Schlemmer, Oskar Alfred Victor 

Geburtsdatum/-ort: 04.09.1888;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 13.04.1943;  Baden-Baden
Beruf/Funktion:
  • Maler, Plastiker, Choreograph und Bühnenbildner
Kurzbiografie: Herbst 1906–Frühjahr 1920 Ausbildung an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste
1921–1929 Lehrtätigkeit am Staatl. Bauhaus in Leipzig bzw. Dessau
1929–1932 Lehrtätigkeit an der Staatl. Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau
1932–Mai 1933 Lehrtätigkeit an den Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe in Berlin
1933 Entlassung aus dem Staatsdienst
seit 1937 Diffamierung und Verfolgung der Werke als „entartete Kunst“, Rückzug in die „innere Emigration“
seit 1938 Übernahme praktischer Tätigkeiten zur Sicherung des Lebensunterhaltes
Weitere Angaben zur Person: Verheiratet: Oktober 1920 Helena Tutein, gen. „Tut“ (1889–1987), Nationalökonomin, Vertriebsleiterin in der Stuttgarter Firma ihres Onkels
Eltern: Vater: Carl Leopold Schlemmer (1833–1902), Buchhalter, selbständiger Kaufmann, seit 1881 bei der Württ. Vereinsbank in Stuttgart, Verfasser von Schwänken und Komödien
Mutter: Luise Wilhelmine („Mina“), geb. Neuhaus (1849–1906), Tochter eines Goldschmieds aus Heidenheim
Geschwister: 6: Henriette (geboren 1867); Wilhelm (geboren 1869), Buchbinder; Wilhelmine („Wilma“), verh. Morgenstern, emigrierte vor 1939 in die USA; Carl, Mitarbeiter seines Bruders Oskar u. a. am Triadischen Ballett und als Werkmeister im Bauhaus, kopierte einige Werke seines Bruders; Marie, verheiratet; kurz nach der Geburt verstorbenes Kind (geboren 1874)
Kinder: 3:
Karin (1921–1981), Schauspielerin;
Ute Jaina (1922–2010), Bühnenbildnerin;
Tilman (1925–1944?), gef. im Zweiten Weltkrieg
GND-ID: GND/118608088

Biografie: Peter Schiffer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 198-201

Oskar Schlemmer war das jüngste von sechs Kindern, der Abstand zu seinen Geschwistern war sehr groß. Die väterliche Familie stammt aus dem mittelfränkischen Altdorf, die der Mutter aus Heidenheim. Schon mit 18 wurde Schlemmer Vollwaise. Zur Entlastung seiner Eltern zog er 1899 zu seiner verheirateten Schwester Wilhelmine nach Göppingen, wo er die Realschule besuchte. Obwohl er Klassenbester war, brach er nach dem Tod des Vaters, der die Familie in finanzielle Not brachte, die Schulausbildung ab und zog im Oktober 1903 zu seiner unverheirateten Schwester Henriette nach Stuttgart. In der damals führenden Intarsienwerkstatt Wölfel und Kiessling trat der 15jährige eine Lehre an. Seit dem 1. Oktober 1904 besuchte er nebenher die Fortbildungsschule von Prof. Vogel, wo er Figurenzeichnen und Stillehre belegte.
Schlemmers eigentliches Ziel war, Maler zu werden. Nach der Lehre besuchte er die Kunstgewerbeschule in Stuttgart, brach diese Ausbildung aber schon nach einem Semester ab, da sie ihm zu „veraltet“ erschien und sie zu sehr dem Historismus verfangen wäre. Im Herbst 1906 wurde er als Stipendiat in die Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste aufgenommen. Nach einem Jahr Zeichenklasse bei Robert Poetzelberger und Christian Speyer kam er Winter 1907/08 zu Christian Landenberger in die Malklasse und 1909 in die Kompositionsschule von Friedrich von Keller. Damals begann die Freundschaft mit Otto Meyer-Amden und Willi Baumeister.
