Weber, Marianne 

Geburtsdatum/-ort: 02.08.1870; Oerlinghausen bei Bielefeld
Sterbedatum/-ort: 12.03.1954;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Schriftstellerin, Sozialwissenschaftlerin, Politikerin
Kurzbiografie: 1873 Tod der Mutter, psychische Erkrankung des Vaters
1892 Beginn des Kunststudiums in Berlin
1894 Übersiedlung mit Max Weber nach Freiburg; Beginn des Studiums der Philosophie und der Nationalökonomie
1897 Ruf Max Webers nach Heidelberg, 1898 Max Webers schwere Erkrankung
1900-1903 Reisen mit ihrem erkrankten Mann durch Europa; erste Auftritte in der Öffentlichkeit
1904 Max Weber überwindet seine Krankheit; gemeinsame Reise in die USA
1907 Vortrag in Straßburg beim Evangelisch-sozialen Kongreß über „Sexualethik und Prinzipienfragen“
1910 Tagung des Bundes Deutscher Frauenvereine in Heidelberg; Angriffe in der Presse gegen Weber; Umzug in das alte Familienhaus in der Ziegelhäuser Landstraße, das Mittelpunkt des Heidelberger Geisteslebens wird
1911-1913 Kunstreisen durch Europa
1918 Mitbegründerin der DDP; Wahlkampfreden
1919 Wahl in die Badische Verfassunggebende Nationalversammlung; Weber wird erste Schriftführerin in einem deutschen Parlament; sie übernimmt die Leitung des Bundes Deutscher Frauenvereine; Umzug nach München, wo Max Weber den Lujo Brentano-Lehrstuhl übernommen hat
1920 Vortragsreise durch das Ruhrgebiet über Frauenfragen; Tod Max Webers; Beginn der Edition der Werke ihres Mannes
1921 Rückkehr bis zu ihrem Tod nach Heidelberg; aktive Rolle im Heidelberger Frauenbewegungsverein
1922 Vormundschaft, später Adoption der vier Kinder von Max Webers Schwester Lilli; Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg
1924 Wiederbeginn der sonntäglichen Freundestreffen und Diskussionen
1926-1931 Vorträge und Vortragsreisen über sexualethische Fragen oder Probleme der Gleichberechtigung der Frau, u. a. in Köln, Düsseldorf, Halle, Holland oder auf dem Deutschen Juristentag
1933 Auflösung der Frauenbewegung; Fortsetzung der Freundestreffen
1945 der Freundeskreis beteiligt sich aktiv am Wiederaufbau der Universität, des Rechtslebens, der Verwaltung und der Wirtschaft
1950 75. Geburtstag unter reger Beteiligung der Heidelberger Öffentlichkeit
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1893 Max Weber
Eltern: Dr. Eduard Schnitger, Arzt (geb. 1844)
Anna, geb. Weber (1851-1873)
Geschwister: keine
Kinder: keine
GND-ID: GND/11948711X

Biografie: Wolfgang Bocks (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 476-479

Als Max Weber ab 1898 für fast sechs Jahre an schweren Depressionen litt, ohne Qualen weder lesen noch schreiben konnte, völlig arbeitsunfähig war und seine Hochschultätigkeit beenden mußte, war diese Situation – mit einem psychisch Kranken leben zu müssen – für seine Frau nicht unvertraut. Kurz nach der Heirat ihrer Eltern brachen bei Webers Vater akute Zustände von Verfolgungswahn aus, die sich noch verstärkten, als seine Frau die Geburt der zweiten Tochter, die gleichfalls starb, nicht überlebte. Weber wurde bei der Schwester ihres Vaters und bei ihrer Großmutter in Lemgo aufgezogen, wo sie, de facto ein Waisenkind, wie ein fröhliches Straßenkind „frei und unangepaßt“ aufwuchs. Die Krankheit ihres Vaters, der ruhelos seine Wohnorte wechselte, wurde ihr verschwiegen. Erst nach Jahren war Weber in der Lage, sein rätselhaftes und verunsicherndes Verhalten zu deuten, als sie jeweils nur kurze Aufenthalte bei ihm verbrachte. Den psychischen Verfall zweier Onkel erlebte sie ebenfalls unmittelbar mit.
