Geyer, Wilhelm Adolf 

Geburtsdatum/-ort: 24.06.1900;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 05.10.1968;  Ulm, bestattet auf dem Städt. Friedhof
Beruf/Funktion:
  • Maler, Glasmaler, Grafiker, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1918 Abitur, anschließend Kriegsdienst
1919–1926 Studium d. Malerei an d. Akademie d. bildenden Künste Stuttgart bei Christian Landenberger (1862–1927) u. Heinrich Altherr (1878–1947); Meisterschüler von Christian Landenberger
1926–1927 Zeichenlehrer in Rottweil
1927 Übersiedlung nach Ulm, Syrlinstraße; Mitbegründer d. Stuttgarter Neuen Sezession
seit 1937 „entarteter“ Künstler u. Entfernung seiner Arbeiten aus Museen
1940–1942 Kriegsdienst
1942–1943 Atelieraufenthalt in München
1943 mehrmonatige Gestapo-Haft in München-Neudeck
1945 Mitbegründer d. Gesellschaft Oberschwaben
1947 Mitbegründer d. Oberschwäbischen Sezession, heute SOB, Sezession Oberschwaben Bodensee
1953 Errichtung des Atelier- u. Wohnhauses in Ulm, Am Eselsberg
1953–1968 Vorstandsmitglied d. Dt. Gesellschaft für Christliche Kunst, München, Vorstandsmitglied d. Société internationale des Artistes Chrétiens
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Oberschwäbischer Kunstpreis (1954); Goldmedaille für Glasmalerei d. Internationalen Biennale für Christliche Kunst, Salzburg (1957); Professor des Landes Baden-Württemberg (1960); Bürgermedaille d. Stadt Ulm (1967)
Verheiratet: 1927 (Ulm) Clara, geb. Seyfried (1904–1998)
Eltern: Vater: Wilhelm (1870–1922), Standesbeamter d. Stadt Stuttgart
Mutter: Anna, geb. Volz (1870–1969)
Geschwister: 2; Martha (1904–1931), Erzieherin, u. Klara (1911–2006), Pfarrhaushälterin, Leiterin eines Altersheims
Kinder: 6;
Wilhelm (geboren 1929), Lehrer, lebt in Munderkingen;
Elisabeth (geboren 1931), Weberin,
Peter (geboren 1932), Architekt,
Hermann (geboren 1934), bildender Künstler,
Michael (geboren 1936), Lehrer, alle in Ulm lebend,
u. Martin (geboren 1942), Architekt, in Dornstadt lebend
GND-ID: GND/118694499

Biografie: Clemens Ottnad (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 141-144

Bereits als 13-jähriger zeigte sich Geyer begeistert von Arbeiten des Malers Lovis Corinth (1858–1925), mit dessen Ausstellung 1913 das neue Kunstgebäude Stuttgart am Schlossplatz eröffnet wurde. Verkörperte dieser als einer der prominentesten deutschen Künstler seiner Zeit im besonderen Maße eine Symbiose von spätimpressionistischer Malerei und expressionistischem Ausdruck in Figurengestus und Farbe, so fand sich der Student Geyer bei seinen Lehrern Christian Landenberger und Heinrich Altherr an der Stuttgarter Kunstakademie in dem Spannungsfeld dieser zwei sich eigentlich widerstrebenden Bildauffassungen der Epoche wieder. Die unter dem Einfluss des ebenfalls in Stuttgart unterrichtenden Adolf Hölzel (1853–1934) weit avantgardistischeren Tendenzen zur Abstrahierung des menschlichen Körpers und des Gegenstandes hinterließen auch in Geyers Frühwerk ihre Spuren. Zeitlebens blieb er jedoch Bildkompositionen verhaftet, die bei allen formalen Auflösungserscheinungen seiner malerischen Landschaftsdarstellungen, Garten- und Reisebilder, Ateliersituationen und Interieurs, Portraits und Familienbilder doch dem erkennbaren Bildgegenstand treu geblieben sind. Vor allem aber in seinen zahlreichen Glasgestaltungen entwickelte er kontinuierlich eine eigenständige Ausdruckssprache, deren Linienführung größeren Bezug auf die Zeichnung und Druckgraphik der deutschen Expressionisten nahm, und in der Kombination mit starken Farbkontrasten in der Fläche eine bis dahin ungewohnte Lichtwirkung entfaltet. Diese steht so einem expressiven Kolorismus nahe, mit dem Künstler wie Hölzel oder Johannes Itten (1888–1967) die Farbe selbst als Bedeutungsträger definiert hatten.
