Schmid, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 24.09.1923;  Arlen bei Rielasingen, Lkr. Konstanz
Sterbedatum/-ort: 14.11.1993;  Freiburg im Breisgau, beiges. auf dem Hauptfriedhof
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: Abitur an d. Langemarck-Oberschule in Singen
1942– 1945 Kriegsdienst an d. Ostfront, Leutnant in d. 78. Infanterie- u. Sturmdivision
1945–1951 Studium d. Geschichte, Philosophie u. Anglistik an d. Univ. Freiburg
1951 Promotion bei Gerd Tellenbach: „Graf Rudolf von Pfullendorf u. Kaiser Friedrich I.“
1955–1961 Wiss. Assistent von Gerd Tellenbach
1961 Habilitation: „Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter“ u. Venia legendi für Mittlere u. Neuere Geschichte
1963–1965 Stipendiat am Dt. Historischen Institut in Rom
1965–1972 o. Professor für Mittelalterliche u. Neuere Geschichte an d. Westfäl. Wilhelms-Universität in Münster, Leiter d. Projekts ‚Personen u. Gemeinschaften des Sonderforschungsbereichs 7, Mittelalterforschung
1966 Mitglied d. Kommission für gesch. Landeskunde in Westfalen
1972–1988 o. Professor für Mittelalterliche u. Neuere Geschichte an d. Univ. Freiburg
1973 Mitglied d. Kommission für gesch. Landeskunde in Baden-Württemberg
1992 Bundesverdienstkreuz am Bande
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1961 (Freiburg im Breisgau) Ruth, geb. Schindele
Eltern: Vater: Wilhelm Johann (1895–1985),kaufmänn. Angestellter
Mutter: Hermine Stephanie, geb. Hatt (1897–1981)
Geschwister: Anna Elisabeth, verh. Wik
Kinder: Benedikt, Dr. rer. nat., Biochemiker
GND-ID: GND/118856510

Biografie: Joachim Wollasch (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 373-375

