Schieber, Anna Dorothea 

Andere Namensformen:
  • Pseudonym: Dorothea Hofmann
Geburtsdatum/-ort: 12.12.1867;  Esslingen
Sterbedatum/-ort: 07.08.1945;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Schriftstellerin
Kurzbiografie: 1874 Beginn der siebenjährigen Volksschulzeit
1890 nach dem Tod des Vaters Umzug nach Stuttgart
1893 als auch die Mutter stirbt: Erwerbstätigkeit als Gehilfin im Stuttgarter Kunsthaus Schaller
1897 während der Rekonvaleszenz nach einer schweren Lungenkrankheit erscheint unter Pseudonym Schiebers Erstlingswerk
1902 Umzug nach Uhingen, wo sie bei der Pfarrersfamilie Albrecht wohnt; mit deren Sohn Friedrich, einem Theologen, verlobt sie sich 1907
1909 nach dem Tod des Verlobten (1908): Umzug nach Alpirsbach
1910 Teilnahme am Weltkongress für freies Christentum in Berlin
1912 Aufnahme des Pflegekindes Vera, das ihr 1914 jedoch wegen „zu freier“ Erziehung weggenommen wird
1913 auf einer Italienreise lernt sie Marie Cauer, ihre spätere Lebensgefährtin, kennen
1915 freiwilliger Lazarettdienst, den sie 1917 krankheitshalber beendet
1918 gemeinsam mit Marie Cauer Umzug nach Stuttgart-Degerloch, kurzfristiges parteipolitisches Engagement in der Deutschen Demokratischen Partei, Beginn ihres bis in die späten 1930er Jahre dauernden produktivsten Lebensabschnitts mit vielen Veröffentlichungen sowie mit ausgedehnten Lese- und Vortragsreisen
1944 Zerstörung ihres Degerlocher Hauses und letzter Umzug nach Tübingen, wo sie seit 1927 ein Ferienhäuschen besaß
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Schwäbischer Dichterpreis (1936); Feier des Württembergischen Goethebundes anlässlich ihres 70. Geburtstags (1937); Straßenbenennung in Esslingen (1959); Straßenbenennung in Stuttgart (1977)
Eltern: Vater: Gottlob Jakob Schieber (Esslingen 1831-1890), Küfermeister
Mutter: Friederike, geb. Schmid (Winnenden 1837-Stuttgart 1893)
Geschwister: insgesamt 14, wovon 6 bereits im Säuglings- bzw. Kleinkindalter starben, darunter 4 schon vor Anna Schiebers Geburt
GND-ID: GND/119285495

Biografie: Sybille Oßwald-Bargende (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 230-232

Anna Schieber war eine ungemein produktive und viel gelesene Schriftstellerin. Ihre Bücher erreichten Auflagenhöhen von bis zu 100 000 Stück und hielten sich oft jahrzehntelang, einige über ihren Tod hinaus auf dem Buchmarkt. Der Erzählband „Und hätte der Liebe nicht“ wurde bislang sogar in fast 250 000 Exemplaren gedruckt. Schiebers Gesamtwerk beläuft sich auf mindestens 57 Titel – Aufsätze sowie Beiträge zu Sammelwerken noch nicht einmal mitgezählt. Dabei bekannte die Autorin im Alter: „Für 10 Menschenleben hätte ich noch Stoff“. Sie hinterließ nicht nur ein umfangreiches, sondern auch ein literarisch vielfältiges Œuvre aus Romanen, Erzählungen, Balladen, Gedichten, kleinen Theaterstücken und Autobiographischem. Nicht von ungefähr erinnert sich die Publizistin Sybil Gräfin Schönfeldt an sie als „Autorin meiner Kindheit“: Ganze Generationen wuchsen mit Schiebers Kinder- und Jugendbüchern auf. Doch Anna Schieber war mehr als eine Erfolgsschriftstellerin; sie war gleichzeitig eine engagierte Christin, Demokratin und Frauenrechtlerin.
