Kolb, Annette Anna Mathilde 

Geburtsdatum/-ort: 03.02.1870; München
Sterbedatum/-ort: 03.12.1967; München
Beruf/Funktion:
  • Schriftstellerin
Kurzbiografie: 1899 Publikation erster Essays
1914 Pazifistische Haltung im I. Weltkrieg
1917–1919 Emigration in die Schweiz
1919 Rückkehr nach Deutschland
1923–1933 wohnhaft in Badenweiler als Nachbarin von René Schickele
1933 Flucht aus Deutschland; wechselnde Aufenthaltsorte in d. Schweiz, in Luxemburg, Frankreich u. Irland
1934 wohnhaft in Paris
1936 französische Staatsbürgerschaft
1941 Emigration nach New York, USA, über Spanien u. Portugal
1945 Rückkehr nach Europa, wohnhaft in Paris, Irland, Badenweiler u. in d. Schweiz
ab 1946 u. ab 1961 wohnh. in München
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Fontane-Preis (1913); Gerhart-Hauptmann-Preis (1931); Mitglied d. Akad. d. Wissenschaften u. d. Literatur in Mainz (1949); Mitglied d. Bayer Akad. d. Schönen Künste (1950); Kunstpreis für Literatur d. Stadt München (1951); Goethe- Preis d. Stadt Frankfurt (1955); Ehrenbürgerin von Badenweiler (1955); Mitglied d. Légion d’honneur (1958); Großes Verdienstkreuz (1959), Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1967); Chevalier de la Légion d’honneur (1961); Bayer. Verdienstorden (1961); Literaturpreis d. Stadt Köln (1961); Orden Pour Le Mérite für Wissenschaften u. Künste (1966)
Eltern: Vater: Max (1829–1915), Gartenarchitekt, seit 1860 Gartenbauinspektor u. Leiter des Botanischen Gartens in München, vermutl. natürlicher Sohn des Wittelsbacher Kronprinzen u. späteren Königs Max II. u. d. Kammerzofe Juliana Lorz, seit 1829 verh. mit dem Lakai Dominikus Kolb
Mutter: Sophie, geb. Danvin (1840–1915), Konzertpianistin aus Paris; in München Kompositionsschülerin von Peter Cornelius
Geschwister: 8, darunter 3 im Säuglingsalter verstorben;
Louise (1865–1890), Pianistin u. Malerin,
Germaine (1868–1949), Zeichnerin,
Emil (1874–1933), Offizier u. Holzhändler,
Paul (1876–1965), Berufsoffizier,
Franziska (1880–1946)
GND-ID: GND/118713698

Biografie: Edda Ziegler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 262-264

Drei Themen bestimmen Kolbs Leben und literarisches Werk: die durch familiäre Traditionen geprägten menschlichen Beziehungen im gesellschaftlichen Kontext der Zeit vor dem I. Weltkrieg, speziell Münchens in der Prinzregentenzeit, in der ihre Romane spielen, dann Kolbs pazifistisches Engagement und ihre musikalischen Kenntnisse und Interessen. Diese Themen liefern Stoff und Basis für das breit gefächerte literarische Werk, die großen Romane „Das Exemplar“, „Daphne Herbst“, „Die Schaukel“ und „Memento“, Kolbs Lebenserinnerungen, die Biografien über Mozart, Franz Schubert und Richard Wagner sowie die vielfältigen feuilletonistisch-essayistischen Publikationen, die ihr Schaffen in allen Phasen begleiten und ihren Schreibstil wie ihre fiktionalen Texte prägten.
Der literarische Durchbruch gelang Kolb 1912/13 mit dem Roman „Das Exemplar“, der auf Fürsprache von Franz Blei mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet wurde. Die Geschichte ist wie alle Romane Kolbs aus der Perspektive der Protagonistinnen erzählt, junger Frauen der zeitgenössischen gutbürgerlichen Gesellschaft. Sie handelt von der unglücklichen Liebe der träumerisch-weltfremden Mariclée aus München zu einem hochrangigen und vielbeschäftigten englischen Beamten. Sie nennt ihn zärtlich-ironisch „das Exemplar“. Alarmiert von der Nachricht seiner Erkrankung, reist Mariclée nach London, um den Geliebten zu treffen. Auf ein Lebenszeichen von ihm wartend verbringt sie ihre Zeit einsam in der sommerlich leeren Stadt und bei Freunden auf dem Land. Erst nach vier Wochen kommt es endlich zu einer kurzen Begegnung. Dabei erfährt Mariclée, dass ihr Geliebter inzwischen geheiratet hat und, begleitet von der Familie seiner Frau, auf dem Weg in die USA ist. Die junge Frau beschließt, eine letzte Begegnung mit ihm herbeizuführen, auf dem Überseedampfer zwischen Southampton und Cherbourg. Diese gelingt, im Zeichen des endgültigen Abschieds: der Geliebte ist jetzt ganz für Mariclée da, bis sie in Cherbourg das Schiff verlässt und sich von ihm auf immer trennt. Die Erzählerin beschreibt die beiden, trotz aller Unterschiede einander in ihrer Sensibilität und bewussten Weltwahrnehmung sehr ähnlichen Protagonisten als typische Kinder ihrer Zeit, des Europas der Jahre vor dem Ausbruch des I. Weltkriegs.
