Eschelbacher, Ernestine 

Andere Namensformen:
  • geb. Benario
Geburtsdatum/-ort: 08.07.1858;  Wertheim/Main
Sterbedatum/-ort: 05.07.1931; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Sozialfürsorgerin
Kurzbiografie: 1858-1871 in Wertheim, Besuch der Volksschule
1871-1879 in Bruchsal bei Verwandten
1879-1900 als Frau des Bezirksrabbiners in Bruchsal; Tätigkeit in den örtlichen jüdischen Vereinen
1900-1931 in Berlin; rege Vereinstätigkeit, Vorträge und Veröffentlichungen
1911 Vorsitzende der neu gegründeten Schwesternvereinigung
1928 erhält sie den „Tugendpreis“ vom Oberrat der Israeliten Badens; Gründung der Ernestine-Eschelbacher-Stiftung
1929 Mitorganisatorin und Rednerin bei der Friedenskundgebung des Friedensbundes in Berlin
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: Dr. Josef Eschelbacher (geb.12.9.1848 Hainstadt-Buchen, gest. 3.12.1916 Berlin)
Eltern: Vater: Leopold Benario, Kaufmann in Wertheim
Mutter: Johanna, geb. Löb
Geschwister: 8 Schwestern, 5 Brüder und 3 Halbgeschwister
Kinder: Max, der spätere Rabbiner in Bruchsal, Freiburg und Düsseldorf
Bertha
Johanna
Klara
Julie
GND-ID: GND/119436450

Biografie: Elmar Weiß (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 69-70

