Mayer, Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 24.08.1883; Neukirchen an d. Enknach
Sterbedatum/-ort: 26.11.1972; Salzburg
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1901 Abitur am Gymnasium Innsbruck
1901–1905 Geschichtsstudium an den Universitäten Florenz u. Wien
1906 Promotion in Wien bei Alfons Dopsch: „Der auswärtige Handel des Herzogtums Österreich im Mittelalter“
1906–1914 Archivdienst in Innsbruck u. Wien
1914 Habilitation in Wien: „Die Verwaltungsorganisation Maximilians I.“
1914–1918 Kriegsteilnahme als Artillerieoffizier d. k. u. k. Armee, Einsätze in Südtirol, Galizien, an d. Insonzo- u. Piavefront
1922–1930 ao. Professor an d. Dt. Univ. Prag, ab 1927 o. Professor
1930–1934 o. Professor an d. Univ. Gießen
1934–1938 o. Professor an d. Univ. Freiburg
1938–1942 o. Professor an d. Univ. Marburg, 1939 bis 1942 Rektor
1942–1945 Präsident d. Monumenta Germaniae Historica
1943–1945 Honorarprofessor an d. Univ. Berlin
1945 aus dem Staatsdienst entlassen
1946–1947 Spruchkammerverfahren: Mitläufer
1951–1968 Gründer u. Vorsitzender des „Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte“
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Korr. Mitgl. d. Württ. Kommission für Landesgeschichte (1937–1938); Förd. Mitgl. d. Bad. Historischen Kommission (1939); Korr. Mitgl. d. Österr. Akad. d. Wiss. Wien u. d. Bayer. Akad. d. Wiss. München (1942); Mitgl. d. Preuß. Akad. d. Wiss. (1944); Dr. iur. h.c. d. Univ. Erlangen (1942); Ehrenbürger d. Gde. Neukirchen a. d. Enknach (1958) u. d. Gde. Reichenau (1963).
Verheiratet: 1911 (Teplitz-Schönau) Johanna, geb. Stradal (1892–1981)
Eltern: Vater: Johann Nepomuk (1848–1908), Dr. med.
Mutter: Maria, geb. Wittib (1853–1905)
Geschwister: 2 Schwestern
Kinder: 3;
Theodor (1913–1942),
Emma (geboren 1914),
Johanna (geboren 1920)
GND-ID: GND/118579630X

Biografie: Anne Christiane Nagel (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 266-268

Mayer zählt zu den profiliertesten Mediävisten seiner Generation. Seine wissenschaftliche Karriere begann 1906 im österreichischen Archivdienst und erreichte nach mehreren Stationen als Professor für mittelalterliche Geschichte mit der Präsidentschaft der Monumenta Germaniae Historica 1942 ihren Höhepunkt in Berlin. Mayer war bis heute der erste und einzige Österreicher in dieser Funktion. Nach 1945 büßte er dieses Amt ein und fand auch keine Verwendung mehr als Hochschullehrer. Eine bemerkenswert erfolgreiche Rückkehr in das Wissenschaftssystem der Bundesrepublik gelang ihm hingegen als Gründer und langjähriger Vorsitzender des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte.
Ursprünglich aus der mittelalterlichen Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte in der Tradition von Alfons Dopsch herkommend richtete Mayer sein historiographisches Interesse nach dem I. Weltkrieg auf die Erforschung der Verfassungs- und Landesgeschichte. Hier wandte er sich gegen die vorherrschende ältere Lehre, die im „Staat“ des Mittelalters kaum mehr als eine Vorform moderner Staatlichkeit erblickt hatte. Mayer entwickelte gemeinsam mit Historikern wie Hans Hirsch, Heinrich Dannenbauer, Hermann Aubin eine neue, am „Volkstumsdenken“ der Zeit orientierte Sicht auf das Mittelalter. An die Stelle der vom Dogmatisch-Institutionellen ausgehenden Richtung der rechtshistorischen Forschung setzten sie eine dynamisch-funktionelle Betrachtungsweise. Die Grundlage dazu bildete die Urkundenforschung. Aus den Quellen wurde eine eigene, wie man meinte, das Mittelalter authentisch erfassende Terminologie extrahiert. Neben der territorialen Verfassungsgeschichte gewann der geographische Raum Gewicht. Landesgeschichte und Raumforschung korrespondierten miteinander, indem die Geschichte eines umgrenzten Raumes erforscht wurde, dessen spezifische geographische Beschaffenheit, wie es hieß, Deutungsrelevanz besaß. Nach einem zögerlichen Start des Programms im Jahrzehnt nach dem I. Weltkrieg sollten die 1930er-Jahre für die neue deutsche wie österreichische Verfassungsgeschichte des Mittelalters katalytische Wirkung entfalten.
