Weiß, John Gustav 

Geburtsdatum/-ort: 21.08.1857;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 14.06.1943;  Eberbach
Beruf/Funktion:
  • Bürgermeister, nationalliberaler Politiker
Kurzbiografie: 1866-1871 Lyzeum und Realgymnasium in Mannheim
1875-1877 Universität Heidelberg (Sanskrit, Staatswissenschaften)
1877-1878 Universität Straßburg
1878 Redakteur bei der nationalliberalen „Rhein- und Neckar-Zeitung“ in Mannheim
1879 Redakteur bei der „Ostdeutschen Zeitung“ in Thorn
1880-1881 Militärdienst als Einjähriger in Mannheim
1881 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Heidelberg
1881-1883 Vorbereitungszeit beim Rentamt in Adelsheim
1883-1893 Rentamtmann des Freiherrn von und zu Adelsheim
1893-1927 Bürgermeister in Eberbach
1895-1920 Vorsitzender des Verbandes der mittleren Städte Badens
1903 Berufung zum korrespondierenden Mitglied der Badischen Historischen Kommission
1903 Wahl in die Zweite Kammer als Abgeordneter der Nationalliberalen Partei
1905-1918 Vertreter der mittleren Städte in der Ersten Kammer
1927 Ehrenbürger der Stadt Eberbach
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1883 Julie Ruperta, geb. Hübschenberger(1855-1942)
Eltern: Vater: Georg Philipp Weiß (1823-1890), Handelskammersekretär in Mannheim
Mutter: Sarah, geb. Hedges (1832-1904)
Kinder: Hans (1884-1937)
Hilde (1887-1977)
GND-ID: GND/118630504

Biografie: Andreas Cser (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 308-310

