Weiger, Josef 

Geburtsdatum/-ort: 10.06.1883;  Schloß Zeil/Leutkirch
Sterbedatum/-ort: 27.08.1966;  Mooshausen bei Aitrach, dort beiges. am 31.8.1966
Beruf/Funktion:
  • Pfarrer
Kurzbiografie: 1903 Abitur im Gymnasium Rottweil, wohnhaft im dortigen Konvikt
1903 X 31–1905 II Noviziat als Fr. Martin in d. Erzabtei Beuron
1905/06–1909 Studium d. Theologie in Tübingen
1910–1911 Studium d. Theologie im Priesterseminar Rottenburg; dort am 12. Juli 1911 Priesterweihe
1911 X 9 Vikarsstellen: Wangen; 4.1.1914 Horb am Neckar, wegen Krankheit nicht angetreten, Verbleib auf Schloss Zeil; 23.12.1914 Herrlingen; 1.5.1916 Hauerz; 27.9.1916 Schelklingen
1917 I 16 Pfarrer in Mooshausen
1951 II 22 Dr. theol. h. c. d. Univ. Tübingen
1957 I 16 Pensionierung; Wohnung weiterhin in Mooshausen
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Josef Cäsar (1844–1927), Domänendirektor
Mutter: Maria Wilhelmine (1854–1923), geb. Schmaus
Geschwister: 3; Max (1875–1945), Maria (geboren 1881) u. Alphons (1887–1888)
GND-ID: GND/118893246

Biografie: Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 496-498

Weigers Leben, von außen gesehen ruhig, verlief innerlich reich und charismatisch. Er wollte ursprünglich in die Erzabtei Beuron eintreten, was sein schwacher Gesundheitszustand verhinderte. Aber für seinen Lebensweg wurde ein bedeutender Benediktiner bestimmend: P. Placidus Pflumm (1874–1964), zeitweise Beuroner Novizenmeister Weigers. Zudem prägte ihn seit dem Theologiestudium in Tübingen ein Freundeskreis, dem der Religionsphilosoph Romano Guardini (1885–1968) und der Kirchenrechtler Karl Neundörfer (1885–1926) angehörten, ebenso der Historiker Philipp Funk und der Romanist Herman Hefele. Dieser weit ausgreifende Radius von Beziehungen zeigt sich in vielen Widmungen in der noch in situ befindlichen umfangreichen Mooshausener Bibliothek. Der damalige Modernismusstreit holte die Tübinger Freunde in der Gestalt ihres indizierten, dann entlassenen Dogmatikprofessors Wilhelm Koch ein; Weiger selbst stand zeitweise unter dem Verdacht des Modernismus. Seit er nach mehreren Vikarsstellen in der Diözese Rottenburg ab 1917 für fast vierzig Jahre Pfarrer in Mooshausen im schwäbischen Allgäu wurde, entfaltete sich das spätbarocke Pfarrhaus zum Treffpunkt providentieller Freundschaften, u.a. mit Guardini.
Dieser verbrachte regelmäßig zweimal im Jahr Ferien in Mooshausen und fand vom Sommer 1943 bis Herbst 1945 Zuflucht vor der Bombardierung Berlins im Pfarrhaus, bzw. während der Professur an der Universität Tübingen sogar bis 1948 zur Berufung an die Universität München. Guardini legte Weiger auch regelmäßig Skripten zur Begutachtung vor, so dass sich im Mooshausener Archiv viele Autographen aus seiner Hand befinden. Erhalten ist auch ein umfangreiches Konvolut von 223 Briefen von 1908 bis 1962 an Weiger, die einen außerordentlichen Einblick in die Geisteswelt vor allem des jungen Guardini erlauben, während die Antworten Weigers nicht erhalten sind. Über das gastfreundliche Pfarrhaus fällt darin sogar der Satz: „…der einzige Ort, wo ich innere Heimat fühle“ (16. September 1930). Es ist kein Zufall, dass Guardini 1964 seine letzten Fragen in einem Bändchen Theologische Briefe an Weiger adressierte, denn Weiger teilte mit ihm sowohl die Anlage zur Schwermut als auch das Leiden an der Endlichkeit.
