Schäfer, Dietrich Johann Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 16.05.1845; Bremen
Sterbedatum/-ort: 12.01.1929; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1860-1863 Staatliches Lehrerseminar Bremen; Zweite Lehramtsprüfung für die Volksschule 1865
1863-1868 Schuldienst
1868-1869 Philologie-und Geschichtsstudium in Jena
1869-1871 Studium der Geschichte in Heidelberg bei Heinrich von Treitschke und in Göttingen bei Georg Waitz
1870-1871 Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg als Freiwilliger
1872 Promotion in Göttingen; Thema der Dissertation: Dänische Annalen und Chroniken von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, mit Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu schwedischen und deutschen Geschichtswerken, kritisch untersucht; Doktorvater Georg Waitz
1872 Staatsexamen für die Mittelstufe
1872-1876 Lehrer, Bibliothekar der Stadt Bremen und ab 1876 Angestellter des Hansischen Geschichtsvereins
1877-1885 Prof. für mittelalterliche Geschichte in Jena
1885-1888 Prof. in Breslau
1888-1896 Prof. in Tübingen
1896-1903 Prof. in Heidelberg; zeitweise Dekan der Philosophischen Fakultät
1898 Mitglied der Ersten Kammer Badens, als Vertreter der Universität
1903-1921 Prof. in Berlin
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1875 (Midlum) Wilhelmine, geb. Theobald
Eltern: Vater: Johann Dietrich Schäfer (1814-1855), Arbeiter
Mutter: Anna Dorothea, geb. Wellinghausen (geb. 1809), Arbeiterin
Geschwister: Anna (1841-1872) (drei weitere Kinder im Säuglingsalter verstorben)
Kinder: 4 Töchter
2 Söhne
GND-ID: GND/118794841X

Biografie: Jens P. Ackermann (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 221-223

Schäfer gehörte zu den bekanntesten Historikern des Kaiserreichs und engagierte sich in zahlreichen konservativ-rechtsgerichteten Vereinigungen an maßgeblicher Stelle. Seine Doppelkarriere ist nicht zuletzt insofern fast beispiellos, als er aus kleinsten Verhältnissen stammte. Wissenschaftlich trat Schäfer, der von Georg Waitz und Wilhelm Wattenbach gefördert wurde und freundschaftlich eng mit Eduard Meyer verbunden war, insbesondere mit Arbeiten zur Hansegeschichte hervor. Die Hanse stellte für ihn neben der Reformation und dem Aufstieg Preußens eines der grundlegenden Elemente einer deutschen Nationalgeschichte dar. Daneben erwarb er sich einen Ruf als Wissenschaftsorganisator. Er beförderte die Errichtung von historischen Seminaren und Bibliotheken für die Studenten, führte mit Übungen in den geschichtlichen Hilfswissenschaften ein, hielt Vorlesungen in Geographie und stritt für deren Etablierung als universitäres Fach. Er betreute die Herausgabe von Hanserezessen und initiierte mehrere Quelleneditionen, darunter die „Regesta diplomatica necnon, epistolaria historiae Thuringiae“. Schäfer war Mitglied in zahlreichen historischen Vereinen und seit 1913 der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
1870 begann er seine journalistische Tätigkeit für die „Weserzeitung“, in der Heidelberger Zeit schrieb er daneben für weitere Tageszeitungen; zudem veröffentlichte er Reisebeschreibungen. Seit Mitte der 1890er Jahre nutzte Schäfer zunehmend mehr die Möglichkeiten der Presse, ein breites Publikum politisch zu beeinflussen. Seine universitäre Lehrtätigkeit begriff er ebenso als politischen Auftrag. Sein Verständnis des Historikers als „politischer Kopf“ entwickelte er explizit in seiner Tübinger Antrittsvorlesung „Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte“. Anspielend auf Friedrich Schiller und unter Berufung auf Leopold von Ranke interpretierte Schäfer die historische als Legitimationswissenschaft zugunsten der bestehenden politischen Ordnung. Ziel der Geschichte sei der Staat. Für die deutsche Geschichte hieß dies konkret der 1871 geschaffene Nationalstaat. Schäfers borussisches Geschichtsbild war vom Denken Treitschkes geprägt. Das Deutschland einigende Band heiße Militarismus, Protestantismus und Preußentum. Entsprechend hatte sich die Geschichtswissenschaft mit dem Werden des Staates zu beschäftigen, wobei der Außenpolitik der Primat zukam. Die Kulturgeschichte lehnte Schäfer ab – und focht darüber einen Disput mit Eberhard Gothein aus, der zu einem Vorläufer des sogenannten „Lamprechtstreites“ wurde. Schäfer gehörte schließlich zu den populärsten Professoren im Kaiserreich.
