Adler, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 25.01.1890;  Münsingen-Buttenhausen
Sterbedatum/-ort: 10.07.1973; Leonida (New Jersey/USA)
Beruf/Funktion:
  • Musikpädagoge, Helfer und Retter jüdischer Glaubensgenossen in der Zeit des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1902-1908 Lehrerseminar Esslingen
1909 Vorsängerprüfung
1910/11 Studium am Königlichen Konservatorium in Stuttgart
1912-1914 Sänger am Königlichen Hoftheater in Stuttgart
1914-1918 Frontsoldat im Ersten Weltkrieg
1918-1933 Leiter der Musikabteilung des Vereins zur Förderung der Volksbildung und des Konservatoriums für Musik in Stuttgart
1933-1938 Leiter der Stuttgarter Jüdischen Kunstgemeinschaft
1938-1940 Leiter der Jüdischen Mittelstelle in Stuttgart
1940 Emigration in die USA
1946-1968 Professor an der Yeshiva-Universität in New York
Weitere Angaben zur Person: Religion: jüdisch
Verheiratet: 1925 Stuttgart, Margarete (Grete), geb. Marx (1901-1988)
Eltern: Louis Adler (1862-1944), Handelsmann
Mathilde, geb. Löwenberg (1863-1949)
Geschwister: Fanny (1891-)
Irene (1898-)
Kinder: Fritz (1927-1943)
GND-ID: GND/118905759

