Weismann, August Friedrich Leopold 

Geburtsdatum/-ort: 17.01.1834; Frankfurt a. M.
Sterbedatum/-ort: 05.11.1914;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Zoologe
Kurzbiografie: 1852-1856 Medizinstudium in Göttingen bei F. Wöhler, weitere Professoren: J. Henle, W.
Weber
1856 Promotion
1856-1857 Assistenzarzt in Rostock. Assistent am Institut für Chemie in Rostock
1858 Praktischer Arzt in Frankfurt, Staatsexamen
1859 Oberarzt im badischen Heer
1860-1861 Studium bei R. Leuckart in Gießen
1861-1863 Leibarzt des österreichischen Erzherzogs Stephan (Schloß Schaumburg; Diez/Lahn)
1863 Habilitation an der Universität Freiburg; Privatdozent für vergleichende Anatomie und Zoologie
1865 außerordentlicher Prof. für Zoologie an der Universität Freiburg
1868 Gründung des Zoologischen Instituts der Universität Freiburg
1873 Ordinarius für Zoologie
1879 Dr. phil. h. c. der Universität Freiburg
1909 Verleihung der Darwin-Wallace-Medaille
1912 Emeritierung als wirklicher Geheimrat, Exzellenz
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. (Genua), Mary Dorothe, geb. Gruber (1848-1886)
2. (Zandam bei Amsterdam) 1895 Wilhelmine Jesse, geschieden 1901
Eltern: Vater: Johann Konrad August Weismann (1804-1880), Gymnasialprofessor für klassischen Philologie
Mutter: Elise, geb. Lübbren (1803-1850)
Geschwister: 2
Kinder: 5 Töchter, 1 Sohn aus 1. Ehe:
Theresia (geb. 1868)
Hedwig (geb. 1870)
Berta (geb. 1873)
Meta (geb. 1875-76)
Julius, Komponist
GND-ID: GND/118766406

Biografie: Peter E. Fäßler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 312-314

Weismann gilt als einer der bedeutendsten Zoologen und Biologie-Theoretiker des 19. Jahrhunderts. Er war ein hervorragender Beobachter und auch ein scharfer Denker, der die Evolutionstheorie nachhaltig prägte, vor allem durch die strikte Ablehnung der Vererbung erworbener Eigenschaften (Neodarwinismus). Seine Erkenntnisse gaben entscheidende Anregungen für die Biologie des 20. Jahrhunderts, insbesondere für Genetik, Entwicklungsphysiologie und Cytologie.
Weismann entstammte einer bürgerlichen Familie, in der seine Neigungen und Begabungen schon frühzeitig gefordert wurden. Neben einer fundierten schulischen Ausbildung erhielt er privat Unterricht in den musischen Fächern. Seine später angefertigten wissenschaftlichen Illustrationen zeugen von hoher Qualität, was sicher mit auf die Förderung in jungen Jahren zurückzuführen ist. Bereits während der Schulzeit sammelte Weismann botanische und zoologische Objekte. Er besaß eine umfangreiche Sammlung von Käfern und Schmetterlingen, sowie ein sorgfältig angelegtes Herbarium, die seine Kenntnisse der Fauna und Flora der Frankfurter Umgebung widerspiegeln. Seine offenkundige Neigung zu den Naturwissenschaften mußte Weismann bei der Berufswahl auf väterliches Anraten hintan stellen und als bürgerliche Existenzgrundlage den Arztberuf erwählen. Er begann mit dem Medizinstudium in Göttingen bei Friedrich Wöhler, der durch die Entdeckung der Harnstoffsynthese weithin bekannt geworden war. Bei ihm fertigte er auch seine 1857 abgeschlossene Dissertation mit dem Titel „De acidi hippurici in corpore humano generatione“ an. Nach Beendigung des Medizinstudiums arbeitete Weismann längere Zeit als Arzt, zuerst in Rostock, später in seiner Heimatstadt Frankfurt und zuletzt als Leibarzt des im hessischen Exil auf Schloß Schaumburg lebenden Erzherzogs Stephan von Österreich. Zwischenzeitlich war er 1859 gegen Ende des österreichisch-italienischen Krieges als Oberarzt erstmals nach Italien gekommen und nahm von dort zahlreiche Anregungen mit.
