Nörber, Thomas 

Geburtsdatum/-ort: 19.12.1846;  Waldstetten bei Walldürn
Sterbedatum/-ort: 27.07.1920;  Freiburg, beigesetzt 3. 8. 1920 vor dem Sakramentsaltar (sogenanntes Frauenchörle) des Freiburger Münsters
Beruf/Funktion:
  • Erzbischof von Freiburg
Kurzbiografie: 1853-1861 Volksschule Waldstetten
1861-1866 Berthold-Gymnasium Freiburg mit Abitur
1866-1870 Studium der Theologie in Freiburg und St. Peter
1870 24. 7. Priesterweihe in St. Peter durch Weihbischof Kübel
1870-1880 Vikar in Neuhausen bei Pforzheim, in Schwetzingen, 1872 in Mannheim (Jesuiten-Kirche)
1880-1881 Pfarrverweser in Seckach, 1881 in Hardheim, 1888 in Lichtental bei Baden-Baden; zugleich Beichtvater am Kloster der Zisterzienserinnen
1889-1891 Pfarrer in Tiergarten bei Oberkirch
1891-1898 Klosterpfarrer und Beichtvater an der Lehranstalt der Chorfrauen vom Heiligen Grab in Baden-Baden
1898-1920 Erzbischof von Freiburg (2. 8. Wahl; 29. 9. