Gmelin, Otto Franz 

Geburtsdatum/-ort: 17.09.1886;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 22.11.1940; Köln-Kalk
Beruf/Funktion:
  • Romanautor
Kurzbiografie: 1896-1906 Realgymnasium mit Gymnasialabteilung, Karlsruhe, Abitur
1906-1908 Studium der Mathematik, Physik und Chemie sowie allgemeinbildender Fächer an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1908-1911 Fortsetzung des Studiums an der Universität Heidelberg
1911 Lehramtsprüfung mit dem Prädikat „vorzüglich“, Hauptfächer Mathematik und Physik, Nebenfächer Chemie und Mineralogie
1911-1912 Lehramtskandidat (Probejahr) an der Humboldtschule Karlsruhe und an der Oberrealschule Freiburg i. Br., 1912 „Fähigkeit zur Anstellung an Mittelschulen“
1912-1914 Hauslehrer bei einer deutschen Familie in Mexiko City, vom Staatsdienst beurlaubt
1914 Auf Antrag aus dem badischen Staatsdienst entlassen
1914-1916 Nach Kriegsausbruch freiwillige Übernahme von Vertretungen einberufener Lehrer an der Lessingschule in Karlsruhe, dem Gymnasium Donaueschingen, der Humboldtschule in Karlsruhe und 1916-1917 am Evangelischen Pädagogium Godesberg
1917 Dr. phil. „magna cum laude“ an der Universität Heidelberg (Dissertation: „Über vollkommene und befreundete Zahlen“ bei Prof. Leo Königsberger, 1837-1921), Hauptfach Mathematik, Nebenfächer Physik und Mineralogie
1917-1936 Studienrat am Realgymnasium Solingen-Ohligs, 1936 Ruhestand, Umsiedlung nach Bensberg
1923-1940 Schriftstellerische Tätigkeit, viele Reisen innerhalb Europas
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1918 (Bonn) Klara Ella, geb. Stegmann, Lehrerin
Eltern: Vater: Franz Gmelin, Kaufmann
Mutter: Anna, geb. Wagner
Geschwister: 1
Kinder: eine Tochter
GND-ID: GND/118904744

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 95-98

Der süddeutschen Gelehrtenfamilie Gmelin entstammen namhafte Naturwissenschaftler und Mediziner, unter ihnen der Bedeutendste, Leopold Gmelin (1788-1853), dessen Handbuch der anorganischen Chemie noch heute, vielfach überarbeitet, als Standardwerk des Fachs gilt. Bei solchem Erbe verwundert es nicht, daß sich Gmelin, der Urenkel Leopold Gmelins, nach dem Abitur dem Studium der Naturwissenschaften zuwandte.
Über seiner Jugendzeit lagen schwere Schatten. Das Familienvermögen ging während seiner Schuljahre verloren, so daß er schon früh weitgehend auf sich selbst gestellt war. Von Kind auf plagte ihn ein nervöses Asthmaleiden, das schon während der Gymnasialzeit eine einjährige Studienpause verursachte und ihm zeitlebens zu schaffen machte. Daß Gmelin unter solch ungünstigen Umständen ein passables Abitur und ein hervorragendes Staatsexamen für das Lehrfach bestand, verdient besondere Hervorhebung. Das anschließende Probejahr absolvierte der Lehramtskandidat erfolgreich in Karlsruhe und Freiburg. Darauf folgte ein zweijähriger Aufenthalt in Mexiko, den ihm der „Verein für das Deutschtum im Ausland“ vermittelt hatte, – die erste von mehreren überraschenden Wendungen in Gmelins Lebensschicksalen. Sie läßt in seinem Persönlichkeitsbild eine Facette erkennen, die immer wieder auftaucht: den Drang in die Ferne. So hatte Gmelin bereits während seiner Praktikantenzeit im badischen Staatsdienst mehrfach versucht, aus der „Ochsentour“ auszubrechen, wobei wohl auch die Überlegung mitgespielt haben mag, wie er durch einen Klimawechsel sein Leiden erträglicher gestalten könnte. Auch war er nach dem Staatsexamen zunächst darauf ausgegangen, das Probejahr nicht in Baden, sondern „in der norddeutschen Tiefebene“ abzuleisten; Preußen hatte dies jedoch abgelehnt.