In dieser Zeit spielt auch Kolbs nächster Roman „Daphne Herbst“. Seine Protagonistin, ebenfalls eine junge Frau aus der besseren Gesellschaft Münchens, trägt einen Namen von stark metaphorischer Aussagekraft, kombiniert aus dem der antiken Sagenfigur, der Nymphe Daphne, die in einen Lorbeerstrauch verwandelt wurde, mit dem Nachnamen Herbst, der im Gegensatz dazu auf Vergänglichkeit und Hinfälligkeit weist. Mit diesen metaphorischen Anspielungen thematisiert der Roman aktuelle soziale Fragen. Zwar endet die Handlung mit dem Tod der Protagonistin und dem Niedergang der bohèmehaften Familie Herbst, der stellvertretend steht für den Untergang der tradierten bayerischen Gesellschaft der Prinzregentenzeit. Doch zum Schluss ergreift die Erzählerin selbst das Wort, mit einem Plädoyer zur aktuellen politischen Situation in der Weimarer Republik. Sie setzt sich ein für Bestand und Zukunft dieser ersten deutschen Republik und den Erhalt des gefährdeten internationalen Friedens.
Auch Kolbs dritter Roman, „Die Schaukel“, spielt im München der gleichen Zeit. Es ist die Chronik eines Jahres aus dem Leben der musisch hochbegabten, durch ihre prekäre finanzielle Situation und kritisch-unabhängige Haltung in gesellschaftlichen Fragen jedoch randständigen Familie Lautenschlag. Ihr Grundbefinden pendelt ständig zwischen originärer Lebensfreude und einer gesellschaftlich und finanziell bedingten Lebensangst. Die Chronik setzt ein mit der Nachricht vom Brand des Münchner Glaspalasts am 6. Juni 1931, in dessen unmittelbarer Nähe sich das Wohnhaus der Familie Kolb befunden hatte. In einer Anmerkung schließt sie – publiziert im Jahr 1934! – den Dank der Erzählerin an die jüdische Bevölkerung ein. Damit sind neben den autobiografischen Grundzügen dieses Romans auch die aktuellen politischen Konnotationen offen gelegt, deutlicher noch als in den vorhergehenden Werken.
Unverstellt autobiografisch ist schließlich das Erinnerungsbuch „Memento“, in dem Kolb die Jahre ihres zweiten Exils von 1933 bis 1945 und ihre Rückkehr nach Europa 1945/46 beschreibt. Das schmale Buch gilt als das „in seiner Knappheit und Schnörkellosigkeit, seiner dramatischen Pointierung und sprachlichen Herbheit […]bewegendste Buch“ Kolbs. (Strohmeyr, 2002, S. 262)
Die politische Position Kolbs war neben ihrem Einsatz für die Ideen der Frauenemanzipation bestimmt von dem durch ihre Herkunft geprägten deutsch-französischen Engagement, ihrer Stellung zwischen den beiden Völkern. Kolbs Haltung und ihre ständige Bereitschaft, sich politisch zu äußern und einzumischen, galten schon den Zeitgenossen als naiv und wurden wenig ernst genommen. Politische Naivität wird deutlich auch in Form und Verlauf von Kolbs Emigration während des I. Weltkriegs und der NS-Zeit.
Ihren ersten Gang ins Exil trat Kolb am 31. Januar 1917 an. Sie reiste über Lindau in die Schweiz und blieb – ruhelos wechselnd zwischen Aufenthalten in Hotels und bei Freunden – unterwegs bis 1920/21. Das Tagebuch „Zarastro, Westliche Tage“ schildert den mühevollen Alltag Kolbs während dieses Exils. Er war bestimmt von materieller Not und von der Angst vor der eigenen politischen Hilflosigkeit. Nach vorübergehender Sesshaftigkeit in Badenweiler ging Kolb am 21. Februar 1933 erneut ins Exil. Überstürzt und ungeplant flüchtete sie gleich nach Hitlers „Machtergreifung“ aus ihrem Haus in Badenweiler über die Grenze nach Basel, lebte bis 1941 vorwiegend in Paris und flüchtete im letzten Moment weiter nach New York.
In den USA geriet Kolb mit ihren ganz auf die europäische Kultur der Zeit vor 1914, einer „Welt von gestern“ (Stefan Zweig), gerichteten Themen und ihrem feuilletonistischen Schreibstil literarisch und damit auch gesellschaftlich und finanziell ins Abseits. Das Leben im amerikanischen Exil machte sie zugleich „dankbar und unglücklich“, wie Kolb selbst es formulierte (Strohmeyr, 2002, S. 223). Nach dem Ende des II. Weltkriegs kehrte sie schnellstmöglich zurück nach Europa und wurde schließlich auf Umwegen wieder in ihrer Heimatstadt sesshaft.
