Geiselmann, Josef Rupert 

Geburtsdatum/-ort: 27.02.1890; Neu-Ulm
Sterbedatum/-ort: 05.03.1970;  Tübingen, beigesetzt in Ulm (Hauptfriedhof)
Beruf/Funktion:
  • römisch-katholischer Theologiehistoriker und Dogmatiker
Kurzbiografie: 1897-1900 Elementarschule Ulm
1900-1903 Realgymnasium Ulm
1903-1910 Gymnasium Ehingen a. D., Konkurs
1910-1914 Studium der katholischen Theologie in Tübingen, daneben private Studien der Altphilologie
1914-1915 Priesterseminar Rottenburg a. N.
1915 (06.07.) Priesterweihe Rottenburg a. N.
1915-1919 Vikar in Heilbronn
1919-1925 Repetent am Wilhelmsstift Tübingen
1922 Dr. theol. (magna cum laude) Tübingen
1925 Habilitation, Wissenschaftlicher Hilfsassistent und Privatdozent für Dogmatik Tübingen
1930 außerordentlicher Professor Tübingen
1934 ordentlicher Professor für scholastische Philosophie und Apologetik Tübingen
1935-1945 Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen
1949 zunächst Vertretung, 1950 definitiver Wechsel auf den Lehrstuhl für Dogmatik in Tübingen
1958 (31.03.) Emeritierung
1965 Großes Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Modestus Geiselmann (1864-1961), Verwaltungssekretär
Geschwister: Julie, geb. Wegerer (1865-1931)
Kinder: 2
GND-ID: GND/118690124

Biografie: Abraham Peter Kustermann (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 105-106

