Zundel, Friedrich Georg 

Geburtsdatum/-ort: 13.10.1875;  Wiernsheim-Iptingen
Sterbedatum/-ort: 07.06.1948;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Maler und Bauer
Kurzbiografie: 1889–1891 Lehre als Dekorationsmaler in Pforzheim
1891 Gesellen- und Meisterprüfung; Arbeit als Dekorationsmaler
1892/93 Besuch der Kunstgewerbeschule, Karlsruhe; Vorarbeiter und Geschäftsführer in einem Dekorationsmalergeschäft in Frankfurt a. M.
1894–1896 Studium an der Kunstschule Stuttgart
1896 Meisterschüler; wegen Streikbeteiligung Verweis von der Stuttgarter Kunstschule; danach freier Maler
1897–1907 Teilnahme an Ausstellungen u. a. in Berlin, Frankfurt a. M., München, Brüssel, Wien und Paris, an Jahresausstellungen im Württ. Kunstverein, Stuttgart
um 1900 mehrere Aufenthalte in der Villa San Remigio, Pallanza am Lago Maggiore
1903 Bau der Villa Zundel und eines Atelierhauses in Stuttgart-Sillenbuch
1904 Ablehnung eines Rufs an die Münchner Kunstakademie
1909 Beteiligung an Finanzierung, Bau und Ausgestaltung des Waldheims Sillenbuch
1916–1917 Sanitätsfahrer beim Roten Kreuz (aktives Mitglied der freiwilligen Sanitätskolonne)
1919 Bau des Berghofs und eines Ateliers in Tübingen-Lustnau
1925 Bau eines neuen Atelierhauses im Park der Villa Zundel, Sillenbuch
1931 Erwerb des St. Georgshofs in Haisterkirch bei Bad Waldsee, Ausbau zum landwirtschaftlichen Betrieb; danach beinahe gänzliche Aufgabe der künstlerischen Tätigkeit zugunsten bäuerlicher Arbeit
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. 1899 Clara Josephine Zetkin, geb. Eißner (5.7.1857–20.6.1933), sozialistische Politikerin und Frauenrechtlerin
2. 1928 Paula, geb. Bosch (25.12.1889–23.8.1974), Tochter des Stuttgarter Industriellen Robert Bosch
Eltern: Vater: Johann Georg Zundel, Weinbauer, Bierbrauer und Gastwirt in Wiernsheim
Mutter: Johanna Wilhelmine, geb. Sigle
Geschwister: 4: Wilhelm; 3 Stiefschwestern
Kinder: Prof. Dr. Georg (17.5.1931–11.3.2007), friedenspolitisch engagierter Physiker, Unternehmer
GND-ID: GND/119467038

Biografie: Anja Breloh (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 312-314

Humaner Geist und soziales Engagement sind die Konstanten, die in Zundels heute weitgehend vergessenem künstlerischen Werk ihren Ausdruck finden und sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen, das heterogene Pole in sich vereint: Der Bogen spannt sich von seiner Herkunft aus einer traditionsreichen Bauernfamilie über die Tätigkeit als Handwerker und Künstler bis hin zur Rückkehr zur Landwirtschaft in späteren Jahren. Bevor er sich auf seine bäuerlichen Wurzeln besinnt, ist Zundel ein überzeugter Sozialist und „sozialistischer“ Künstler, dessen Gemälde von seiner politischen Haltung künden und der dennoch einen bürgerlichen Lebensstil und klassische Bildung durchaus schätzt und pflegt. Im Spannungsfeld zwischen sozialistisch-sozialdemokratischer Arbeiterbewegung, Künstlermilieu und Bürgertum im Württemberg um 1900 ist Zundel politisch und zeithistorisch bedeutenden Persönlichkeiten begegnet. Diese Kontakte und der teils rege Austausch haben ihn und seine Kunst maßgeblich beeinflusst.
