Loewenthal, Käthe 

Geburtsdatum/-ort: 25.03.1878; Berlin
Sterbedatum/-ort: 26.04.1942; Izbica/Lublin (Transit-Ghetto im von den Deutschen besetzten Polen)
Beruf/Funktion:
  • Malerin und Schriftstellerin
Kurzbiografie: 1878–1890 Leben der Familie Loewenthal in Berlin, Genf, Lausanne, Paris, Belgrano (Argentinien), wo der Vater an den jeweiligen Univ. arbeitet
1890 Übersiedlung nach Bern; Freundschaft mit einer protestantischen Pfarrersfamilie, Taufe und Konfirmation
1892 Rückkehr nach Berlin
1895 Abitur und Beginn des Studiums bei Ferdinand Hodler im Berner Oberland
1897 Beendigung des Studiums bei Hodler; die Gebirgslandschaften entstehen auch später ausschließlich im Berner Oberland
1890 mehrere Auslandsreisen; in Paris Bekanntschaft mit dem Maler Leo von König, der vor allem als Portraitmaler berühmt wurde; folgt ihm nach Berlin, um in seiner privaten Malschule weiterzustudieren, es entstehen Akte, Tierstudien und Portraits
1900 im September Unterricht in der von Hans Müller-Brauel nach dem Muster von Worpswede gegründeten, von allem von Frauen besuchten Malschule Zeven bei dem Heidemaler Wilhelm Feldmann
1902 Italienreise mit der Schwester Susanne, die ebenfalls Malerei studiert; Beginn der Freundschaft mit Erna Raabe, geb. Freiin von Holzhausen
1904 Ende der Studienzeit bei Leo von König, arbeitet als freischaffende Künstlerin in München; ao. Mitglied im Künstlerinnen-Verein München
1909/10 Umzug nach Stuttgart; Mitglied im Württ. Malerinnenverein
1910–1914 Studium an der Kgl. Württ. Kunstschule in der von Adolf Hölzel geleiteten „Damenklasse“; Atelierwohnung im Vereinshaus des „Württ. Malerinnenvereins“ in der Eugenstraße 17
seit 1912 Regelmäßige Malaufenthalte bei der Schwester Susanne in Vitte auf der Insel Hiddensee
1914 erhält von der Stadt Stuttgart nach Beendigung des Studiums ein Atelier im städtischen Atelierhaus in der Ameisenbergstraße 61
1914–1934 Arbeit als freie Malerin; der Lebensunterhalt wird hauptsächlich mit dem Malen von Portraits finanziert; Ausstellungen auf verschiedenen Ausstellungen, u. a. der Stuttgarter Sezession, (als Mitglied) und im Münchner Glaspalast
1928 Wohnung in der Ameisenbergstraße 32
1934 Malverbot, Kündigung des städtischen Ateliers, Ausschluss aus dem „Württ. Malerinnenverein“, Bilder werden unverkäuflich; die Tätigkeit als freiberufliche Malerin ist damit unmöglich geworden
1941 Zwangsumsiedlung in eine „Judenwohnung“ in Stuttgart-Kaltental
Febr. 1942 Umsiedlung in das zu einem Sammellager umfunktionierte jüdische Altersheim in Weißenstein/Göppingen
26.4.1942 von Stuttgart aus in das von Deutschland besetzte Polen deportiert und im Todeslager von Izbica ermordet
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr./ev.
