Haller, Johannes 

Geburtsdatum/-ort: 16.10.1865; Keinis (Estland)
Sterbedatum/-ort: 24.12.1947;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1883–1888 Studium der Geschichte in Dorpat
1890–1891 Studium in Berlin und Heidelberg
1891 Promotion bei Bernhard Erdmannsdörffer
1891–1897 Hilfsarbeiter am Kgl. Preußischen Historischen Institut in Rom
1897–1901 Privatdozent und Journalist in Basel
1901–1902 Institutsbibliothekar am Kgl. Preußischen Historischen Institut in Rom
1902 ao. Prof. in Marburg (1904 o. Prof.)
1904 o. Prof. in Gießen
1913 o. Prof. in Tübingen
1932 emeritiert
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Wilhelmskreuz (1916); Dr. theol. h. c. Univ. Gießen (1917); Ehrenmitglied der Estländischen Literarischen Gesellschaft (1925); Dr. jur. h. c. Univ. Tübingen (1932); Goethemedaille (1940)
Verheiratet: 1904 (Basel) Elisabeth, geb. Fueter (1878–1957)
Eltern: Vater: Anton Hermann (1833–1905), Pastor
Mutter: Amalie Marie, geb. Sacken (1838–1899)
Geschwister: 8: Helene (Halbschwester); Hermann; Gotthard; Agnes; Antonie; Bernhard; Karl; Elisabeth
Kinder: 4: Hans Jakob; Roland; Adelheid; Elisabeth.
GND-ID: GND/118701053

Biografie: Benjamin Hasselhorn (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 86-88

