Finke, Heinrich 

Andere Namensformen:
  • Johannes
Geburtsdatum/-ort: 14.07.1855; Krechting (Kreis Borken)
Sterbedatum/-ort: 19.12.1938;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1876 Abitur Gymnasium Paulinum Münster/Westfalen
Selbststudium als Hauslehrer
1879 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen (Bernhard Kugler)
1879-1886 Journalist, zwischendurch Stenograph des Reichstags und wissenschaftiche Hilfskraft bzw. Assistent im Staatsarchiv Schleswig
1886-1887 Forschungsaufenthalt in Rom
1887 Habilitation in Münster (mittlere und neuere Geschichte)
1891 außerplanmäßiger Prof.
1895-1896 in Breslau für Berufung zum ordentlichen Prof. vorgeschlagen
1897 persönlicher ordentlicher Prof. in Münster für Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit unter Einbeziehung der Hilfswissenschaften
1899 ordentlicher Prof. für die Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit in Freiburg i. Br.
1928 Emeritierung
1935 Adlerschild des Deutschen Reiches
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Geheimer Hofrat (Baden), Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin, München und Heidelberg, der R. Academia de Buenas Letras in Barcelona, des Institut d'Estudis Catalans, Ehrenmitglied der R. Academia de la Historia in Madrid, mehrfacher Ehrendoktor, Inhaber des Adlerschildes des Deutschen Reiches.
Verheiratet: 10.9.1892 Zoe (gest. 1943), Tochter von Carl Müller, Kunstmaler und Direktor der königlichen Kunstakademie in Düsseldorf
Eltern: Vater: Wenzel Finke, Handweber und Kleinbauer
Mutter: Maria, geb. Wiegers
Geschwister: 1 (Schwester)
Kinder: 3, Söhne Ludwig (1893-1915) und Carl (1896-1917), Tochter Zoe (1894-?)
GND-ID: GND/118683624

Biografie: Odilo Engels (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 87-89

Finkes Lebensweg ist der ungewöhnliche Aufstieg eines Autodidakten zum international anerkannten Gelehrten. Die Armut seines Elternhauses führte ihn bereits verspätet in das Gymnasium, verwehrte ihm ein reguläres Universitätsstudium und ermöglichte ihm eine ungestörte wissenschaftliche Betätigung erst seit dem Frühjahr 1886, als ihn der Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens mit der Fortsetzung des Westfälischen Urkundenbuches beauftragte. Nur eine robuste Konstitution, eine auch später noch viel bewunderte Schaffenskraft und Konzentrationsfähigkeit, eine rasche Auffassungsgabe und vor allem der Blick für das Wesentliche, aber auch ein Wille zum gesellschaftlichen Aufstieg ließen ihn einen so unkonventionellen Weg meistern.
Im reichhaltigen und weitgespannten Opus Finkes finden sich Arbeiten über Dante, den Briefwechsel Friedrich und Dorothea Schlegels und über die Nazarener; dennoch zeichnet sich das abendländische, speziell das romanische Spätmittelalter als das hauptsächliche Forschungsgebiet ab, und das hat tiefere Gründe. Den Zugang eröffnete Johannes Janssen mit dem Hinweis auf die Städtepolitik König Siegmunds, die sich als Dissertation leicht aus dem soeben erschienenen Band VII der Reichstagsakten erarbeiten lasse. Bereits seine im November 1886 eingereichte Habilitationsschrift beschäftigte sich mit den Quellen des Konstanzer Konzils; ihr folgten die sukzessive bis 1928 veröffentlichten „Acta concilii Constanciensis“. „Die Kirche und die weltlichen Mächte im 14. und 15. Jahrhundert“, wie der Titel seiner Antrittsvorlesung als Privatdozent lautete, war das eigentliche Programm, dem man die wissenschaftliche Leistung Finkes unterordnen könnte. Dahinter stand das Jugenderlebnis des Kulturkampfes. Auf der einen Seite litt Finke als gläubiger Katholik unter der kirchenfeindlichen Politik und Propaganda, auf der anderen Seite zählte er zu den Verehrern Bismarcks, den er selbst im Reichstag öfters hatte reden hören. Finkes wichtigere Veröffentlichungen, aber auch seine Arbeitsweise erscheinen wie Antworten auf Vorwürfe, die in tagespolitischen Erörterungen der Presse unterschwellig immer wieder auftauchten. Es ging um eine Aufarbeitung der Vorreformation, besonders unter Einschluß der unter konfessionalistischem Blickwinkel neuralgischen Punkte, aber auch um eine Überwindung „der wissenschaftlichen Inferiorität des deutschen Katholizismus in Leistung und Schätzung“ (Heimpel). Finke trug entscheidend zur Versachlichung der Frage nach dem Ausbruch der Reformation bei und arbeitete dem heutigen Erkenntnisstand vom Spätmittelalter als einer Epoche wiederholter Reformbemühungen, in die letztlich auch die Reformation einzuordnen ist, vor. Und als Inhaber eines konfessionsgebundenen Lehrstuhls bewies er, daß es möglich ist, auch in anderen Lagern wissenschaftliche Anerkennung zu finden, ohne den katholischen Standort aufgeben zu müssen.
