Ellwein, Thomas 

Geburtsdatum/-ort: 16.07.1927; Hof an d. Saale
Sterbedatum/-ort: 06.01.1998; Schliersee
Beruf/Funktion:
  • Politik- und Verwaltungswissenschaftler
Kurzbiografie: 1937–1944 Besuch mehrerer Volksschulen u. Gymnasien in Berlin-Zehlendorf, Augsburg, Weilburg an d. Lahn u. Ansbach bis zum Abitur 1944 am humanist. Gymnasium in Berlin-Charlottenburg
1943 II–1944 Luftwaffenhelfer
1944 Reichsarbeitsdienst
1945 Kriegsdienst als Pionier
1946–1950 nach amerik. Kriegsgefangenschaft Studium d. Rechte u. Geschichte in Erlangen
1950 Dr. iur., „cum laude“, bei Hans Helfritz in Erlangen: „Der Einfluss des nordamerikanischen Bundesverfassungsrechts auf die Verhandlungen d. Frankfurter Nationalversammlung im Jahre 1848/49“
1952–1955 Verlagsleiter u. Dozent an d. Münchener Hochschule für Politik
1955–1958 Leiter d. Bayer. Landeszentrale für Heimatdienst, dann für Politische Bildung
1958–1961 freier Publizist; Gastdozent Senat Berlin
1961–1970 ordentlicher Professor für Politische Bildung an d. Frankfurter Hochschule für Erziehung
1962 Direktor d. Seminars für Politische Bildung an d. Univ. Frankfurt
1967–1973 Präsident des Dt. Studentenwerks
1970 Vorsitzender einer Kommission zur Neuordnung von Bildung u. Ausbildung in d. Bundeswehr
1970–1974 Direktor d. Sozialwissenschaftlichen Instituts d. Bundeswehr in München
1974–1976 erster Präsident d. neugegründeten Bundeswehrhochschule in Hamburg
1976–1989 Lehrstuhl für Innenpolitik u. Öffentliche Verwaltung an d. Univ. Konstanz
1977–1981 Vorsitzender d. Dt. Vereinigung für Politische Wissenschaft
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1970 Ingrid, geb. Prinz (geboren 1931)
Eltern: Vater: Theodor (1897–1962), ev. Theologe, Oberkonsistorialrat
Mutter: Sophie Magdalene, geb. Uebel (1903–1988)
Kinder: Harriet (geboren 1953) u. 2 Stieftöchter, Carola Kleitzka (geboren 1954) u. Claudia Kleitzka (geboren 1957)
GND-ID: GND/118825860

Biografie: Arno Mohr (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 87-92

Ellwein wurde als Sohn eines evangelischen Theologen geboren, der in den 1930er-Jahren Professor an der Hochschule für Lehrerbildung im hessischen Weilburg gewesen war und sich kirchenpolitisch als „Deutscher Christ“ betätigte. Für ihn war die NS-Ideologie eine Weiterführung der Werke Luthers. 1936 wurde er zum Oberkonsistorialrat bei der Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche in Berlin. Die Haltung des Vaters mag ein Hinweis von Bedeutung sein für die biographische Herkunft Ellweins; denn in der Frühphase seiner intellektuellen Entwicklung hat er sich recht kritisch auseinandergesetzt mit Fragen des Klerikalismus und seiner Einflussnahme in der Politik. Wegen der unterschiedlichen Aktionsfelder des Vaters musste Ellwein mehrere Volksschulen und humanistische Gymnasien an unterschiedlichen Orten besuchen, bis er ab 1942 dann ins alt-ehrwürdige Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg kam, wo er Ostern 1944 das Abitur ablegte. Bereits mit 16 Jahren war der Gymnasiast Luftwaffenhelfer. Im Herbst 1944 zum Reichsarbeitsdienst abkommandiert musste er noch vor Kriegsende als Pionier bei der Wehrmacht dienen. Aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen begann Ellwein nach einer kurzen Überbrückung als Hilfsarbeiter und ev. Bezirksjugendwart im Sommersemester 1946 mit dem Studium der Theologie, vor allem aber der Rechts- und Geschichtswissenschaft an der Universität Erlangen, das er nach acht Semestern 1950 mit einer juristischen Promotion abschloss. Seine Dissertation übrigens stand in einem Problemkreis, der Ellwein später nie mehr loslassen sollte: dem Verhältnis von Recht, Politik und Geschichte.
