Zentner, Wilhelm Albert Eduard Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 21.01.1893;  Pforzheim
Sterbedatum/-ort: 07.03.1982; München
Beruf/Funktion:
  • Theater- und Musikkritiker, Schriftsteller
Kurzbiografie: 1899-1903 Knabenvorschule in der Gartenstraße, Karlsruhe
1903-1911 Gymnasium Karlsruhe, Abitur
1911-1914 Studium der deutschen Philologie, der Theater- und Musikwissenschaft und der Neueren Geschichte an den Universitäten Heidelberg und München
1914-1918 Kriegsfreiwilliger, Kriegsdienst an der Westfront im badischen Grenadierregiment Nr. 110 und dem württembergischen Fußartillerieregiment Nr. 13, zuletzt Leutnant im preußischen Fußartillerie-Bataillon Nr. 63, 1918 verwundet
1918-1920 Fortsetzung des Studiums an der Universität München, 1920 Dr. phil. summa cum laude (Dissertation: „Studien zur Dramaturgie Eduard von Bauernfelds“ bei Franz Muncker)
1920 Kurzzeitige Tätigkeit im Badischen GLA Karlsruhe, 1920-1921 Assistent am Volksliedarchiv der Universität Freiburg i. Br.
1921 Rückkehr nach München, freiberuflicher Theater- und Musikrezensent, Beginn der Herausgebertätigkeit
1924-1925 Oberspielleiter an der „Westdeutschen Bühne“, Karlsruhe, danach endgültige Übersiedlung nach München, Theater- und Musikrezensent
1938 Programmredakteur der Münchener Philharmoniker
1939-1945 Kriegsdienst, Chef einer Flakbatterie in Ost- und Westpreußen, 14.04.1945 kurzzeitig amerikanische Kriegsgefangenschaft im Ruhrgebiet
1945 (Herbst) Dozent für Operngeschichte, Operndramaturgie und Theaterwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik, München; Lektor der Sparte Musik bei der Bayerischen Akademie der schönen Künste in München
1955 Johann Peter Hebel-Preis
1958 Erster Vorsitzender des Verbandes Münchener Tonkünstler
1961 Ernennung zum Professor durch die Baden-Württemberg Landesregierung
1968 Goldener Ehrenring der Münchener Philharmoniker
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1925 München, Karoline Auguste Elisabeth, geb. Döhlemann (1894-1975)
Eltern: Wilhelm, Münzrat, Direktor der „Badischen Münze“
Bernhardine, geb. Held
Geschwister: 1
Kinder: keine
GND-ID: GND/118772597

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 471-474

Im Vorwort zu seiner Hebel-Briefausgabe schrieb Zentner: „Ich lege die Sammlung der Hebel-Briefe in den Schoß meiner oberrheinischen Heimat, deren Sohn zu heißen ich stets mit Stolz, jedoch auch im Bewußtsein der damit verbundenen kulturellen Aufgabe empfunden habe.“ Als Zentner dies schrieb, lebte er schon seit Jahrzehnten in der bayerischen Landeshauptstadt, aber im Herzen war er immer badischer „Landsmann von bestem Schrot und Korn“ (Otto Ernst Sutter) geblieben. Die Vorfahren väterlicherseits stammten aus einem Hof bei Ladenburg, mütterlicherseits aus dem Wiesental. Der Urgroßvater Zentners, der Großherzogliche Gartendirektor Held, hatte Hebel noch persönlich gekannt. Über die Großtante Mathilde Held war Zentner mit Joseph Victor von Scheffel verwandt, dessen Elternhaus in der Stephanienstraße wenige Schritte von der Badischen Münze entfernt lag, wo Zentner aufwuchs. Die Jugendjahre in der damaligen badischen Residenz Karlsruhe betrachtete Zentner nicht in sentimentaler Erinnerung, sondern als lebensbestimmende Reifezeit. Als Tertianer erlebte er noch den gestrengen Gymnasiumsdirektor Gustav Wendt.