Johannes Haller war in der Zeit der Weimarer Republik der vermutlich bekannteste deutsche Historiker. Allerdings war der Deutschbalte und Wahl-Römer zeit seines Lebens eher ein Außenseiter innerhalb der Geschichtswissenschaften in Deutschland.
Hallers Promotion fand zwar in Deutschland – an der Universität Heidelberg – statt, seine eigentliche akademische Ausbildung erhielt er aber im estnischen Dorpat. Die baltische Heimat verließ er überhaupt nur wegen der drohenden Russifizierung des Staats- und vor allem des Bildungssektors. Und auch die ersten zehn Berufsjahre verbrachte Haller im Ausland: in Basel, wo er sich habilitierte, und am Königlich Preußischen Historischen Institut in Rom. Hier fand er nicht nur den Heimatersatz, der Deutschland für ihn nie war, sondern hier stieß er auch auf sein wissenschaftliches Lebensthema – die mittelalterliche Kirchengeschichte, vor allem das Konzil von Basel als Element der spätmittelalterlichen Vorgeschichte der Reformation. Schon damit deutet sich an, dass Hallers Leben und Werk kaum auf einen einfachen Nenner zu bringen sind: Später wird der protestantische Pfarrerssohn mit einer Papsttumsgeschichte berühmt werden, und der Bismarckverehrer schreibt eine apologetische Biographie Philipp zu Eulenburg-Hertefelds.
Von seiner hauptamtlichen Arbeit in Rom und überhaupt vom inhaltlichen Profil des Historischen Instituts war Haller sehr rasch enttäuscht. Hinzu kam, dass die Institutsarbeit mehr und mehr zum akademischen Abstellgleis für ihn zu werden drohte. Nachdem sich für ihn 1902 die Option abzeichnete, entweder unter einem seiner wenigen Freunde in der deutschen Historikerschaft, Paul Kehr, als Institutssekretär unbefristet angestellt zu werden oder sogar in Paris ein eigenes Historisches Institut gründen zu können, wurde er schließlich doch auf Betreiben des hochschulpolitisch außerordentlich einflussreichen Friedrich Althoff auf eine außerordentliche Professur nach Marburg berufen.
Den Ruf Hallers nach Marburg setzte Althoff gegen den Willen der Fakultät durch. In den zwei Marburger Jahren sowie in den folgenden neun Jahren als Ordinarius in Gießen führte Haller so gut wie keine fachliche Korrespondenz. Diese Isolation unter seinen Fachkollegen hing nicht nur mit Hallers „Migrationshintergrund“ zusammen, sondern auch mit seinem von vielen – auch von Freunden wie Kehr – als „schwierig“ wahrgenommenen Charakter und mit seiner ausgesprochenen Neigung zur Polemik. Die Berufung nach Tübingen 1913 und Hallers Engagement in der Kriegspublizistik des Ersten Weltkrieges machten ihn überregional bekannt. Haller initiierte 1917 eine Unterschriftenkampagne gegen die Reichstagsmehrheit aus SPD, Fortschrittlicher Volkspartei und Zentrum, die sich für einen Verständigungsfrieden ausgesprochen hatte. Mit über 900 Unterschriften deutscher Professoren war dies die erfolgreichste Aktion dieser Art nach dem „Aufruf der 93“, der sich zu Kriegsbeginn gegen die antideutsche Kriegspropaganda der Entente gerichtet hatte.
Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Haller bei der Beschäftigung mit politischen Gegenwartsfragen. Er publizierte zur jüngsten Zeitgeschichte und analysierte die historischen Ursachen der aus seiner Sicht drängendsten Gegenwartsprobleme, nämlich die deutsche Frage und die deutsch-französische „Erbfeindschaft“. Diese Bücher – allen voran die „Epochen der deutschen Geschichte“ – waren außerordentlich erfolgreich und machten Haller zum meistgelesenen und vermutlich bekanntesten deutschen Historiker seiner Zeit. Politisch stand Haller, der noch in den 1890er Jahren vieles am Kaiserreich kritisiert und am ehesten mit den Liberalen um Friedrich Naumanns „national-sozialen Verein“ sympathisiert hatte, nach 1918 auf der Seite der Deutschnationalen. Seine rhetorischen Fähigkeiten setzte er nicht nur für fachwissenschaftliche Belange ein, sondern er stritt auch vehement gegen den Versailler Vertrag und gegen die Weimarer Republik. Zur Reichstagswahl im Juli 1932 unterzeichnete Haller einen öffentlichen Aufruf für die NSDAP.
Hallers Verhältnis zum Nationalsozialismus war allerdings äußerst kompliziert. Politischen Nationalismus verband Haller mit einem Selbstverständnis als Angehöriger einer übernationalen europäischen Bildungs- und Geisteselite. Seine konservative Haltung ließ ihn zudem das Auftreten der NSDAP als unangemessen, ja als bolschewistisch empfinden. Schon im September 1932 wandte er sich angesichts des Verhaltens der NSDAP-Fraktion im Reichstag von den Nationalsozialisten ab und machte das gegenüber Parteiinstitutionen auch deutlich. Da Haller, der zeitlebens unter einer schwachen Gesundheit litt, 1932 emeritiert wurde, kam es zu keiner unmittelbaren Konfrontation mehr mit dem NS-Regime. Immerhin schlug ein Vortrag über die „Aufgaben des Historikers“ Wellen, den Haller1935 hielt und in dem er das nationalsozialistische Programm einer „kämpfenden Wissenschaft“ scharf angriff und dabei das Objektivitätsideal des Historismus verteidigte. Wenige Jahre später ergänzte er seinen Bestseller zur deutschen Geschichte um eine weitgehend positive Würdigung der politischen Leistungen bis 1938. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er angefragt, öffentliche Rundfunkvorträge zu halten, und zugleich lief ein Verfahren gegen den Chef einer Zeitung, in der Haller Kritisches zu Wolfgang Liebeneiners Bismarck-Film „Die Entlassung“ geschrieben hatte.
Seine Arbeitskraft setzte Haller in seinen letzten anderthalb Lebensjahrzehnten dann auch lieber wieder für rein Wissenschaftliches ein: Sein monumentales Alterswerk über die Geschichte des Papsttums blieb zwar unvollendet, wirkt aber bis heute.
Quellen: TeilNL im UAT (UAT 305); TeilNL im BA Koblenz: BArch N 1035.
Werke: (Auswahl) Die deutsche Publizistik in den Jahren 1668 – 1674. Ein Beitrag zur Geschichte der Raubkriege Ludwigs XIV., 1892; Concilium Basiliense, 4 Bde., 1896 – 1903; Papsttum und Kirchenreform. Vier Kapitel zur Geschichte des ausgehenden Mittelalters, 1903; Die Ära Bülow. Eine historisch-politische Studie, 1922; Aus 50 Jahren. Erinnerungen, Tagebücher und Briefe aus dem NL des Fürsten Philipp zu Eulenburg-Hertefeld, 1923; Die Epochen der deutschen Geschichte, 1923; Tausend Jahre deutsch-französischer Beziehungen, 1930; Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, 3 Bde., 1934 – 1945; Lebenserinnerungen. Gesehenes – Gehörtes – Gedachtes, 1960.
Nachweis: Bildnachweise: UAT 305/24; Porträt abgedruckt in: Johannes Haller, Lebenserinnerungen. Gesehenes – Gehörtes – Gedachtes, 1960.

Literatur: Fritz Ernst, Johannes Haller (mit Bibliographie, 1949); Heribert Müller, Der bewunderte Erbfeind. Johannes Haller, Frankreich und das französische Spätmittelalter, in: HZ 252 (1991); Hans-Erich Volkmann, Von Johannes Haller zu Reinhard Wittram. Deutschbaltische Historiker und der Nationalsozialismus, in: ZfG 45 (1997); Heribert Müller, „Eine gewisse angewiderte Bewunderung“. Johannes Haller und der Nationalsozialismus, in: Wolfram Pyta/Ludwig Richter (Hg.), Gestaltungskraft des Politischen. FS für Eberhard Kolb (Historische Forschungen 63), 1998; Steffen Kaudelka, Johannes Haller. Frankreich und französische Geschichte aus der Sicht eines Deutschbalten, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz (Pariser Historische Studien 86), 2007; Hans-Christof Kraus, Deux peuples dans le débat des historiens. Les relations franco-allemandes vues par Jacques Bainville et Johannes Haller, in: Le Barbare. Images phobiques et réfléxions sur l‘altérité dans la culture européenne, publ. par Jean Schillinger et Philippe Alexandre, 2008.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)