Die Epoche der Vorreformation schon mit der Wende zum 14. Jahrhundert beginnen zu lassen, ergab sich für Finke nicht nur aus innerer Notwendigkeit, sondern auch durch den Zufall glücklicher Funde im Kronarchiv von Barcelona, das er 1901 auf der Suche nach Quellen zum Konstanzer Konzil besuchte. Sein Band „Aus den Tagen Bonifaz' VIII.“ konnte dabei an den 5. Band des Westfälischen Urkundenbuches anknüpfen, der die Papsturkunden für Westfalen bis 1304 behandelt hatte. Was Finke jedoch faszinierte, war die Herrscherpersönlichkeit Jakobs II. von Aragon (1291-1327), dessen noch unausgeschöpfte Korrespondenz er in den „Acta Aragonesia“ veröffentlichte; mit ihr machte er die Geschichtswissenschaft erstmals auf die tragenden Elemente aufmerksam, welche die Krone Aragon zur Vormachtstellung im Mittelmeerraum befähigten. Weil das Vermögen der Templer in der Krone Aragon anders behandelt wurde als in Frankreich, regte ihn Jakob II. aber auch zum zweibändigen Werk „Papsttum und Untergang des Templerordens“ an, welches das Templerproblem völlig neu löste und in einen gesamtgeschichtlichen Zusammenhang stellte.
Finkes Arbeitsweise blieb sich im wesentlichen gleich. Er gehörte noch einer Generation an, die ihre Hauptaufgabe im Aufspüren und in der Auswertung vor allem unbekannter Quellen sah. Es findet sich kaum eine Darstellung von ihm, die nicht wenigstens im Anhang neue Quellen vorlegte. Umgekehrt begegnet man aber auch keiner Edition aus seiner Feder, die nicht in einer ausführlichen Einleitung bereits die Grundlinien des Themas entwickelt hätte, und wenn es sich, wie in der Einleitung zum Westfälischen Urkundenbuch V, nur um grundlegende Beobachtungen zur Registerforschung im Vatikanischen Archiv handelte. Trotz unerbittlicher Strenge und sprichwörtlicher Arbeitsdisziplin war er kein Systematiker und Vollender; in seiner Ungeduld beschränkte er sich stets auf eine Auswahl der wichtigsten Quellen und zog in der auswertenden Darstellung eine erste, allerdings auch wegweisende Furche. Seiner großen und zum Teil auf die akademische Laufbahn vorbereiteten Schülerzahl blieb es dann vorbehalten, die Lücken zu füllen und zu bestätigen, daß der Lehrer bereits das Wesentliche erfaßt habe. Nach seiner Emeritierung arbeitete Finke an einer Geschichte der mittelalterlichen Weltanschauung, für die er Jahrzehnte hindurch gesammelt hatte, kam aber über verschiedene Anläufe nicht hinaus. Es war nicht etwa ein fehlender Sinn für das Künstlerische, der ihn daran hinderte, sondern, wie er selbst behauptete, ein Mangel an philosophischer Kenntnis. Es ist bezeichnend für seine Selbsteinschätzung als ein stets Unfertiger, daß er im hohen Alter noch beschloß, „Philosophie zu lernen“.
Ein zeitlebens wacher Sinn für das Aktuelle beflügelte Finke auch zur führenden Teilnahme an wissenschaftsorganisatorischen Aufgaben. Bereits sein erster Forschungsaufenthalt in Rom brachte ihn in engen Kontakt mit dem römischen Campo Santo. Zusammen mit dessen Rektor Anton de Waal begründete er 1887 die „Römische Quartalschrift“, deren historischen Teil er 1892-1897 als Herausgeber auch redigierte. Es liegt auf der Hand, daß er 1888 noch nicht zu den Gründungsvätern des Preußischen Historischen Instituts in Rom gehören konnte, aber die zu dessen Aufgabenbereich gehörende Bearbeitung des „Repertorium Germanicum“ geht auf eine Anregung Finkes zurück. Und es ist bezeichnend für die damalige wissenschaftspolitische Situation, daß Finke ebenfalls 1888 für die Errichtung des römischen Instituts der Görres-Gesellschaft sorgte. Der Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens nahm die Fertigstellung des Bandes VI 1 des Westfälischen Urkundenbuches („Die Urkunden des Bistums Paderborn 1251-1300“) zum Anlaß, Finke 1894 zum Direktor seiner Münsterschen Abteilung zu wählen. Als solcher gründete Finke 1896 die Historische Kommission und die Altertumskommission Westfalens. Seine Archivreisen in ganz Europa ließen ihn 1901 an die Errichtung eines historischen Forschungsinstituts in Paris oder London denken; aber erst seine Wahl zum Präsidenten der Görres-Gesellschaft von 1924 eröffnete die Möglichkeit, 1925 die Planung eines solchen Instituts der Görres-Gesellschaft in Madrid konkret in Angriff zu nehmen. Seine vielen mit Themen aus der spanischen Geschichte beschäftigten Schüler schließlich gaben ihm die Zuversicht, mit den 1928 begründeten „Spanischen Forschungen“ ein über seinen Tod hinaus lebensfähiges Organ zur Förderung der Begegnung mit der spanischen Kultur geschaffen zu haben. Als Mitherausgeber betreute er das „Archiv für Kulturgeschichte“, das „Historische Jahrbuch“ und die „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“.