Zunächst in Erlangen und München Journalist, verlagerte Ellwein seinen inhaltlichen Schwerpunkt bald auf das Gebiet der politischen Bildung und Erziehung. Er wurde Leiter des kleinen Münchener Isar-Verlags, der sich auf politisch-historische Themen spezialisiert hatte. Nebenamtlich lehrte er als Dozent an der Münchner Hochschule für Politische Wissenschaften, die an politischen Fragen interessierten Nichtakademikern offenstand und sich der politischen Bildung verschrieben hatte. Im Auftrage des dort ansässigen „Instituts für Politische Wissenschaften“ bereiste Ellwein 1955 zahlreiche höhere Schulen der deutschen Bundesländer, um sich ein Bild über den Zustand der politischen Bildung zu verschaffen. Daraus ging der Bericht „Pflegt die deutsche Schule Bürgerbewusstsein?“ hervor. Ellwein wurde im gleichen Jahr erster Leiter der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, nachdem er im Auftrag des bayerischen Ministerpräsidenten Hoegner Vorarbeiten dafür geleistet hatte. Diese leitende Funktion übte Ellwein allerdings nur drei Jahre lang aus; 1958 trat er wohl auf Druck der CSU zurück, die seit 1957 die Regierung stellte. Mit ausschlaggebend dürfte die 1955 publizierte Streitschrift „Klerikalismus in der deutschen Politik“ gewesen sein, in der Ellwein belegen konnte, dass beide christliche Konfessionen auf die Schulpolitik einen immensen Einfluss ausübten, der ihnen so in einem demokratischen Gemeinwesen nicht zustehe. Ellwein galt danach bis ans Ende seiner aktiven Laufbahn in Bayern nicht mehr als akademisch satisfaktionsfähig.
Nach einigen Jahren publizistischen Schaffens und als Gastdozent beim Berliner Senat tätig begann Ellweins Hochschullaufbahn 1961 mit der Berufung auf eine zunächst außerordentliche, ab 1962 ordentliche Professur an der neu errichteten Hochschule für Erziehung an der Universität Frankfurt am Main. Dort wurde er im selben Jahr Direktor des Seminars für Politische Bildung und war 1964/65 Präsident der Hochschule. In diese Periode fallen seine großen politik- und verwaltungswissenschaftlichen Lehrbücher über die politische Wirklichkeit der jungen Bundesrepublik, Leistungen, die zeitlebens mit ihm verbunden blieben. Man mag hier sogar von einer empiristischen Wende in Ellweins Schaffen sprechen, ohne dass er den ursprünglichen normativen und pädagogischen Impetus aufgegeben hätte. Sein 1963 erschienenes Einführungswerk „Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland“, das später mit Koautoren weitere Auflagen erlebte, war das erste dieser Art in der bundesdeutschen Politikwissenschaft. Außerdem sei auch auf die „Politische Verhaltenslehre“ von 1964, 5. Auflage 1967, sowie die 1966 publizierte „Einführung in die Regierungs- und Verwaltungslehre“ hingewiesen. Dieses Buch bildete dann den Anfang einer ganzen Reihe zur Problematik „Regieren und Verwalten“. Mit dem „Forschungsinstitut des Seminars für politische Bildung“, das seit 1971 gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Ralf Zoll als „Forschungsgruppe Ellwein/Zoll für Systemanalyse und politische Planung“ bestand. Dies bildete den organisatorischen Rahmen für empirische Politik- und Verwaltungsforschung, woraus zahlreiche Forschungsvorhaben resultierten.
