Görres, Ida Friederike 

Andere Namensformen:
  • geb. von Coudenhove-Kalergi
Geburtsdatum/-ort: 02.12.1901; Schloß Ronsperg/Böhmen
Sterbedatum/-ort: 15.05.1971; Frankfurt, beigesetzt auf dem Freiburger Bergäcker-Friedhof
Beruf/Funktion:
  • Schriftstellerin, Laientheologin
Kurzbiografie: Erziehung in Sacré Cœur in Wien und bei den Englischen Fräulein in St. Pölten
Anfang der 20er Jahre Begegnung mit der bündischen Jugendbewegung, dem österreichsichen Neuland
1925-1931 Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften in Wien und Freiburg (Universität und Soziale Frauenschule), Mädchenführerin des Quickborn auf Burg Rothenfels, Mitarbeit an der dortigen Zeitschrift „Die Schildgenossen“
1931-1935 Soziale und caritative Arbeit in Dresden, Diözesansekretärin des Bistums Meißen
1935 Heirat und Umzug nach Stuttgart-Degerloch, ab 1942 Phasen schwerer Krankheit
1946 „Brief an die Kirche“ in den Frankfurter Heften
ab 1950 schwere Krankheit (Gehirn-Spasmen) und Umzug nach Freiburg
1969 Berufung zur Würzburger Synode und Tod am 15.05.1971 nach einer Synodensitzung
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1935 Leipzig, Carl-Joseph Görres (1903-1973)
Eltern: Heinrich Reichsgraf von Coudenhove-Kalergi (1856-1906), Diplomat, römisch-katholisch
Mitsuko, geb. Aoyama (1871-1941)
Geschwister: Hans, Richard, Heinrich, Gerolf
Elsa, Olga
GND-ID: GND/118695843

