Gross, Werner 

Geburtsdatum/-ort: 19.06.1907;  Lorch
Sterbedatum/-ort: 29.11.1950;  Nürtingen
Beruf/Funktion:
  • Mechaniker, Gegner des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1913–1921 Volks- und Realschule Nürtingen
1923 Gesellenprüfung als Mechaniker bei der Handwerkskammer Reutlingen
1927 Abschluss Gewerbeschule Nürtingen
1927–1929 Angestellter u. a. bei der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau-Aktiengesellschaft, Dessau
1929 Kalkulatorenprüfung
1929/30 Angestellter bei der Eisenwarenfabrik Gross und Fröhlich, Stuttgart, danach arbeitslos
1932 Eintritt in die KPD
11.3.1933 erste Verhaftung, Landesgefängnis Rottenburg, bis 13. Juli 1933 KZ Heuberg
1933–1935 Anstellung u. a. als Schlosser, zugleich illegale Parteitätigkeit
23.5.1935 zweite Verhaftung
29.1.1937 Zuchthausstrafe des Oberlandesgerichts Stuttgart wegen Vorbereitung zum Hochverrat von 2 Jahren und 8 Monaten
2.2.1938 Schutzhaft nach Verbüßen der Zuchthausstrafe in den Konzentrationslagern Welzheim, Dachau, Mauthausen.
2.5.1945 auf einem Todesmarsch nahe des Tegernsees befreit
1945/46 Tätigkeit beim Nürtinger Arbeitsamt
1948 Verfasser von Beiträgen für die Nürtinger Zeitung; Austritt aus der KPD
Weitere Angaben zur Person: Eltern: Vater: Emil Gross (1876–1950), Kaufmann
Mutter: Berta (1883–1937)
Geschwister: 3: Erika (* 1909); Rolf (* 1911); Helmut (* 1917)
GND-ID: GND/119162407

Biografie: Angela Borgstedt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 84-86

Er wünsche sich nichts anderes „als gesund und hoffnungsfroh zu bleiben, das andere kann man ja nachholen.“ Als Werner Gross 1944 diese Zeilen an Vater und Geschwister in Nürtingen schrieb, hatte er bereits ein Jahrzehnt der politischen Gefängnisrespektive KZ-Haft durchlitten. Noch hoffte der erst auf dem Todesmarsch von Dachau unweit des Tegernsees befreite Kommunist auf die Zukunft, die er mit gesellschaftspolitischem, aber auch privatem Neuanfang verband. 1950 resümierte der inzwischen von der KPD Distanzierte resigniert, „die Jahre seines Lebens und seine Gesundheit nutzlos einer Sache geopfert zu haben“.
Werner Gross war Kaufmannssohn. Der Vater übte allerdings nach der Übernahme der elterlichen Gastwirtschaft „Waldhorn“ den ungeliebten Beruf des Wirts aus, bis er nach dem Verkauf 1923 eine Anstellung bei der Nürtinger Zweigstelle der Portland-Cement-Werke Heidelberg fand. Nach dem Abschluss der Nürtinger Realschule absolvierte der Sohn Werner hier eine Mechanikerlehre, die er mit der Gesellenprüfung bei der Handwerkskammer Reutlingen abschloss. Die erste, noch ausbildungsadäquate Anstellung bei der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau-Aktiengesellschaft in Dessau verdankte er wohl familiären Kontakten. Dass er zu den Junkers-Flugzeugwerken, sodann der I. G. Farbenindustrie und schließlich gar in die Stuttgarter Eisenwarenfabrik eines väterlichen Verwandten wechselte, war symptomatisch für die sich verschlechternde Wirtschaftslage. Von 1930 an war Werner Gross wie viele seiner Generation als Opfer der Weltwirtschaftskrise arbeitslos. In der Folge absolvierte er Fortbildungskurse des Volkshochschulheims Comburg sowie der SAP-nahen Leipziger Heimvolkshochschule. Vor allem unter den Leipziger Absolventen fand Gross politisch Gleichgesinnte. Den Schritt zum Parteibeitritt vollzog der vom kurzzeitig NS-Beeinflussten zum Kommunisten Gewandelte 1932, wobei ihm die Frage sozialer Gerechtigkeit zentral war. Sein parteipolitisches Engagement trug ihm in der sogenannten „Machtergreifungsphase“ 1933 die Inhaftierung im neu errichteten KZ Heuberg ein.
Nach der Haftentlassung Mitte 1933 gelang es Gross, bei der Esslinger Elektromaschinen- und Motorenbau AG als Schlosser unterzukommen. Zugleich engagierte er sich in der nun illegalen Parteitätigkeit, der „Aufklärungsarbeit und Bildung von antifaschistischen Gruppen“, wie er 1946 vorsichtig sein Widerstandshandeln umschrieb. Gemeint war wohl die Verbreitung illegaler Schriften und Flugblätter. Die nationalsozialistischen Verfolger verhafteten die Esslinger illegale KPD-Gruppe am 23. Mai 1935 nach längerer Observation. Werner Gross kam zunächst in Polizeigewahrsam nach Stuttgart, sodann ins Cannstatter Untersuchungsgefängnis. Im Januar 1937 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Nach deren Verbüßung wurde auch Gross in unrechtmäßiger und unbefristeter Verlängerung der Strafhaft an der Ludwigsburger Gefängnistür der Gestapo übergeben. Von einer fünfmonatigen Unterbrechung zu Kriegsbeginn abgesehen, die er im KZ Mauthausen verbrachte, war Gross bis 1945 politischer Häftling in Dachau. „Glücklich ist der, der in schweren Zeiten noch etwas zum Zusetzen hat und meine Schale ist noch gefüllt mit schönsten und köstlichsten Erinnerungen“, schrieb der an Arbeitskraft und Gesundheit Ausgebeutete und um so viele Lebensjahre Betrogene im April 1944 an seine Familie.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit engagierte sich Gross sowohl in der Nürtinger Lokalpolitik, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) sowie als Mitglied der politischen Reinigungskommission für den gesellschaftspolitischen Neuanfang. Bald jedoch wich sein Elan der Enttäuschung über die politische Entwicklung auch und gerade in der SBZ. Unverständlich blieb ihm die unkritische Zustimmung seiner Parteigenossen gegenüber der Politik der SED, ihr Schweigen zu erneutem Unrecht und politischer Verfolgung. 1948 verließ Gross die KPD, zwei Jahre später trat er auch aus der ihm längst zu einseitig gewordenen VVN aus. Im November 1950 kam Werner Gross bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Literatur: Joachim Schlör, „In einer Nazi-Welt lässt sich nicht leben.“ Werner Gross – Lebensgeschichte eines Antifaschisten (Studien&Materialien des Ludwig-Uhland-Instituts der Univ. Tübingen 7), 1991.
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