Haug, Martin 

Geburtsdatum/-ort: 14.12.1895;  Calw
Sterbedatum/-ort: 28.03.1983;  Freudenstadt
Beruf/Funktion:
  • Landesbischof
Kurzbiografie: 1909-1913 Nach Landexamen Evangelisch-theologisches Seminar in Maulbronn und Blaubeuren, Abitur
1913-1920 Studium der evangelischen Theologie in Tübingen (Stift) mit Unterbrechungen durch Kriegsdienst im I. Weltkrieg, Ostern 1915-Ostern 1917 und Herbst 1917-Januar 1919 bei der Infanterie an der Westfront, 1916 in der Somme-Schlacht schwer verwundet, entlassen als Leutnant der Reserve
1920 I. theologische Dienstprüfung und Ordination in Stuttgart
1920-1922 Vikar im unständigen Kirchendienst
1923-1926 Repetent im Evangelischen Stift in Tübingen
1924 II. theologische Dienstprüfung
1925 Promotion zum Dr. theol. bei Friedrich Traub, Thema der Dissertation „Entwicklung und Offenbarung bei Lessing“
1926-1930 Pfarrer in Tübingen mit Lehrauftrag an der Evangelisch-theologischen Fakultät
1930-1935 Theologischer Lehrer am Evangelisch-theologischen Seminar Urach
1935 Direktor des Evangelischen Pfarrseminars in Stuttgart, Mitglied der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft und des Beirats der württembergischen Kirchenleitung
1939 Zuwahl zum Evangelischen Landeskirchentag
1943-1949 Mitglied des Evangelischen Oberkirchenrats Stuttgart
1946 Titel Prälat, theologischer Stellvertreter des Landesbischofs
1949-1962 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
1949 Dr. theol. h.c.
1962 III.31. Ruhestand
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1927 Ernestine (Erni), geb. Cammerer (1901-1990)
Eltern: Otto (1857-1928), Gymnasialprofessor
Friederike, geb. Wagner
Geschwister: 1 Bruder, 2 Schwestern
Kinder: 1 Tochter (adoptiert)
GND-ID: GND/118709100

Biografie: Gerhard Schäfer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 131-134

Haug besuchte die für einen werdenden Pfarrer der Württembergischen Landeskirche damals üblichen Bildungsanstalten, nach Gymnasium, Lateinschule und Landexamen die beiden Seminare Maulbronn und Blaubeuren, nach Abitur und Konkursprüfung das Tübinger Stift. So war er geprägt durch eine allein an der Schrift sich orientierende Theologie, weder fundamentalistisch noch liberal, weder konfessionalistisch noch pietistisch. Bis ins hohe Alter widmete er sich täglich in ernster wissenschaftlicher Arbeit der Auslegung des biblischen Wortes aus den Ursprachen als Hilfe für das persönliche Leben und für den Dienst. Seine Dissertation über „Entwicklung und Offenbarung bei Lessing“, die ihm beim Doktorexamen die Note summa cum laude einbrachte, zeigt ihn als scharfen Beobachter von geistigen Zeitströmungen. Als Theologe war er dann Pfarrer und Lehrer, der seinen Gemeinden, seinen Pfarrern und Schülern Wegweisung aus dem Evangelium und Halt und dazu einen weiten, aber kritischen Blick für das Geschehen der Zeit vermitteln wollte. In seinem kurz vor dem Tod verfaßten Lebenslauf schreibt er: In der Fülle der Arbeit „war und blieb es mir das Wichtigste, in unsere Kirche und unser Volk das Evangelium von Jesus Christus hineinzurufen und den Menschen zur Umkehr und Neuorientierung an Gott und am Nebenmenschen zu helfen“.