Biografie: Paul Sauer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 1-2

Der Geburtsort Adlers war das Dorf Buttenhausen bei Münsingen, in dem seit Generationen Christen und Juden friedlich zusammenlebten. Die Eltern gehörten der Israelitischen Gemeinde an. Ihre tiefe Religiosität prägte auch den Sohn. Den Leiter des Jüdischen Waisenhauses Esslingen, Theodor Rothschild, beeindruckte bei einem Besuch in Buttenhausen das Gesangstalent des Zwölfjährigen. Er riet den Eltern, dem Sohn die Ausbildung im Evangelischen Lehrerseminar in Esslingen zu ermöglichen. Diese stimmten zu. Im Oktober 1908 legte Adler die erste Lehrer-Dienstprüfung ab, dreieinhalb Monate später vor der Königlich-Israelitischen Oberkirchenbehörde ein Zusatzexamen, die Vorsängerprüfung. Er konnte damit als unständiger Lehrer und Vorsänger an einer israelitischen Schule angestellt werden. Doch seine außergewöhnliche Begabung drängte ihn in eine andere Richtung. Das Studium am Königlichen Konservatorium in Stuttgart, zu dem er sich nunmehr entschloß, öffnete ihm das Tor zur Oper: Er wurde Sänger am Stuttgarter Hoftheater.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich der patriotisch gesinnte junge Mann kriegsfreiwillig. Er zeichnete sich durch besondere Tapferkeit aus und avancierte bis zum Leutnant. Den Zusammenbruch Deutschlands im Herbst 1918 empfand er als tief schmerzlich. Wegen einer schweren Kopfverwundung konnte er den Sängerberuf nicht mehr ausüben. Theodor Bäuerle, der ihm Freund und langjähriger Weggefährte wurde, gewann ihn für seine Idee der Schaffung eines breitgefächerten Bildungsangebots, von dem alle Schichten der Bevölkerung profitieren sollten. Adler übernahm im Verein zur Förderung der Volksbildung den musikalischen Part: zunächst als Leiter der Musikabteilung, dann als Direktor des Konservatoriums für Musik. Es gelang ihm, das Konservatorium zu einer hervorragenden Bildungseinrichtung zu machen, die auf musikalisch Begabte eine starke Anziehungskraft ausübte und innerhalb weniger Jahre ihre Schülerzahl mehr als vervierfachen konnte. Wesentlichen Anteil hatte Adler auch an der Gründung des Stuttgarter Jüdischen Lehrhauses 1926.
Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus im Reich und in Württemberg 1933 bedeutete für den im deutschen Kultur- und Geistesleben verwurzelten schwäbischen Juden einen schweren Schock. Er wurde schlimm diffamiert und mußte von der Leitung des Konservatoriums zurücktreten. In der jüdischen Erwachsenenbildung fand er ein neues Betätigungsfeld, und hier leistete er, seine große musikpädagogische Erfahrung einbringend, weit über Stuttgart und Württemberg hinaus Erstaunliches. Gewissermaßen singend formte er aus dem Kreis der Bedrückten und Verfolgten eine Gemeinschaft. Die Stuttgarter Jüdische Kunstgemeinschaft, deren führender Kopf er war, wurde zu einem Zentrum des geistigen Widerstands gegen das NS-Regime. Ihre Konzerte, Liederabende und sonstigen Veranstaltungen sprachen die gedemütigten jüdischen Menschen an, halfen ihnen, die Misere eines zunehmend sich verdüsternden Alltags zu ertragen. Die sogenannte ‚Reichskristallnacht‘ im November 1938 bereitete diesem einmaligen Aufbauwerk ein jähes Ende. Jetzt hatte die Hilfe für die immer stärker in wirtschaftliche Not und Bedrängnis geratenden „Nichtarier“ Vorrang. Adler übernahm die Leitung der Jüdischen Mittelstelle, die effektive Hilfsmaßnahmen organisierte und sich, ungeachtet großer Schwierigkeiten, darum bemühte, möglichst vielen Verfolgten den Weg zur Auswanderung zu ebnen. Sein unermüdlicher Einsatz war beispielhaft. Hunderten von Menschen rettete er das Leben. Kurz vor Kriegsausbruch konnten er und seine Frau nach England reisen und dort den Sohn treffen, der, nachdem ihn zunächst eine Quäkerfamilie aufgenommen hatte, jetzt ein Internat besuchte. Adler kehrte nochmals nach Deutschland zurück. 1940 erhielten er, seine Frau und seine Eltern durch die Vermittlung von Freunden die Einreiseerlaubnis für die USA. Der Sohn sollte von England aus den Eltern folgen, doch er erreichte sein Ziel nicht; das Schiff, auf dem er 1943 die Fahrt nach Amerika antrat, ging unter.
Der Neuanfang in den USA war schwer. Durch Musikunterricht im New Yorker City College und in anderen Bildungsanstalten hielt er sich, tatkräftig von seiner Frau unterstützt, einigermaßen über Wasser. 1942 besserten sich mit dem ihm übertragenen Aufbau der Musikabteilung im Briarcliff-College seine wirtschaftlichen Verhältnisse. Jetzt rief er auch wieder einen Chor ins Leben. Öffentliche Konzerte machten ihn in New York und darüber hinaus bekannt. Von 1946 bis 1968 wirkte er als Musikprofessor an der Yeshiva-Universität, einer jüdischen Hochschule konservativer Richtung. Fernab von New York fand der inzwischen 78jährige Emeritus mit seiner Frau in Leonida (New Jersey) schließlich ein ländliches Refugium, in dem er seine letzten Lebensjahre verbrachte.
Nach Kriegsende 1945 nahm er sofort wieder Kontakt zu den ihm eng verbundenen Freunden wie Theodor Bäuerle in der alten Heimat auf. Viel tat er, um dort Not zu lindern, um Menschen, die sich nach 1933 jüdischer Verfolgter angenommen hatten und nun seiner Hilfe bedurften, beizustehen und um über den Abgrund einer schrecklichen Vergangenheit Brücken zu schlagen. Wiederholt kam er zu Besuchen nach Deutschland. Hierbei trat er öffentlich dafür ein, niemals wieder Intoleranz und menschenverachtendem Rassenwahn Raum zu geben. In Buttenhausen nahm er 1966 an der Enthüllung eines Gedenksteins teil, der an die 1938 zerstörte Synagoge und an die Opfer des Holocausts erinnert.
Quellen: Leo Baeck Institute, New York: Karl Adler Collection; Stadtarchiv Stuttgart: Unterlagen über Karl Adler
Nachweis: Bildnachweise: Stadtarchiv Stuttgart

Literatur: Fritz Richert, Karl Adler, Musiker – Verfolgter – Helfer. Ein Lebensbild (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart Bd. 46). Stuttgart 1990
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