Das vorwaltende Interesse des Heranwachsenden galt dem Theater. Die Karlsruher Glanzperiode in Oper und Schauspiel unter dem Generalintendanten Alfred Bürklin und dem Generalmusikdirektor Felix Mottl war zwar schon unmittelbar vor den ersten Besuchen Zentners im schönen Hoftheater am Schloßplatz beendet, aber der fähige Nachfolger Bürklins, Albert Bassermann, verstand es, das erreichte hohe Niveau und den Ruf Karlsruhes als „Klein-Bayreuth“ zu wahren. So wirkte ein großer Teil des Opernpersonals im Sommer bei den Bayreuther Festspielen mit. Im Schauspiel erlebte der Sekundaner außer den Klassikern die zeitgenössischen Dramatiker Gerhart Hauptmann, Hendrik Ibsen, August Strindberg, Oscar Wilde usw. In jenen Jahren wurde die „theatralische Sendung“ Zentners – nach berühmten literarischen Vorbild – grundgelegt, und er war „von dem Traum erfüllt“, den Beruf des Schauspielers zu ergreifen. „Kurzum, das Theater hatte mich überwältigt, behext, verwandelt.“ Aber Träume werden selten wahr.
Zunächst verschaffte er sich eine solide systematische Grundlage der ihn interessierenden Fächer und nahm in Heidelberg das Studium der deutschen Philologie, der Theater- und Musikwissenschaft auf. Nach drei Semestern, in denen er u.a. dem damals das Heidelberger Musikleben dominierenden Philipp Wolfrum begegnete, wechselte er in der Erwartung eines umfangreicheren Angebots in seinen Disziplinen nach München und lernte schnell das dortige Ambiente und die reichhaltige Kunstpflege der Stadt schätzen und lieben. Er hatte das Glück, an der Universität bei Leuchten ihrer Fächer zu lernen und zu wachsen, unter ihnen Franz Muncker (Deutsche Philologie), Erich Marcks (Neuere Geschichte) und vor allem Adolf Sandberger (1864-1943), einer der Begründer der modernen Musikwissenschaft.
Der I. Weltkrieg unterbrach fast vier Jahre lang die mit Lust und Liebe betriebenen Studien. Zentner überlebte; eine 1918 erlittene Verwundung machte die Wiederaufnahme des Studiums in München möglich. Im Februar 1920 promovierte er mit ausgezeichneten Noten. Schon während des Studiums veröffentlichte er kleinere Arbeiten über theatergeschichtliche und volkskundliche Themen in bayerischen und badischen Zeitschriften – „Mein Heimatland“ –, und schon damals war er Theaterreferent der „Badischen Landeszeitung“ und des „Heidelberger Tagblatts“. Es gab dann einige Übergangsstationen bis zur endgültigen Entscheidung für den Beruf des freiberuflichen Theater- und Musikrezensenten in München: zuerst sammelte er im Frühjahr 1920 im Badischen Generallandesarchiv bei der Herausgabe der Briefe Johann Peter Hebels an Gustave Fecht erste editorische Erfahrungen, und im Sommer 1920 siedelte er nach Freiburg i. Br. über, wo er am Volksliedarchiv der Universität bei der Edition und vergleichenden Darstellung von Volksliedvarianten die bei Sandberger erlernte Methodik anwenden konnte, die ihm bei der umfangreichen Herausgebertätigkeit in den folgenden Jahrzehnten sehr zustatten kommen sollte.
So sehr ihn aber alle diese Aufgaben fesselten, die „theatralische Sendung“ der frühen Jahre war noch keineswegs vergessen. So übernahm er 1924 die Leitung der „Westdeutschen Bühne“, einer vom Bühnenvolksbund finanzierten Wanderbühne, die ganz Baden von Weinheim bis Singen bespielte. Aber dieser Broterwerb war ziemlich mühselig, und der Thespiskarren blieb schon nach einem Jahr stecken, wie der Dramaturg und Freund Fritz Knöller berichtet. Jetzt kehrte Zentner definitiv nach München zurück und machte sich bald als Theater- und Musikrezensent für Münchener Zeitungen und als Vertreter auswärtiger Blätter einen Namen: des „Karlsruher Tagblatts“, der „Freiburger Zeitung“ und der „Baseler Nachrichten“. Von 1925 an nahm ihn das Theater- und Musikleben eines der großen deutschen Kunstzentren ganz und gar gefangen. Mit vielen Größen der damaligen Münchener Musikszene, unter ihnen Ermanno Wolf-Ferrari und Joseph Haas, war der sachkundige Rezensent und glänzende Stilist befreundet.