Nicht zu unterschätzen sind die vielfältigen menschlichen Kontakte, die Finke mit Vertretern der spanischen Wissenschaft unterhielt. Seine Mittlertätigkeit von Freiburg aus war so bedeutsam, daß Hitler es 1935 angesichts der überwältigenden spanischen Glückwunschbewegung aus außenpolitischen Gründen für opportun hielt, dem Achtzigjährigen den Adlerschild des Deutschen Reiches zu verleihen. Finkes Schüler wußten, daß mit der Annahme dieses Ersatzes für den einem Deutschen verbotenen Nobelpreis kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus verbunden war. Den Ersten Weltkrieg hatte Finke als ein Deutschland aufgezwungenes Unrecht betrachtet, ihm seine beiden Söhne opfern müssen und die erneute Machtentfaltung des Reiches nicht ungern gesehen, als Präsident aber auch der Görres-Gesellschaft vorgestanden, die gleich nach seinem Tod zwangsweise aufgelöst wurde.
Werke: (Auswahl): Bibliographie von J. H. Beckmann, in: HJb 55, 1935, 466-477; ders., (Freiburg 1935) ein Verzeichnis der von Finke betreuten Dissertationen; Forschungen und Quellen zur Geschichte des Konstanzer Konzils (1889); Die kirchenpolitischen und kirchlichen Verhältnisse zu Ende des Mittelalters nach der Darstellung Karl Lamprechts (1896); Acta concilii Constanciensis I-IV (1896-1928); Karl Müller, sein Leben und künstlerisches Schaffen (1896); Genetische und klerikale Geschichtsauffassung (1897); Der Madonnenmaler Franz Ittenbach (1898); Fürst Bismarck (1899); Aus den Tagen Bonifaz' VIII. (1902); Papsttum und Untergang des Templerordens I-II (1907); Acta Argonensia, I-III u. Nachträge (1908-1933); Die Frau im Mittelalter (1916); Universität und Stadt Freiburg in ihren wechselseitigen Beziehungen (1920); Der Briefwechsel Friedrich und Dorothea Schlegels 1818-20 während Dorotheas Aufenthalt in Rom (1923).
Autobiographisches: Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellung I, hg. v. S. Steinberg, 1925, 91 ff.; Aus einem spanischen Tagebuche, in: Hochland, 1927; 50 Jahre Hochschullehrer, in: Bocholter-Borkener Volksblatt vom 13. 7. 1937; Heinrich Hansjakob und seine Anfänge als Historiker 1938.
Festschriften: Festgabe . . . H. Finke zum 7. August 1904 gewidmet von seinen Schülern, 1904; Aus dem Gebiet der mittleren und neueren Geschichte. Eine Festgabe zum 70. Geburtstag . . . 1925.
Nachweis: Bildnachweise: Gesammelte Aufsätze z. Kulturgesch. Spaniens 9, 1954 und 11, 1955, jeweils vor S. 1.

Literatur: Nachrufe von J. Spörl, in: HJb 58, 1938, 241-248; H. Heimpel, in: HZ 160, 1939, 534-545; M. Grabmann, in: SB d. Bayer. Ak. d. Wiss., phil. hist. Kl., 1939, 15-17; J. Vincke, in: ZSRG Kan. Abt. 59, 1939, 687-690; E. Krebs, in: Jber. d. Görres-Gesellschaft 1938 (1939), 15-49; O. Redlich, in: Almanach d. Ak. Wien 89, 1939, 291-294; P. M. Baumgarten, Römische und andere Erinnerungen, 1927; Finke Meinecke, Straßburg-Freiburg-Berlin, 1949, 79 ff.; G. Schreiber, Deutsche Wissenschaftspolitik von Bismarck bis zum Atomwissenschaftler O. Hahn, 1954, 66 f.; W. Spael, Die Görres-Gesellschaft 1876 bis 1941, 1957; C. Bauer, Die Geschichtswissenschaft in Freiburg, in: Beiträge zur Geschichte der Freiburger Phil. Fakultät, 1957, 183-202; J. Vincke, Wilhelm Neuß und die Anfänge der „Spanischen Forschungen“, in: Gesammelte Aufsätze z. Kulturgesch. Spaniens 18, 1961, 325-345; Zur Geschichte der Univ. Freiburg i. Br., hg. v. J. Vincke (Beih. z. Freiburger Wissenschafts- u. Universitätsgeschichte H. 33, Freiburg/Br. 1906), 235-242; B. Horten, H. Finke als Historiker der Vorreformation (Diss. masch. Innsbruck 1966).
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