Dass Ellwein zeitlebens ein „homo politicus“ war, verdeutlichen seine zahlreichen Kommentare in Funk und Fernsehen, besonders im ZDF zwischen 1963 und 1968, seine Funktion als Präsident des „Deutschen Studentenwerks“ von 1967 bis 1973, auch 1976 in München-Land seine gescheiterte Bundestagskandidatur für die SPD, aus der er zu Beginn der 1980er-Jahre wieder austrat, schließlich sein Einsatz für die Bundeswehr. 1970 wurde Ellwein Vorsitzender der Bildungskommission beim Bundesminister der Verteidigung und gleichzeitig auf Wunsch des Ministers Helmut Schmidt mit der Leitung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr betraut. Aus diesen öffentlichen Tätigkeiten heraus entwickelte Ellwein Idee und Organisation einer Bundeswehrhochschule. Thematisch stand die Ausarbeitung von Empfehlungen im Vordergrund, wie Offiziere mit mindestens 12-jähriger Dienstverpflichtung an einer Universität der Streitkräfte während eines obligatorischen dreijährigen Studiums ausgebildet werden sollten. Nach zahlreichen Widerständen und anfänglich ohne die Rückendeckung des Ministeriums, der Streitkräfte, der Hochschulen und gegen eine missgünstige Publizistik gelang es Ellwein, sein Vorhaben durchzusetzen. 1973 wurden die beiden Bundeswehrhochschulen in Hamburg, deren erster Präsident Ellwein wurde, und in München gegründet. Ellwein war Vorsitzender beider Gründungsausschüsse. Außerdem war er damals intensiv gutachterlich tätig, so 1968 in einer Wahlrechtskommission des Bundestags. Für mehrere Ministerien arbeitete er Expertisen aus und in Nordrhein-Westfalen war er Vorsitzender einer „Kommission für Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung“, in Leverkusen und Dortmund Berater bei der Verwaltungsvereinfachung.
1976 folgte Ellwein einem Ruf an die Universität Konstanz und stärkte dort eine sozialwissenschaftlich imprägnierte Verwaltungswissenschaft mit der Möglichkeit eines Diplomabschlusses. Dieser Studiengang wollte den neuen Bedürfnissen von politischer Steuerung und Regulierung im sich herausbildenden Interventions- und Wohlfahrtsstaat durch sachgerechte Ausbildungscurricula entsprechen. Es war Ellwein zu verdanken, dass sich in Konstanz eine Dynamik zu mehr Interdisziplinarität ausformte. 1989 ließ er sich aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzen.
Ellwein wirkte auch standespolitisch an vorderster Front. In der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, DVPW, bekleidete er 1977 bis 1981 für zwei Amtsperioden den Vorsitz. Andere konnten darauf aufbauen, besonders in der schwierigen Phase nach der Sezession und der Formierung einer Konkurrenzorganisation. 1992 und 1996 wirkte er als Vorsitzender des Fachausschusses für Sozialwissenschaften bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und auch in der Politikwissenschaft war er in frühen Rankings im Bereich der deutschen Innenpolitik ganz vorne zu finden.
Die Verdienste Ellweins in binnen- wie außerwissenschaftlicher Richtung lassen sich auf fünf Bereiche konzentrieren: auf politische Bildung und Erziehung, auf Regierungs- und Verwaltungsaufbau in der Bundesrepublik, auf eine Renovierung einer inter- bis transdisziplinären Staatswissenschaft, auf die Begründung einer politischen Verhaltenslehre, in der die Stellung des Bürgers im politischen Partizipationsgeschehen des demokratischen Gemeinwesens im Vordergrund steht, sowie auf die Stellung von Wissenschaft und Hochschule in der Demokratie.