In den 1920er Jahren setzte auch jene intensive Befassung mit dem Werk Johann Peter Hebels ein, die Zentner bis in seine späten Tage nicht mehr loslassen sollte. Das herausgeberische Gesellenstück, die Briefe an Gustave Fecht, wurde bereits erwähnt; es folgten die Meisterleistungen: die dreibändige Ausgabe der Werke (1923-1924) und die zweibändige der Briefe (1939, 2. Aufl. 1957). 1949 erschien die umfassende Hebel-Biographie, 1964 folgte eine zweite Auflage. Daneben gab Zentner eine Reihe von Auswahlbänden heraus: die „Biblischen Geschichten“ (1959), die „Alemannischen Gedichte“ (1960) und das „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreunds“ (1960). Parallel lief die Edition einer siebenbändigen Ausgabe der Briefe Joseph Victor von Scheffels an seine Eltern (1925-1951). In diesem Jahr 1951 gab er außerdem eine Festgabe zum 125. Todestag Hebels heraus.
Schon diese keineswegs vollständige Aufzählung spräche für ein vollgültiges Lebenswerk, aber die mit all diesen Veröffentlichungen gleichzeitige Produktion des Musikschriftstellers lief die Jahrzehnte über auf hohen Touren. Einige Stichworte: schon 1921 erschien „Die Deutsche Oper“, und später verfaßte er Monographien über den jungen Mozart (1921), Johann Friedrich Reichardt (1939), Anton Bruckner (1947) und Carl Maria von Weber (1952). 1950 wirkte er beim Wiederaufbau des Reclam-Verlags in Stuttgart mit, und dort erschienen in rascher Folge und in hohen Auflagen seine Opernführer sowie die über 50 Nummern umfassende Operntextbibliothek. Gleichzeitig arbeitete er bei der Herausgabe der Reclam-Schauspiel- und Kammermusikführer mit. In dieser summarischen Übersicht darf ein Blick auf die Edition von Theaterstücken von Ludwig Anzengruber, Johann Nestroy und Ferdinand Raimund nicht fehlen. Und die „theatralische Sendung“: nicht weniger als 16 Lustspiele und Komödien und zwei Dramen („Der Schild des Archilochos“, „Die Stunde ruft“) schlummern in Archivschubladen. Die beiden Dramen wurden in den 1920er Jahren im Badischen Staatstheater uraufgeführt, „leider zu einer Zeit, da man fast kein gut geschultes Ohr mehr besaß“ (Fritz Knöller).
Zeittypischen Irrtümern ist, wie viele andere, auch der in der „Hauptstadt der Bewegung“ lebende Zentner nach 1933 erlegen. Als der Oberprogagandist Goebbels 1937 „aus einem Berufe, der einst bei manchen seiner Träger nur die Freude am Niederreißen bedeutete, ein Amt des Aufbaus“ machte (Zentner) und verfügte, daß der „Musikkritiker“ künftig „Musikbetrachter“ zu nennen sei, dankte Zentner ihm „aufrichtigen Herzens“ (Werke) und begrüßte die damit nach seiner Meinung abgeschaffte „mephistophelische Geisteshaltung“ vieler Kritiker. Daß Zentner von der seinerzeitigen Neuen Musik nicht viel hielt, ergibt sich schon aus seinem Werkverzeichnis von 1963 (Werke); man wird dort vergeblich eine Monographie eines der großen zeitgenössisehen Komponisten der Neuen Musik suchen. 1937 sympathisierte er (Werke) mit einem gegen die „undeutsche abstrakte Linie von ausgesprochen antimelodischem Charakter“ polemisierenden Komponisten namens Siegfried Garibaldi Kallenberg (1867-1944, heute längst vergessen); Kompositionen Schönbergs, Bartoks und Strawinskys bezeichnete dieser als von einer „deutschfremden Art“ charakterisiert. Nach 1945 hat Zentner diese Irrtümer korrigiert, nachdem er, wie er sich ausdrückte, die „stilbildende Kraft“ und „neuen Geschmacksideale“ der Neuen Musik erkannt hatte. In seinem Opernführer von 1951 findet man denn auch Werke des „deutschfremden“ Igor Strawinsky wie auch der im „Dritten Reich“ verfemten Komponisten Alban Berg, Karl Amadeus Hartmann, Paul Hindemith und Ernst Krenek.
