion des Wissens um Vergangenes strahlte eine solche Faszination aus, daß der junge Mann das Studium der Medizin aufgab und sich dem Studium der Geschichte und Geographie verschrieb, zunächst in Berlin, dann ab 1925 in Königsberg. Das war eine Stadt, die von dem Raum und der Natur geprägt war, die sie umgaben. Hier fanden Maschke und seine bündischen Freunde ihr geschichtliches Ebenbild, den deutschen Ritterorden. Nicht zufällig hieß ihre Bundeszeitschrift „Der Weiße Ritter“. Auch der Orden war, wie es Maschke formulierte, ein Bund von Männern, die ein erhöhtes Menschsein zu verwirklichen suchten.
Bei Erich Caspar lernte er die methodische Strenge des Mediävisten, und der Lehrer zeigt ihm auch den Weg in die Wissenschaft als Beruf. Der Dissertation über den deutschen Orden und die Preußen (1928, Neudruck 1965) folgten Veröffentlichungen zur Geschichte Altpreußens, des Baltikums, zur westslawischen und polnischen Geschichte. Neben der Mitherausgebertätigkeit am preußischen Urkundenbuch entstand 1929 die Habilitationsschrift, die nach Befragen weiterer Quellen im Vatikan 1933 als Buch erschien: Der Peterspfennig in Polen und dem deutschen Osten (Neudruck 1979). Die ostdeutsche Geschichte nur aus deutscher Perspektive zu sehen, war für Maschke zu wenig; er hatte die polnische Sprache erlernt, um aus polnischen Archiven auch die „andere Seite“ in den Blick zu bekommen. Das Erkennen des Ganzen war sein Ziel.
Staat, Nation und Volk, Volkstum, Geist und Natur, geschlossener Siedlungsboden und Sprachinseln, Deutsches und Polnisches verschränkten sich mannigfach im gleichen geographischen Raum. Vor diesem Hintergrund und wohl auch aus den Erfahrungen von Reisen zu deutschen Siedlungen in Ungarn und im rumänischen Banat entstanden weitere Schriften, unter anderem: Das Erwachen des Nationalbewußtseins im deutsch-slawischen Grenzraum (1933), Polen und die Berufung des deutschen Ordens nach Preußen (1934), Der deutsche Ordensstaat: Gestalten seiner großen Meister (1935), Das germanische Meer: Geschichte des Ostseeraumes (1935). Damit und mit der Berufung auf einen Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte in Jena im Jahre 1935 war der erste Forschungsabschnitt (nahezu) abgeschlossen.
Die Zeit in Jena und – nach einem weiteren Ruf – ab 1942 in Leipzig zeigte, trotz einer Hinwendung des Gelehrten zur Reichsgeschichte und zur thüringischen Landesgeschichte, wie prägend die Königsberger Jahre letztlich doch gewesen waren. Das Reich, die zersplitterten Einzelstaaten, ein einheitliches Bewußtsein des Volkes und die politische Einheit ließen sich für den mittelalterlichen Historiker erst dann verknüpfen, als er über Ulrich Scheuner Deutschland als Kulturnation begriff. Das zeigen z. B. Arbeiten über Thüringen in der Reichsgeschichte (1937) und über das mittelalterliche Deutschtum in Polen (1942). Auch die „Bewunderung für adliges Menschentum“ – so Maschke – aus den Idealen der bündischen Bewegung fand 1943 ihre Kontinuität in dem großen Werk über das Geschlecht der Staufer, über ihre Größe und Tragik (3. Auflage 1977).
Der Ausgang des 2. Weltkrieges brachte die große Zäsur. 1953 kehrte Maschke aus der Sowjetunion nach Speyer zurück, wo seine Familie inzwischen eine Unterkunft gefunden hatte. 1954 erhielt er über Fritz Ernst einen Lehrauftrag an der Universität Heidelberg für Wirtschafts- und Handelsgeschichte des Mittelalters, und die Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Meinhold und Erich Preiser erreichten dann 1956 für ihn die Schaffung eines Lehrstuhls für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Die zunehmend formaler ausgerichtete Nationalökonomie hatte wieder ihre wichtige geschichtliche Ergänzung bekommen – und gleichzeitig war eine Brücke zur allgemeinen Geschichte geschlagen. Maschke entdeckte schnell, welch fruchtbares Feld sich ihm mit den neuen, auf ihn zukommenden Forschungs- und Lehraufgaben eröffnete: die soziale Einbindung der wirtschaftenden Individuen in ihre gesellschaftlich organisierte Umwelt. Die gesellschaftliche Schichtung der mittelalterlichen Stadtbevölkerung wurde als Problem der Forschung erkannt. In rascher Folge entstanden Untersuchungen zur Verfassung (1959), zu den Unterschichten (1967) und zu den Mittelschichten (1972) deutscher Städte. Aus der Soziologie führte er die Begriffe Schicht, Lagemerkmale und Gruppe in die historische Analyse ein, weil die traditionelle Verfassungsgeschichte nicht imstande war, die historische Wirklichkeit der Bindungen von Menschen ganz zu erfassen. Die Nationalökonomie zeigte ihm in der Lehre der Marktformen, der Monopole und der Kartelle weitere Arten von Bindungen auf – und fast wie von selbst entstanden aus diesem Umfeld Arbeiten über deutsche Kartelle im 15. Jahrhundert (1966), über die Grundzüge der deutschen Kartellgeschichte bis 1914 (1964) und schließlich eine Fallstudie über Paul Reusch und den Konzern der Gute-Hoffnungs-Hütte (1969).