Im Pfarrhaus wirkten außerdem zwei bedeutende Frauen: von 1917 bis 1927 die Newman-Übersetzerin Maria Theresia Knoepfler (1881–1927), und von den 1950er-Jahren an die Bildhauerin und vielfältige Künstlerin Maria Elisabeth Stapp (1909–1995), für die ein eigenes Atelier am Pfarrhaus angebaut wurde. Ein großer Freundeskreis kam in das Haus, darunter der Dirigent Eugen Jochum, der Schriftsteller Joseph Bernhart, die Frauenbundsvorsitzende Gerta Krabbel, der Mitbegründer von Pax Christi, P. Manfred Hörhammer, OFM, der Journalist Ernst Michel, der Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier, die Pädagogin Idamarie Solltmann, der Ulmer Maler Wilhelm Geyer und Inge Aicher-Scholl; auch Briefe von Ida Friederike Görres an Weiger sind erhalten. Weiger war nicht selten Gast in München-Solln bei Carl Muth, dem Begründer von Hochland, schon wegen dessen räumlicher Nähe zu Gebhard Fugel, dem langjährigen Maler-Freund Weigers. Weiger zelebrierte öfter in Muths Hauskapelle. Viele Ratsuchende oder am Leben Verzweifelnde kamen während der NS-Zeit nach Mooshausen; im Dorf wußte man von Übernachtungen Unbekannter, die möglicherweise in die nahe Schweiz weiterreisten. Weiger taufte in der Mooshausener Pfarrkirche St. Johann Baptist drei Jüdinnen, mit denen er brieflich in Berührung blieb: 1928 Rachel (Maria) Oldenbourg (1876–1943) aus München, später Frankreich; 1933 Fanny (Franziska von Chantal) Kempner (1860–1937) aus Berlin, die durch Guardinis Vorlesungen konvertierte, und in den 1930er-Jahren Vera Jensch, die über Wien und Stockholm nach England emigrierte.
In dem „300-Seelen-Ort“ Mooshausen entfaltete sich Weigers Leben in die Tiefe: in seelsorglichen Rat und in theologische Weisheit, die u.a. in der Tübinger theologischen Schule des 19. Jahrhunderts verwurzelt war: in Hefele, Möhler und Scheeben. Zudem schrieb er naturlyrische Gedichte voll Glück und Schwermut. Seine Bücher, aber auch die unveröffentlichten Briefe, Predigten, Exerzitien, Tagebücher und Vorträge sind nicht ausgeschöpft. Die Beziehung zu Maria, der mütterlichen „Knotenlöserin“ und „Mutter vom guten Rat“, bildete ihn zum geistlichen Menschen und „Staretz“, der vielen Führung gab. Zugleich sind seine biblischen und patristischen Kenntnisse hervorzuheben; er liebte vor allem Jeremias und Paulus, vertiefte sich in die Gestalten von Maria und Josef, verehrte Konrad von Parzham; seine biblischen Meditationen seit 1954 bei den Künstlertagungen in Beuron waren berühmt. Wenn er vortrug, pflegte er – nach einer Mitteilung des Malers Emil Wachter – zu sagen: „Lieber Freund, setz dich so, dass ich dein Gesicht sehe.“ Wie Guardini schätzte er Augustinus und Newman, las Chrysostomus und wiederholt die Autobiographie von Therese von Lisieux, deren Andenken er sein erstes Marienbuch von 1936 widmete: „Mutter des neuen und ewigen Bundes. Über die heilsgeschichtliche und persönliche Größe der Mutter Jesu“.
Weiger wurde zu Exerzitien, Vorträgen, Rundfunkansprachen eingeladen. Man schätzte seine bibeltheologische Frömmigkeit. Schwerpunkte seines Werkes sind anfänglich drei liturgische Vertiefungen: Liturgisches Marienbuch (1924), Liturgisches Totenbuch (1924) und Liturgisches Wochenbuch (1925), später eine beständig durchdachte Mariologie. Seiner kraftvollen und schönen Sprache und der lebenslangen Befassung mit Maria wegen wurde ihm 1943 die Formulierung des Weihegebetes an die Gottesmutter „in dieser Stunde der Finsternis“ für die ganze Diözese anvertraut. Erwägungen zu kirchlichen Festtagen sammelt der Band „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (1935, Guardini gewidmet), der aus Predigten sorgfältig herausgearbeitet ist. Das Buch „Der Leib Christi in Geschichte und Geheimnis“ (1950) enthält 18 Briefe über Eucharistie.
Weiger wurde bei aller Zurückgezogenheit in seinem Wirken und Werk auch öffentlich anerkannt: Am 22. Februar 1951 promovierte ihn die katholisch-theologische Fakultät der Universität Tübingen zum Ehrendoktor. Die Laudatio Fridolin Stiers betonte drei Merkmale: Weigers Anregungen der Studien Newmans in Deutschland, sein hochrangiges religiöses Schrifttum sowie „sein stilles, aber weithin in die Tiefe gehendes Wirken als Seelsorger, in immer lebendiger Teilnahme an allem Fragen und Fordern der Gegenwart“ (UA Tübingen 184/643).
