Werthmann, Lorenz 

Geburtsdatum/-ort: 01.10.1858; Geisenheim
Sterbedatum/-ort: 10.04.1921;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • katholischer Geistlicher, Gründer des Deutschen Caritasverbandes
Kurzbiografie: 1877 Abitur in Hadamar
1877-1884 Studium der Philosophie (Promotion 1880) und Theologie (Promotion 1884) in Rom
1883 Priesterweihe in Rom
1884 Sekretär des Bischofs Peter Josef Blum von Limburg; Domkaplan in Frankfurt
1885 Sekretär des Bischofs Johann Christian Roos von Limburg, seit 1886 Erzbischofs von Freiburg
seit 1896 Seelsorgerliche Betreuung der italienischen Saisonarbeiter in der Erzdiözese Freiburg
1897 Gründung des Deutschen Caritas Verbandes
1897-1921 Präsident des Deutschen Caritasverbandes
1903-1916 Leiter des Caritasverbandes für die Erzdiözese Freiburg
1913 Päpstlicher Hausprälat
1920 Ehrendoktor der Medizinischen Fakultät Freiburg i. Br.
1921 Apostolischer Protonotar
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: Unverheiratet
Eltern: Vater: Johann Werthmann, Gutsverwalter
Mutter: Barbara, geb. Blum
Geschwister: 4
GND-ID: GND/118854585

Biografie: Hans-Josef Wollasch (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 270-271