Die Zeit zwischen den beiden Aufenthalten im Exil, Kolbs Badenweiler Jahrzehnt, war die stetigste und literarisch erfolgreichste im Leben der Schriftstellerin. Dass sie sich in Badenweiler niederließ, ging zurück auf die Initiative des Schriftstellers René Schickele, mit dem Kolb seit 1914/15 befreundet war. Basis dieser Freundschaft war die beiden gemeinsame Herkunft aus deutsch-französischen Familien. Als Schickele sich 1920/21 in Badenweiler, dem hübschen und ruhigen kleinen Kurort im Markgräflerland niederließ, baute auch Kolb sich dort ein Haus, in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Dort lebte sie dann bis zur Flucht ins zweite Exil 1933. Das Ehepaar Schickele hatte Deutschland aus politischen Gründen schon 1932 verlassen. In diesem Zeitabschnitt entstand der Roman „Daphne Herbst“, schloss Kolb mit dem S. Fischer Verlag den Vertrag über ihren nächsten Roman, „Die Schaukel“, hier veröffentlichte sie 1932 die politische Aufsatzsammlung „Beschwerdebuch“ und hatte 1929 den „Versuch über Briand“ geschrieben, eine für Kolb typische literarische Mischform aus „Monographie, persönlichen Erinnerungen, feuilletonistischen Eindrücken, Skizzen und Anekdoten“ (Strohmeyr, 2002, S. 168), die beide bei Rowohlt erschienen. Über diesem Projekt war es dann übrigens zu heftigen Auseinandersetzungen mit Schickele gekommen. Dieser hatte selbst ein Buch über Briand geplant und warf Kolb nun vor, ihm das Thema weggenommen zu haben. Auch in der Badenweiler Zeit war Kolb viel zu Vorträgen und Lesungen unterwegs; denn sie brauchte Geld. Trotz der literarischen Erfolge war und blieb ihre finanzielle Situation immer prekär.
Nach ihrer Rückkehr aus dem US-Exil 1945 nahm Kolb ihr auch durch anhaltende materielle Not bedingtes Wanderleben zwischen Paris, der Schweiz und München wieder auf. Auch in Badenweiler, wo man ihr nun mit deutlichen politischen Ressentiments begegnete, fand sie keine dauerhafte Bleibe mehr. Schließlich kehrte Kolb in ihre Geburtsstadt München zurück, wo sie dann bis zu ihrem Tod lebte, hochgeehrt und vielfach ausgezeichnet: eine öffentliche Anerkennung, mit der Kolb zugleich für den Mainstream der deutschen Nachkriegspolitik instrumentalisiert wurde.
Quellen: Nachlass Kolb in: Monacensia. Literaturarchiv u. Bibliothek, München.
Werke: Kurze Aufsätze, 1899; Das Exemplar, Roman, 1913; Wege u. Umwege, 1914; Briefe einer Deutsch-Französin, 1916; Zarastro. Westliche Tage, 192; Spitzbögen, 1925; Wera Njedin, Erzählungen u. Skizzen. 1925; Daphne Herbst, Roman, 1928; Versuch über Briand, 1929; Kleine Fanfare, 1930; Beschwerdebuch, 1932; Die Schaukel. Eine Jugend in München, 1934; Mozart. Sein Leben, 1937; Festspieltage in Salzburg u. Abschied von Österreich, 1938; Glückliche Reise, 1941; Franz Schubert. Sein Leben, 1941; König Ludwig II. von Bayern u. Richard Wagner, 1947; Blätter in den Wind, 1954; Memento, 1960; 1907–1964. Zeitbilder, 1964.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1916), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 261, Nachlass Kolb, Ausschnitt aus einer Postkarte, Fotograph unbek., gedr. mit Genehmigung von Monacensia. – Georg Kolbe, Annette Kolb Bronzekopf, um 1919, Kunstmuseum Bern; über 150 Fotos im Nachlass in: Monacensia (vgl. Quellen).

Literatur: Richard Lemp, Annette Kolb, Nachlassverzeichnis u. Bibliographie, in: ders., Annette Kolb. Leben u. Werk einer Europäerin, 1970, 33-67 u. 114-117; Elazar Benyoetz, Annette Kolb u. Israel, 1970; Hiltrud Häntzschel, Kolb, in: NDB 12, 1979, 438; Sigrid Bauschinger (Hg.), Ich habe etwas zu sagen. Annette Kolb 1870–1967, Ausstellungskatalog, 1993; Charlotte Marlo Werner, Annette Kolb, 2000; Armin Strohmeyr, Annette Kolb, 2002; Fritz Walter/IrenaZivsa, Kindlers Literatur-Lexikon 9, 3. Aufl. 2009, 248-250.
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