Mayers Anteil am Gang der Forschung jener Jahre ist hoch. Auf ihn gehen gleich mehrere Begriffe wie „Personenverbandsstaat“ oder „institutioneller Flächenstaat“ zurück, die in der Mediävistik bis heute gebräuchlich sind. Nicht zu übergehen sind freilich die zeitgenössischen politischen Bezugnahmen. Im Hintergrund seiner Neudeutung des Mittelalters stand die Erfahrung einer revolutionierten Gegenwart durch die NS-„Bewegung“. Im „Dritten Reich“ wollte er jene „höhere Synthese zwischen dem Volksstaat als dem Personenverbandsstaat und dem institutionellen Flächenstaat“ erblicken, „durch die das Volk wieder unmittelbarer, verantwortlicher Träger des Staates, Subjekt und nicht mehr Objekt der Herrschaft“ geworden sei, so Mayer 1939 in der Historischen Zeitschrift. Der Mediävist nutzte die Möglichkeiten, die ihm die Nationalsozialisten boten. Im August 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund beigetreten wurde er im Mai 1937, nach der zeitweiligen Aufhebung der Beitrittssperre, Mitglied der NSDAP. Von 1939 bis 1942 amtierte er als Rektor der Marburger Universität. Er betätigte sich erfolgreich als Wissenschaftsorganisator und suchte seine Wissenschaft werbend in den Dienst des „Dritten Reichs“ zu stellen. Mayer leitete den „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ für den Bereich mittelalterliche Geschichte, er war als einziger Mediävist an der sogenannten Führerfestschrift 1939 prominent beteiligt und unternahm verschiedene Vorstöße für die Gründung eines Deutschen Historischen Instituts in Paris zur Selbstbehauptung deutscher Geschichtswissenschaft in Europa.
An seiner großen Sympathie für den Nationalsozialismus kann kein Zweifel bestehen. Seine Entlassung aus dem Staatsdienst 1945 resultierte daraus. Im September 1945 wurde er im Schloss Pommersfelden/Oberfranken, in das er zwei Jahre zuvor die Bibliothek der MGH evakuiert hatte, von amerikanischen Besatzungskräften verhaftet und im Lager Hammelburg für neun Monate interniert. Nach seiner Rückkehr nach Pommersfelden im Juni 1946 folgte ein langwieriges Spruchkammerverfahren, das 1947 mit seiner Verurteilung und Einstufung als „Mitläufer“ endete. Als Buße wurde ihm die Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 500,- Reichsmark auferlegt. Im Zuge seiner Internierung vom Amt als Präsident der MGH war er bereits 1945 suspendiert worden. Alle Restitutionsversuche scheiterten, die er beharrlich und mit allen Mitteln unternommen hatte. Die dabei von ihm zum Teil öffentlich geübte Kritik am Verhalten seiner Kollegen stempelten ihn zum Außenseiter im Feld der bundesdeutschen Mittelalterforschung.