Im Sommer 1911 unterbrach Schlemmer seine Ausbildung, zog für ein Jahr nach Berlin, wo sein Bruder Carl lebte, und arbeitete als freier Maler. In der Reichshauptstadt lernte er ein reichhaltiges Kulturangebot kennen, welches ihm Anregungen, Vergleichskriterien und Erkenntnisse gab, die lange nachwirkten. Einflussreich war für ihn Herwarth Walden, der mit seiner Zeitschrift „Der Sturm“ und zahlreichen Ausstellungen in sämtliche europäischen Strömungen der modernen Kunst einführte. Schlemmer lernte hier den von Cézanne beeinflussten frühen französischen Kubismus kennen, dem er sich anschloss und dessen konsequentester Vertreter er bald in Deutschland war. Nach der Rückkehr, spätestens seit April 1913, wurde Schlemmer Meisterschüler bei Adolf Hölzel. Das Studium bei Hölzel bedeutete für Schlemmer keine blinde Gefolgschaft, sondern offene kritische Auseinandersetzung, die seine eigene künstlerische Entwicklung voran brachte. Er entwickelte sich allmählich zum „figuralen Konstruktivismus“.
1913 eröffnet Schlemmer in der ehemaligen Werkstatt seines Bruders Willi den „Neuen Kunstsalon am Neckartor“ als Avantgarde-Galerie, in der er und seine Freunde ausstellten. Die Galerie konnte sich nur ein Jahr halten. Zusammen mit Hölzel und dessen besten Schülern beteiligte sich Schlemmer am Wandbildzyklus in der von Theodor Fischer erbauten Eingangshalle der Kölner Werkverbundausstellung. Eine erste größere Auslandreise führte ihn nach Amsterdam, London und Paris.
Im Weltkrieg erlitt der Soldat Schlemmer Verletzungen am Fuß und am linken Arm. Nach längerem Lazarettaufenthalt diente er im Ersatzherr in Gaisburg (bei Stuttgart), wo ihm Zeit für seine Malerei blieb. Seit Herbst 1916 arbeitete er als Kartograph in der Gegend von Colmar, was ihm zusagte, da er mit Bildern und Zeichnen zu tun hatte. Damals wurde im großen Saal des Stuttgarter Stadtgartens die Urform des „Triadischen Balletts“ aufgeführt, bei dem er selbst neben dem Stuttgarter Tänzerpaar Burger als Tänzer auftrat. Es war eine Suite aus drei „Pas de deux“ in von Schlemmer entworfenen Kostümen und Bühnenbild. Das Werk wurde 1922 in der definitiven Fassung mit zwölf Tanzszenen im Stuttgarter Landestheater uraufgeführt, außerdem 1926 mit einer eigens dafür komponierten Musik von Paul Hindemith in Donaueschingen. Nach Kriegsende an die Stuttgarter Akademie zurückgekehrt, wurde der Dreißigjährige Delegierter der Studentenschaft, setzte sich für die Reform des akademischen Lehrbetriebs ein und unterstützte die Berufung von Paul Klee als Nachfolger Hölzels, konnte sich aber nicht durchsetzen. Als eine Art Kampfgruppe Schlemmers und seiner Freunde entstand die „Üecht-Gruppe“.
Eine Ausstellung im Berliner „Sturm“ Januar 1920 mit Werken vor allem Schlemmers zeigte, dass sein Werk schon über Stuttgart hinaus Anklang fand. Im Frühjahr verließ Schlemmer die Stuttgarter Akademie und im Herbst heiratete er die Mannheimerin Helena Tutein. Bei einem Besuch des Bauhauses in Weimar erhielt er von Walter Gropius das Angebot einer Meisterstelle, die er Januar 1921 antrat. Während der neun Jahre im Bauhaus (zunächst in Weimar, 1925 nach Dessau verlegt) leitete er abwechselnd und teilweise auch gleichzeitig die Stein- und Holzbildhauerei, die Wandmalerei und die Metallwerkstatt, die Bauhausbühne und den Unterricht „Der Mensch“. Auf der Bauhausausstellung 1923 demonstrierte Schlemmer seine Mehrfachbegabungen und trat gleichzeitig als Maler, Plastiker, Graphiker, Tanzgestalter und Wandmaler in Erscheinung. Sein Schaffen strebte nach einem „Gesamtkunstwerk“. In seiner Malerei stellte er seine Figuren nicht mehr in der Fläche auf, sondern gruppierte sie im Raum und öffnete eine perspektivische Tiefe. Die „Figur im Raum“ war zentrales Thema seines Werkes.