Neben den Künstlerfreunden der Studienzeit wie Hans Fähnle (1903–1968), Franz Frank (1897–1986) oder Walter Wörn (1901–1963), schloss sich Geyer schon früh progressiv denkenden katholisch Theologen an. Mit Hermann Breucha (1902–1972), dem Mitbegründer der „Una Sancta-Bewegung“ in Stuttgart (1941), befreundete er sich ebenso, wie er Mitglied der 1909 entstandenen katholischen Jugendbewegung „Quickborn“ unter Führung des italienischen Religionsphilosophen Romano Guardini (1885–1968) wurde. Noch ohne kirchliche Aufträge, aber mit einer profunden theologischen Bildung versehen, setzte sich Geyer so seit Beginn der 1920er-Jahre intensiv mit religiösen Themen auseinander. Erste großformatige Werke folgten, wie der vierflügelige Altar des Kirchenjahres (1925/26, Dauerleihgabe in der Städtischen Galerie Böblingen) und das Chorwandfresko von St. Maria Suso in Ulm (1928); ein erster Auftrag für eine Glasgestaltung betraf 1935 die Kirche St. Dionysius in Magolsheim bei Münsingen. Zusammen mit den Malern Manfred Henninger (1894–1986), Alfred Lehmann (1899–1979), Manfred Pahl (1900–1994) und Gustav Schopf (1899–1986) gründete Geyer 1929 die Stuttgarter Neue Sezession, deren Vorsitz er 1931 übernahm. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren Werke Geyers in verschiedenen Gruppenausstellungen zu sehen und von der deutschen Kunstkritik teilweise enthusiastisch rezipiert worden. Mit der „NS-Gleichschaltung“ hörte diese Künstlervereinigung 1933 faktisch, 1937 dann auch formal aufzu bestehen.
Im Zuge einer 1937 einsetzenden Pressekampagne gegen den damaligen jüdischen Direktor des Ulmer Museums Julius Baum (1882–1959) wurde auch die künstlerische Arbeit Geyers., der 1927 in die Donaustadt übersiedelt war und eine Familie gegründet hatte, als „entartet“ diffamiert. Noch im selben Jahr wurden seine Werke aus Museen in Ulm, Stuttgart und anderen Sammlungen entfernt, der Lebensunterhalt als freier Künstler gestaltete sich zunehmend schwierig. In den Jahren 1942/43 hielt sich Geyer im Münchener Atelier des befreundeten Architekten Manfred Eickemeyer (geboren 1903) auf, um dort beispielsweise am Entwurf der monumentalen Glasfassade für St. Margareta in Margrethausen (Albstadt) zu arbeiten, die erst nach Kriegsende realisiert werden konnte. In der bayerischen Metropole lernte er rasch die regimekritischen katholischen Schriftsteller Theodor Haecker (1879–1945) und Carl Muth (1867–1944), den Herausgeber der Kulturzeitschrift „Hochland“ (1903–1941), kennen. Eickemeyer war zumeist in den von den Deutschen besetzten Gebieten tätig und gestattete Geyer die Nutzung des Rückgebäudes in der Leopoldstraße 32 als Arbeitsräume. Mindestens während der Wochenendheimfahrten zu seiner Familie überließ Geyer dieses Atelier wiederum Sophie (1921–1943) und Hans Scholl (1918–1943), mit deren Familie er schon aus Ulm vertraut war, für Zusammenkünfte ihres Widerstandskreises. Dort wurden diejenigen Flugblätter gedruckt, deren Verteilung schließlich zur Verhaftung der Geschwister sowie der Mitkämpfer der „Weißen Rose“ (1942–1943) führen sollte. Zwar wurden auch Geyer und Eickemeyer von der Gestapo verhaftet, entgingen aber mit dem Freispruch eines Sondergerichtes vom 13. Juli 1943 im Unterschied zu den Scholls, die im Februar 1943 verurteilt und hingerichtet wurden, der Ermordung. Aus der 100-tägigen Untersuchungshaftzeit Geyers sind eine Reihe von Briefen und Zeichnungen mit Selbstbildnissen überliefert, die die lebensbedrohliche Situation eindrucksvoll dokumentieren.
