Jaffe, Elisabeth 

Andere Namensformen:
  • geb. von Richthofen
Geburtsdatum/-ort: 08.10.1874; Chateau-Salins, Lothringen, Frankreich
Sterbedatum/-ort: 22.12.1973;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • 1. deutsche Fabrikinspektorin
Kurzbiografie: 1891-1896 Lehrerin
1897-1898 Studium in Heidelberg bei Max Weber
1898-1900 Studium in Berlin bei Schmoller (Nationalökonomie), Simmel (Soziologie), Sering (Finanzwissenschaft), A. Wagner (Bankpolitik)
1901 Promotion bei Max Weber in Volkswirtschaft
1900-1902 erste deutsche Fabrikinspektorin in Karlsruhe; Vortragsreisen über Arbeiterschutz
1902 Rücktritt vom Amt, Heirat mit Edgar Jaffe, Dozent für Volkswirtschaft
1907 Bekanntschaft mit dem Münchener Psychoanalytiker Otto Groß
1910-1920 Bekanntschaft mit Max Weber
1911 Bekanntschaft mit Alfred Weber
1911-1925 Wohnsitz bei München, der zwischendurch Zentrum des Georgekreises ist
1925-1973 Wohnsitz in Heidelberg, wo sie bis zu seinem Tod 1958 mit Alfred Weber zusammenlebt und -wirkt.
Weitere Angaben zur Person: Verheiratet: 1902, Edgar Jaffe, Nationalökonom
Eltern: Vater: Friedrich von Richthofen, Offizier, Bau- und Regierungsrat
Mutter: Anna, geb. Marquier
Geschwister: Frieda Laurence (1879-1956)
Johanna Krug (1882-1975)
Kinder: Friedrich (geb. 1903), Jurist
Marianne von Eckardt (geb. 1905), Medizinerin und Psychotherapeutin
Peter (1907-1915)
Hans (1909-1981), Physiker
GND-ID: GND/11871144X

Biografie: Wolfgang Bocks (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 149-150