Weiger wurde grundsätzlich gekennzeichnet als Kirchendenker, schon im Vorblick auf das II. Vaticanum, als Zeitdenker in Auseinandersetzung mit Scheler, Newman, Hugo Ball und Buddha, und als Glaubensdenker, vor allem in der Mariologie, so A. Knoll. Dabei zeichnen sich seine Arbeiten durch eine wohlbedachte und schlichte Sprache aus, in der Bemühung, Theologisches menschlich und ohne begriffliche Kompliziertheit zu sagen. Weiger gehört zu den Priestern, die das Christentum durch die „Gottesfinsternis“ des halben Jahrhunderts bis an die Schwelle des Konzils trugen. 2011 erinnerte Papst Benedikt XVI. in einer Privataudienz an die 1941 theologisch schwierige Zeit; Guardini und Weiger hätten damals Orientierung geboten.
Das Bronze-Grabmal Weigers ist geschmückt mit einem seiner Gedichte und gestaltet von M. E. Stapp, die als letzte „Hüterin“ des Pfarrhauses selbst unfern davon begraben liegt. Seit 1991 arbeitet der Freundeskreis Mooshausen e.V. in Tagungen, Publikationen und Ausstellungen am Erhalt der im Pfarrhaus befindlichen Erinnerungen an den Kreis um Weiger 2013 wurde das Pfarrhaus aufgenommen in den „Oberschwäbischen Erinnerungsweg“ als eine Stelle des geistigen Widerstands in der NS-Ära.
Quellen: Personalakte, in: DiözesanA Rottenburg-Stuttgart; Tagebücher („Buch der Erinnerungen“, 37 Bde. Predigten, Briefe, in: Archiv Freundeskreis Mooshausen e.V.
Werke: Bibliographie in: Alfons Knoll, Verzeichnis d. Schriften Josef Weigers, in: Josef Weiger (1883–1966), Seelsorger, Theologe, Dichter. Brief aus Mooshausen 2,1997, 31-34. – Auswahl: Liturgisches Marienbuch, 1924; Liturgisches Totenbuch, 1924; Liturgisches Wochenbuch, 1925; Von Ewigkeit zu Ewigkeit, 1935; Mutter des neuen u. ewigen Bundes. Über die heilsgeschichtliche u. persönliche Größe d. Mutter Jesu, 1936; dann u. d. T.: Maria. Die Mutter des Glaubens, 2. Aufl. 1940, neu hgg. v. E. Prégardier mit Beiträgen von H.-B. Gerl-Falkovitz u. A. Knoll, 2012; Der Leib Christi in Geschichte u. Geheimnis, 1950; Judas Ischariot. Eine Betrachtung, 1951, Maria von Nazareth, 1954; außerdem 5 Kleinschriften, (Werkbund) 1939/1940 u. 37 Aufsätze 1919–1964, sowie d. Sammelband: Der geistliche Mai. Andachten für den Gebrauch d. Gemeinde u. des Einzelnen, hgg. mit R. Guardini u. F. Messerschmid, 1952. Teilveröffentlichung d. Tagebücher Weigers in: H.-B. Gerl-Falkovitz (Hg.), Lauterkeit des Blicks. Unbekannte Materialien zu Romano Guardini, 2013.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.), in: Baden-Wüttembergische Biographien 6, S. 494 – Archiv Mooshausen.

Literatur: H.-B. Gerl, E. Prégardier, A. Wolf (Hgg.), Begegnungen in Mooshausen: Romano Guardini, Maria Elisabeth Stapp, Josef Weiger, Weißenhorn 21990; A. Knoll, Josef Weiger. Einblick in sein Denken u. Wollen, in: Josef Weiger (1883–1966), Seelsorger, Theologe, Dichter. Brief aus Mooshausen 2, 1997, 12-30; H.-B. Gerl-Falkovitz (Hg.), „Ich fühle, dass Großes im Kommen ist.“ Romano Guardinis Briefe an Josef Weiger 1908–1964, 2008; dies., Pfarrer Josef Weiger (1883–1966), in: F. Trenner (Hg.), Diener im Weinberg des Herrn. Priesterpersönlichkeiten aus zwölf Diözesen, 2008, 238-242; dies., Ein Freundeskreis u. seine fruchtbaren Folgen. Die Beziehung von Gebhard Fugel zu Josef Weiger, Maria Knoepfler u. Romano Guardini, in: Vom Bodensee nach Jerusalem. Gebhard Fugel 150 Jahre, hgg. von d. Stadtgalerie Altötting 2013, 17-19.
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