Ernestine Eschelbacher tritt bereits in jungen Jahren karitativ hervor bei der Betreuung von Verwundeten 1870/71 im Militärhospital in Wertheim. Seit 1871 lebte sie bei der mit ihr verwandten Familie Bär in Bruchsal. Am 26. März 1879 heiratete sie dort den aus Hainstadt-Buchen stammenden Bezirksrabbiner Dr. Joseph Eschelbacher. Sie schenkte sechs Kindern das Leben; ein Kind starb früh.
Als Rabbinersfrau in Bruchsal engagierte sie sich auf sozialem Gebiet und gab entscheidende Impulse für die soziale Arbeit Joseph Eschelbachers, der 1888 den „Landesverein zur Erziehung israelitischer Waisen im Großherzogtum Baden“ gründete.
Nach dem Umzug nach Berlin – Joseph Eschelbacher wirkte dort seit 1900 als konservativer Rabbiner an der Alten Synagoge und an der Synagoge Rykestraße – ergaben sich für Ernestine Eschelbacher unbegrenzte Möglichkeiten auf karitativem Gebiet, die sie auch konsequent aufgriff. Ihre Aufmerksamkeit galt der Jugendwohlfahrt und dem weiblichen Erwerbsleben allgemein. Das Schicksal der verlassenen Ehefrauen lag ihr besonders am Herzen und vor allem die Frage, wie ihnen mit den Mitteln des Religionsgesetzes geholfen werden könne. Dabei ging es ihr auch um die soziale Absicherung von Witwen und Waisen, verlassenen Frauen und vor allem jungen Witwen. Auf ihr Wirken ging der Aufbau einer Frühehekasse zurück. Sie war Mitbegründerin des „Fürsorgevereins für hilflose jüdische Kinder“, dessen Vorstand sie mehr als ein Vierteljahrhundert angehörte. Sie war Vorsitzende des Frauenvereins „Judas Töchter“ und des Frauenvereins „Rahel“, der einen Kinderhort unterhielt.
Bei der „Chewra Kadisha Gross-Berlin“, die auf die Initiative von Joseph und Ernestine Eschelbacher zurückging, fungierte sie ebenfalls als Vorsitzende.
Ihr Engagement ging somit weit über die traditionelle jüdische Sozialarbeit hinaus und hatte auch nicht viel mit der üblichen bürgerlichen Privatwohltätigkeit zu tun.
Hinzukam die politische Komponente, die auf eine Breitenwirkung abzielte, um die angestrebten gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Ernestine Eschelbacher wurde, was durchaus unüblich war, in die Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde Berlin gewählt als Vertreterin der Religiösen Mittelpartei, die von ihrem Mann mitbegründet worden war.
Die allgemeine Rolle der jüdischen Frau war ihr zentrales Thema, wobei ihr Ansatz globaler Natur war. So war sie Vorsitzende der Frauengruppe der Israelitischen Union und im Vorstand des Jüdischen Frauenbundes, der 1904 als Gesamtvertretung der jüdischen Frauen in Deutschland gegründet worden war.
Sie eine Frauenrechtlerin im üblichen Sinne zu nennen, wäre verfehlt, da sie immer im System verblieb, dieses aber von innen verändern wollte. Das zeigt sich insbesondere bei ihrer Arbeit in der Schwesternloge. 1888 war der Orden Bnei Brith als reine Männerorganisation gegründet worden. Die Ziele, soziale und kulturelle Arbeit unter den Mitgliedern zu intensivieren, trafen sich mit den Absichten von Ernestine Eschelbacher. Die Logenbrüder lehnten jedoch weibliche Mitglieder lange Zeit strikt ab. Diese Ablehnung war nach Ernestine Eschelbachers Meinung aus dem Arsenal männlichen Chauvinismus’ gespeist. Deshalb kam es zur Gründung von sogenannten Schwesternvereinigungen, die der reaktionären bürgerlichen Haltung der Brüder-Logen entgegenwirkten, insbesondere als 1911/12 ein Schwesternverband ins Leben gerufen wurde, dessen Vorsitzende Ernestine Eschelbacher wurde. Allerdings wurde die Schwesternloge vom Orden kontrolliert.
Ernestine Eschelbacher definierte das Ziel, die volle Gleichberechtigung der Schwestern gegenüber den Brüder-Logen zu erreichen, als ein rein jüdisches Postulat. Dabei konzentrierte sie sich auf das Machbare. Es gab zwar Verbesserungen hinsichtlich einer größeren Selbständigkeit, aber das Erreichen des eigentlichen Ziels, eine Vereinigung der beiden Gruppierungen zu erreichen, blieb ihr versagt, selbst die völlige Selbständigkeit des Schwesternverbands gelang nicht.
Sie ist nicht den Weg des Radikalismus gegangen und wehrte sich deshalb auch zu Recht gegen die Etikettierung als Feministin oder als Frauenrechtlerin oder als eine Aktivistin. Sie sei eine „Rabbinerin“, erklärte sie sehr nachdrücklich bei einer entsprechenden Diskussion.
Die Rückbesinnung auf jüdische Werte wurde von ihr immer betont. Wie breitgefächert ihr Einsatz war, zeigt ihre Tätigkeit im „Kulturverband für Palästina“ und des „Verbandes zur Förderung von Handwerk und Landwirtschaft unter den Juden“.
Auf Vortragsreisen in ganz Deutschland und darüber hinaus u. a. in Wien, London, Kopenhagen und Krakau suchte sie, ihre Vorstellungen zur Diskussion zu stellen.
Den zunehmenden Antisemitismus im Deutschland der Weimarer Republik und Europa betrachtete sie mit großer Sorge, einen neuen Weltkrieg als apokalyptische Gefahr. Auf der großen Friedenskundgebung des Friedensbunds 1929, an der sie als Vertreterin des „Jüdischen Frauenbundes“ entscheidend mitwirkte, gipfelte ihr Aufruf an die Massen in dem für sie charakteristischen Gedanken, dass der Krieg die Folge mangelnder Kultur sei und des „Nichtgutseins“.
Ihre Arbeit im „Jüdischen Friedensbund“ fand ihre Ergänzung in der „Arbeitsgemeinschaft der Konfessionen für den Frieden“.
Selbstbewusst und bisweilen auch energisch gegenüber zögerlichem Verhalten, aber stets versöhnlich zeigte sich Ernestine Eschelbacher in ihrem Engagement. Sie war allgemein als eine der großen weiblichen Gestalten der jüdischen Emanzipationsgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts anerkannt. Bei ihrem 70. Geburtstag wurden ihr deshalb viele Ehrungen zuteil. Die „Rebezzin“ wurde gefeiert.
Ihre soziale Verpflichtung fand ihren sichtbaren Ausdruck in der „Ernestine-Eschelbacher-Stiftung“, die sie anlässlich ihres 70. Geburtstags ins Leben rief. Die Bildung und Weiterbildung jüdischer Frauen waren dabei ihre Grundanliegen. Selbstbewusstsein artikuliert sich in ihrer Hoffnung, dass „mit dem Andenken an mich für die Zukunft verknüpft sei Erfüllung und Fortschritt unserer weiblichen Welt.“
Ernestine Eschelbacher sollte die nationalsozialistische Zeit, in der ihre Stiftung zu einem jähen Ende kam, nicht mehr erleben. Am 5. Juli 1931 starb sie an den Folgen eines Herzinfarkts. Sie wurde an der Seite ihres Mannes im jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee in der „Ehrenreihe“ beigesetzt.
Erst seit einigen Jahren beginnt man sich für Ernestine Eschelbacher und ihre Ideen und Ziele wieder zu interessieren. Auch in ihrer Geburtsstadt Wertheim, der sie zeitlebens verbunden blieb, hat man ihr 2001 mit Förderung des baden-württembergischen Sozialministeriums im Grafschaftsmuseum im „Wertheimer Frauenzimmer“ einen Platz gewidmet.
Quellen: Die Logenschwester, Zs. 1928 ff.; LBI AR 1243, 4124 Akten der Ernestine-Eschelbacher-Stiftung, Landesarchiv Berlin; Eschelbacher Familienpapiere; darunter Max Eschelbacher, Leopold Benario 1822-1906, in: Wertheimer Jb. (1980), 113-130.
Werke: Von der Rechtstellung der jüdischen Frau, in: Blätter des Jüdischen Frauenbundes 6 (1929); Miscellanea in „Die Logenschwester“.
Nachweis: Bildnachweise: Foto in Elmar Weiß (vgl. Lit.).

Literatur: Elmar Weiß, Der Gerechte lebt durch seine Treue. Löb Eschelbacher (1804-1881), Dr. Josef Eschelbacher (1848-1916), E. Eschelbacher, geb. Benario (1858-1931), Anmerkungen und biographische Notizen zu zwei jüdischen Generationen in Deutschland, 1996; Claudia Prestel, Weibliche Rollenzuweisung in jüdischen Organisationen. Das Beispiel des Bnei Briss, in: LBI Bulletin 85 (1990), 51-79. Marion Kaplan, The Acculturation, Assimilation and Integration of Jews in Imperial Germany, in: LBI Year Book XXVII (1982), 3-49.
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