Jaffes Weg vollzog sich nur zu Beginn im Licht einer breiten Öffentlichkeit, anders als der ihrer Schwester Frieda, die an der Seite von D. H. Lawrence zur Vorkämpferin der weiblichen und erotischen Emanzipation wurde. Jaffe zählte zu den vier ersten Studentinnen, die in Heidelberg immatrikuliert wurden, nachdem sie sich das Geld für ihr Studium selbst finanziert hatte. Auf Max Weber, dessen erste Studentin sie war, übte sie einen nachhaltigen Einfluß aus. Er war es auch, der sich mit dem berühmten badischen Fabrikinspektor Friedrich Woerishoffer in Verbindung setzte und ihr den Weg zur ersten deutschen Fabrikinspektorin und Beamtin ebnete. Von den Hoffnungen der damaligen Frauenbewegung, mit deren Führerinnen sie persönlich bekannt war, und der fortschrittlichen Sozialpolitiker begleitet, wurde ihr hauptamtlich die badische Zigarrenindustrie mit ihren 23 000 Arbeiterinnen unterstellt. Auch die sozialdemokratische Arbeiterbewegung gab bald der „Aristokratin“ gegenüber ihre Zurückhaltung auf. Mit Vortragsreisen, die bis nach Leipzig und Dresden führten, warb Jaffe für die weitere Verbreitung des weiblichen Fabrikinspektorats. Der Inspektionsalltag mit seinem oft zermürbenden Kleinkrieg stand ihrem Enthusiasmus immer mehr im Wege, so daß sie 1902 ihre Laufbahn als aktive Sozialpolitikerin durch die Heirat mit Edgar Jaffe abschloß. Jaffe leistete zusammen mit Max Weber und Werner Sombart als Mitherausgeber und vor allem als Mäzen des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ Pionierarbeit für die deutsche Soziologie. 1918 wurde er Finanzminster unter der Revolutionsregierung von Kurt Eisner in München.
Über ihre Schwester Frieda lernte Jaffe schließlich 1907 in München das damalige Enfant terrible der Psychoanalyse, Otto Groß, kennen, den Freud selbst zu dieser Zeit noch zusammen mit C. G. Jung zu seinen originellsten Schülern zählte. Groß war Propagandist der sexuellen Emanzipation, speziell der Frau, und Rebell gegen bürgerliche Ehe und wilhelminische Gesellschaft. Die Verbindung Jaffes mit Groß, von dem sie einen Sohn bekam, blieb eine Episode. Die offene Rebellion gegen Tabus und Konventionen und der Weg der sexuellen Befreiung der Frauen waren eher Lebensmöglichkeiten ihrer Schwester Frieda, die ebenfalls ein Verhältnis mit Groß hatte, als ihre eigenen.
Vier Jahre später siedelte Jaffe endgültig in die Gegend von München über, wo in ihrem Haus in Irschenhausen der Georgekreis tagte. Diese Welt des Geistigen und Wissenschaftlichen war ihr Zentrum, in das sie bereits durch die Heirat mit Jaffe gerückt war. Durch ihre Beziehungen zu den Brüdern Max und Alfred Weber blieb sie dann anregender Mittelpunkt für die bedeutendsten geistes- und sozialwissenschaftlichen Zirkel, vor allem in Heidelberg. Mit Karl Jaspers, Friedrich Gundolf und Georg Lukács sind nur einige Namen genannt, mit denen sie in gedanklichem Austausch stand. 1910 war Jaffe eine Verbindung mit Max Weber eingegangen, die besonders für Weber eine persönliche Umwälzung bedeutete. Sie half ihm entscheidend, die seit 1898 auftretende psychische Erkrankung und Lähmung zu überwinden, die ihn über zehn Jahre beinahe schaffensunfähig gemacht hatte. Die geistigen Einflüsse auf Weber sind schwer zu eruieren, sicher ist, daß Webers Erfahrung mit Jaffe und die dadurch ausgelösten inneren Konflikte beider gegenüber Max Webers Frau Marianne, die Jaffes beste Freundin war und auch blieb, die Gedanken von Ästhetik und Askese in der Religionssoziologie mitgeprägt haben. Dieses Verhältnis ist bis nach Jaffes Tod auch unbekannt geblieben.
Nach Max Webers und Edgar Jaffes Tod zog sie 1925 wieder nach Heidelberg zurück und lebte dort mit Alfred Weber zusammen. Ihr ist seine berühmte „Kulturgeschichte als Soziologie“ gewidmet, bei deren Entstehen sie durch zahlreiche Diskussionen mithalf. Jaffe arbeitete für A. Weber, indem sie für ihn Bücher las, Übersetzungen lieferte, seine Veröffentlichungen stilistisch überarbeitete oder zahlreiche Kunstreisen mit ihm unternahm. Diese Form der Mitarbeit ist für Jaffe charakteristisch. Lediglich in ihrer frühen Zeit als Studentin und Fabrikinspektorin hat sie eigene Arbeiten veröffentlicht. Danach hat sie sich als Anregerin, Diskussionspartnerin oder Übersetzerin – so z. B. der Werke ihres Schwagers D. H. Lawrence – verstanden, die ihre brillanten geistigen Fähigkeiten in den Dienst bedeutender Männer gestellt hat. Ihre Wirkungen sind daher indirekt nachzuvollziehen. Sicherlich aber zählt sie zu den großen Frauenpersönlichkeiten der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts.
Werke: Die Perlenstickerei im Kreise Saarburg in Lothringen, in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik 86, 1899, 343-353; Über die historischen Wandlungen in der Stellung der autoritären Parteien zur Arbeiterschutzgesetzgebung und die Motive dieser Wandlungen, Diss. Heidelberg 1901; Die weibliche Fabrikinspektion, in: Der Arbeiterfreund 40, 1902, 14-26; Die Frau in der Gewerbeinspektion, in: Schriften des ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinneninteressen 3, 1910, 48-69.
Nachweis: Bildnachweise: Foto auf dem Umschlag der Taschenbuchausgabe von Green = dtv 1607.

Literatur: Robert Lucas, Frieda v. Richthofen. Ihr Leben mit D. H. Lawrence, München 1972; Wolfgang Bocks, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879 bis 1914 = Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte XXVII, Freiburg/München 1978; Martin Green, Else und Frieda, die Richthofen-Schwestern, München 1980.
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