Zundel verlässt sein Elternhaus bereits mit 14 Jahren und ist nach einer mit Gesellen- und Meisterprüfung abgeschlossenen Lehre zunächst als Dekorationsmaler tätig. Im Rahmen seines Berufs lernt er die desolaten sozialen Verhältnisse der Arbeiter in der zweiten Hälfte des 19. Jh. kennen. Der Wunsch, sich für ihre Belange einzusetzen, hat ihn mit dazu bewogen, die Künstlerlaufbahn einzuschlagen. Nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe 1892/93 nimmt er 1894 ein Studium an der Stuttgarter Kunstschule auf. Er belegt die Zeichenklasse bei Jakob Grünenwald, die Malklasse bei Robert von Haug und kunst- und literaturgeschichtliche Vorlesungen der Professoren Lübke und Weitbrecht. Auf einer Versammlung hört Zundel eine Rede des Sozialdemokraten August Bebel, dessen gesellschaftspolitische Vorstellungen bei ihm auf fruchtbaren Boden fallen. 1895 verfasst er das vieraktige Sozialdrama „Entlassen!“. 1896 beteiligt sich der Meisterschüler an einem Streik der Studierenden an der Kunstschule. Er verliert dadurch eine in Aussicht gestellte Professur, lernt aber auch seine erste Frau, die Sozialistin Clara Zetkin, kennen. Sie ist als Redakteurin für die SPD-Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ in Stuttgart tätig und unterstützt Zundel in seiner Notlage. Im Umfeld der politischen Avantgarde seiner Zeit beginnt die fruchtbarste künstlerische Schaffensphase Zundels. Um 1898 schließt er sein allegorisches Frühwerk ab und wendet sich ganz- oder halbfigurigen Arbeiter-, Handwerker- und Bauernbildnissen vor meist neutralem Hintergrund zu. Sie zeigen eine sich im Laufe der Zeit zunehmend aufhellende Palette, die den Einfluss der Pleinairmalerei verrät, auch wenn Zundel in Farbauftrag und Formgebung dem regionalen Realismus verpflichtet bleibt. Sachlich und frei von moralisierenden, genrehaft erzählenden Elementen porträtiert er als einer der Ersten die „Proletarier“ in ihrer eigenen Würde als Vertreter einer sich selbst bewusst werdenden Klasse. Mit dem Sujet der Arbeiter knüpft Zundel regional betrachtet an die Steinbrecher-Bilder Friedrich Kellers aus den 1870er Jahren an, nimmt aber im Umkreis der befreundeten Maler Felix Hollenberg, Hermann Pleuer, Otto Reiniger und Leopold Graf von Kalckreuth wie überhaupt in der durch einen „ausklingenden Naturalismus“ und beginnenden Impressionismus gekennzeichneten schwäbischen Kunst eine Sonderstellung ein. Seine Gemälde sind in größeren deutschen und internationalen Ausstellungen vertreten und tragen Zundel 1904 einen Ruf an die Münchner Kunstakademie ein, dem er jedoch nicht folgt. Ab 1897 sichern einträgliche Porträtaufträge sein Auskommen. Einer seiner Förderer ist der Marchese Silvio della Valle di Casanova, in dessen Villa San Remigio in Pallanza am Lago Maggiore er sich um 1900 mehrfach aufhält, um adelige Verwandte und Freunde Casanovas zu porträtieren. 1903 bezieht das Paar Zundel-Zetkin in Stuttgart-Sillenbuch ein von Zundel entworfenes Landhaus, in dem häufig Stuttgarter Künstlerfreunde und führende Köpfe der SPD und der internationalen sozialistischen Bewegung zu Gast sind, u. a. August Bebel, Karl und Luise Kautsky, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und 1907 anlässlich des Weltkongresses der II. Internationale sogar Wladimir Iljitsch Lenin.