Den Arztberuf sah Weismann stets als reinen Broterwerb an, seine wahre Leidenschaft galt der wissenschaftlichen Forschung, welche er die ganzen Jahre über weiterhin betrieben hatte. So entstanden u. a. zwei preisgekrönte chemische bzw. biochemische Arbeiten, in einer weiteren Untersuchung wies Weismann den zellulären Aufbau des Herzmuskels nach. Außerordentlich fruchtbar war, nach eigener Aussage, sein kurzer Aufenthalt bei dem Zoologen Rudolf Leuckart in Gießen. Dieser regte Weismann zu grundlegenden Studien über die Insektenentwicklung, insbesondere der Zweiflügler („Dipteren“) an, die er in den Jahren 1861-63 durchführte. Ihre Ergebnisse, Weismann beschrieb u. a. erstmals Imaginalscheiben und Polzellen, faßte er in einer Habilitationsschrift zusammen, die 1863 von der Freiburger Universität angenommen wurde. Bis heute haben Weismanns Beobachtungen am Insektenembryo nichts von ihrer grundlegenden Bedeutung verloren.
Neben der Erforschung der belebten Natur durch Experiment und Beobachtung hat Weismann bereits in frühen Jahren sich um die theoretische Durchdringung biologischer Phänomene bemüht, eine Arbeitsweise, der er sich später aufgrund eines hartnäckigen Augenleidens verstärkt zuwenden mußte. Zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung studierte er Darwins epochales Werk „On the Origin of Species“ und verstand sich fortan als Verfechter der Evolution durch Selektion. Seine Freiburger Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1868 trägt den Titel „Über die Berechtigung der Darwinschen Theorie“.
Ein Jahr nach Beginn seiner Tätigkeit als Privatdozent für vergleichende Anatomie und Zoologie in Freiburg zwang ihn die Verschlechterung seines Sehvermögens zu einer zehnjährigen Pause im Mikroskopieren. Weismann nutzte jene Jahre zur Beschäftigung mit biotheoretischen Themen, wie beispielsweise der Frage nach der Artbildung durch Isolation. Eine Besserung seines Augenleidens ermöglichte ihm später wieder die Arbeit am Mikroskop. Er untersuchte an Wasserflöhen (Cladoceren) die Eibildung, das Zustandekommen von Winter- und Sommereiern, die Ernährung der Embryonen sowie den Entwicklungszyklus. In einer Abhandlung „Über das Thierleben im Bodensee“ (1876) beschrieb er neben anderem als erster die tageszeitlichen Vertikalwanderungen des Planktons. Dies ist eine der frühesten limnologischen Arbeiten überhaupt und trug Weismann das Verdienst ein, diese Forschungsrichtung mitbegründet zu haben. Als besonders einflußreich für Weismanns spätere evolutionstheoretische Vorstellungen und insbesondere für den von ihm aufgestellten Begriff der Keimbahn erwies sich die Untersuchung der sexuellen Fortpflanzung bei marinen Nesseltieren (Hydrozoa), die er 1879 und 1880 durchführte.