In pädagogischer Hinsicht lag zwar Ellweins Hauptaugenmerk auf der politischen Bildung an der Schule. Aber auch deren Zustand an sich galt sein Interesse. Es ging ihm methodisch weniger um bestimmte Ideale, sondern den realen Zustand, wie er sich aus gedrucktem Material, eigener Anschauung und Befragungen von Schülern und Verantwortlichen ergab. Eine zweite Studie von 1960, „Was geschieht in der Volksschule?“, resultierte aus einer Rundreise durch Schulen im Bundesgebiet. Wie gelingt es der Volksschule, die wahren Fähigkeiten eines jungen Menschen zur Entfaltung zu bringen?, das war die leitende Frage. Ellwein sah in deren gesellschaftlicher Aufwertung ein dringendes Desiderat. Es bedürfe auch einer wesentlichen Stärkung der politischen Erziehung; denn die gegenwärtigen Volksschüler seien kommende Wähler. Neben der Familie sah Ellwein in der Volksschule die früheste Sozialisationsagentur für künftiges individuelles demokratisches Verhalten. Zu Ellweins frühen politikpädagogischen Verdiensten gehört auch eine „Bücherkunde“, die 1956 zum ersten Male erschienen war. Darin stellte er zu den Themen politische Ordnung der Bundesrepublik, politisches Handeln sowie zu geistigen Kräften in der Politik die wichtigste Literatur zusammen und kommentierte sie. Erneut wird so Ellweins Ethos von der Freiheit des Einzelnen in der Demokratie, ihrer Würde und ihrer Verteidigung sichtbar, die ein gewisses Maß an Kenntnissen voraussetzt, die zu einer Haltung der Mitverantwortlichkeit für das Gemeinwesen führen können. Eine fast vergessene Leistung stellen die sieben Bände des zusammen mit dem Pädagogen Hans-Hermann Groothoff (1915–2013) 1969 bis 1979 herausgegebenen „Erziehungswissenschaftlichen Handbuchs“ dar. Getreu den Maximen Ellweins wird darin Erziehungswissenschaft als praktische Wissenschaft aufgefasst, deren Ergebnisse Vorläufigkeitscharakter haben und deren Bedingtheiten raschen Wandlungen unterworfen bleiben. In diesem praktisch-normativen Sinne wird Pädagogik als Handlungs- und analytisch als Integrationswissenschaft verstanden.
Der zweite relevante Bereich von Ellweins Arbeiten, woraus sich ein ganzes Forschungsprogramm entwickelte, bezieht sich auf das, was er das „Politische Verhalten“ genannt hat. Dieses Programm ist eine Weiterführung seines pädagogischen Anliegens der Förderung eines „mündigen Bürgers“ durch wissenschaftlich-analytische Fragestellungen und Methoden. Seine darauf gegründete „Politische Verhaltenslehre“, im gleichnamigen Buch von 1964 niedergelegt, beinhaltete weniger eine sozialpsychologische oder soziologische Verhaltenstheorie als einen Möglichkeitshorizont für den Bürger, auf unterschiedliche Weise am politischen Prozess und der politischen Entscheidungsfindung zu partizipieren. Ellwein sah in der Abkehr von Partizipationschancen und der Distanzierung von der Politik ein Um-sich-Greifen von Irrationalismen, die nur die Gegner der Demokratie beflügelten. Dem stellt er seinen Idealtypus des Demokraten gegenüber, dessen Selbstbescheidung und optimistische Grundhaltung zum Gemeinwesen. In diesen Kontext gehört auch die mehrbändige „Wertheim“-Studie (1969–1974), eine Gemeindeanalyse zum Thema kommunale Selbstverwaltung und bürgerliche Aktivität.
Mit der Einführung „Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland“ von 1963 samt umfangreichem Dokumententeil innerhalb einer politikwissenschaftlichen Reihe hat Ellwein der jungen Politikwissenschaft ein bleibendes Denkmal gesetzt. Das Innovative an dem Buch war, dass Ellwein das deutsche System nicht nur in seinen historischen, politologischen und rechtlich-administrativen Elementen synthetisch zu beleuchten suchte, sondern einer alten deutschen Tradition folgend die Struktur der öffentlichen Staatsaufgaben im föderalen System und ihre Aufteilung. Die Leistung bzw. die Leistungsansprüche eines demokratischen Systems stehen zunächst im Vordergrund. Damit ersetzte Ellwein die seit alters gestellte Frage nach den Prinzipien einer „guten Ordnung“ durch die Frage nach den empirisch greifbaren und historisch bedingten Staatsaufgaben: von der teleologisch-zweckgerichteten Legitimation hin zur empirisch-historisch konkretisierten Analyse, ohne normative Aspekte auszuklammern. Danach folgt der Bereich der politischen Willensbildung. Damit sind nicht allein der Wählerwille umfasst, sondern auch die mannigfachen Einflussmöglichkeiten aus dem gesellschaftlichen in den legalen Herrschaftsbereich. Erst danach erfolgt die Darstellung der politischen, administrativen und judikativen Organe. Es fällt ins Auge, dass Ellwein die zweckmäßig, legitimiert und kontrollierbar handelnde Verwaltung als konstituierendes Moment des Regierens sieht. So wollte er einen Beitrag leisten für die Etablierung einer zeitgemäßen „demokratischen Existenz“.