Biografie: Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 161-163

Görres, von europäisch-asiatischem Erscheinungsbild, empfand ihre geistige Herkunft aus zwei Kulturen als heftige und befruchtende Spannung. Als sechstes Kind einer Familie aus europäischem Hochadel geboren, verlor sie mit 4 Jahren ihren Vater und wuchs in einer tragischen Nichtbeziehung zu ihrer japanischen Mutter auf, nur von Dienstboten versorgt. Ausgleichend wirkte ein ungewöhnlich tiefes, lebenslang anhaltendes Naturerleben, das die ersten Gedichte und ihre Sprachbegabung hervorrief. In österreichischen Klosterschulen begegnete das Mädchen der Kirche in ihrer bergenden und starren Form, die sich ihr in der katholischen Jugendbewegung nach 1918 im Bund Neuland, den sie führend mitgestaltete, zu großer Lebendigkeit weitete. Durch die Berührung mit dem Quickborn und Romano Guardini auf Burg Rothenfels wurde sie Bundesführerin der Mädchen und arbeitete an der Zeitschrift „Die Schildgenossen“ mit, woraus ihr erstes berühmtes Buch „Gespräch über die Heiligkeit“ zum Elisabeth-Jubiläum 1931 erwuchs.
Die Jugendbewegung entband alle Kräfte der jungen Frau, die seitdem die Kirche als mütterliche Heimat und als Gnade ihres Lebens empfand und sich mit Leidenschaft der sozialen und caritativen Arbeit im Studium (Wien, Freiburg) und im Beruf (Dresden, Meißen) widmete, aber auch schon schreibend die Zeitthemen aufgriff. Ihr Mann, der Rheinländer Carl-Joseph Görres, bot ihr als Ingenieur selbstlos die Möglichkeit, als Schriftstellerin, Dichterin und Theologin tätig zu sein. In rascher Folge entstanden ihre hagiographischen Werke neben vielen Vorträgen und aktuellen Kleinschriften, die insgesamt um die Wahrheiten der Kirche und Theologie kreisen. Sie wurde stark als Sprecherin der jungen katholischen Generation empfunden, die die neue Vision der Kirche und der Heiligen formulierte. Eigene Kinder blieben ihr zum Leidwesen versagt, aber ihre Ehe war von vielen Freundschaften erhellt: zu Gustav Siewerth, Heinrich Kahlefeld, Werner Bergengruen, Joseph Ratzinger, Walter Nigg, Reinhold Schneider, Alfons Rosenberg, P. Manfred Hörhammer. Ihr Haus in Degerloch stand für Konvertitenunterricht, aber auch für ein zeitweiliges Untertauchen vor den Nationalsozialisten offen; die einsetzende schwere Krankheit hinderte in der späteren geliebten Wahlheimat Freiburg freilich solche Unternehmen. 1946 schrieb sie den berühmten „Brief an die Kirche“ aus drängender Sorge um die mangelnde soziale Hilfe mancher kirchlicher Stellen in der Nachkriegszeit. Der Brief wurde bis hin zu einer Rüge aus Rom als Zeichen der Respektlosigkeit gedeutet; Görres erhielt Redeverbot in einigen Diözesen und litt schwer unter dem Mißverständnis. Ihre zeitweise großen körperlichen Leiden ertrug sie im Sinn einer Umschmelzung; soweit möglich, schrieb sie weiterhin unermüdlich, obwohl sie seit den 60er Jahren langsam ihr Publikum verlor. Das Konzil erlebte sie zunächst mit freudiger Aufmerksamkeit, später mit Bangen und beschäftigt mit zweideutig scheinenden Folgen. Bei aller Aufgeschlossenheit sah sie Unverzichtbares im Wanken. Streitpunkte waren der Zölibat und die Enzyklika „Humanae vitae“, die sie verteidigte, und das Frauenamt in der Kirche und der Holländische Katechismus, die sie ablehnte. Vertreter einer exegetischen Revision der Existenz des Teufels, der Unfehlbarkeit des Papstes und der Glaubwürdigkeit der Wunder blieben ihr unannehmbar. Mit der Teilnahme ab 1969 an der Würzburger Synode kam noch einmal ihre kämpferische Kraft hoch. Am 15. Mai 1971 gab sie zu der Vorlage „Gottesdienst und Sakrament“ ihre Meinung ab und brach unmittelbar danach zusammen; die Gehirnblutung war tödlich.
Görres’ Leidenschaft war die Kirche in der Spannung zwischen zwei Polen: dem erprobten Vergangenen und der künftig zu entbindenden Gestalt. Diesen erhofften Geburtsvorgang verfolgte sie gleichermaßen mit Pietät und Revolution, ihren beiden stärksten und nicht einhelligen Anlagen. An der Kirche erfuhr sie tief die Gnade der „Leiblichkeit“, des Handgreiflich-Sakramentalen (Die leibhaftige Kirche), ebenso wie sie das Leibliche für die Ehe, aber auch für den Zölibat und die erzwungenermaßen ledige Frauengeneration nach dem Krieg theoretisch durchleuchtete. Ihr eigenster Auftrag war es wohl, die Kirche in ihren Heiligen darzustellen, was ihr vor allem mit Frauen gelang: Elisabeth von Thüringen, Johanna von Orléans, Hedwig von Schlesien, Radegundis, Maria Ward und besonders Therese von Lisieux, mit welcher Arbeit die Hagiographie des 20. Jahrhunderts eine neue Höhe erreichte. Daneben stehen Arbeiten über Franziskus und zuletzt über den in manchem wahlverwandten Teilhard de Chardin. Noch wenig gewürdigt ist ihre außerordentliche sprachliche Kraft, die sich auch in großartigen Übersetzungen und fast unbekannt gebliebenen Gedichten niederschlug. Die reiche geistige Ausstattung von Görres nötigte sie, sich eine Mitte ihrer vielen Anlagen zu schaffen: Sie fand sie im Christentum, und zwar ausdrücklich in seiner kirchlichen Gestalt.
Quellen: Nachlaß: Testamentarische Nachlaßverwalterin Beatrix Klaiber, Beethovenstraße 25, D-79100 Freiburg; Schwägerin Silvia Görres, Alte Münchener Straße, D-85774 Unterföhring; Archiv Burg Rothenfels, D-97851 Rothenfels; persönliches Archiv der Autorin, Fichtestraße 5, D-91054 Erlangen
Werke: Bibliographie von B. Klaiber, in: Görres, Lehmann, Ratzinger, Der gewandelte Thron. Bemerkungen zur Synode und anderes, 1971
Nachweis: Bildnachweise: Photoarchiv D-97851 Falkovitz, Burg Rothenfels am Main

Literatur: H.-B. Gerl, Ida Friederike Görres (1901-1971). Eine unzeitgemäß-zeitgemäße Kirchlichkeit, in: P. Imhof (Hg.), Frauen des Glaubens, Würzburg 4. Aufl. 1988, 253-266; H.-B. Gerl-Falkovitz, Zwischen den Zeiten. Ida Friederike Görres (1901-1971), in: Freundinnen. Christliche Frauen aus 2 Jahrtausenden, München 2. Aufl. 1995, 121-132
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