Zundel und Zetkin inspirieren sich gegenseitig. Er wirkt maßgeblich an ihrem Aufsatz „Kunst und Proletariat“ (1911) mit, der die sozialistische Kunsttheorie grundlegend beeinflusst. Als aktives Mitglied der SPD berät er u. a. den Bildungsausschuss in künstlerischen Fragen und unterstützt Finanzierung, Bau und Ausgestaltung des Waldheims in Sillenbuch. Künstlerisch jedoch zieht sich Zundel ab 1907 aus der Öffentlichkeit zurück und beschickt keine Ausstellungen mehr. Er malt kaum noch Arbeiterbildnisse, jedoch weiterhin Porträts, so 1907/08 im Auftrag des Stuttgarter Industriellen Robert Bosch, des „roten“ Bosch, dessen Kinder. Die jüngere Tochter Paula heiratet er 20 Jahre später. Neben Landschaftsskizzen entstehen zunehmend idealisierende Studien zu philosophisch-literarisch geprägten, historischen, mythologischen und religiösen Themen. Zweifel an der Relevanz der Kunst im Kampf gegen die Unterdrückung der Arbeiterklasse, die Diskussionen um die adäquate Form einer proletarischen Kunst, aber auch die Abneigung, parteipolitisch vereinnahmt zu werden, mögen diesen thematischen Wandel herbeigeführt haben. Noch vor Ausbruch des 1. Weltkrieges entfremden sich Zundel und Zetkin in persönlicher und politischer Hinsicht. Nach dem Krieg, an dem Zundel als freiwilliger Sanitätsfahrer teilnimmt, kommt es schließlich zur Trennung. Ab 1919/20 lebt Zundel mit Paula Bosch auf dem neu erbauten Berghof in Tübingen-Lustnau und widmet sich mehr und mehr der bäuerlichen Arbeit. 1931 wird ein weiterer Hof in Haisterkirch bei Bad Waldsee erworben und bewirtschaftet. Zundel greift immer seltener zu Zeichenstift und Pinsel. In bewährter Manier fertigt er noch Porträts und arbeitet in den 1920er- und 1930er-Jahren immer wieder an Einzelstudien und großformatigen, sinnbildlichen Kohlezeichnungen, in denen menschliches Leid und Erlösung u.a. durch Ödipus, Prometheus und Christus verkörpert werden. Doch als Gemälde werden diese Entwürfe nicht mehr realisiert. Sie stehen, mit den Worten von Götz Adriani, „in ihrer mythischen und religiösen Umsetzung ebenso fremd in einer Zeit wie jene physiognomisch eindringlichen, oft scheuen und nachdenklich ernsten Arbeiterportraits in den ersten Jahren des Jahrhunderts“. Dem Gedenken an Zundel stifteten 1971 Paula Zundel und ihre Schwester Margarete Fischer, die Kunsthalle Tübingen, wo ein Großteil seines Werkes aufbewahrt und gelegentlich ausgestellt wird.
Quellen: A Prof. Georg Zundel, Salzburg.
Werke: Kunsthalle Tübingen; Haus der Geschichte, Stuttgart; Museum Clara Zetkin; Birkenwerder; Privatbesitz; Entlassen!, soziales Drama, 1895; zur Auflistung der Werke vgl. Kataloge in Literatur.
Nachweis: Bildnachweise: Selbstbildnis, 1894, Kunsthalle Tübingen; Fotos wie in Literatur angegeben; Archiv Prof. Georg Zundel, Salzburg; NL Clara Zetkin, SAPMO, Berlin.

Literatur: Gedächtnisausstellung Georg Friedrich Zundel, Ausstellungskatalog Tübingen-Lustnau 1948 (Bildnachweis); Georg Friedrich Zundel 1875-1975, Ausstellungskatalog Kunsthalle Tübingen 1975 (Bildnachweis); Franziska Specht, Das Auge blickt fest in proletarischem Trotz. Der Maler Friedrich Zundel und seine Zeit, Film, SDR, Stuttgart 1990; Mascha Riepl-Schmidt, Der „Arbeitermaler“ porträtiert auch Adelige. Friedrich Zundel und seine Sillenbucher Zeit, in: Sillenbuch und Riedenberg. Zwei Stadtdörfer erzählen aus ihrer Geschichte, 1995 (mit Bildern), 188-193; Georg Friedrich Zundel, in: Thomas Maier und Bernd Müllerschön, Die Schwäbische Malerei um 1900, 2000, 239-246 (Bildnachweis); Tânia Puschnerat, Clara Zetkin: Bürgerlichkeit und Marxismus. Eine Biographie, 2003, 78-85, 201; Georg Zundel, „Es muss viel geschehen“. Erinnerungen eines friedenspolitisch engagierten Naturwissenschaftlers, 2006 (Bildnachweis); Hans-Erhard Lessing, Robert Bosch, 2007 (Bildnachweis).
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