Kanoldt, Alexander 

Geburtsdatum/-ort: 29.09.1881;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 24.01.1939; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Maler und Graphiker
Kurzbiografie: 1899 Abitur am Bismarckgymnasium Karlsruhe
1899-1901 Studium an der Badischen Kunstgewerbeschule Karlsruhe
1901-1906 Studium an der Großherzoglichen Akademie der bildenden Künste Karlsruhe
1909 Übersiedlung nach München
1913 Mitbegründer der Münchener Neuen Sezession
1914-1918 Kriegseinsatz in Frankreich, Italien und Rußland
1923 Ablehnung eines Rufs an die Kunstakademie Kassel
1925-1931 Prof. an der Kunstakademie Breslau
1927 Mitbegründer der Badischen Sezession
1931-1933 Private Malschule in Garmisch-Partenkirchen
1933-1936 Direktor der Hochschule der bildenden Künste in Berlin-Schöneberg
1936-1939 Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev. luth.
Verheiratet: 1. Hilde, geb. Waydelin
2. 1919 Editha, geb. von Mayer
Eltern: Vater: Edmund Kanoldt, Maler und Illustrator
Mutter: Sophie, geb. Hellwig
Geschwister: 1
Kinder: 2 Töchter
GND-ID: GND/118720694

Biografie: Michael Koch (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 153-155

Kanoldts geistige und künstlerische Grunderfahrungen wurden nachhaltig durch die an romantisch-klassizistische Traditionen anknüpfende Malerei seines Vaters geprägt, der als Schüler Friedrich Prellers des Älteren und Franz Drebers vornehmlich streng komponierte, bisweilen mit mythologischen Szenen belebte mediterrane Landschaften schuf. Nicht zuletzt die im Elternhaus empfangenen, durch die väterliche Gemäldesammlung mit Werken J. A. Kochs, W. Hirts, Fr. Prellers und G. Schönlebers vertieften Eindrücke führten Kanoldt 1899 in die Großherzogliche Kunstgewerbeschule seiner Heimatstadt und zwei Jahre später in die dortige Kunstakademie. Doch weder der trockene Zeichenunterricht Ernst Schurths, der ihm allenfalls handwerkliche Fertigkeiten vermittelte, noch die Meisterklasse des im naturalistischen Genre Münchener Provenienz malenden Friedrich Fehr vermochten Kanoldt wegweisende Impulse zu geben. Seine ersten künstlerischen Versuche sind daher auch weniger dem Konservatismus seiner akademischen Lehrer verpflichtet, sondern lassen vielmehr Einflüsse des damals für Karlsruher Verhältnisse relativ fortschrittlichen Pleinairismus der Grötzinger Malerkolonie bzw. des Karlsruher Künstlerbundes erkennen (vgl. Weidenbäume, 1902, Staatliche Graphische Sammlung München; Dorflandschaft, 1905, Sammlung Erbslöh). Von weittragender Bedeutung wurde für Kanoldt die Begegnung mit seinem Kommilitonen Adolf Erbslöh, der ihm ein lebenslanger Freund blieb. Als nicht minder wichtig erwies sich die Ausstellung französischer Neo-Impressionisten im Badischen Kunstverein 1906, die einen völligen Umbruch in Kanoldts Bildvorstellungen bewirkte. Tief beeindruckt von der auf physikalischen Theorien basierenden Raum- und Farbsystematik pointillistischer Gemälde, zugleich auch inspiriert durch Chevreuls Lehre von den Simultankontrasten, ordnete Kanoldt seine Landschaften in der Folge zu struktiven Bildgefügen, deren farbige Flächen er aus unzähligen vibrierenden Pinseltupfen aufbaute (vgl. Morgensonne, 1907, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; Rheinlandschaft, 1907, Universitätsmuseum Marburg). Welche Bedeutung Kanoldt den Errungenschaften der jüngsten französischen Malerei für sein eigenes Schaffen beimaß, wird noch dadurch unterstrichen, daß er sich ein Fotoalbum nach Gemälden Van Goghs, Cézannes, Monets, Vuillards u. a. anlegte.