In weiteren zentralen Schriften ging es Ellwein um die Begründung einer modernen, von der alten Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft emanzipierten Regierungs- und Verwaltungslehre. Ellweins „Einführung in die Regierungs- und Verwaltungslehre“ von 1966 sah in einer spezifizierten Aufgabenlehre staatlicher und administrativer Politik die Basis staatlichen Handelns. Alles hängt vom jeweiligen politischen Kräftespiel ab, es gibt keine allgemeinverbindliche Systematik, auch keine historisch bedingten Gemeinsamkeiten. Prozessbezogen ist Regieren zu definieren als die Gesamtheit von Planung, Entscheidung, Initiierung, Anweisung und Kontrolle von aufgabenorientierten Gesetzesvorhaben und daraus resultierendem Verwaltungshandeln.
Oft zusammen mit Mitarbeitern hat Ellwein diese Thematik um den Problemkreis „Politik, Regierung, Verwaltung“ auf unterschiedliche Gesichtspunkte ausgedehnt. In dem mit Axel Görlitz verfassten Werk „Parlament und Verwaltung“ konstatierte er 1967 einen Funktionsverlust des Parlaments, der im Zusammenhang des Funktionswandels des Regierens stünde. Das Buch behandelt die Gesetzgebungspraxis in der deutschen Parlamentsgeschichte und stellt grundsätzliche Überlegungen zum Gesetz als Führungsinstrument vor, dem Verwaltungsrecht und -praxis subsumiert bleiben. Ellwein hat 1970 in „Regierung und Verwaltung“ die Führungsfunktion der politischen Sphäre gegenüber dem administrativen Bereich betont. Dabei verkennt er nicht, dass die gewachsene Verdichtung der Verwaltung in der modernen Industriegesellschaft mit einem bedenklichen Defizit an politischer Führung korrespondiert, was nur geschehen konnte, wenn die Politik nicht mehr bereit war, die gegebenen Konstellationen kritisch zu hinterfragen. Die Verwaltung ist eher an Sachgesetzlichkeiten orientiert, die im unpolitischen Raum sich ereignen und dem Teilhaberecht des demokratischen Bürgers entzogen bleibt. Das Missverhältnis von Traditionalismus im Berufsbeamtentum und den empirisch festgestellten Realitäten der 1960er-Jahre zwinge zu Reformmaßnahmen, z.B. der Schaffung eines einheitlichen Dienstrechts oder der Abkehr des öffentlichen Dienstes von seiner tradierten Staatszentriertheit. Dies waren Befunde und Vorschläge, wie sie Ellwein und seine Mitarbeiter in der Studie über das „Berufsbeamtentum – Anspruch und Wirklichkeit“ 1973 publizierten.
Die besondere deutsche Situation nach 1989/90 sowie die zunehmende Europäisierung der deutschen Politik, die sich in der Spannung wachsender Supranationalität und eingeschränkter nationalstaatlicher Souveränität widerspiegelt, war Ausgangspunkt der zusammen mit J. J. Hesse verfassten kritischen Diagnose „Der überforderte Staat“ von 1997. Die Verfasser stellen einen Qualitätsverlust deutscher Politik seit dem Mauerfall fest und plädieren für eine Zurücknahme des Staates. Nicht jedes Problem sei eine öffentliche, vom Staat zu lösende Aufgabe. Wieder in Kooperation mit Kollegen war es Ellwein auch darum zu tun, die Probleme moderner Staatlichkeit mit der Begründung einer übergreifenden Staatswissenschaft anzugehen. Damit suchte er die alte, noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorwaltende Einheit einer solchen Disziplin zu beleben. Ellwein meinte, dass die klassischen Teildisziplinen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nicht problemorientiert aus ihrem spezifischen Blickwinkel argumentieren sollten, nur eine Synthese der Resultate reiche aus. Ihm schwebte eine interdisziplinäre Konstruktion vor, deren problematische Inaugurierung in ein schwerfälliges Universitätssystem er aber nicht verkannte.