Während des Krieges schuf Geyer vorrangig großangelegte graphische Zyklen wie die Lithographienfolge „Bildgedanken zu den Sonntagsevangelien“ (1940–1943), „Hiob“ (1943–1944) oder die mit Werner Oberle (1912–1990) ausgetauschten Malbriefe „Über das Johannes-Evangelium“ (1942–1943), deren metaphorischer Gehalt als eine die offizielle Staatsdoktrinen ablehnende innere Emigration zu entschlüsseln war. Dass diese Reihen in ihrer Gesamtheit als existenziell menschlicher Ausdruck und nicht als bloß narrative Illustrationen zu sehen sind, zeigen ebenso die später angelegten Zyklen wie „Abraham und David“ (1944–1948, insgesamt 65 Handzeichnungen) bis hin zu der kurz vor seinem Tod entstandenen 40-teiligen Lithographienmappe „Markus“ (1967–1968). Weitere umfangreiche Konvolute von Arbeiten auf Papier betreffen 600 erhaltene Aquarelle und Pastelle, die auf ausgedehnte, zu verschiedener Zeit unternommene Reisen zurückgehen, sowie 400 aquarellierte Blumendarstellungen. Letztlich ist jedoch das gesamte umfangreiche Œuvre Geyers im Bereich der Glasmalerei und Wandgestaltungen ebenfalls ganz dem zeichnerischen Werk des Künstlers verpflichtet. Dieser Einfluss erstreckt sich ebenso auf die bis um 1945 entworfenen Sgraffiti-Fassadengestaltungen, die späteren Freskomalereien und Glasbetonfenster, wie auf experimentelle Arbeiten in Mosaik, Keramik oder Wandbilder in der heute kaum gebräuchlichen Ziegelriemen-Technik.
Infolge der vielen durch Kriegseinwirkungen zerstörten oder beschädigten Kirchengebäude eröffnete sich für Geyer nach 1945 und besonders intensiv seit den 1950er-Jahren ein umfassendes Auftragsgebiet. Nicht nur standen gestalterische Neufassungen verlorengegangener Verglasungen oder deren Renovierungen in den noch erhalten gebliebenen historischen Sakralarchitekturen an, der Zuzug zahlreicher heimatvertriebener Flüchtlinge sorgte auch für einen zunehmenden Bedarf neuer Gebets- und Versammlungsräume. So entstanden zu Lebzeiten Geyers allein in der Diözese Rottenburg etwa 380 neue Kirchen. Angesichts von über 1000 Glasgestaltungen, Wandgemälden, Flügelaltären und Einzelgemälden, die der Künstler in annähernd 200 Sakralbauten als Lebenswerke geschaffen hat, kann man Geyer mit Recht als einen Erneuerer der christlichen Bildkunst des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Neben Georg Meistermann (1911–1990) und Hans-Gottfried von Stockhausen (1920–2010) war damit kein anderer Glasmaler im deutschsprachigen Raum annähernd so produktiv wie Geyer Seine Entwürfe konnte er für Kapellen und Stadtpfarrkirchen bis hin zu den deutschen Domen realisieren, vorwiegend in Baden-Württemberg, aber auch für St. Viktor in Xanten (1949), den Aachener (1955) und Kölner Dom (1956) oder die Liebfrauenkirche in München (1961). Dabei kam Geyer entgegen, dass die Arbeit an vielfigurigen Buntglasfenstern in der althergebrachten Technik der Bleiverglasung –mit farbigen Scherben und den sie begrenzenden Bleiruten, in kleinteilige Felder rhythmisiert – gewissermaßen seinem zeichnerischen Denken in fortlaufenden Darstellungszyklen entsprachen.
Im Bewusstsein mittelalterlicher Traditionen, des Kanons christlichen Heilsgeschehens und der überlieferten Hagiographie folgte er weitgehend den historischen architektonischen Gegebenheiten. So setzte Geyer beispielsweise feingliedrige gotische Figurenkompositionen gekonnt in Beziehung zu zeitgenössischen Ornamentfeldern, isolierte aber andererseits seine stark kontrastierenden Farbakkorde ins expressiv Zeichenhafte, das sich in der für seine Arbeit charakteristischen gedrängten Vielfigurigkeit als zelluläres Farblicht neu transzendiert erweist. Der Umstand, dass bei der Neugestaltung von Barockkirchen in der Regel die historische Klarverglasung der Seitenschiffe beibehalten und nur die Chorfenster mit zeitgenössischen Entwürfen farbig gefasst wurden, lässt Geyers Glasmalereien in Süddeutschland zumeist in den Hauptblickachsen erscheinen.