Seit seiner Tübinger Zeit war Schäfer parteipolitisch aktiv. Allein in seinem ersten Berliner Jahrzehnt hielt er sich der aktiven Politik fern. Konservativ aus Überzeugung und nicht zuletzt aus Opportunitätsgründen, trat er für die Monarchie und einen starken Nationalstaat ein. Er wurde Mitglied der Nationalliberalen Partei, wandte sich jedoch von ihr ab, als ihr Konflikt mit dem von ihm verehrten Bismarck offen zu Tage trat. 1891 trat er dem „Allgemeinen Deutschen Verband“, dem späteren „Alldeutschen Verband“ bei, er engagierte sich im „Deutschen Ostmarkenverein“ und im „Verein für das Deutschtum im Ausland“. Entscheidend beteiligt war er an der Gründung und Führung der „Deutschen Vaterlandspartei“ (DVLP). Es ergaben sich so enge politische Kontakte zu Kuno von Westarp, Alfred von Tirpitz, Heinrich Claß und Wolfgang Kapp sowie Alfred Hugenberg.
Im Ersten Weltkrieg erhielt seine Art, Wissenschaft und Politik zu verknüpfen, besondere Brisanz. Schäfer suchte in neuer Intensität Einfluss auf die Politik zu nehmen. Zu seinem ureigensten Forum wurde der von ihm 1915 ins Leben gerufene „Unabhängige Ausschuss für einen deutschen Frieden“, der sogenannte Schäfer-Ausschuss, auf dessen Vertrauensmännersystem sich die spätere Deutsche Vaterlandspartei stützen sollte. Maßgeblich von Alfred Hugenberg unterstützt, suchte der „Unabhängige Ausschuss“ vor allem auf die deutsche Außenpolitik einzuwirken; angestrebt wurden ein sogenannter „Siegfrieden“ und eine Dominanz Deutschlands in Europa. Schäfer griff hier Reichskanzler Bethmann-Hollweg scharf an. Innenpolitisch sollte der „Unabhängige Ausschuss“ als Kampfmittel gegen die Sozialdemokratie fungieren und zum Erhalt der Monarchie beitragen. Schäfer verfasste für den „Unabhängigen Ausschuss“ eine Unzahl von Flugblättern und Aufsätzen, wobei ihm die Geschichte als Argument und Mittel zum Zweck diente. Er trug auch entscheidend zur Mobilisierung von Hochschullehrern im Krieg bei, u. a. verbreitete er die „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“, die den militaristischen Geist der deutschen Wissenschaft 1914 zeigt. Im die Kriegshandlungen begleitenden Propagandakrieg wurde Schäfer zu einem ersten akademischen Medienstar. Der starke innenpolitische Einfluss des „Unabhängigen Ausschusses“ auf die Regierung und bis hinein in die liberale Presse wurde auch im Ausland wahrgenommen.