Die für Maschke jetzt typisch gewordene Struktur- und gruppenbezogene Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die die Mentalität historischer Personenverbände und die historische Sozialpsychologie mit beachtete – und die zuletzt auch die Stellung der Familie in der deutschen Stadt des Mittelalters einbezog –, wurde bald international bekannt. Als einer der ersten deutschen Professoren nach dem Kriege erhielt er 1963 eine Gastprofessur an der zur Sorbonne gehörenden École Pratique des Hautes Études in Paris. Die Verbindung zur Schule der „Annales“, die ihm in Fragestellungen und Methoden das bot, was er suchte, war geknüpft.
Die große Spannweite der Arbeiten von Maschke schloß neben der Vorstandstätigkeit in der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg u. a. die Leitung von deren industriegeschichtlichem Arbeitskreis und des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, auch die Leitung der Wissenschaftlichen Kommission für deutsche Kriegsgefangenengeschichte ein. 1974, fünf Jahre nach seiner Emeritierung, war das vom Bundesvertriebenenministerium angeregte Werk mit 22 Bänden beendet; sie berichten über das Schicksal und die Arbeitsleistung von 11 Millionen deutscher Kriegsgefangener. Die Dokumentation ist der Wissenschaft zugänglich, sie wurde aber von der Bundesregierung noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben.
Maschke, der selbst jahrelang am Rande des Existenzminimums lebte, verstand die Hungernden im 20. Jahrhundert, und er verstand die Armen der mittelalterlichen Stadt. Mit diesem „Verstehen als Mittel des Zugangs zu Geschichte“ stand er wieder – oder noch immer – ungefähr dort, wo der junge Bündler „das Prinzip des Verstehens der Gegenwart durch Kenntnis der Vergangenheit“ gefunden hatte. So sah er es selbst. Es ist genau jenes auf Verstehen beruhende Verständnis, das ihm die besondere Zuneigung zu Studenten und jüngeren Mitarbeitern auch in unruhiger Zeit erhielt. Wohl jeder, der Maschke auf Kongressen und Tagungen erlebte, kennt das Bild: Maschke inmitten einer Gruppe junger diskutierender Leute, Anregungen suchend und stets Anregungen gebend.
Die historische Wissenschaft hat mit Maschke einen universalen, kritischen und gelegentlich auch zweifelnden Gelehrten verloren. Was Udo Arnold 1970 mit Blick auf die Deutschordensforschung schrieb, gilt abgestuft auch für andere Arbeiten des Verstorbenen: Maschke ging es „vor allem um die geistigen Hintergründe und die Verbindungslinien der abendländischen Geschichte. ... Mit diesem Ansatz wirkte er vor allem in seinen Nachkriegsjahren richtungsweisend, mögen wir auch in Detailfragen an dieser oder jener Stelle inzwischen mehr wissen.“
Werke: Verzeichnis der Veröffentlichungen von E. Maschke, zusammengestellt von Kuno Drollinger. In: Aus Stadt- und Wirtschaftsgeschichte Südwestdeutschlands. Festschrift für E. Maschke zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1975, 281-290 (VKgLBW; B 85). Weitere Angaben bei E. Maschke, Städte und Menschen, 1980 (siehe Literatur).
Nachweis: Bildnachweise: Foto in Festschrift für E. Maschke 1975.

Literatur: Selbstdarstellung bei der Aufnahme in die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, in: Jahreshefte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 1958/59 (1960), 39-41; Selbstdarstellung, Erich Maschke: Begegnungen mit Geschichte, in: Erich Maschke (Hg.), Städte und Menschen; Beiträge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft und Gesellschaft 1959-1977 (Beiheft 68 der VSWG), Wiesbaden 1980, VII-XIX (dort auch umfangreiche Angaben zu den Werken von Erich Maschke); Aus Stadt- und Wirtschaftsgeschichte Südwestdeutschlands. Festschrift für Erich Maschke zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1975, X. 290 S. (VKgLBW, B 85); Günther Haselier, Erich Maschke. Ein biographisches Vorwort, In: Aus Stadt- und Wirtschaftsgeschichte Südwestdeutschlands, Stuttgart 1975, VII-X; Eckart Schremmer, Erich Maschke (2. März 1900-11. Februar 1982). In: HZ 235 (1981) 251-255; Werner Conze, Erich Maschke (1900-1982). In: VSWG 69 (1982) 300-301; Eberhard Gönner, Erich Maschke, 2.3.1900-11.2.1982. In: ZGO, NF 91 (1982), 363-365.
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