Diese frühen Erfahrungen dürften Weber dazu prädestiniert haben, die starken Belastungen mit Max Weber ausgehalten und ihm überhaupt die Möglichkeit wiedergegeben zu haben, seine soziologischen Forschungen nach langer Pause fortzusetzen. Dieses Bewußtsein und ihr frühes eigenständiges Kinderleben haben wohl auch verhindert, daß Weber von der Persönlichkeit ihres Mannes erdrückt wurde. Nachdem sich ihr Großvater mütterlicherseits, ein begüterter Fabrikant, der heranwachsenden Weber angenommen und sie in einem Hannoveraner Internat hatte ausbilden lassen, lernte sie in Berlin ihre Vettern Alfred, Max und Karl Weber kennen. Da ein Universitätsstudium für Frauen zu dieser Zeit in Deutschland noch nicht möglich war, wollte sie in Berlin Kunst studieren, zumal ihr von einem Beruf als Musikerin abgeraten wurde. Die Heirat mit Max Weber brach diese Entwicklung ab. Dafür begann sie jetzt ihr Studium der Philosophie und Nationalökonomie in Freiburg und dann in Heidelberg, wobei es Max nicht für opportun hielt, daß seine Frau seine Vorlesungen oder Seminare besuchte. So wurde sie erste Philosophiestudentin bei Heinrich Rickert. Schon früh trat neben diese Schulung der intellektuellen Fähigkeiten das Bedürfnis nach sozialem und politischem Engagement, lebhaft unterstützt von ihrem Mann, so daß sie rasch zu einer dominierenden Figur der deutschen Frauenbewegung wurde. Dabei traf sie auch Gertrud Bäumer, die ihr großes Vorbild wurde. Während Max Weber sich krankheitsbedingt von Amt und Öffentlichkeit zurückziehen mußte, verfaßte sie ihre Bücher über Fichte und Marx sowie die Rechtsentwicklung der Frau und hielt ihre ersten Reden. Sie empfand diese verkehrten Rollen keineswegs als Triumph, sondern als eine bittere Ironie des Schicksals. Max Weber, in Heidelberg eher eine graue Eminenz, war in Bevölkerung und Studentenschaft persönlich kaum bekannt, wie folgende Episode beleuchtet. Als er 1908 erstmals wieder politisch in Erscheinung trat, fragte ein Zuhörer seinen Nebenmann: „Wer isch denn eigentlich seller Max Weber?“ – „Ha das isch halt der Marianne ihrer.“
Bitter empfand es Weber auch, als Max Weber durch Intrige als Kandidat der DDP des Wahlkreises Hessen-Nassau (Frankfurt) für die Weimarer Nationalversammlung ausgebootet wurde, während sie in die Verfassunggebende Nationalversammlung nach Karlsruhe gewählt wurde und für die erste Reichstagswahl wochenlang Wahlkämpfe für die DDP bestritt. Auch die Ehrendoktorwürde, die sie erhielt, war ihrem Mann versagt geblieben.
Webers Leben war für ihre Zeit radikal: ihr Ausbruch aus der Bielefelder Enge bei ihrem Großvater, ihr späteres Studium, ihre Publikationen zur Gleichberechtigung der Frau, ihre Weigerung, sich den Frauenklischees des Wilhelminischen Deutschlands anzupassen und ihre Rolle als Politikerin der Frauenbewegung und des Liberalismus. Damit hatte sie allerdings auch den Weg in die Männerwelt des Intellekts, des Erfolgs und der Politik beschritten, ohne sich aber deren spezifischen Regeln zu unterwerfen. Klein, zierlich, mit großen beredten Augen und starker Ausstrahlung waren ihr Rücksichtslosigkeit und persönliches Konkurrenzdenken fremd; sie war eher eine „Märchenprinzessin ..., der alles Böse völlig unvertraut war“ (Martin Green). An Max Webers Seite war sie, belesen, durch viele Reisen in ihrem Urteil weltoffen und durch die zahlreichen Diskussionen mit ihrem Mann geschult, die kongeniale Partnerin, die zum Mittelpunkt der ab 1910 stattfindenden regelmäßigen Gesprächskreise werden konnte. Hier entwickelte sich ein neues Zentrum des geistigen Lebens in Heidelberg. Neben Persönlichkeiten wie Friedrich Gundolf, Karl Jaspers, Gustav Radbruch, Stefan George, Georg Simmel mit seiner Frau, dem Ehepaar Theodor und Elli Heuß-Knapp oder Friedrich Naumann suchten vor allem auch jüngere Wissenschaftler das Haus in der Ziegelhäuser Landstraße 17 auf. Weber reihte sich mit eigenen Vorträgen ein.