Weiß entstammte einer Familie, die eng mit der industriellen Entwicklung Mannheims verbunden war. Während er von seinem Großvater, der als englischer Garantieingenieur den Aufbau der Mannheimer Dampfschiffahrt leitete, mit dem industriellen Fortschritt vertraut gemacht wurde, übernahm er durch den prägenden Einfluß seines Vaters die politischen Wertvorstellungen des kleindeutsch gesinnten Nationalliberalismus.
Versuche, den Beruf eines Kaufmanns zu erlernen und sich als Hauslehrer durchzuschlagen, gab Weiß nach kurzer Zeit auf. Seine intellektuellen Interessen veranlaßten ihn, ab 1875/76 an der Universität Heidelberg das Studium der Staatswissenschaften aufzunehmen und zusätzlich seinen orientalistischen Neigungen nachzugehen. Diese zweigleisige Anlage des Studiums wurde die Grundlage für eine Vielzahl späterer Veröffentlichungen über chinesische Philosophie bis zu sozial-, wirtschafts- und verfassungspolitischen Gegenwartsfragen. Viele der letzteren Untersuchungen sind aufschlußreich für das Selbstverständnis eines Teils des deutschen Bürgertums, das die ökonomische Modernisierung nicht mit der politischen Form des parlamentarischen Regierungssystems verbinden wollte. Weiß stand dabei nicht wie viele andere akademisch gebildete Vertreter des Bürgertums unter dem Einfluß von Treitschkes Lehre des nationalen Machtstaates, sondern vielmehr bildete der in der Staatstheorie seines Lehrers Johann Kaspar Bluntschli (1808-1881) entwickelte Organismusbegriff das Fundament seines politischen Denkens.
Nach kurzer journalistischer Tätigkeit in Mannheim und Thorn war Weiß zehn Jahre als Rentamtmann beim Freiherrn von und zu Adelsheim tätig. In dieser Zeit ordnete er im Auftrag der Badischen Historischen Kommission Adels- und Ortsarchive im Bauland. Dabei erwarb er sich die Voraussetzungen für seine bis heute anerkannten Stadt- und landesgeschichtlichen Arbeiten. Hervorzuheben sind insbesondere seine Stadtgeschichten von Eberbach (1900) und Weinheim (1911).
Mit der Wahl zum Bürgermeister von Eberbach (1893) begann die arbeitsreichste Phase seines Lebens. Während seiner vierunddreißigjährigen Amtszeit vollzog sich die Entwicklung Eberbachs vom kleingewerblich orientierten Amtsstädtchen zum industriellen Schwerpunktort im Buntsandsteinodenwald. Industrieansiedlung, Schaffung neuer Wohngebiete, Ausbau des Schulwesens, Bau der Neckarbrücke und des Krankenhauses sind Marksteine seiner kommunalpolitischen Tätigkeit. Zur Weiterführung seiner „Geschichte der Stadt Eberbach“ gründete er das „Eberbacher Geschichtsblatt“.
Als Kandidat der Nationalliberalen Partei wurde Weiß 1903 in die Zweite Kammer des Badischen Landtages gewählt. Es war vor allem sein Verdienst als Mitglied der Verfassungskommission, daß im Gefolge der Verfassungsreform von 1904 die Vertretung der mittleren Städte in der Ersten Kammer zustande kam. Bis zur letzten Wahl von 1913 wurde er ohne Unterbrechung als Vertreter dieser Städte in den Landtag gewählt. Seine guten Kontakte zur Nationalliberalen Fraktion in der Zweiten Kammer, seine rege Beteiligung an den Debatten der Ersten Kammer, vor allem aber seine federführende Rolle in vielen Ausschüssen machten ihn zu einer einflußreichen Gestalt des badischen Parlamentarismus. Seine Lebenserinnerungen bieten dem Historiker eine Fülle von Einsichten in die komplexen Beziehungen zwischen Regierung und Ständeversammlung in der letzten Phase des Konstitutionalismus, dessen körperschaftliches Vertretungsprinzip er vergeblich in die neue Verfassung von 1919 hinüberretten wollte. Gleichermaßen scheiterte er mit einem Plan zur Wiederherstellung der Kurpfalz.
Obwohl er nach 1919 als Bürgermeister nie in einen Loyalitätskonflikt mit der Regierung geriet, blieb sein Verhältnis zur neuen demokratischen Ordnung distanziert. Seine unter Rückgriff auf die „Idee des organischen Staates“ formulierte Kritik am Vertragsstaatsgedanken und an der egalitären Demokratie westlichen Musters brachte ihn in eine Affinität zum Nationalsozialismus. Hinzu kam eine Übereinstimmung mit dessen sozialpolitischen, zentralistischen, antisemitischen und antikommunistischen Vorstellungen. Weiß war jedoch andererseits zu sehr vom skeptischen Agnostizismus des englischen Soziologen Herbert Spencer (1820-1903) und der altchinesischen Philosophie bestimmt, um bedingungsloser Anhänger der nationalsozialistischen Weltanschauung mit ihren aktivistischen Konsequenzen zu werden. So verbrachte er seine letzten Jahre in resignativer Zurückgezogenheit mit philosophischen Studien und veröffentlichte historische Arbeiten, in deren Mittelpunkt die Sozial- und Verfassungsgeschichte Eberbachs und die Biographie Friedrichs V. von der Pfalz standen.
Werke: Lebenserinnerungen eines bad. Kommunalpolitikers, hg. und bearbeitet von Jörg Schadt unter Mitarbeit von Hans Ewald Keßler, Veröffentlichungen des StadtA Mannheim, Band 6, Stuttgart 1981; Bibliographie, bearb. von Christine H. Frodl und Ewald Keßler, in: Eberbacher Geschichtsblatt 81, 1982, 114-132.
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde von Erwin Emerich 1927, im Besitz der Stadt Eberbach.

Literatur: Ferdinand Haag, J. G. Weiß, Leben und Persönlichkeit, in: Festgabe zum 80. Geburtstag, in: Eberbacher Geschichtsblatt 1937, 4-10; Karl Glockner, Dr. Weiß im Landtag, a. a. O., 34-42; Erwin Gugelmeier, Bürgermeister Dr. Weiß und der Bad. Städtebund, a. a. O., 43-47; Herrmann Schmeißer, Der Bürgermeister Dr. J. G. Weiß, a. a. O., S. 10-16; Roland Vetter, Alt-Eberbach 1800-1975. Entwicklung der Bausubstanz und der Bevölkerung im Übergang von der vorindustriellen Gewerbestadt zum heutigen Kerngebiet Eberbachs, Heidelberg 1981; Andreas Cser, Zwischen Nationalliberalismus und Nationalsozialismus. – Zum politischen Denken von Bürgermeister Dr. J. G. Weiß (1857-1943), in: Eberbacher Geschichtsblatt 1985, 73-91.
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