Eltern: Vater: Prof. Dr. Wolf Wilhelm Loewenthal (* 1850 Rybnik/preuß. Oberschlesien, † 1894 Berlin) Arzt, Univ.-laufbahn, Fachbereich Hygienik
Mutter: Clara Hannchen, geb. Löwenthal (* 1852 Hamburg, † 1929 Örlinghausen)
Geschwister: 4: Gertraud (* 1880 Berlin, † 1898 Berlin, Suizid); Agnes, geb. Schäfer (* 1882 Berlin, † 1936 Griechenland, Suizid), Fotografin; Hedwig (* 1883 Neuilly sur Seine, ermordet 1941 im Ghetto Riga (?), Pädagogin; Susanne, geb. Ritscher (* 1884 Neuilly sur Seine, † 1975 München), Malerin
GND-ID: GND/119136848

Biografie: Mascha Riepl-Schmidt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 183-185

Ob Loewenthal ihr Schicksal vorhergesehen hat, kann nicht mehr nachgefragt werden. Sie hat es anscheinend als gottgegeben hingenommen und stoisch ertragen. Die Malerin war Patriotin. Deutschsein bedeutete für sie die Teilhabe an einer kulturell hochstehenden Nation. Diese deutsche Kultur war für sie Anspruch und Erfüllung zugleich. Ihre Ideale ließ sie sich auch im Leid und in der Not nicht zerstören. Dieser Haltung ist in ihrem schriftlichen Nachlass nachzuspüren – in Tagebucheinträgen, Texten und Gedichten – die um weibliches Künstlertum, um Liebe, Religion und Glauben kreisen.
Dass Frauen weder in der Kunst, noch im gesellschaftlichen Leben mit den Männern gleichberechtigt sind, verstärkt Loewenthals Sehnen nach einer idealen, idealistisch definierten Welt. Die von ihr gelebte Ungleichheit und gesellschaftliche Zurücksetzung sublimiert sie mit dem Glauben an ein Hineinverwobensein ins Geistig Natürliche, in die erhabenen menschlichen und göttlichen Zusammenhänge. In der Natur scheint ihr das Göttliche ohne menschliche Verfälschung auf. Dieses Denken zeigt sich auch in ihrem malerischen Œuvre: In ihren gewaltigen Landschaftspanoramen sind nur selten kleine Menschenschemen zu erkennen. Das Wahre und Echte findet sich ihrer Meinung nach nicht bei den Menschen, sie können jedoch beim Nachsinnen diese Wahrheit und Echtheit erahnen. Sie sind von Gott abhängige Geschöpfe, die um die eingeschränkten Möglichkeiten der eigenen Existenz wissen. Milde und Weisheit ist dabei das oberste Ziel. Loewenthals Schreiben und Dichten ist lyrische Erhöhung und Trost. Die beiden Gattungen – die Malerei und das Schreiben – haben unterschiedliche Qualitäten: In der Malerei hat die Künstlerin ihr Können immer weiter getrieben und erreicht in der Abstraktion eine intensive inhaltliche Dichte. Im Schreiben gelingt ihr das nicht, sie ringt um das Wort, das sie trotz der beschworenen Ideale ans schwierige Leben und den mühsamen Alltag bindet. Die Malerin hatte beides: Bodenhaftung und Mut zu Höhenflügen.
Loewenthal ist die Älteste von fünf Töchtern des international anerkannten Spezialisten der medizinischen Hygiene und Universitätsprofessors Dr. Wolf Wilhelm Loewenthal und seiner Frau Clara, die aus einer reichen Hamburger Kaufmannsfamilie gebürtig ist und stammt damit aus einem jüdischen Elternhaus, das sich jedoch nicht mehr an der jüdischen Religionsgemeinschaft orientiert. In Bern freundete sich das Mädchen 1890 mit einer protestantischen Pfarrersfamilie an und lebte zwei Jahre bei dieser Familie.
Es ist der Vater, der besonders seine älteste Tochter – aufgeklärt, liberal und modern wie er war – prägt und ihr ein Idealbild vermittelt, das später nicht mehr relativiert werden konnte, da er schon mit 44 Jahren starb. Loewenthal war damals 16 Jahre alt.