Angesichts der unterschiedlichen Arbeitsgebiete Ellweins war es wohl unabdingbar, dass er historische Perspektiven immer wieder zugrunde legte. Fast alles, was er angefasst hat, kennzeichnet dieser Ansatz, was gewiss auch zusammenhängt mit der Komplexität der deutschen Staats-, Verfassungs- und Verwaltungstraditionen, die er mindestens seit dem 18. Jahrhundert untersuchte. Dieser Zug lässt sich bereits in Ellweins Dissertation erkennen, worin er die Probleme der Einzelstaatlichkeit gegenüber dem Gesamtstaat zu wenig berücksichtigt fand. In seiner Studie über die deutsche Staatskrise erkennt Ellwein Ausläufer des monarchischen Gedankens, lange nach Abschaffung der Monarchie. Die historische Dimension und ihr Gewinn für das Verständnis von Staat und Demokratie der Gegenwart wird ganz besonders deutlich in späteren Arbeiten, zumal der zweibändigen Studie „Der Staat als Zufall und Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe“ von 1993. Dieses Buch resultierte aus dem DFG-geförderten Sonderforschungsbereich „Verwaltung im Wandel“ an der Universität Konstanz und ist wiederum Produkt gezielter Teamarbeit. Das Werk stellt sich dar als ein Kapitel deutscher Verwaltungsgeschichte, die sich als lebende Verwaltung zu verstehen gibt und immer in Bezug auf Staatlichkeit zu denken ist. Es ist der sozioökonomische Prozess der Modernisierung, der zu administrativen Anpassungen in der Aufgabenbewältigung zwingt. In Planung war noch eine „Deutsche Verwaltungsgeschichte“; Skizzen lagen bereits vor, Ellweins Tod verhinderte die Fertigstellung. Erwähnenswert als weitere historische Arbeiten sind eine deutsche Universitätsgeschichte vom Mittelalter bis heute (1985) und eine Geschichte der Bundesrepublik der Nach-Adenauer-Ära bis in die Mitte der 1980er-Jahre, die im Rahmen der dtv-Reihe „Deutsche Geschichte der neuesten Zeit“ in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte 1989 erschienen war.
Ellweins immense Produktivität über Jahrzehnte hinweg, die auf einer überaus stabilen physischen und psychischen Robustheit gründete, ist quantitativ in zahlreichen Büchern, Aufsätzen, Gutachten für staatliche und kommunale Träger, für den Beamtenbund und Gewerkschaften messbar. Es ist aber gleichermaßen die qualitative Spannweite der Themen, die Ellwein zu bewältigen verstand – auch wenn diese im Grunde auf den Bereich der deutschen Innenpolitik beschränkt blieb. Ellwein war nicht der tiefsinnige Politik- und Demokratietheoretiker. Immer angetrieben von der Sorge und Verantwortung um das eigene und gegenüber dem eigenen Gemeinwesen, wurde Ellwein, wie andere bedeutende Politologen, nicht zu einem dezidierten Komparatisten. Er blieb immer weit davon entfernt, sich in spitzfindige wissenschaftstheoretische Gefechte einzulassen; denn ihm ging es in der Hauptsache um eine sinnvolle Verknüpfung analytisch gewonnener Forschungsergebnisse mit einer beschädigten, aber reformbereiten politischen Praxis. Bei allem empirisch-analytischem Forschungsverständnis bewahrte Ellwein bis in seine letzten Texte seine aufklärerisch- erzieherische Grundhaltung.
Quellen: BA-MilitärA Freiburg Pers 1/ 44932, Personalakte Thomas Ellwein.