Auf Anregung eines befreundeten russischen Architekten übersiedelte Kanoldt im Frühjahr 1909 nach München und schloß sich einem Kreis von Malern um Kandinsky, Jawlensky u. a. an, aus dem im selben Jahr die „Neue Künstlervereinigung München“ hervorgehen sollte. Kanoldt wurde Mitbegründer und Sekretär dieser heterogenen, den zeitgenössischen Stiltendenzen vor allem der französischen Malerei gegenüber aufgeschlossenen Künstlergruppe von europäischem Rang. Durch Jawlensky auf die revolutionierende Ästhetik der „Fauves“ aufmerksam gemacht und von den frühen Murnau-Kompositionen Kandinskys berührt, verwarf Kanoldt seine pointillistischen Experimente und wandte sich einer Malweise in stark kontrastierenden, expressiven Farben zu, die in Erinnerung an den Jugendstil das gestaltende Element der Linie keineswegs unterdrückte (vgl. Bayerisches Dorf, um 1910, und Mädchenbildnis, 1911, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe). Wegbereitend für seine Entwicklung zu einem der Hauptmeister der „Neuen Sachlichkeit“ wurde aber die Begegnung mit dem französischen Frühkubismus auf der zweiten Ausstellung der „Neuen Künstlervereinigung“ im September 1910. Kanoldt interessierte weniger die Lösung der komplexen Raum-Gegenstand-Beziehung durch das neuartige Medium simultaner Objektrepräsentation in den Werken Picassos, Braques oder Derains, ihm erschien vielmehr die einheitlich geometrisierende Struktur kubistischer Landschaften und Stilleben wichtig. Die Reduktion aller in Bildelemente umgewandelter Naturformen auf einfache, blockhafte Körper wurde von nun an zum unausgesprochenen künstlerischen Axiom Kanoldts, das er vielleicht am konsequentesten in seinen Eisack- und San Gimignano-Landschaften verwirklichte (vgl. Eisacktal, 1911, Privatsammlung Hamburg; San Gimignano, 1919-20, Städtische Kunstsammlung Kassel). Nachdem nicht zuletzt Kanoldts Polemik gegen Kandinskys gegenstandslose Malerei Ende 1911 zur Abspaltung des „Blauen Reiter“ geführt hatte, löste sich die „Neue Künstlervereinigung“ 1912 auf. Mit Klee, Jawlensky und Erbslöh trat Kanoldt der 1913 gegründeten „Neuen Sezession“ bei, die in Konkurrenz zu den traditionellen Künstlerverbänden Münchens Ausstellungen aktueller Kunst nahezu aller Stilrichtungen organisierte.
Nach dem Kriegseinsatz in Frankreich, Italien und Rußland, der seine künstlerischen Aktivitäten zwischen 1914 und 1918 fast vollständig lahmlegte, versuchte Kanoldt zunächst zögernd, an den in München eingeschlagenen Weg anzuknüpfen (vgl. Die letzten Häuser II, 1919, Privatbesitz; Kloster Saeben, 1920, Augustinermuseum Freiburg i. Br.). Doch im Verlauf des Jahres 1920 ging Kanoldt zu jener auffälligen plastischen Verhärtung der Bildobjekte über, die ein signifikanter Charakterzug einer allgemeineuropäischen, durch Giorgio de Chiricos „Pittura metafisica“ vorweggenommenen Wendung zu einer betont gegenständlichen antiexpressionistischen Malerei geworden ist (vgl. Stilleben XI, 1920, Kurpfälzisches Museum Heidelberg). Die spezifisch Münchener Komponente dieser unter den Begriffen „Neue Sachlichkeit“ bzw. „Magischer Realismus“ in die Kunstgeschichte eingegangenen Stilrichtung hat Kanoldt maßgeblich geprägt und – nicht zuletzt als meisterhafter Lithograph – bis in die frühen dreißiger Jahre mit unbeirrbarer Konsequenz vertreten. Während dieser Zeitspanne wurde ihm das Stilleben zur bevorzugten Gattung: Die oftmals aus divergierenden Perspektiven gesehenen, durch glatten Farbauftrag plastisch gesteigerten Gegenstände – zumeist Kakteen, Gummibäume, Krüge, Teedosen - sind in ausschnitthaften Bildräumen zu hermetisch strengen Ensembles arrangiert (vgl. Stilleben VIII, 1922, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe). Die kalkulierte Künstlichkeit dieser von herkömmlicher Symbolik freien Stilleben kennzeichnet auch die wenigen Landschaften, die Kanoldt 1924 und 1925 in den Sabiner Bergen östlich von Rom malte. Den früheren San Gimignano-Panoramen ähnlich, jedoch kristallinisch-schärfer in den Einzelformen, vermitteln die Ansichten von Olevano, Subiaco, Paese di Bellegra den Eindruck einer versteinerten, frostigen Natur, in der alles Leben erloschen scheint (vgl. Il Paese di Bellegra I, 1924, Privatbesitz).