Nach außen hin gaben beide ein ideales Paar ab, wo jeder, unkonventionell für damals, den anderen als gleichberechtigten Partner akzeptierte. Die eigentliche Tragik spielte sich auf einer anderen Ebene ab. Max Weber war impotent, holte sich Ersatz in seiner libidinösen Beziehung zur Wissenschaft und bei anderen Frauen, u. a. bei Webers engster Freundin Else Jaffé. Es ist vielleicht eine Ironie, daß die persönlich Betrogenen, Elses Mann Edgar, der das Archiv für Sozialwissenschaften aufgekauft und Max Weber so ein Forum für seine Publikationen bereitgestellt hatte, und Marianne mit ihrer bedingungslosen Hingabe, ihrer Bewunderung für sein Genie und nicht zuletzt mit ihrer durch eine Erbschaft ermöglichten Jahresrente zwischen 12 500 und 15 000 Reichsmark dem großen Soziologen den Luxus eines von den bürgerlichen Erwerbszwängen unabhängigen, privaten Gelehrtendaseins ermöglicht haben. Weber, die „robuste intellektuelle Großbäuerin“ (Norbert Elias), hielt auch weiterhin ihrem Mann in seinen Krisen den Rücken frei, wenn er, zeitweise tablettenabhängig, in Streßphasen von Schlaflosigkeit geplagt wurde und zu hysterischen Angstzuständen neigte. Ihre Vorstellungen von Ehe, Sexualität und von der Rolle der Frau – in zahlreichen Publikationen und Vorträgen festgehalten – wurzeln als sublimierte Theorie tief in den Erfahrungen ihrer Ehe. Nicht unerheblich war auch der Einfluß von Otto Groß, dem von Freud verstoßenen Enfant terrible der deutschen Psychoanalyse, der mit Else Jaffé und ihrer Schwester Frieda, den Richthofen-Schwestern, befreundet war. Durch ihn lernte sie, Sexualität mit nichtmoralischen Maßstäben bewerten zu können. Diese besaß für Weber einen Wert jenseits von Sünde und Makel, der selbst bei Gelegenheitsbeziehungen zu seinem Recht kommt. Folglich plädierte sie für Toleranz, wandte sich aber gegen eine rechtliche und gesellschaftliche Institutionalisierung. Marxistische Attacken gegen die bürgerliche Ehe und das aufkommende Prinzip der freien Liebe in den 20er Jahren lehnte sie ab. Ihr Ideal blieb die Einehe, in der die Frau als ebenbürtige Gefährtin ihre volle Selbständigkeit erreichen und behaupten kann. Entsprechend kämpfte sie, die Theoretikerin der bürgerlichen Frauenbewegung, jenseits von emanzipatorischer Polemik, für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau. Von freien oder Gelegenheitsbeziehungen, so befürchtete sie, werde der Mann immer mehr profitieren und die Frau ausgebeutet. Kategorien wie Selbstbeherrschung, Treue, Entsagung und Verantwortung standen ihr näher als Lustprinzip, Bedürfnisbefriedigung und Glück um jeden Preis. So hatte sie ihre Beziehung zu Max Weber gelebt, während für ihn andere Spielregeln galten.
Max Weber hatte die letzten Monate seines Lebens, als er in München wieder Vorlesungen hielt, mit Else verbracht, als Weber noch in Heidelberg verblieben war und Wahlkämpfe bestritt. Als er starb, waren beide Frauen um ihn. Weber hat von dieser Beziehung nie etwas erfahren, Else blieb ihre engste Freundin, auch später in Heidelberg.
Nach seinem Tod dauerte es vier Jahre, bis Weber wieder in der Öffentlichkeit auftrat. Schon vorher zwischen den Polen Selbstbehauptung und Selbstaufgabe schwankend, ordnete sie jetzt als „Max Webers Vikarin auf Erden“ (Golo Mann) ihr Leben völlig dem wissenschaftlichen Nachlaß ihres verstorbenen Mannes unter. Von wenigen Studenten unterstützt, edierte sie in 2 1/2 Jahren 10 Bände, u. a. die Werke „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“, die sicherlich nicht in allen Punkten heutigen wissenschaftlichen Kriterien entsprechen. Anschließend erfolgte die umfangreiche Biographie, in der sie manches beschönigte und ohne Distanz wiedergab, man denke nur an Webers Einstellung zur Kriegsschuldfrage.