Der „Flottenprofessor“ Schäfer propagierte einen uneingeschränkten U-Bootkrieg und wurde zugunsten der sogenannten Flottenvorlage tätig. Als Hanseforscher galt er in Wissenschaft und Politik als versierter Kenner der Seekriegsführung. Die Hanse sollte zum Vorbild für eine deutsche Handels- und Militärvorherrschaft auf den Weltmeeren werden. Belgien und Polen dachte Schäfer die Rolle deutscher Satellitenstaaten zu. Motiv war seine Überzeugung von einer historischen Benachteiligung Deutschlands. Dazu kam die Ablehnung Großbritanniens als Hauptfeind Deutschlands. Als entscheidenden Kriegstreiber stellte Schäfer aber Russland dar. Mehr in seinem privaten als in seinem wissenschaftlichen Schrifttum finden sich wiederholt antisemitische Äußerungen. So beklagte er insbesondere den Anteil von Juden in Breslau. Die Juden stellte Schäfer als Gefahr für die Nationalstaaten dar, da sie universalistisch dächten.
Nachdem sich „Unabhängiger Ausschuss“ und DLVP in Folge des Kriegsendes und der Revolution Ende 1918 aufgelöst hatten, schloss sich Schäfer der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an. Die Weimarer Republik, das demokratische System, blieben ihm fremd. Schäfer wandte sich gegen den „Internationalismus“ und entwarf Modelle für eine Besiedelung Osteuropas durch die Deutschen. Er agierte u. a. als Vorsitzender des „Deutschnationalen Lehrerbundes“ und hatte von 1914 bis 1923 den Vorsitz der Historischen Kommission von Berlin inne. Nach dem Tode seiner Frau 1924 zog er sich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Die Feier zu seinem 80sten Geburtstag 1925 wurde noch einmal zu einem Stelldichein der ehemaligen kaiserlichen Führungselite; in mehreren Zeitungen erschienen Würdigungen; an den Universitäten, an denen er gelehrt hatte, wurden Festreden gehalten, mehrere Gedenktafeln enthüllt und in Berlin eine Dietrich-Schäfer-Stiftung zur Förderung begabter Studenten begründet.
Schäfer hat er eine sehr große Zahl von Schülern gewinnen können, zu denen Otto Dobenecker und neun Ordinarien gehörten, u. a. Heinrich Günter, Walter Vogel, Adolf Hofmeister, auch Willy Hoppe, einer der prominenten NS-Historiker und ebenso Walter Kienast.
Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Schäfer in Ost- wie Westdeutschland als einer der Wegbereiter des Nazi-Regimes, seine Person und sein Wirken in der Geschichtswissenschaft wurden ausgeblendet und damit auch das nationalistische Denken und Agieren aus den Reihen der Wissenschaftler selber, wenngleich seine Quelleneditionen und -studien ihren Wert behielten und weiterhin als Arbeitsgrundlage anerkannt wurden.
Quellen: NL D. Schäfer im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Ak. d. Wiss.; NL Schäfer im StA Bremen; PA von Schäfer in den UA Heidelberg, Tübingen und Berlin (Humboldt-Univ.); BA Koblenz: Quellen zum „Unabhängigen Ausschuss“.
Werke: Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark, 1879; Deutsches Nationalbewusstsein im Lichte der Geschichte, 1884; Die deutsche Hanse, 1903; Mein Leben, 1925; Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte, in: ders. (Hg.), Aufsätze, Vorträge und Reden, Bd. 2, 1913, 264-290; Weltgeschichte der Neuzeit, 1907; Deutsche Geschichte, 2 Bde., 1910; Zur Lage, 1916; Staat und Welt, 1923.
Nachweis: Bildnachweise: Mein Leben, 1925 (vgl. Werke); Jagow, 1925 (vgl. Lit.).

Literatur: D. Schäfer und sein Werk, hg. von Kurt Jagow, 1925; Jens P. Ackermann, Die Geburt des modernen Propagandakrieges im Ersten Weltkrieg. D. Schäfer, Gelehrter und Politiker, 2004.
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