Neben einer regen Vortragstätigkeit, die allerdings kaum dokumentiert ist, engagierte sich Geyer nach Kriegsende wieder verstärkt in verschiedenen kunstpolitischen Gremien. Mit widerständig gleichgesinnten Künstlerfreunden wie HAP Grieshaber, mit dem er besonders über Malbriefe korrespondiert hatte, Walter Wörn oder dem während der NS-Zeit emigrierten Hans Gassebner (1902–1966) nahm er an den ersten bedeutenden Gruppenausstellungen in den provisorisch wieder restituierten Stuttgarter Ausstellungsinstitutionen teil. 1947 formulierte Geyer den Entwurf einer Denkschrift zur Wiedereröffnung der Akademie der Bildenden Künste in der Landeshauptstadt. Als ehedem „entartet“ aus der „Ulmer Künstlergilde“ ausgeschlossen betrieb Geyer nach dem Krieg maßgeblich die Gegengründung der „Gesellschaft 50“ in Ulm und wirkte außerdem als Ausschussmitglied im „Kunstverein Ulm“ mit. Unter der Leitung von Inge Aicher-Scholl (1917–1998), einer Schwester von Hans und Sophie Scholl, arbeitete er an einer der ersten Volkshochschulgründungen Deutschlands mit und war an der Wiederaufnahme der Lehrwerkstatt der „Ulmer Schule“ beteiligt. Der Versuch Geyers, bei der Initiierung der „hfg –Ulmer Hochschule für Gestaltung“, die zuvorderst von Otl Aicher (1922–1991) und dessen Frau vorangetrieben wurde, dem Medium der klassischen Malerei eine angemessene Stellung zu verschaffen, scheiterte hingegen. In der Atmosphäre eines Nachkriegsdeutschlands, in dem sich die Intelligenz nach US-amerikanischem Vorbild ausschließlich auf eine der Abstraktion verpflichteten Bildkunst konzentrierte, wurde Geyer als ein ganz der Figürlichkeit, religiösen Sujets und den überkommenen mittelalterlichen Handwerkstraditionen verhafteter Maler vielfach als antiquiert betrachtet. Als ein herausragender Vertreter des Expressiven Realismus gehört er damit umso mehr der sogenannten verschollenen Generation deutscher Künstlerinnen und Künstler an. HAP Grieshaber dagegen bezeichnete Geyer in dessen Sterbejahr 1968 in einem Katalogtext in einem Atemzug mit Lovis Corinth als einen „Rebellen“ der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts.
Quellen: Nachlass Wilhelm Geyer im Besitz d. Familie in Ulm; Informationen Johannes Geyer, Ulm, vom April 2012.
Werke: Galerie d. Stadt Albstadt; Städtische Galerie Böblingen; Staatsgalerie Stuttgart; Ulmer Museum; Sammlung d. Oberschwäb. Elektrizitätswerke, OEW. Verzeichnis d. Gemälde, in: Zimmermann, 1971; Gesamtverzeichnis d. Glas- u. Wandmalerei, in: Jansen-Winkeln, 2000 (vgl. Literatur).
Nachweis: Bildnachweise: Foto (Ende 1940) in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 139, aus Besitz d. Familie Geyer, S. – Jansen- Winkeln, 2000 (vgl. Literatur).

Literatur: Rainer Zimmermann, Wilhelm Geyer – Leben u. Werk des Malers, 1971 (mit Werkverzeichnis d. Gemälde); Clara Geyer, Wie Wilhelm Geyer die Folgen d. Studentenrevolte d. Geschwister Scholl auf wunderbare Weise überstanden hat, in: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte Bd. 7, 1988, 191-216 (mit einer Auswahl von Briefen u. Zeichnungen aus d. Haft Geyers), 1988; Günther Wirth, Verbotene Kunst – Verfolgte Künstler im dt. Südwesten 1933–1945, 1989; Rainer Zimmermann, Expressiver Realismus – Malerei d. verschollenen Generation, 1994; Wilhelm Geyer 1900–1968. Die letzten Jahre. Pastelle u. Aquarelle, 1998; Annette Jansen- Winkeln (Hg.), Künstler zwischen den Zeiten – Wilhelm Geyer (mit dem Gesamtverzeichnis d. Glas- u. Wandmalerei), Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh.s, 2000; Wilhelm Geyer zum 100. Geburtstag, AKat. Ulmer Museum/Diözesanmuseum Rottenburg-Stuttgart, 2000; Wilhelm Geyer – Landschaften, Portraits, Interieurs, AKat. Kunstmuseum Hohenkarpfen, Hausen ob Verena 2012
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