Schon während der Schulzeit zeigte sich ihr künstlerisches Talent. Obwohl die Ausbildungssituation für Frauen besonders auch im künstlerischen Fach äußerst schwierig war und „Malweiber“ als exotisch galten, wagte sie es, studierte und nahm Kurse unter anderem bei Ferdinand Hodler im Berner Oberland, bei Leo von König in Berlin, bei Wilhelm Feldmann in Zeven. Bis 1909 lebte und arbeitete Loewenthal in München, dann zog sie nach Stuttgart, da auch ihre engste Freundin Erna Raabe, geb. Freiin von Holzhausen (1882–1938), eine Schülerin des Frankfurter Malers Wilhelm Trübner, nach dem Tode ihres Mannes nach Stuttgart umgesiedelt war. Ab 1910 ist Loewenthal Mitglied im „Württembergischen Malerinnenverein“, wo sie an Ausstellungen und Festen teilnimmt und im Vereinshaus (heute: „Bund Bildender Künstlerinnen, Württemberg e. V.“, BBK) in der Eugenstraße 17 bis 1911 eine Atelierwohnung bewohnt. Sie ergreift von 1910 bis 1914 die Chance an der Königlich Württembergischen Kunstschule in Stuttgart zu studieren und kann an der von Adolf Hölzel geleiteten „Damenklasse“ teilnehmen.
1912 erwirbt Loewenthals jüngste Schwester Susanne, die ebenfalls Malerin ist, eine alte Fischerhütte in Vitte auf Hiddensee. Die Familie trifft sich hier bis zum Beginn der NS-Verfolgung regelmäßig im Sommer. Hier entstehen viele Bilder, die das Meer, die Küste und die Landschaft der Insel Hiddensee zum Thema haben und in ihrer Gesamtheit Gegenstücke zu den früheren Landschaften aus dem Berner Oberland sind. Nach Abschluss des Studiums bekommt Loewenthal 1914 von der Stadt Stuttgart ein Atelier in der Ameisenbergstraße 61 zugeteilt, wo sie bis zum Malverbot 1934 arbeitet. Als freie Malerin bestreitet sie ihren Lebensunterhalt vor allem auch mit dem Malen von Portraits. Regelmäßige Ausstellungen in Stuttgart und in München bestätigen ihr Können. Da sie laut den NS-Gesetzen als Jüdin gilt, kann sie ab 1934 an keiner Kunstausstellung mehr teilnehmen und keine Bilder mehr verkaufen. Ihr städtisches Atelier wird gekündigt und auch aus dem „Württembergischen Malerinnenverein“, der sich hatte gleichschalten lassen, wird sie ausgeschlossen.
Die nun 56-jährige Malerin ist dadurch gezwungen, ein Leben unter zunehmend größer werdenden Einschränkungen zu führen. Sie wird aber immer noch heimlich unterstützt: Die Künstlerfamilie Donndorf und ihre ehemalige Putzfrau Marie Nothdurft helfen, wo sie können. Eine Mappe – ihre Testamentsmappe – mit rund 250 Pastellen, Graphiken und Aquarellen wird kurz vor Loewenthals Zwangsumsiedlung vom elfjährigen Walter Nothdurft zur Familie Donndorf gebracht und dort bis zum Ende des Dritten Reiches versteckt. Der größte Teil des Werkes, das der Stuttgarter Malermeister Albrecht Kämmerer in seinem Lager versteckt hatte, wird jedoch bei einem Bombenangriff zerstört. Die erhalten gebliebene Mappe kann nach der Befreiung 1945 der Schwester Susanne Ritscher übergeben werden. Sie hatte in von Freunden organisierten Verstecken unter anderem in einem Ferienhaus der Familie Donndorf auf der Schwäbischen Alb die Verfolgung überlebt. Ihre Tochter Ingeborg Leuchs hat das verbliebene Werk Loewenthals mit stetem Engagement wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ihr Neffe Wolf Ritscher führt diese Erinnerungsarbeit weiter.
In Stuttgart war Loewenthal in unterschiedlichen Wohnungen besonders im Stuttgarter Osten zuhause – von 1912 bis 1915 in der Albertstraße 4/2, von 1916 bis 1927 in der Hackländerstraße 31/2, von 1928 bis 1939 in der Ameisenbergstraße 32/3. Hier war sie künstlerisch und gesellschaftlich eingebunden, bevor sie in eine sogenannte Judenwohnung nach Stuttgart-Kaltental ziehen musste. Zeitweise hat sie sich aber auch in Tübingen aufgehalten, bevor sie dann im Februar 1942 in das zu einem Sammellager umfunktionierte Altersheim in Weißenstein/Göppingen „evakuiert“ wurde. Von Stuttgart aus ging dann die Deportation ins Todeslager Izbica/Lublin.