Seit den späten 70er Jahren vorigen Jahrhunderts wandte sich Weismann verstärkt evolutions- und vererbungstheoretischen Problemen zu. Hatte er früher in Übereinstimmung mit Darwin die Vererbung erworbener Eigenschaften für möglich gehalten, so schloß er nun eine solche anhand theoretischer Überlegungen aus; damit begründete er eine modifizierte Version des Darwinismus, den Neodarwinismus. Die Erbanlagen vermutete Weismann bereits 1885 im Zellkern, wo die Chromosomen als deren Träger fungieren. Da diese nur durch mitotische Zellteilung, also innerhalb von Zellinien, weitergegeben werden, postulierte er eine Zellinie, die sogenannte Keimbahn, als Träger der Kontinuität zwischen den Keimzellen aufeinanderfolgender Generationen. Ein Grundirrtum war allerdings, daß er nur den Keimzellen die vollständigen Erbanlagen zubilligte, während die Körperzellen aufgrund der von ihm angenommenen erbungleichen Kernteilungen während der Entwicklung lediglich Teile des Erbgutes enthalten sollten. Trotz dieser falschen Annahme konnte er den richtigen Schluß ziehen, daß erworbene Eigenschaften, die sich ja ausschließlich in Körperzellen manifestieren, nicht in die nächste Generation vererbt werden können, da die Keimbahn sich schon in der Embryonalentwicklung von den Körperzellen trennt. Des weiteren forderte Weismann eine bis dahin unbekannte Reduktionsteilung, heute Meiose genannt, welche den nach Verschmelzung der Keimzellen doppelt vorliegenden Erbanlagensatz wieder halbiert. Ohne einen solchen Vorgang würde sich die Erbmasse von Generation zu Generation verdoppeln.
Seine theoretische Erkenntnisse faßte Weismann in dem 1892 erschienenen Buch „Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung“ zusammen. Dieses Werk, umstritten und in vielen Details bereits von Zeitgenossen angefochten, wirkte ungemein anregend auf die Biologie. Der spätere Nachfolger Weismanns auf seinem Lehrstuhl in Freiburg, der Nobelpreisträger Hans Spemann meinte, daß alle seine Forschung mit dem Studium von Weismanns „Keimplasma“ begonnen habe. Weismann verschaffte der Zoologie an der Freiburger Universität durch sein wissenschaftliches Ansehen einen enormen Aufschwung. Viele Doktoranden aus Europa und aus fernen Ländern studierten bei ihm, angezogen von seinem internationalen Ruf. Von den zahlreichen Ehrungen sei nur die Darwin-Wallace-Medaille der Linnean Society in London erwähnt, die Weismann anläßlich der 50-Jahr-Feier für Darwins epochales Buch wegen seiner Verdienste auf den Gebieten der Evolutionstheorie und Vererbung verliehen wurde.
Werke: Die Entstehung d. Sexualzellen bei den Hydromedusen. Jena 1883; Die Kontinuität d. Keimplasmas als Grundlage e. Theorie d. Vererbung. Jena 1885; Die Bedeutung d. sexuellen Fortpflanzung f. die Selektionstheorie. Jena 1886; Das Keimplasma. E. Theorie d. Vererbung. Jena 1892; Die Allmacht d. Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. G. Fischer. Jena 1893; Vorträge über Deszendenztheorie. 2 Bde. Jena 1913 3. Aufl..
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Inst. f. Biologie I d. Univ. Freiburg u. K. Sander (vgl. Lit., 1985).

Literatur: Ernst Gaupp, A. Weismann: Sein Leben u. sein Werk. Jena 1917; A. Petrunkewitsch, A. Weismann, Personal Reminiscences, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 18, 1963, 20.35; Frederick B. Churchill, A. Weismann and a Break from Tradition, Journal of the History of Biology 1, 1968, 91-112; Klaus Sander (Hg.), A. Weismann (1834-1914) u. d. theoret. Biologie d. 19. Jhs. Urkunden, Berichte u. Analysen, Freiburger Universitätsblätter Heft 87/88, 1985, 20-203 und Beiträgen von: F. B. Churchill (107-124), Thomas Cremer (99-106), Atanas Danailow (125-130), Christiane Groeben (141-156), Ilse Jahn (131 f.), Ernst Mayr (61-82), Helmut Risler (23-42), Gloria Robinson (83-90), Klaus Sander (21 f.), Heinz Schott (133 f.), Jürgen Schwoebel (53-60), Peter Sitte (91-98), Conner Sorensen (157-165), Georg Uschmann (135-139); Klaus Sander, Von der Keimplasmatheorie zur synergetischen Musterbildung – 100 Jahre entwicklungsbiolog. Ideengesch., in: Verhandl. d. Dt. Zool. Ges. 83, 1990, 133-177; Rolf Löther, Wegbereiter der Genetik: Gregor Johann Mendel u. A. Weismann – Frankfurt a. M. 1990, 103 S.
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