Ab 1924 griff Weber die Tradition der Gesprächskreise in Heidelberg in ihrem alten Haus wieder auf, die sich für 40 Jahre zu einer festen Institution entwickelten. Gelehrte aller Fakultäten trafen sich im Turnus von 3-4 Wochen zu Vorträgen mit anschließender Diskussion, wobei das weibliche Element meist in der Überzahl war. Als Rednerinnen und Redner sind hier Persönlichkeiten wie Ludwig Curtius, Friedrich Gundolf, Arnold Bergsträßer, Emil Lederer, Gustav Radbruch, Thomas Mann als Gast, Marie Baum, Marie Luise Gothein und nicht zuletzt Weber zu nennen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Kreis observiert, und die Treffen hörten vorübergehend auf, weil Angst vor einem offiziellen Verbot bestand. Gleichschaltung, Berufsverbote und Anpassertum ließen schnell die bisherige akademische Geselligkeit in Heidelberg auseinanderbrechen, so daß für viele Gelehrte nach dem Entzug der Lehrerlaubnis das Webersche Haus das einzige Forum mit einer gewissen Öffentlichkeit war. Weber selbst war tief enttäuscht darüber, wie rasch und kampflos die Heidelberger Gelehrten den Nationalsozialisten das Feld überlassen hatten. Man verzichtete in „Marianne Webers Menagerie“ bewußt auf politische Themen, um keine Angriffsfläche zu bieten, und beschränkte sich auf überzeitliche Werte aus den Gebieten Philosophie, Philologie, Kunstgeschichte, Geschichte und Religion. Im romantischen Ideal des geselligen und gleichberechtigten Kommunizierens gegründet, bildete der auf 70 Personen geschrumpfte Kreis – viele Freunde mußten emigrieren, manche hielten sich fern, um andere nicht zu gefährden – einen Rest der geistig-liberalen und humanen Gelehrtenrepublik Heidelberg. Wie lebendig der Geist dieser Runde war, beweist die Tatsache, daß er noch nach Webers Tod bis 1964 insgesamt 75mal, diesmal im Kurpfälzischen Museum, zusammenkam und so seiner Initiatorin ein Denkmal eigener Art setzte.
Quellen: Nachlaß: 1. (sehr kleiner) Teil im BA Koblenz (Kl. Erw. 258), 2. (weitaus größerer) Teil vermischt mit dem Nachlaß des Gatten Max Weber, 3. (größter) Teil seit ca. 1983 ff. in der Bayerischen Staatsbibliothek München (Bestand Max Weber-Schäfer ... Deponat BSB München, Ana 446)
Werke: Beruf und Ehe. Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft, 2 Vorträge, 1906; Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, 1907; Erfülltes Leben, 1946; Fichtes Sozialismus und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin, 1909 = Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen Bd. 4, H. 3; Frauenbewegung und Sozialethik, 2. Aufl. 1909, in: Wegener, Hans und Weber, Marianne, Die Bekämpfung der Unsittlichkeit mit besonderer Berücksichtigung auf den Schutz der Jugend, 1907; Frauenfrage und Frauengedanken, Gesammelte Aufsätze, 1919; Die Frauen und die Liebe, 1935; Die Ideale der Geschlechtergemeinschaft, 1929 = Schriftenreihe der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin, H. 4; Die Ideale der Ehe und die Ehescheidung, 1929; Lebenserinnerungen, 1948; Die soziale Not der weiblichen Angestellten, 1928 = Schriftenreihe des Gewerkschaftsbundes der Angestellten, Nr. 43; Vom Typenwandel der studierenden Frau – Die Formkräfte des Geschlechtslebens, 1918; Max Weber, Jugendbriefe, 1936; Max Weber. Ein Lebensbild, 1926 (weitere Auflagen 1950 und 1984); Weber – Peter Wust, Wege einer Freundschaft. 1927-1939, Hg. von Walter Theodor Cleve, 1951
Nachweis: Bildnachweise: Zeichnungen von Herbert Grass bei Totten und von Viktoria Alf bei Poensgen; Photo im Heidelberger Tageblatt

Literatur: Marie Baum, Der alte und der neue Marianne Weber-Kreis, in: Der Marianne Weber-Kreis, Festgabe für Georg Poensgen zu seinem 60. Geburtstag, 1958, 7-17; dies., Weber zum Gedächtnis, in: Ruperto Carola 6 (1954), Nr. 13/14, 46 f.; Martin Green, Die Richthofen-Schwestern, 1980, 245-257; Poensgen, Zehn Jahre Marianne Weber-Kreis im Kurpfälzischen Museum, in: Ruperto Carola 37 (1965) 105-110; Christine Totten, Dank an Weber, in: ebd. 3 (1951), 32 f.; Nachrufe in: RNZ und Heidelberger Tageblatt vom 15.03.1954
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