In Urach hatte er Unterricht zu geben in Theologie, Geschichte und Hebräisch. Diese Fächerverbindung schickte ihn „aufs neue ins Trommelfeuer“: Die anfängliche Begeisterung der Seminaristen für den an Einfluß gewinnenden Nationalsozialismus und für das Dritte Reich mußte sich gerade für die von ihm vertretenen Fächer negativ auswirken, da er diese nicht auf die Zeittendenz abstimmen konnte. Das gegenseitige Verständnis im Lehrerkollegium und der trotz allem vorhandene Respekt der Schüler ließen die Jahre später dennoch als glücklich erscheinen.
Auf einer neuen Ebene fand diese Arbeit ihre Fortsetzung nach der Ernennung zum Direktor des Pfarrseminars, wo er als Lehrer und Seelsorger die Vikare der Landeskirche in Kursform in ihre zukünftige Gemeindearbeit einzuführen und auf die II. theologische Dienstprüfung vorzubereiten hatte. In Stuttgart war er auch von Anfang an in die Auseinandersetzungen des Kirchenkampfes hineingezogen. Landesbischof Wurm hatte sich nach anfänglicher Offenheit für das Werben um eine Mitwirkung der Kirche am „Aufbauwerk“ des Nationalsozialismus gegen die Unterordnung der Landeskirche unter die deutsch-christliche Reichskirchenleitung erfolgreich gewehrt und steuerte einen mittleren Kurs: Kein Liebäugeln mit dem „Absprung in die Freikirche“ (Niemöller), sondern Erhaltung der Volkskirche, in der verschiedene theologische und kirchenpolitische Richtungen Heimatrecht haben, Aufrechterhaltung alter Verbindungen zum Staat, soweit dies möglich und Grundlage für Proteste bei staatlichen Stellen sein konnte, aber strikter Widerstand gegen die Deutschen Christen und gegen die Verdrängung der Kirche aus der Öffentlichkeit. Dafür brauchte er Berater und berief Haug, der schon Mitglied der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft war, in den von ihm gebildeten Beirat der Kirchenleitung; 1939 wurde Haug außerdem in den Landeskirchentag zugewählt. Nachdem er schließlich 1943 zum Referenten für die Angelegenheiten der Pfarrer im Kollegium des Oberkirchenrats aufgerückt war, stand er in einer der verantwortungsvollsten und schwierigsten Aufgaben der Kirchenleitung; seit 1946 war er auch theologischer Stellvertreter des Landesbischofs. Haug ist es mit zu verdanken, daß die Landeskirche als sogenannte intakte Kirche ihre Bekenntnisgrundlage erhalten und als solche den Zusammenbruch des Jahres 1945 überstehen und beim Neuanfang eine wichtige Rolle (Hilfswerk, Zustandekommen der Evangelischen Kirche in Deutschland – EKD, Stuttgarter Schuldbekenntnis, Evangelische Akademien) spielen konnte. In seiner Haltung zum Landesbischof verband er die von diesem erwartete Unterstützung mit kritischer Begleitung.
Als Landesbischof D. Theophil Wurm im Alter von 80 Jahren an einen Ruhestand dachte, war Haug neben dem Stuttgarter Prälaten Karl Hartenstein einer der zwei möglichen Nachfolger. Da Hartenstein als Mann der Mission sich die Weite der Ökumene erhalten wollte, wurde Haug an seinem 53. Geburtstag, am 14. Dezember 1948, zum neuen Landesbischof gewählt und am 19. Januar 1949 in sein Amt eingeführt. Von 1952 bis 1966 war Haug außerdem Mitglied des Rates der EKD und arbeitete im Diakonischen Rat der EKD mit. Am 31. März 1962 trat er, nachdem er 14 Jahre lang das Bischofsamt verwaltet hatte, in den Ruhestand. Von seinem Ruhesitz in Freudenstadt aus war er jedoch noch bis ins hohe Alter als Prediger tätig und begleitete den Weg seiner Landeskirche mit kritischem Rat und alter Treue.