Von Mexiko zurückgekehrt, wurde Gmelin auf seinen Antrag am 12.9.1914 aus dem Staatsdienst entlassen, um für seine Dissertation frei zu sein. Der nicht Militärdienstfähige stellte sich aber sogleich dem Badischen Oberschulrat als Vertreter für einberufene Kollegen zur Verfügung und wurde nach Donaueschingen geschickt, wo er es, wegen klimatischer Gründe, mit Mühe und Not ein Jahr lang aushielt. Im Herbst 1915 wollte er eine Oberlehrerstelle bei der deutschen Schule in Bukarest antreten; aber die Reise dorthin war schon in Budapest zu Ende, da ein schwerer Asthmaanfall die sofortige Rückkehr in die Heimat erforderlich machte. Wieder wurde er in einer Karlsruher Schule eingesetzt, wo er immerhin ein Jahr lang blieb. Im Herbst 1916 wurde er von dem ob seiner Langmut bewundernswerten Badischen Oberschulrat nach Godesberg beurlaubt, wo er eine Vertretung für einen einberufenen Oberlehrer übernahm. Wieder zwangen ihn klimatische Gründe, vorzeitig nach Karlsruhe zurückzukehren, und wieder setzte ihn der Oberschulrat an einem Karlsruher Gymnasium ein. Endlich, im Frühjahr 1917, gelang ihm der endgültige Absprung in Richtung Norden: Er wurde am Realgymnasium in Solingen-Ohligs angestellt und hier, in dem ihm klimatisch zuträglichen Bergischen Land, unterrichtete er bis 1936, als das Asthmaleiden die Frühpensionierung des Fünfzigjährigen begründete.
Dies die eher durchschnittlich anmutende Laufbahn des Pädagogen Gmelin, glanzlos, mit vielen Schwierigkeiten und Wechseln in den Anfängen, dann aber, trotz häufiger Erkrankung beharrlich durchgehalten, eine Unterrichtsperiode von fast zwei Jahrzehnten. Seit den frühen zwanziger Jahren bahnte sich jedoch eine kaum erwartete Lebenswende an: der Solinger Mathematiklehrer wurde zum Autor vielgelesener Erzählungen, deren Thematik weder zu seinen Lehrfächern noch zu seinen Lebenserfahrungen in Beziehung stand. In seinem späteren Romanwerk widerspiegelt sich allerdings eine Fülle von ungleichartigen Lebenselementen: die ihm durch den Freund Leopold Ziegler nahegebrachte mittelalterliche Kaiser- und Reichssphäre, das Mexiko-Erlebnis, Begegnungen mit jungen Menschen, die deutsche Landschaft, Italien, die stets zu überwindende physische Anfälligkeit. Als sein erster Roman erschien, war er vierzig Jahre alt. „Ich habe also sehr lange gebraucht, um etwas dichterisch Reifes zustande zu bringen“, bekannte er später. Eher verborgene Vorzeichen für diese Wandlung gibt es, so das einzige „Sehr gut“ im Abiturzeugnis – in Deutsch – und eine Examensarbeit bei dem berühmten Heidelberger Philosophen Wilhelm Windelband über „Schopenhauers Stellung zu Platos Ideenlehre“, beides Ausweise für das von vornherein die Fachgrenzen überschreitende Spektrum des Mathematikers. Das wichtigste verbindende Medium zwischen den beiden scheinbar heterogenen Elementen Mathematik und Dichtung ist jedoch in seiner Liebe zur Natur, in seinem immer erneuten Eifer, die Natur wissenschaftlich zu erforschen, zu finden: „Ich glaube, daß das Weltgebäude der modernen Physik die großartigste und erhabenste Dichtung unserer Zeit ist“ (1935, in: „Dichtung und Entscheidung“, siehe Literatur).