Werke: ausführl. Bibliographie in: Politische Wissenschaft, 1987. – Auswahl: Der Einfluss des amerik. Bundesverfassungsrechts auf die Frankfurter Nationalversammlung im Jahre 1848/49, Diss. iur. Erlangen 1950; Das Erbe d. dt. Monarchie in d. dt. Staatskrise, 1954; Pflegt die dt. Schule Bürgerbewusstsein?, 1955; Bücherkunde zur Politik, 1956, 51965; Klerikalismus in d. dt. Politik, 1955; Bücherkunde für die politische Bildung, 1956; Vernunft u. Glaube in d. politischen Bildung, 1958; Was geschieht in d. Volksschule?, 1960; Das Regierungssystem d. Bundesrepublik Deutschland, 1963, seit d. 8.Aufl. 1996 mit Joachim Jens Hesse; Politische Verhaltenslehre, 1964, 7. Aufl. 1972; Parlament u. Verwaltung. 1. Teil (mit Axel Görlitz) Gesetzgebung u. politische Kontrolle; Einführung in die Regierungs- u. Verwaltungslehre, 1966; Politik u. Planung, 1968; Wertheim I: Fragen an eine Stadt/Wertheim: Politik u. Machtstruktur einer dt. Stadt/Wertheim III: Kommunalpolitik u. Machtstruktur, 1969, 1974, 1982; (Hg. mit H.-H. Groothoff u.a.) Erziehungswissenschaftliches Handbuch, 1969–1979; Regierung als Politische Führung, 1970; (mit Ralf Zoll) Berufsbeamtentum. Anspruch u. Wirklichkeit, 1973; (mit Achatz von Müller u. Harro Plander) Hochschule d. Bundeswehr zwischen Ausbildungsreform u. Hochschulreform, 1974; Die dt. Universität vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 1985; Politische Wissenschaft. Beiträge zur Analyse von Politik u. Gesellschaft, 1987; Krisen u. Reformen. Die Bundesrepublik seit den [19]60er-Jahren, 1989; Der Staat als Zufall u. Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen- Lippe, Bd 1,1993, Bd. 2, 1997; (mit J. Jens Hesse) Der überforderte Staat, 1994; Das Dilemma d. Verwaltung. Verwaltungsstruktur u. Verwaltungsreform in Deutschland, 1994; Zum Projekt einer dt. Verwaltungsgeschichte, 1995.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1994) in: Baden-Württembergische Biographien, S. 84, Zoll, Ralf, Thomas Ellwein – Rupp/Noetzel, 80. BA-MilitärA Freiburg, Pers. 1/44932.

Literatur: Windhoff-Héritier, Adrienne (Hg.): Verwaltung u. ihre Umwelt. FS für Thomas Ellwein, 1987; Ralf Zoll, Berufsweg u. wissenschaftliches Curriculum von Thomas Ellwein, in: Rolf Zoll (Hg.), Thomas Ellwein: Politische Praxis. Beiträge zur Gestaltung des politischen u. sozialen Wandels, 1987, 262-264; Zoll, Ralf: Thomas Ellwein, in: Rupp, Hans Karl/Noetzel, Thomas (Hrsg.): Macht, Freiheit, Demokratie. Bd. 2, 81-97; Gerhard Lehmbruch, Thomas Ellwein u. die Konstanzer Politik- u. Verwaltungswissenschaft, in: Wolfgang Seibel/Arthur Benz (Hgg.), Regierungssystem und Verwaltungspolitik. Beiträge zu Ehren von Thomas Ellwein, 1995; Kürschners Dt. Gelehrten- Kalender 1996, 1996, 293; Munzinger Internationales Biogr. Archiv 13, 1998; Eckart Opitz, Gratiam agimus. Erinnerungen an Thomas Ellwein, in: Uniform. Magazin d. Helmut-Schmidt-Univ., 1998, 5-7; Eckart Opitz, in: Hamburgische Biografie. Personenlexikon, Bd. 2, 2003, 117; Große Bayerische Biogr. Enzyklopädie, Bd. 1, 2005, 443; Dt. Biogr. Enzyklopädie, 2., überarb. u. erweit. Ausg. Bd. 3, 2006, 38; Joachim Jens Hesse [??],Thomas Ellwein (1927–1998), in: Eckhard Jesse/Sebastian Liebold (Hgg.), Dt. Politikwissenschaftler – Werk u. Wirkung. Von Abendroth bis Zellentin, 2014, 187-201.
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