Im Herbst 1929 verließ Schlemmer das Bauhaus. Er machte sich vergeblich Hoffnung auf eine Professur in Stuttgart, erhielt jedoch schließlich ein Lehramt an der „Schlesischen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe“ in Breslau. In dieser Zeit wurden Schlemmers Malereien und die Anzahl der Figuren auf den Bildern größer. Die Bildräume, in die sie postiert sind, fielen monumentaler aus. Als im Oktober 1932 die Breslauer Akademie aufgelöst wurde, erhielt Schlemmer ein Lehramt im Fach „Perspektive für Maler und Bildhauer“ an den Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe in Berlin.
Das letzte Lebensjahrzehnt fällt in den Schatten der NS-Diktatur. Schon Oktober 1930 war Schlemmers Wandgestaltung im Werkstattgebäude des ehemaligen Bauhauses in Weimar auf Befehl der nationalsozialistischen Regierung in Thüringen mutwillig zerstört worden. Eine Einzelausstellung Schlemmers in Stuttgart 1933 musste kurz nach Eröffnung wegen nationalsozialistischer Drohungen geschlossen werden. Im Mai wurde Schlemmers Lehramt in Berlin, das er erst ein Semester lang ausgeübt hatte, fristlos gekündigt. Schlemmer zog sich in die „innere Emigration“ zurück, die er in den südbadischen Dörfern Eichberg (bei Stein am Rhein) und Sehringen (bei Badenweiler) sowie später in Stuttgart und Wuppertal verlebte. In Sehringen baute sich die Familie 1937 von der Erbschaft des Schwiegervaters ein Haus. Schlemmers Bilder wurden als „entartete Kunst“ diffamiert und mit Ausstellungsverbot belegt. Die NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München diffamierte fünf Werke von Schlemmer, etwa 50 seiner Bilder wurden aus den deutschen Museen entfernt. Um seine Familie ernähren zu können, übernahm Schlemmer rein handwerkliche Aufträge, u. a. für das Stuttgarter Malergeschäft Albrecht Kämmerer (u. a. Fassaden- und Deckengestaltung, Tarnanstrich für den Stuttgarter Gaskessel). 1940 fand er eine Beschäftigung im maltechnischen Labor der Lackfabrik Herberts in Wuppertal, wo er an maltechnischen Publikationen der Firma mitarbeitete. Hier entstand auch der Zyklus der 18 „Fensterbilder“.
Im Herbst 1942 machte sich ein schwerer akuter Diabetes bemerkbar, der von Schwächeanfällen und Depressionen begleitet wurde. Krankenhausaufenthalte in Stuttgart und Freiburg und der Sanatoriums-Aufenthalt in Baden-Baden halfen nur wenig. Am 13. April 1943 erlag Schlemmer im Alter von nur 54 Jahren einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem Stuttgarter Waldfriedhof bestattet.
Quellen: NL in der Staatsgalerie Stuttgart.
Werke: 1526 katalogisierte Werke, davon 751 Gemälde in Öl, 602 Bilder in Aquarell, Gouache, Tempera, Lavierung in Tinte oder Tusche sowie Collagen, 138 Zeichnungen in Pastell und Ölkreide oder Farbstift, 35 Plastiken und Reliefs. Werkeverzeichnis Karin von Maur: Oskar Schlemmer Bd. 2: Oeuvrekatalog der Gemälde, Aquarelle, Pastelle und Plastiken, 1979.