Gleichwohl ließ es der Mediävist auch nach der deutschen Katastrophe an Energie für seine wissenschaftlichen Ziele nicht fehlen, darin vergleichbar mit Figuren wie Carl Schmitt oder Martin Heidegger. Mit dem Konstanzer Arbeitskreis schuf er sich einen neuen Wirkungsrahmen weit über den lokalen Raum hinaus. Die mit Beginn der 1950er-Jahre auf der Insel Reichenau regelmäßig abgehaltenen Frühjahrs- und Herbsttagungen begannen nach Meinung manches zeitgenössischen Beobachters als ein Arkanum der „zornigen alten Männer“, womit auf die „braune Vergangenheit“ Mayers und weiterer Mitglieder des Arbeitskreises angespielt wurde. Daneben wirkten freilich auch Männer wie Paul Egon Hübinger von Anfang an mit, deren gegnerische Haltung zum Nationalsozialismus außer Frage stand. Der Kreis entfaltete schon bald große Wirkung auf eine ganze Reihe auch jüngerer Mediävisten. Die auf den Reichenau-Konferenzen behandelten Themen besaßen Relevanz im Fach und wirkten vielfach anregend auf den Gang der bundesdeutschen Mediävistik. Die Behandlung des Stoffes erfolgte stets interdisziplinär unter Beteiligung von Verfassungs- und Rechtshistorikern, Archäologen, Vor- und Frühgeschichtlern sowie Sprachwissenschaftlern, was damals noch als ungewöhnlich galt. Neben den klassisch mediävistischen Gegenständen der Landes- und Verfassungsgeschichte, die zunächst noch dominierten, fanden in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre auch kulturgeschichtliche Themen Berücksichtigung. Als Mayer 1968 den Vorsitz altersbedingt aufgab, konnte er bereits auf eine ungewöhnlich erfolgreiche Tagungs- und Publikationsbilanz zurückblicken. Bis zum Jahr 2000 wurden auf den Reichenau-Tagungen rund 1000 Vorträge gehalten, wobei etwas mehr als 15 Prozent der Referenten aus dem Ausland stammten. Die sie wiedergebende Reihe „Vorträge und Forschungen“ gehört zum Grundbestand jeder Institutsbibliothek. Die Geschichte der Mayerschen Terminologie und ihre Verhaftung im Denkstil ihrer Entstehungszeit wurde freilich erst geraume Zeit nach Mayers Rücktritt als Vorsitzender des Arbeitskreises, auf der Jubiläumstagung im Jahre 2001, offen thematisiert.
Quellen: UA Gießen PrA Phil 17 u. Phil K 22; GLA Karlsruhe Best. 235, Nr. 8924; StA Marburg Best. 305a, 1976/19, Nr. 3634, 3635; BA Berlin Best. R 4901, Nr. 1952, Best. BDC M. 516 K, Mayer, Theodor; StadtA Konstanz, Nachlass Theodor Mayer; A d. Österr. Akad. d. Wiss., Nachlass Wilhelm Bauer.
Werke: Bibliographie in: Der Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 1951–2001, 2001, 279-282. – Auswahl: Der Auswärtige Handel des Herzogtums Österreich im Mittelalter, 1909; Die Verwaltungsorganisation Maximilians I., 1920; Dt. Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, 1928; Der Staat d. Herzoge von Zähringen, 1933; Die Ausbildung d. Grundlagen des modernen dt. Staates im hohen Mittelalter, in: HZ 159, 1939, 457-487; Deutschland u. Europa, 1940; (Hg.) Adel u. Bauern im dt. Staat des Mittelalters, 1943; (Hg.) Der Vertrag von Verdun 843, 1943; Fürsten u. Staat, 1950; Staatsauffassung in d. Karolingerzeit, in: HZ 173, 1952, 467-484; Friedrich I. u. Heinrich der Löwe, 1957; Mittelalterliche Studien, 1959.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Konstanz, Nachlass Theodor Mayer; FS Theodor Mayer, 1954, 2; Der Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 1951–2001, 2001, 271.

Literatur: Aus Verfassungs- u. Landesgeschichte. FS zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, 1954; Catalogus professorum academiae Marburgensis Bd. 2, 1979, 567; Karl Bosl, Theodor Mayer, in: NDB 16, 1990, 554-556; Johannes Fried, Konstanz u. d. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (1951–1991), 1991, 11-28; Anne Chr. Nagel, Zwischen Führertum u. Selbstverwaltung, in: Windfried Speitkamp, Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. FS für Hellmut Seier, 1994, 343-364; Ulrich Reuling, Von d. „Atlaswerkstatt“ zur Landesbehörde, in: Hundert Jahre Historische Kommission, 1997, 1170-1203; Traute Endemann, Geschichte des Konstanzer Arbeitskreises, 2001; Anne Chr. Nagel, Im Schatten des Dritten Reichs, 2005, 156-186; Reto Heinzel, Theodor Mayer – Ein Wissenschaftsorganisator mit „großen Möglichkeiten“, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Das Dt. Historische Institut u. seine Gründungsväter, 2007, 59-78; Anne Chr. Nagel, „Gipfeltreffen d. Mediävisten“. Der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Die Rückkehr d. dt. Geschichtswissenschaft in die „Ökumene d. Historiker“, 2008, 73-89.
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