Wollte man aus dem in seiner Fülle und Spannweite beeindruckenden Lebenswerk Zentners das sicher Bleibende herausgreifen, so wäre den sich mit Johann Peter Hebel befassenden Publikationen der erste Rang zuzuweisen. Zentner war einer der führenden Hebelforscher unserer Zeit. Mit jenem größten Poeten alemannischer, badischer Zunge verband ihn „die Eigenart der 'natürlichen Demokratie'“, die Jeden Mitbürger in erster Linie menschlich sieht, wertet und behandelt und keinen demütigen Respekt vor Geborenen oder 'Besitzenden' zur Schau trägt“ (Willy Hellpach). Mit Hebel verband Zentner aber auch ein geographischer Umstand: er war im badischen Ober- und Unterland in gleicher Weise zuhause. Ähnlichen Rang wie die Hebelpublikationen dürfen die Scheffel-Editionen beanspruchen. In den lebensklugen und Wärme atmenden Gedichten ist die Nähe des poetischen Vorbilds Hebel besonders spürbar.
Unter „Bleibendes“ sind auch die auf dem Gebiet der Musik und des Theaters entstandenen zahlreichen volksbildnerischen Texte einzureihen, und der Forderung, die er dem Musikkritikernachwuchs stellte, eine „Synthese zwischen fachlich-fundiertem Wissen und gepflegter Stilistik“ zu erreichen, hat er selbst voll und ganz entsprochen. Für „seine“ Symphoniker edierte er 1953 eine Festschrift „60 Jahre Münchener Philharmoniker“.
Sein Sorgenkind waren seine Schauspiele; aber er verfügte weder über die dramatische Pranke Hermann Burtes noch über den ausgeprägten Sinn Friedrich Roths für die Bühnenwirksamkeit zeitgenössischer oder historischer Themen. Schon die Titel einiger Stücke Zentners – „Soll ein Tenor heiraten?“, „Papa ist unpäßlich“, „Der Teufel fuhr in diesen Papagei“ – deuten an, daß es sich bei diesen Werken um nicht viel mehr als Eintagsfliegen handelt. Reichtum und Vielfalt des Zentner‘schen Lebenswerks werden aber durch das unbefriedigende Geschick seiner Sorgenkinder nicht beeinträchtigt.
Im Herbst seines Lebens wurden ihm hohe Ehren erwiesen: 1955 wurde er Träger des hochangesehenen Johann Peter Hebel-Preises, und 1961 verlieh ihm die baden-württembergische Landesregierung den Titel „Professor“. Die Münchener Philharmoniker, mit deren künstlerischen Wegen er jahrzehntelang eng verbunden war, ehrten ihren Programmredakteur und Pressechef mit ihrem Goldenen Ehrenring.
Quellen: Mitteilungen von Waltraut Neudeck, geb. Zentner, Lörrach, von Friedrich Plettenberg, Bad Säckingen, und Manfred Bosch, Lörrach; Auskünfte der Literarischen Gesellschaft (Scheffelbund), Karlsruhe (dort Teilnachlaß), und des Archivs der Ludwig-Maximilians-Universität München
Werke: Die wichtigsten Werke im Text; vollständiges Verzeichnis (bis 1963) in: Ekkhart 1963, 135-137 (Fritz Knöller); ergänzend: Musikbetrachtung statt Musikkritik, in: Zeitschrift für Musik, März 1937, 260-261; Siegfried Kallenberg, in: ebda, Dezember 1937, 1375-1376
Nachweis: Bildnachweise: in: Ekkhart 1943, 1963 (Literatur)

Literatur: Fritz Knöller, Wilhelm Zentner, der Mensch und sein Werk, in: Ekkhart 1943, 113-119; ders., Wilhelm Zentner, zu seinem 70. Geburtstag, in: ebd. 1963, 130-137; Emil Baader, Wilhelm Zentner, in: Baden-Württemberg 1958 H. 1, 29; Wilhelm Zentner, in: Der Johann Peter Hebel-Preis von 1936-1988. Eine Dokumentation von Manfred Bosch, im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst des Landes Baden-Württemberg hg. vom Oberrheinischen Dichtermuseum Karlsruhe, 1988, 148-152; Professorentitel für Wilhelm Zentner, in: BNN vom 26.01.1961 (ohne Verfasser); Fritz Knöller, Kulturhistoriker aus Berufung – Zum 70. Geburtstag des Hebelpreisträgers Wilhelm Zentner, in: BNN vom 19.01.1963; Philander, Wilhelm Zentner der Siebziger, in: Bodenseehefte 1963, 118; Otto Ernst Sutter, Wilhelm Zentner zu grüßen, in: Markgrafschaft 20/1968; Joseph Wulf, Kultur im Dritten Reich, Bd. 5: Musik. Eine Dokumentation, 1989, 45, 185; MGG 14, Sp. 1224-1225; BbG 8; LbBW 6, 9
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