Fantasie und Fabulierlust haben Anna Schieber schon als Kind ausgezeichnet. Mit „verlogne G’schichta“ unterhielt sie ihre zahlreichen Geschwister und die Nachbarskinder. Ein Berufsweg zeichnete sich aber damit nicht automatisch ab. Vielmehr erhielt Anna Schieber die vor ihrem familiären Hintergrund – sie entstammte einer von reichsstädtischem Selbstbewusstsein und protestantischer Glaubensstärke geprägten Handwerkerfamilie – typische Mädchenbildung. Anders als ihre Brüder besuchte sie lediglich die Kinder- und Strick- sowie die Volksschule, wo die Vermittlung „weiblicher“ Tugenden und Fertigkeiten im Vordergrund stand. Auch die anschließende Zeit als „Haustochter“ sollte wie selbstverständlich auf das Hausfrauen- und Mutterdasein hinführen. Erst nach dem Tod der Eltern eröffnete sich für Anna Schieber die Berufswelt – anfangs wohl eher aus ökonomischer Notwendigkeit als aus Neigung. Die Erwerbsarbeit in einem Kunsthaus blieb allerdings krankheitsbedingt ein Intermezzo. Während der langen Rekonvaleszenz veröffentlichte Anna Schieber erste Erzählungen für „Kinder und Kinderfreunde“. Damit hatte sie ihre Berufung gefunden – und ein Auskommen dazu, weil Schreiben im ausgehenden 19. Jahrhundert für bürgerliche Frauen eine der wenigen schicklichen und manchmal sogar sehr einträglichen Erwerbsmöglichkeiten war, wie der Erfolg zahlreicher Schriftstellerinnen jener Zeit zeigt. Anna Schieber wurde eine davon, obwohl ihre literarische Qualität nicht unumstritten ist. Ihr Stil wird als zu besinnlich und für den heutigen Geschmack als unzeitgemäß, auch als zu gefühlsbetont und prätentiös empfunden, ihre Sprache gilt als zu mundartlich geprägt und ihre Erzählmuster als zu trivial.
Bekannt geworden und in Erinnerung geblieben ist Anna Schieber als betont christliche (dabei undogmatische) Autorin, als genaue Chronistin spezifisch bürgerlicher Lebensweisen und regionaler Eigenheiten. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft beschäftigte sie ebenso wie das Verhältnis zwischen den Generationen oder Erziehungsgrundsätze und die Geschlechterfrage. Künstlerisches Schaffen verstand Anna Schieber als „Mission“; ebenso als eine Form von Muttersein. Diese Berufsauffassung ähnelt nicht zufällig dem vom bürgerlichen Flügel der ersten Frauenbewegung propagierten Konzept der geistigen Mütterlichkeit.
Anna Schieber war Teil des gesellschaftlichen und politischen Lebens ihrer Zeit. Mit damals namhaften Theologen war sie befreundet und sie gehörte wie Theodor Heuss oder August Lämmle zu Stuttgarts „Literarischem Club“. Zu ihren Bekannten zählte auch der Soziologe Max Weber und dessen Frau Marianne, eine bedeutende Frauenrechtlerin, außerdem der Psychiater Hans Prinzhorn, Namensgeber der Heidelberger Sammlung mit Kunstzeugnissen von Psychiatriepatienten. Familie im weitgefassten Sinn (sie selbst blieb nach dem Tod ihres Verlobten unverheiratet und ihr Kinderwunsch damit unerfüllt), Geselligkeit und Freundschaft bedeuteten Anna Schieber viel. Auf einer ihrer Reisen lernte sie Marie Cauer kennen, eine Oberin vom Roten Kreuz, mit der sie schließlich eine Lebensgemeinschaft bildete. (Ein „Frauenbündnis für gemeinsames Leben“ hat die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters 1890 diese Art von Gemeinschaft genannt.) Zeitgemäß begeisterte sich Anna Schieber für die Volksbildung, wobei sich ihr Augenmerk auf die Mädchenförderung richtete. Bis ins Alter blieb sie gewissermaßen jugendbewegt. So, wie sie sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet hatte, sah sie sich nach Kriegsende verpflichtet, ein „Bekenntnis zur neuen Zeit“ abzulegen. In öffentlichen Vorträgen warb sie dafür, am Aufbau eines tragfähigen demokratischen Staatswesens mitzuwirken. Besonders forderte sie ihre Geschlechtsgenossinnen dazu auf, das erstmals zugestandene Frauenwahlrecht auszuüben. In dieser Zeit trat Anna Schieber der Deutschen Demokratischen Partei bei, wo sie eine Frauengruppe aufbauen half. Allerdings dauerte ihr aktives politisches Engagement nicht lang. Dazu fühlte sich Anna Schieber mit eigenen Worten zu wenig als „Parteimensch“. Trotz des erklärten Rückzugs aus der aktiven Politik wirft ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus Fragen auf. Ob Anna Schieber von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurde oder ob sie eine anfängliche – in ihrem Freundeskreis verbreitete – Sympathie für die neuen Machthaber hegte, ist offen. Während der Kriegsjahre erschwerten sich Schiebers Lebens- und Arbeitsbedingungen allerdings zusehends. Sie wurde als „christliche Schriftstellerin“ gebrandmarkt und ihre Werke konnten deshalb nicht mehr gedruckt werden. Spekulativ bleiben Mutmaßungen, sie habe wenige Monate nach Kriegsende – krank und mutlos geworden – Selbstmord verübt.