Obwohl zwischen 1945 und 1948 Grundlagen für Wiederaufbau und Ausbau der kirchlichen Arbeit gelegt waren, konnte die eigentliche Arbeit erst nach der Währungsreform vom Juni 1948 einsetzen. Im Krieg zerstörte Kirchen und Pfarrhäuser mußten wieder aufgebaut, Kirchen in den neu entstehenden Wohngebieten und Gemeindehäuser neu gebaut werden. Die Pfarrstellen mußten besetzt werden; dabei waren Kriegsverluste auszugleichen, Pfarrer aus den verlorenen Ostgebieten wurden übernommen. Die Pfarrer mußten für die Form ihres Dienstes, der mehr als bisher auf die Öffentlichkeit bezogen war, vorbereitet werden. Wohnwelt und Arbeitswelt begannen auseinanderzufallen; so mußten Sonderpfarrstellen für einzelne Gruppen der Gesellschaft errichtet und neben der schon bestehenden Evangelischen Akademie weitere Begegnungsstätten geschaffen werden. Die diakonischen Einrichtungen waren auszubauen und Mitarbeiter dafür auszubilden. Als mündige Christen sollten Nicht-Theologen für ein Amt in der Gemeinde gewonnen und befähigt werden. Diese organisatorischen Aufgaben erforderten eine Neuordnung des kirchlichen Finanzwesens. Dazu kam eine Neuorientierung des Religions- und Konfirmandenunterrichts. Die Einbindung der Württembergischen Landeskirche in die EKD gab den äußeren Anlaß für die Einführung eines neuen Gesangbuches. Die Landeskirche sah sich schließlich immer stärker in die Gemeinschaft der Christen der ganzen Welt hineingestellt; das neue Verständnis von Mission und Ökumene verlangte einen Lernprozeß, der zu ermuntern war. Der Landesbischof nahm 1957 an der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in den USA teil und besuchte 1955/56 Südindien und 1961 Südafrika.
Haug konnte die Vielfalt der Aufgaben, die auf die Landeskirche zukamen, nur steuern, indem er eine klare Rangordnung befolgte: Zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten und dann sich den einzelnen Aufgaben zuwenden, die von der Ausrichtung auf das Reich Gottes her ihre inhaltliche Bestimmung erfahren. So sah es Haug als vornehmste Aufgabe, bei ungezählten Gelegenheiten in Gottesdiensten zu predigen, bei Tagungen und Feiern zu sprechen, mit Vertretern verschiedener Gruppen und Richtungen ins Gespräch zu kommen; in der Gemeinde und in der Öffentlichkeit sollte das Wort Gottes gehört und die neue Freiheit der Kirche ausgefüllt werden. Und als Seelsorger hatte der Bischof Zeit, auf den einzelnen zu hören und dessen Anliegen und Sorgen ernst zu nehmen. Haug wurde deshalb als „Minister des Innersten“ und als „Baubischof“, als „Bibel- und Bekenntnisbischof“ charakterisiert.
Die Breite der Aufgaben verlangte einen offenen und weiten Blick und die Bereitschaft, an vielen Überlegungen teilzunehmen. Mindestens aus seinen Erfahrungen als Lehrer und als Personalreferent war eine solche Haltung für Haug selbstverständlich. Aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes wußte er aber auch, daß Weite und Offenheit für neue Erscheinungen allein zum Verlust der Konturen führen und die Kirche über dem Vielen und Neuen gegenüber der eigentlichen Aufgabe verführen können. Haug griff deshalb mit einem Hirtenwort in die theologischen Auseinandersetzungen um die Entmythologisierung ein. Er sah in dem Versuch, die Auslegung des biblischen Wortes dem Bewußtsein des modernen Menschen anzupassen und daraus abzuleiten, die Gefahr, den Zugang zum Wort Gottes tatsächlich zu erschweren, wenn nicht ganz zu versperren. Da er auf der einen Seite die Notwendigkeit wissenschaftlich-theologischer Arbeit nicht in die Unverbindlichkeit entließ, wurde er von Vertretern einer konservativen und einer vorwärts drängenden Richtung angegriffen. Eine Frucht des Kirchenkampfes ist schließlich auch eine Ordnung, nach der Pfarrer, die wie einst die Deutschen Christen in ihrer Verkündigung die biblisch-reformatorische Grundlage verlassen hatten, zur Rechenschaft gezogen werden können; das Fehlen einer solchen Ordnung hatte es im Kirchenkampf überaus schwer gemacht, ausgesprochene Deutsche Christen aus kirchlichen Ämtern zu entfernen.