In der Rückschau läßt sich das theologische Lebenswerk Geiselmanns am ehesten mit einem seiner Buchtitel auf die Formel bringen: „Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung“ (1942). Die Überlieferung des christlichen Glaubens als solche wie einzelner theologischer Deutungen seiner Inhalte in recht verschiedenen Zeiten und Milieus waren das Sujet, dem er ohne ausgeprägte Weitläufigkeit in selbstgewählter Bindung an seine schwäbische Heimat und die Diözese Rottenburg zeitlebens zugewandt blieb. Auch Rufe an die Catholic University Washington (1929) und nach Freiburg i. Br. (1937), die ihm zeitiger den angestrebten Lehrstuhl für Dogmatik verschafft hätten, vermochten nicht, ihn in dieser Bindung zu irritieren oder sich auf eine äußerlich ereignisreichere Gelehrtenexistenz einzulassen.
Die Erinnerung an Geiselmann ist mit seiner Generation weithin geschwunden. Weder hat Geiselmanns Persönlichkeit seit seinem Tod mehr eine eingehende Würdigung erfahren, noch werden Anknüpfungen an sein Werk seither in nennenswerter Häufigkeit ausdrücklich gemacht.
Vermutlich unter dem Einfluß seines Lehrers K. Adam (1876-1966) wie von der damaligen „Liturgischen Bewegung“ angestoßen, konzentrierte sich Geiselmann anfänglich auf die Eucharistielehre der Vor- und Frühscholastik. Seine kommentierenden und editorischen Leistungen auf diesem Gebiet – theologie- bzw. dogmengeschichtliche Beiträge von anerkannter Erudition, die auch zur Korrektur dogmatistischer Positionen beitrugen – prädestinierten ihn später zur Mitherausgabe des „Handbuch[s] der Dogmengeschichte“ (1951 ff.). Den mediävistischen Forschungsstrang verfolgte Geiselmann zeitlebens mit Aufmerksamkeit, naturgemäß immer wieder selbst mit größeren oder kleineren Beiträgen.
Zu Beginn der dreißiger Jahren, verstärkt seit den vierziger, wandte sich Geiselmann mit großer Geste den Theologen der sogenannten „Katholischen Tübinger Schule“ zu, namentlich J. S. Drey, J. E. Kuhn und mit besonderem Vorzug J. A. Möhler. Die wegen zunehmenden Alters nur mehr teilweise realisierte Absicht, dessen Werke in historisch-kritischer Neuausgabe herauszubringen, waren für lange das umfassendste Unternehmen zur Sicherung der Quellen der frühen Tübinger Theologie und trugen nicht wenig zu ihrer theologischen Rezeption bei. In seiner Interpretation der Gedankenwelt der „Schule“ sah er sich unter Zurückweisung anderer Zugangswege exklusiv der „geistesgeschichtlichen“ Methode verpflichtet – von ihm als Eigentümlichkeit reklamiert und in der Folge zuweilen so gewertet. Die in umfänglichen Werken niedergelegten Forschungen sind deutlich geprägt vom Willen zu ihrer systematischen Aktualisierung im Rahmen der Erkenntnisbildung der katholischen Theologie seiner Zeit. Unüberhörbar war daneben Geiselmanns Anspruch auf Vertretung bzw. Weiterführung der „Schule“ in eigener Person; so in seiner 1964 abschließend formulierten Maxime, „das wahre Bild unserer Schule, die heute noch lebendig ist, zu zeichnen“. Die seinerzeit monopolartige Stellung Geiselmanns wird neuerdings jedoch zunehmend in ihren problematischen Seiten entdeckt. Ebenso behauptet sich neuerdings Kritik an methodischen Einseitigkeiten seines Konzepts, einzelnen Resultaten sowie an dem von ihm auf strikte innere Kohärenz festgelegten Bild der „Katholischen Tübinger Schule“ insgesamt.
Ausgehend von der Lehre der Tübinger über die Tradition („mündliche Überlieferung“) des christlichen Glaubens, wandte sich Geiselmann seit Mitte der fünfziger Jahre diesem Thema in theologiegeschichtlichem, bibeltheologischem und dogmatischem Neueinsatz zu. Seine in mehreren Schriften dann zur systematischen Position weiterentwickelte Analyse der Trienter Konzilslehre fand in der katholischen Theologie – zum Mißfallen der römischen Instanzen – rasch weitgehende Zustimmung, in der Ökumene beifälligen Widerhall. Gegen eine „Zwei-Quellen-Theorie“ der Offenbarung erhärtete sie die Auffassung von der inhaltlichen Vollständigkeit (materiale Suffizienz) der Heiligen Schrift, die lediglich zu ihrem rechten Verständnis, nicht sachlicher Ergänzungen halber, der Tradition bedürfe (modale Insuffizienz). Mit dieser Leistung, die die entsprechenden Aussagen des II. Vatikanischen Konzils mit vorbereitete, errang sich Geiselmann internationales Ansehen, von dem nicht zuletzt die Festschrift zu seinem 70. Geburtstag (1960) zeugt.
Bei Schülern Geiselmanns wie J. Betz, H. Fries und W. Kasper finden sich manche seiner Ansätze selbständig weitergeführt. Seine Tübinger Mitwelt erlebte den schwäbischen Forscher und Lehrer in fast 40 Jahren akademischen Wirkens als eigenwilligen und urwüchsigen Charakter, durchaus mit Ecken und Kanten. Zum Bild seiner Persönlichkeit gehören schließlich sein zuweilen realistisch-derber Humor, Züge von Leidenschaftlichkeit, ein unermüdlicher Fleiß und nicht zuletzt eine auffallende Scheu, Einblick in sein Inneres zu geben.
Werke: Vollständige Bibliographie bis 1.8.1959 in: J. Betz/H. Fries (Hg.), Kirche und Überlieferung, Josef Rupert Geiselmann zum 70. Geburtstag [...], Freiburg i. Br. 1960, 367-371 (W. Kasper). Danach (Auswahl): J. A. Möhler, Gesammelte Werke, hg. von Josef Rupert Geiselmann, Bd. III/2: Zum Verständnis der Symbolik, Köln/Olten (und Darmstadt) 1960; Art. Dogma, Art. Jesus Christus, Art. Offenbarung, Art. Tradition, in: Handbuch theologischen Grundbegriffe I-II, München 1962/63; Die Heilige Schrift und die Tradition. Zu den neueren Kontroversen über das Verhältnis der Heiligen Schrift zu den nichtgeschriebenen Traditionen, Freiburg i. Br. 1962 (englisch: Freiburg i. Br./London 1966; katalanisch: Barcelona 1968); Die Katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart, Freiburg i. Br. 1964; Jesus der Christus, München 2. Aufl. 1965 (italienisch: Rom 1967); Die Abendmahlslehre an der Wende der christlichen Spätantike zum Frühmittelalter. Isidor von Sevilla und das Sakrament der Eucharistie, [München 1933]Nachdruck Hildesheim 1989
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: H. Fries und W. Kasper (siehe oben); Attempto 35/36, 1970, 85; Das Katholische Württemberg, hg. von Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ulm 1988, 294

Literatur: H. Fries, Ein echter Vertreter der katholischen Tübinger Schule. Professor Dr. Josef Rupert Geiselmann zu seinem 70. Geburtstag, in: Deutsches Volksblatt Nr. 48, 27.02.1960; W. Kasper, Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Professor Dr. Josef Rupert Geiselmann zum 75. Geburtstag, in: Deutsches Volksblatt Nr. 48, 27.02.1965; ders., Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Zum Tod von Prof. Dr. Josef Rupert Geiselmann, in: Katholisches Sonntagsblatt Nr. 12, 22.03.1970; L. Scheffzcyk, Josef Rupert Geiselmann zum Gedächtnis, in: Attempto 35/36, 1970, 84-86; ders., Josef Rupert Geiselmann – Weg und Werk, in: Theologische Quartalschrift 150, 1970, 385-395; A. P. Kustermann, Die Apologetik Johann Sebastian Dreys (1777-1853). Kritische, historische und systematische Untersuchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36), Tübingen 1988, bes. 54-88
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