Schriften (Auswahl): Mensch und Kunstfigur, in: Die Bühne im Bauhaus, Bauhausbücher 4 (1924), 7-43; Die Bauhausbühne, in: Das Werk XV, 1928, 8-13; Alte und neue Oper, in: Bühnentechnische Rundschau, 14,5 (1930), 6 ff.; Zu meinen Wandbildern für das Museum Folkwang in Essen, in: Museum der Gegenwart I, 1931, 147-153; Zur Lage heutiger Kunst, in: Die Schlesischen Monatshefte IX (1932), 124-128; Perspektiven, Antrittsvorlesung vom 8.11.1932 an den Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe in Berlin, in: Karin von Maur, Schlemmer, 1979, Bd. I, 339-346; Entscheidungsstunde! Appell in Sachen Kunst, in: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 22.8.1933; Otto Meyer-Amden, Aus Leben, Werken und Briefen, 1934; Briefe und Tagebücher, hg. von Tut Schlemmer, 1958, 2. Aufl. 1977; Der Mensch, Unterricht am Bauhaus. Nachgelassene Aufzeichnungen redigiert, eingeleitet und kommentiert von Heimo Kuchling, Neue Bauhausbücher, 1969; Oskar Schlemmer. Idealist der Form. Briefe, Tagebücher, Schriften, hg. von Andreas Hüneke, 1990.
Bilder (Auswahl): Jagdschloss Grunewald, 1912; Homo, 1916; Bild K, 1916; Komposition auf Rosa, 1916; Plan mit Figuren, 1919; Tänzerin, 1922; Frauen am Tisch“, 1923; „Fünf Figuren im Raum=Römisches, 1925; Vorübergehender, 1925; Konzentrische Gruppe, 1925; Ruheraum, 1925; Zwölfergruppe mit Interieur, 1930; Vierzehnergruppe in imaginärer Architektur, 1930; Eingang zum Stadion, 1930/36; Geländerszene, 1932; Gruppe mit blauem Ekstatiker, 1932; Die Bauhaustreppe, 1932; Zyklus mit 18 Fensterbildern, 1942.
Wandbildzyklus in der Eingangshalle der Kölner Werkbundausstellung (4 Bilder), 1914 (Verbleib unbekannt); Wandgestaltung im Werkstattgebäude des Staatlichen Bauhauses Weimar 1923 (rekonstruiert), Wandbildzyklus für das Museum Folkwang Essen (nur teilweise erhalten), 1928 – 31.
Plastiken (Auswahl): Bauplastik R, 1919; Drahtfigur Homo mit Rückenfigur auf der Hand, 1930/31.
Bühnenwerke (Auswahl): Triadisches Ballett (Entwürfe und Choreografien), Urform 1916, Uraufführung 1922, 1926 mit Musik von Paul Hindemith; Bauhaustänze (Entwürfe und Choreografien), 1926 – 1929; Bühnen- und Kostümentwürfe für weitere 20 Bühnenwerke, u. a. Kurzopern von Paul Hindemith (Mörder, Hoffnung der Frauen und Das Nusch-Nuschi, beide 1921) und Arnold Schönberg (Die glückliche Hand, 1930).

Literatur: (Auswahl): Karin von Maur, Oskar Schlemmer Bd. 1: Monographie, 1979, mit ausführlicher Bibliographie der bis dahin erschienenen Literatur; Karin von Maur, Oskar Schlemmer. Maler, Plastiker, Choreograph, Bühnenbildner 1888 – 1943; in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken XVI 1986, 391-412; Oskar Schlemmer. Tanz Theater Bühne, hg. von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf und der Kunsthalle Wien, dem Sprengel Museum Hannover und dem Bühnenarchiv Oskar Schlemmer, 1994; Oskar Schlemmer: Tanz, Theater, Bühne (Vortragsreihe zur Ausstellung), Schriftenreihe der Kunsthalle Wien, 1997; Karin von Maur, Schlemmer, Oskar Alfred Victor, in: NDB 23 (2007), 59-61; Friederike Zimmermann, Mensch und Kunstfigur. Oskar Schlemmers intermediale Programmatik, 2007; Nicolaj van der Meulen, Zu Oskar Schlemmers Fensterbildern, in: Otto Meyer-Amden – Oskar Schlemmer, 2007, 78-117; Daniel Spanke, Konstruierter Apoll: Willi Baumeisters Apollbilder und der neue Mensch bei Otto Meyer-Amden und Oskar Schlemmer, 2011.
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