Gmelin begann 1923 mit einigen Erzählungen, die aufhorchen ließen, und drei Jahre später folgte der Roman über den asiatischen Gewaltherrscher Temudschin (Dschinghis Khan), den „Herrn der Erde“ mit jenem „Weltgefühl, das keine Grenzen anerkennen und daher ständig Welt in sich aufnehmen, erobern muß“ (Gmelin). Thomas Mann fand dieses Werk „ergreifend, hervorragend, höchster Aufmerksamkeit wert“. Den großen Erfolg brachte seine Dichtung über Friedrich II., „Das Angesicht des Kaisers“ (1927), den Menschen, „der sich im Auftrag Gottes auf Erden fühlt“ (Gmelin). In dem Völkerwanderungsroman „Das neue Reich“ (1930) zeichnete Gmelin ein packendes Bild jener Jahre des Wirrwarrs, als im sterbenden römischen Reich neue, unverbrauchte Völker die Herrschaft übernahmen. Neben der Trias dieser großen historischen Romane entstanden anmutige Erzählungen wie „Sommer mit Cordelia“ (1930) oder die indianische Liebesgeschichte „Das Mädchen von Zacatlan“ (1932), spätes Echo mexikanischer Erfahrungen. Besondere Popularität errang „Konradin reitet“ (1933), die dem Rilkeschen Cornet benachbarte Schilderung der Tragödie des letzten Hohenstauferjünglings. Gmelin wurde in den dreißiger Jahren viel gelesen. Er besaß sowohl den großen Atem und die dichterische Kraft zur Darstellung der Dramatik und Dämonie bedeutender historischer Figuren wie auch die Wärme der Empfindung und die feinsten seelischen Ausdrucksmittel für seine Liebes- und Landschaftsgeschichten. Humor, auch nur anflugsweise, wird man allerdings bei Gmelin nicht finden. Was seine Werke dennoch auch heute noch lesbar machen könnte: seine „Leidenschaft für klares und strenges Denken und die starke Abneigung gegen alles Phrasenhafte und Verschwommene“ (Gmelin). Frühe ökologische Visionen tun sich bei seinen meisterhaften Landschaftsschilderungen auf, so wenn er „den blühenden Apfelbaum und die surrende Kühle des Transformatorenwerks“ als mit gleicher Liebe zu schauende „Landschaft der Zukunft“ vor Augen führte. Er kannte aber durchaus auch, wie sich aus den „Gesprächen am Abend“ ergibt, die Furcht vor der fortschreitenden Umweltzerstörung durch die Technik.
Selbstverständlich hat es im „Dritten Reich“ an Versuchen nicht gefehlt, das Werk Gmelins in den Dienst der NS-Ideologie zu stellen und ihm Züge „heldischer Größe“ (Wilhelm E. Oeftering) zuzuschreiben. Dazu luden die von Gmelin beschriebenen Herrschergestalten geradezu ein. Soweit aus den Quellen zu erschließen ist, hat sich der Dichter solchen Versuchen gegenüber sehr distanziert verhalten, und darauf ist wohl auch das karge Lob zurückzuführen, das ihm der nationalsozialistische Literaturpapst Adolf Bartels spendete. Im „Gegenwart“-Kapitel seiner Literaturgeschichte (siehe Literatur) stellte er zwar Gmelin „an die Spitze der süddeutschen Dichter“, erwähnte jedoch nur ein einziges der Werke Gmelins – „Das Angesicht des Kaisers“ –, und das in kühlen Worten. Als Max Kullak (siehe Literatur) allen Ernstes die Frage stellte, ob Gmelin mit seinen großen historischen Romanen „die Grundideen des neuen heroischen Zeitalters im Dritten Reich ankündigen wollte“ und von der „nordischen Sendung“ Gmelins faselte, änderte dieser stillschweigend den Titel seines von Kullak auf die damalige „heroische“ Zeit bezogenen Romans „Der Ruf zum Reich“ (1936) – einer Darstellung der deutschen Kaisertragödien in Italien – in der zweiten Auflage in „Die Krone im Süden“. Bei der Verteilung der zahlreichen NS-Literaturpreise ging Gmelin denn auch leer aus. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang eine Passage des oben schon zitierten Lebensbildes aus dem Jahre 1935, in dem er, ohne die geringste Anbiederung an den braunen Zeitgeist, niederzuschreiben wagte, daß es „zu seinen reinsten und unzerstörbaren Freuden“ gehöre, „die Fortschritte der neuesten Physik zu verfolgen, die neuen Theorien von Raum und Zeit, die sogenannte Relativitätstheorie ...“ – des großen Juden Einstein –, „die Quantenmechanik und die neuen Anschauungen von Materienwellen“. Dies sei der „wirkliche Mythos“ der Gegenwart – zwischen den Zeilen: nicht der Rosenbergsche Blut- und Bodenmythus des XX. Jahrhunderts ...