1925 veranstaltete der Mannheimer Kunsthallendirektor G. F. Hartlaub die berühmte Ausstellung „Neue Sachlichkeit“, auf der Kanoldt mit dem umfangreichsten Einzelkontingent vertreten war. Im selben Jahr berief ihn Oskar Moll an die Breslauer Kunstakademie, wo er neben Otto Mueller, Carlo Mense und später Oskar Schlemmer unterrichtete. Kontroversen um Molls Führungsstil sowie wachsende persönliche Isolierung veranlaßten Kanoldt im Frühjahr 1931 zur Niederlegung seines Lehramtes. Nach dem gescheiterten Versuch, eine private Malschule in Garmisch-Partenkirchen zu unterhalten, folgte der mittlerweile den Nationalsozialisten als Parteimitglied verbundene Kanoldt am 1. Mai 1933 einem Angebot des preußischen Erziehungsministers Rust und übernahm die Leitung der Hochschule der bildenden Künste in Berlin-Schöneberg. Doch bald geriet er in Konflikt mit der reaktionären Kunstpolitik der neuen Machthaber: Von seinem Karlsruher Kollegen Hans Adolf Bühler in einer ersten Schau „entarteter“ Kunst öffentlich denunziert, verteidigte Kanoldt seine eigene künstlerische Position und trat zugleich für das Existenzrecht der von ihm 1927 mitbegründeten „Badischen Secession“ ein. Seine wiederholte Kritik am doktrinär-völkischen Kurs des Karlsruher Kultusministeriums dürfte 1935 entscheidend zur Ablehnung der Initiative Otto Haupts u. a. beigetragen haben, Kanoldt an die Kunstakademie seiner Vaterstadt zu berufen.
Enttäuscht über die wachsende kulturelle Reglementierung, jedoch weiterhin von den Nationalsozialisten geduldet, gab Kanoldt sein Berliner Amt im Sommer 1936 auf und zog sich in ein Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste zurück. Die hier entstandenen Werke der letzten Lebensjahre legen in ihrer künstlerischen Anspruchslosigkeit Zeugnis ab sowohl von der rasch nachlassenden Schaffenskraft Kanoldts als auch von einer tiefen Resignation, die ihn angesichts der Zeitereignisse ergriffen hatte.
Nachweis: Bildnachweise: Selbstbildnis, Öl, von 1930, Karlsruher Kunsthalle; Foto StAF, Bildnissammlung.

Literatur: Otto Fischer, Das neue Bild, München 1912; Franz Roh, in: Cicerone 18, 1926, 473 ff.; Wilhelm Hausenstein, in: Hören 2, 1926, 35 ff.; Edith Ammann, Das graphische Werk von A. Kanoldt, Karlsruhe 1963; Brigitte Fischer-Hollweg, A. Kanoldt und die Kunstrichtungen seiner Zeit, Phil. Diss. Bochum 1971; Michael Koch, Neue Sachlichkeit – Magischer Realismus. Der Beitrag Münchens zur nachexpressionistischen Malerei und Graphik, in: AKat. Die Zwanziger Jahre in München, Stadtmuseum München 1979, 121 ff.; ders., Kulturkampf in Karlsruhe. Zur Ausstellung Regierungskunst 1919-1933, in: AKat. Kunst in Karlsruhe 1900-1950, Staatl. Kunsthalle u. Bad. Kunstverein, Karlsruhe 1981, 102 ff.
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