„Nachruhm wird ihr versagt bleiben – aber Vorbild könnte sie sein“, urteilt Marianne Pietsch über Anna Schieber; etwa durch die Art wie sie Emanzipation lebte: „... weder einseitig von den Frauen (oder Männern) diktiert und auf sie ausgerichtet, sondern den eigenen Gesetzen sich stellend und auf eine eigenständige Persönlichkeit hinführend“ (Christel Köhle-Hezinger). Anna Schieber gilt tatsächlich wieder als „eine Frau [...], die Aufmerksamkeit verdient“. (Sybil Gräfin Schönfeldt) So erinnert beispielsweise eine Seite des von der Landesregierung Baden-Württemberg initiierten Internetprojekts „Diese Frau imponiert mir!“ (http://www.frauen-aktiv.de/portraet/liste.php) neuerdings wieder an sie.
Quellen: Teil NL im DLA; weitere verstreute Nachweise siehe Kalliope – Zentralkartei der Autographen bei der Staatsbibliothek zu Berlin.
Werke: Aus dem Kinderleben. Erzählungen für Kinder und Kinderfreunde, 1897; Alle guten Geister. Roman, 1905; Jaköble und andere kleine Leute. Ein Geschichtenbuch für Kinder- und Kinderfreunde, 1907; Und hätte der Liebe nicht. Weihnachtliche Geschichten, 1912; Amaryllis und andere Geschichten, 1914; Bille Hasenfuß. Wie er sich und den Gänserich bezwang, 1926; Doch immer behalten die Quellen das Wort. Erinnerungen aus e. ersten Jahrsiebent, 1932; Wachstum und Wandlung. Ein Lebensbuch, 1935; umfangreiche Werkverzeichnisse bei Binder, Puel, Schönfeldt (siehe unter Lit.); darüber hinaus an programmatischen Aufsätzen: Das Kind und wir. Ein Vortrag, 1913; Unser Bekenntnis zur neuen Zeit. Gemeinsamer Vortrag von A. Schieber und Hans Heinrich Ehrler, gehalten im Kuppelsaal des Kunstgebäudes in Stuttgart am 5. Januar 1919, 1919; Mein Weg. Ein Brief an den Eckart, in: Eckart. Blätter für evangelische Geisteskultur 2 (1926), H. 12, 363-367; Zur Stellung der Frau, in: Die Frau in Haus, Beruf und Gesellschaft. Ein unparteiisches Blatt für alle württ. Frauen, Beil. zu Stuttgarter neues Tagblatt, 30. 1. 1930.
Nachweis: Bildnachweise: DLA.

Literatur: Hermann Binder, A. Schieber [Mit einer von Ernst Mettelmann zusammengestellten Werk- und Literaturbibliographie.], in: Die neue Literatur 35 (1934), 750-760; Jeannine Puel, A. Schieber, eine schwäbische Dichterin. Diss. Paris 1956; Marianne Pietsch, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 13, 1977, 408-441; Christel Köhle-Hezinger, Versuch einer Spurensicherung. A. Schieber, in: Esslinger Studien 18 (1979), 187-205; Sybil Gräfin Schönfeldt, A. Schieber Autorin meiner Kindheit, 1995; Neuere Literatur mit Lokalbezug siehe Landesbibliograhie Baden-Württemberg online.
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