Schmids 1951 abgegebene und 1954 als Band 1 der „Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte“ erschienene Dissertation über den Grafen Rudolf von Pfullendorf wollte nach der Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft „einen Beitrag zur Geschichte seiner Heimat“ leisten und verdankte sich gleichzeitig der personengeschichtlichen Ausrichtung seines Lehrers Gerd Tellenbach. Doch darüber und über die in ihrer Vielfalt ernstgenommenen Methoden der Landesgeschichte hinaus stieß diese Erstlingsarbeit schon in die das Mittelalter weitgehend bestimmende Spannung zwischen Adel und Königtum vor. In Tellenbachs Freiburger Arbeitskreis im Institut für geschichtliche Landeskunde darum bemüht, die Entwicklung von der karolingischen Reichsaristokratie zu den hochmittelalterlichen Adels- und Herrscherfamilien zu bestimmen, zeigte ihm die Sammlung der Personennamenbelege sehr bald, dass in der Zeit der Einnamigkeit eine eindeutige Zuordnung zu bestimmten Personen und Adelsfamilien von der Überlieferung nicht ermöglicht wurde. Ihr spürte er unermüdlich nach. Nicht die urkundlichen Personennennungen, sondern die Libri Memorales von Salzburg, Reichenau, St. Gallen, Pfäffers, Remiremont, Brescia, um nur diese zu nennen, stellten die reichste Fundgrube dar, freilich nicht so, dass man ihr gesuchte Personen einfach entnehmen könnte. Anlage und Benutzung des jeweiligen Gedenkbuches mit ihren Schreiberhänden und Tinten in je einem Zug waren im Original zu untersuchen, die Eintragsgruppen zu bestimmen und von der Geschichte der buchführenden Gemeinschaft her in Zusammenschau aller erreichbaren Zeugnisse zu entschlüsseln. Es zeigte sich, dass sich Personen nur in ihrer von der Überlieferung vorgegebenen Zuordnung zu bestimmten Gruppen wie klösterlichen Konventen oder adeligen Verwandtschaften erkennen ließen. Weil in den vorliegenden Editionen der Gedenkbücher diese Befunde nicht zu erkennen waren, führten Schmids Forschungen zu fächerübergreifend vorgenommenen Kommentierten und mit Registern versehenen Facsimile-Editionen. Die MGH eröffneten die Libri Memoriales et Necrologia Nova Series. Lange vor dem Einsatz der EDV durch Neuhistoriker hat Schmid dieses Arbeitsinstrument durch alle Stadien der EDV hindurch für die Erfassung mittelalterlicher Personennamenbelege in einer Datenbank nutzbar gemacht, für die Lemmatisierung der Namenbelege die namenkundliche Hilfe von Germanisten und Romanisten in Anspruch nehmend. 1975 erschien von Schmid und Joachim Wollasch „Societas et Fraternitas“. Begründung eines kommentierten Quellenwerkes zur Erforschung der Personen und Personengruppen des Mittelalters.
Bei allem Wert, den die Gedenkbücher und parallel dazu die von Joachim Wollasch erforschten Necrologien für die Darstellung von Personen und Gruppen von Adelsfamilien und geistlichen Gemeinschaften des Mittelalters besitzen, dachte Schmid bald über den Charakter der Memorialüberlieferung als solcher nach. Die Vorträge eines internationalen und fächerübergreifenden Kolloquiums bildeten 1984 den von Schmid und Joachim Wollasch herausgegebenen Band „Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter“, nachdem beide Herausgeber 1967 über „Die Gemeinschaft der Lebenden und Verstorbenen in Zeugnissen des Mittelalters“ im ersten Band der Reihe „Frühmittelalterliche Studien“ geschrieben hatten. „Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet“ lautet der Titel des 1985 von Schmid herausgegebenen Bandes der Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg. Während Schmid immer tiefer in die Gedenkbücher eindrang und die Memoria als Verbindung der Lebenden mit den Toten, sei es in klösterlichen Konventen, sei es in adeligen Familien, in ihren unterschiedlichen Formen immer schärfer konturierte, ließ ihn die Frage nach dem Wesen des Adels und jene, wie es dazu kommen konnte, dass der Adel zu einer bewegenden Kraft der mittelalterlichen Geschichte werden konnte, nicht los. Das 1961 als Habilitationsschrift angenommene Werk „Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter“ versah er in mehreren Fassungen mit Zusätzen und lehnte einen unveränderten Druck ab. 1998 wurde das Werk postum von Dieter Mertens und Thomas Zotz herausgegeben.
Nicht als Stand, Schicht oder Klasse, sondern in seiner Struktur in Familien, Geschlechtern und Häusern erkannte Schmid den Adel, doch keineswegs in biologisch verstandener Genealogie, die sich schon von der Überlieferung her verbietet, sondern als Träger je eigenen Traditionsbewusstseins. Diese Sicht öffnete ihm erstmals in der Forschung den Strukturwandel in der Geschichte des mittelalterlichen Adels im 10. und 11. Jahrhundert. Damals, gefördert durch die in der Auseinandersetzung von Kaisertum und Papsttum („Investiturstreit“) gewachsene Selbständigkeit des Adels, konzentrierten Adelsfamilien Besitz und Herrschaft um namengebende Burgen und gründeten in deren Nähe Klöster, die ihnen Familienbegräbnis, Gedenken über Generationen hinweg und schriftliche und bildliche Fixierung ihres Selbstverständnisses versprachen. Erst, wenn sich dieses ausgebildet hatte, gern auf mythische Herkunft (Troja) gegründet und auf Verwandtschaft mit Königen gestützt (Königsnähe), konnte über die Folge der Familien hinweg ein Adelshaus, eine Dynastie entstehen.
Von den Karolingern bis zu Kaiser Maximilian I. hat Schmid den Adel in seiner Spannung mit dem Königtum verfolgt. Denn den Gipfel an Geltung und Herrschaft erreichte ein Adelsgeschlecht, wenn es zum Königtum aufstieg. Auch für die Geschichte des Königtums kam Schmid zu bahnbrechenden Erkenntnissen: der Durchsetzung der Individualsukzession unter den Ottonen durch Heinrichs I. Hausordnung und den Generationenkonflikten im salischen Königshaus. Er konnte die überragende Bedeutung darlegen, die der Memoria in der Phase der Salierzeit zukam, als Heinrich IV. gebannt war. Das Gewicht, das die Memoria für die Existenz einer Dynastie erhielt, erläuterte er wiederholt am Beispiel der Vorbereitungen, die Maximilian lange vor seinem Tod für sein Begräbnis unternahm. Überhaupt kennzeichnet es Schmids die bisherige Erforschung von Adel und Königtum überholendes Lebenswerk, dass er sämtliche regierende Dynastien, Karolinger, Ottonen, Salier, Staufer, Welfen, Habsburger, Zollern im Blick behielt und an ihnen die methodologischen und inhaltlichen Ergebnisse seiner Forschung verifizierte. Nach seiner Rückkehr von Münster nach Freiburg galt dies auch für die von ihm tatkräftig (einschließlich einer großen Ausstellung mit dreibändigem Katalog) vorangebrachte Bearbeitung der Zähringergeschichte.
Schmids außergewöhnlich geduldige und hartnäckige Art, ein geschichtliches Problem so lange zu umkreisen, bis er zum Kern vorgestoßen war, und sein Anspruch, sich als Historiker in seinem Interesse für die Menschen in ihrem geschichtlichen Dasein von niemandem übertreffen zu lassen, waren die treibenden Kräfte, mit denen er in selten anzutreffender Intensität auf seine Schülerschaft ausstrahlte. Als ihn in seiner Todeskrankheit Schmerz und Schweigen erreichten, schrieb er, seiner Frau gewidmet, „Bemerkungen zu Personen und Memorialforschung nach dem Zeugnis von Abaelard und Heloïse“, die postum erschienen und erweisen, wie seine Forschung von ihm als Dienst am Leben verstanden worden ist.
Quellen: UA Freiburg im Br. B 24/3270, Personalakte Karl Schmid; Teilnachlass im Familienbesitz.
Werke: V. Huth, Schriftenverzeichnis Karl Schmid, in: Frühmittelalterliche Studien 28, 1994, 424-435. – (Auswahl) Geblüt, Herrschaft, Geschlechterbewusstsein. Grundfragen zum Verständnis des Mittelalters, aus dem Nachlass hgg. u. eingel. von Dieter Mertens u. Thomas Zotz, in: Vorträge u. Forschungen XLIV, hgg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterl. Geschichte, 1998.
Nachweis: Bildnachweise: Person u. Gemeinschaft im Mittelalter, 1988, Frontispiz (vgl. Literatur).

Literatur: Person u. Gemeinschaft im Mittelalter, Karl Schmid zum 65. Geburtstag, hgg. von G. Althoff, D. Geuenich u. J. Wollasch, 1988, Frontispiz J. Wollasch, Nachruf für Karl Schmid, in: Frühmittelalterl. Studien 28, 1994, 398-409; O. G. Oexle, Gruppen d. Gesellschaft. Das wiss. Œuvre von Karl Schmid, ebd. 410-423; R. Schieffer, [Nekrolog], in: Dt. Archiv zur Erforschung des Mittelalters 49, 1993, 811-813; H. Schwarzmaier, Karl Schmid, in: ZGO 142 (N.F. 103), 461-466.
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