Selbst bis zu Reichstatthalter Robert Wagner drang der Ruhm des Dichters, und in der Hoffnung, daß etwas von diesem Glänze auf ihn selbst und seine NSDAP zurückfalle, bemühte er sich im Jahre 1935 um die Rückkehr Gmelins in die heimatlichen badischen Gefilde. Ministerialrat Herbert Kraft wurde beauftragt, mit Gmelin zu verhandeln. Aber als sich herausstellte, daß dieser beabsichtigte, den ihm in jener Zeit gewährten Krankheitsurlaub sehr bald in die Pensionierung übergehen zu lassen, erlosch das Interesse der badischen NS-Politiker, die befürchteten, daß der badische Staat die Pensionsbezüge zahlen müsse. Eine vorsichtige Anfrage Gmelins, ob ihm sein Heimatland behilflich sein könne, „daß ich mich dort als freier Schriftsteller auf eigenem Grund und Boden niederlassen und leben kann“, blieb unbeantwortet.
Quellen: Pers.-Akte O. Gmelin Sign 235/Zg. 1967/41, Nr. 1334 GLAK.
Werke: Hauptwerke im Text. Vollständiges Werksverzeichnis in: G. v. Wilpert u. A. Göhring, Erstausgaben dt. Dichtung, 1992 2. Aufl. – Homunkulus (Erzählungen), 1923; Naturgeschichte d. Bürgers. Beobachtungen u. Bemühungen (dem Grafen H. Keyserling [1880-1946] gewidmet), 1929; Warum ich historische Romane geschrieben habe, in: Der Diederichs-Löwe, 1928, 251-253; Drei Stufen, in: Ekkhart 1931, 457-463; Dichtung u. Entscheidung – Bemerkungen zu meinem Leben u. zu meiner Dichtung, in: Die Pyramide vom 17. 11. 1935; Ursprung u. Aufgabe. Mit Bibliographie über O. Gmelin von E. Metelmann, in: Die neue Literatur 39, 1938, 488-496; Frühling in Deutschland, 1933; Verlorene Landschaft (Essay), 1933; Mahnruf an die Kirche, 1933; Prohn kämpft für sein Volk, 1933; Jugend stürmt Kremzin, 1935; Die Botschaft der Kaiserin, 1935; Die Gralsburg, 1935; Die junge Königin, 1936; Das Reich im Süden, 1937; Das Haus der Träume, 1937; Die Fahrt zum Montsalvatsch, 1939; Italienfahrten. Erlebtes, Geschehenes, Gedachtes, 1940; Konradin reitet, 1933, 1951 (mit autobiogr. Text O. Gmelins); Gespräche am Abend, 1941, 1952 2. Aufl., Das Mädchen von Zacatlan, 1951 (nur die drei letztgenannten Schriften erschienen nach 1945 in Neuausgaben).
Nachweis: Bildnachweise: in: Oeftering, Gesch. d. Literatur in Baden III (siehe Literatur).

Literatur: (Auswahl) K. Ihlenfeld, Herren d. Geschichte. Zu den Büchern O. Gmelins, in: Ekkhart 1932, 232-234; H. E. Busse, O. Gmelin, Das Erbe, in: Ekkhart 1933, 75-79; M. Kullak, Heroische Weltanschauung im geschichtl. Roman d. Gegenwart (O. Gmelin), in: Zt. f. Dt., 1934, 163-169; H. Teßmer, O. Gmelin, in: Kritische Gänge, Beilage d. Berliner Börsen-Ztg. vom 16. 9. 1934; W. Kunze, O. Gmelin, in: Die Literatur 1936/37, 528-530; W. E. Oeftering, Gesch. d. Literatur in Baden III, 1939, 46-48; Buchbesprechungen dess., in: Ekkhart 1924, 96; 1927, 120; 1929, 106; 1932, 103; 1934, 106; A. Bartels, Gesch. d. dt. Literatur, 1937 16. Aufl., 749; W. Scherer/Th. Schultz, Gesch. d. dt. Literatur, 1949 2. Aufl., 704; O. H. Sarnetzki/J. Winckler, O. Gmelin, in: Rhein. Athenäum 1948, 231-235; D. Slark, Das Ewige d. Gegenwart. O. Gmelin zum Gedenken, in: ders., Literar. Kaleidoskop, 1982, 29-33; D. Göttsche, O. Gmelin, in: W. Killy, Dt. Literaturlexikon IV Sp. 179 f.; U. Helmke, O. Gmelin, in: ders., Gedenkblätter für drei vergessene Autoren, 1989, 53-59; Lt. 6; LB 10.
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