Der heimatliche Rheingau, in dem Werthmann als junger Priester nur zwei „Lehrjahre“ verbrachte, prägte ihn weit weniger als die Zeit des Studiums am Collegium Germanicum in Rom. Dort lernte er südländische Wesensart und Lebensauffassung verstehen, was ihn später als Hofkaplan des Erzbischofs von Freiburg zu kundiger und hingebender Seelsorge für die italienischen Saisonarbeiter in der Erzdiözese befähigte. In Rom hatte er auch, stark beeinflußt durch die Begegnung mit dem späteren Sozialpolitiker Franz Hitze, zur intensiven Beschäftigung mit sozialen Problemen gefunden.
Organisatorisch begabt, von impulsiver und zupackender Art, entwickelte er sich fast folgerichtig zur Persönlichkeit, die verwirklichen konnte, was so viele Theoretiker der katholischen Soziallehre in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder gefordert hatten: Die Einrichtungen und Verbände der katholischen Fürsorge organisatorisch zusammenzuführen, um ihre Arbeit erst einmal bekannt, vor allem aber wirkkräftiger zu machen. Orientierung und Ansporn hierbei war die 1848 auf evangelischer Seite gegründete „Innere Mission“. Im Frühjahr 1895 bildete sich unter Werthmanns Leitung in Freiburg ein „Charitas-Comité“, das einer katholischen Verbandsgründung den Weg bereitete. Auf dem zweiten „Caritastag“ in Köln, am 9. November 1897, wurde der „Charitasverband für das katholische Deutschland“ ins Leben gerufen; die Satzung bestimmte die Stadt Freiburg im Breisgau zum Sitz der Zentrale und Werthmann zum Vorsitzenden des aus Freiburger Bürgern bestehenden Vorstandes.
Spontan, energisch, mitreißend, bis in die Fasern seines Herzens und seines Verstandes mit der von ihm organisierten Ausübung christlicher Nächstenhilfe verflochten, hat Werthmann nun eine umfangreiche und vielschichtige Tätigkeit entfaltet, die zu beschreiben fast nicht gelingen kann. Es scheint kaum eine Not im damaligen Deutschland gegeben zu haben, deren Bekämpfung Werthmann nicht in das Arbeitsprogramm des Caritasverbandes aufgenommen und damit auch zu seiner persönlichen Verpflichtung gemacht hätte. Sein Engagement galt Arbeitern und Studenten, Seeleuten und Tippelbrüdern genauso wie Waisen oder Behinderten, Süchtigen oder Straffälligen. Er kümmerte sich um Bahnhofsmission, Jugendgericht, Krankenhauswesen, unterstützte Frauenbewegung, Familienpflege, Auswandererbetreuung, betrieb die Einrichtung und Förderung von Kindergärten, Erziehungsheimen, Erholungs- und Heilstätten.
Auf vielen, ja zu vielen Arbeitsfeldern hat Werthmann den jungen Caritasverband zum Einsatz gebracht. Die Verzettelung und Überbeanspruchung der Kräfte wog um so schwerer, als weder die finanzielle Grundlage des Verbandes gesichert noch die Organisation auf regionaler Ebene ausgebaut war: Ein Mißverhältnis, das durch den ersten Weltkrieg aufgedeckt wurde, der neue Erscheinungsformen von Not, aber auch neue Initiativen der Hilfe von Staat und freien Verbänden hervorbrachte. Wollte Werthmann seine aus dem idealistischen Schwung der ersten Jahre in eine echte Krise geratene Caritasorganisation aktionsfähig erhalten, mußte er deren Verhältnis zur katholischen Kirche in Deutschland klären. Tatsächlich brachte erst die offizielle Anerkennung durch die deutschen Bischöfe im Jahre 1916 dem Caritasverband die Festigung und Förderung, die er brauchte, um sich nach dem Kriege zu einem anerkannten Partner auf dem Gebiet der freien Wohlfahrtspflege zu entwickeln.
Nie hat Werthmann seine Forderung nach wissenschaftlicher Behandlung der sozial-caritativen Arbeit, nach ihrem Bekanntmachen in der Öffentlichkeit, nach solider Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter in der Caritas verstummen lassen. „Publizieren, studieren, organisieren“ – schlagwortartig formulierte er diese Aufgabe, der er selbst vorbildhaft nachkam. So hatte er schon 1896 den Grundstock zu einer Fachbibliothek für caritativ-soziale Literatur gelegt und die Fachzeitschrift „Caritas“ begründet, deren Schriftleitung er bis 1920 innehatte; beide Einrichtungen arbeiten noch heute. Im gleichen Jahr 1920 schuf er an der Caritaszentrale in Freiburg eine erste eigene Ausbildungsstätte für soziale Berufe; mit anderen Schwesterschulen und über mannigfaltige Zwischenstufen und Verästelungen sollte sie ein halbes Jahrhundert später in die Katholische Fachhochschule für Sozialwesen in Freiburg einmünden. Den organisatorischen Ausbau seiner Verbandsgründung konnte er dank der Mithilfe der Bischöfe nach 1916 entscheidend weiterbringen. 1922, ein Jahr nach seinem Tode, hatten alle deutschen Diözesen ihren, dem jeweiligen Bischof unterstellten Diözesancaritasverband; den ältesten unter ihnen, den Freiburger, hatte Werthmann 1903 gegründet und bis 1916 selbst geführt. Der „Deutsche Caritasverband“, wie er seit dem Anschluß auch der bayerischen Diözesancaritasverbände 1921 heißt, ist heute ein Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Nach seinem Vorbild entstanden nationale Caritasverbände in über 100 Ländern der Erde.
Werthmann hat sich in der Arbeit für sein Lebenswerk nicht geschont. In seinem rastlosen Drängen hat er aber auch an seine Mitarbeiter sehr hohe Anforderungen gestellt, die zu erfüllen ihnen bei dem heftigen und zugleich empfindlichen Temperament ihres Dienstherrn oft schwergefallen ist. Dennoch ist er verehrt worden, weil jeder um das unanfechtbare Motiv seiner nie erlahmenden Aktivität wußte: Ein enges, kindlich-frommes Verhältnis zu Gott ließ ihn mit der Realisierung christlicher Nächstenliebe kompromißlos Ernst machen. Das Beispiel des Begründers der organisierten Caritas lebt fort: in der Arbeit der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes im Freiburger Lorenz-Werthmann-Haus; im Einsatz einer Viertelmillion Menschen, die allein in Deutschland den Dienst in der Caritas zu ihrem Beruf gewählt haben; in dem immer enger werdenden Zusammenwirken internationaler Caritas im Zeitalter weltweiter Katastrophen und Notsituationen.
Werke: [Zusammenstellung in:] Wilhelm Liese, Lorenz Werthmann und der Deutsche Caritasverband, Freiburg 1929, 271-288. [Auswahlveröffentlichung:]Lorenz Werthmann, Reden und Schriften; ausgewählt und hg. von Karl Borgmann, Freiburg 1958.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im A des Deutschen Caritasverbandes.

Literatur: Hans-Josef Wollasch, Lorenz Werthmann 1858 bis 1921, Gründer des Deutschen Caritasverbandes; zum 50. Todestag. Hg. Deutscher Caritasverband, Freiburg 1971 (mit Lit.); Ders., in: Caritas '71, Jb des DCV, Freiburg 1971, 155-182; in: Caritas '72, 59-75.
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