Rund 300 Bilder in Privatbesitz und in unterschiedlichen Museen und Sammlungen zeugen von Loewenthals differenzierter und vielfältiger Schaffenskraft.
Heute erinnert im öffentlichen Raum die Käthe-Loewenthal-Straße in Stuttgart-Sillenbuch und ein „Stolperstein“ des Kunstprojekts: „Spuren vergessener Nachbarn“ vor dem Haus in der Sandbergerstraße an die von den Nationalsozialisten verfolgte und ermordete Malerin.
Quellen: A des „Bundes Bildender Künstlerinnen Württemberg e. V.“, Stuttgart; HAP Grieshaber, Engel der Geschichte, o. D.; StAL; Verein Lebenswerk Käthe Loewenthal e.V., Unterreichenbach, Gespräche und Korrespondenz mit Dr. Ingeborg Leuchs und Prof. Dr. Wolf Ritscher seit 1989.
Werke: Rund 300 Bilder in Privatbesitz, in Museen und Sammlungen: Städtische Galerie Böblingen; Käthe-Loewenthal-Altersheim Fürth; Museum Expressiver Realismus Kisslegg; Städtische Sammlungen, Kloster auf Hiddensee; Stadtmuseum Reutlingen; Museum Schweinfurt; A des „Bundes Bildender Künstlerinnen Württemberg e. V, Stuttgart; Graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart; Verein Lebenswerk Käthe Loewenthal e.V., Unterreichenbach; Gedächtnismuseum in Yad Vashem, Jerusalem und En Harod/Israel
Nachweis: Bildnachweise: Verein Lebenswerk Käthe Loewenthal. e.V., Unterreichenbach; „Bund Bildender Künstlerinnen Württemberg e.V.“, Stuttgart; HAP Grieshaber, Engel der Geschichte, o. D.; A Mascha Riepl-Schmidt, Stuttgart.

Literatur: Künstlerschicksale im Dritten Reich in Württemberg und Baden, o. J. (1987); Ingeborg Leuchs, Käthe Loewenthal. Ein Erinnerungsbuch, 1985; dies., Käthe Loewenthal. 1877–1942. Aus dem graphischen Werk, 1989; diess./Agnieszka Lutz/Edith Neumann, Käthe Loewenthal – Landschaften. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Ignatz-Günther-Haus, Stadtmuseum München (Hg.), 1992; Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Käthe Loewenthal, Jüdische Malerinnen in Stuttgart, 222–228, in: dies., Wider das verkochte und verbügelte Leben, Frauenemanzipation in Stuttgart, 1990 und 1998; Vom Expressionismus zum Widerstand, Kunst in Deutschland von 1909–1936. Die Sammlung Fishman, Ausstellung Kunsthalle Emden, 1991; Jörg Schröder, Unter der Kuppel aus Licht, 1994; Susanne Jakob, Käthe Loewenthal. 1935 Malverbot–1941 Deportation, 49–52, in: Der jüdische Frisör, Auf Spurensuche: Juden in Stuttgart-Ost, Stuttgarter Osten Lokalztg. (Hg.), 1992; Edith Neumann, Künstlerinnen in Württemberg. Zur Geschichte des Württ. Malerinnenvereins und des Bundes Bildender Künstlerinnen Württemberg, 2 Bde., 1999; Mascha Riepl-Schmidt, Käthe Loewenthal: Malerei als ein Ort für Liebe, Glaube, Hoffnung, 166–171, in: Harald Stingele/Die AnStifter (Hg.), Stuttgarter Stolpersteine, Spuren vergessener Nachbarn. Ein Kunstprojekt füllt Gedächtnislücken, 2006.
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