Bestimmend für die Vermittlung zwischen Freiheit und Bindung war für Haug das Verhältnis zu Geist und Ordnung, das er bei seiner Arbeit immer wieder thematisierte. In den Institutionen der Kirche sah Haug Instrumente des Geistes, die der Koordination dienen und helfen, menschliche Schwächen und Neigungen zu Absonderlichkeiten auszugleichen. Da der Pfarrer bei seinem Dienst relativ frei ist und frei sein muß, braucht er solche Hilfen. Ordnungen allerdings müssen wandelbar sein, und Haug wußte, wie er es in seiner Begabung für witzige und treffende Formulierungen ausdrückte, daß der Geist nicht an das kirchliche Amtsblatt eines Oberkirchenrats gebunden ist. Solche Überlegungen sind bezeichnend für Haug Er sieht auf der einen Seite die Kirche als menschliche Institution, belastet mit Schwächen und Unzulänglichkeiten; auf der anderen Seite stellt sich aber in dieser irdischen Kirche die wahre Kirche dar, die erst in einem anderen Äon Wirklichkeit wird. Dieses Ineinander ist darin vorgebildet, daß das Wort Gottes eingegangen ist in das in menschlicher Sprache verfaßte und weitergesagte Wort der Bibel. Damit ist für die Kirche und für ihre Verkündigung Freiheit und Bindung zugleich vorgegeben; alle Arbeit der Kirche auf Erden geschieht aber im Blick auf eine letzte, neue und vollkommene „Ordnung und Gestaltung aller Dinge durch den wiederkommenden Herrn“. Haug steht damit in der Tradition württembergischer Theologen, die in der Spannung von Hier und Einst in ihrer Zeit Kirche gebaut haben.
Quellen: LKAS Personalakten (einschließlich Angaben zur Entnazifizierung: o. B.)
Werke: (Auswahl) Wie lege ich die Bibel aus?, 1939; Amt und Geist, in: Auf dem Grunde der Apostel und Propheten (Hg.), Festschrift Wurm, 1948; Die Publizität der Verkündigung, in: Die Kirche und die Presse, 1959; Aufgabe und Verantwortung der Führenden der Wirtschaft, 1959; Warum bleiben wir evangelisch?, Calwer Hefte 39, 1961; Der Dienst der Leitung in Gemeinde und Kirche, in: Handbücherei für Gemeindearbeit 36, 1965; Autorität und Brüderlichkeit unter Leitung der Gemeinde, in: Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung, 1968; Christ sein ohne Kirche? Calwer Hefte 116, 1971; Zahlreiche Predigten und Ansprachen in Broschüren und Artikel im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg. Rechenschaft in den Protokollen des Württembergischen Landeskirchentags (Landessynode)
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Amt für Information der Württembergischen Landeskirche in Stuttgart

Literatur: Württembergische Geschichtsliteratur der Jg. 1955, 1956, 1960, 1963; Christoph Duncker, Martin Haug, 1895-1983, in: Unsere Kirche unter Gottes Wort, 1985; Bernhard Lang, Martin Haug. Erinnerungen und Begegnungen, 1985; Zahlreiche Artikel in der Tagespresse und im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg; vgl. auch LbBW 6 (1983-1985), 10 (1989), 14 (1993), 16 (1995)
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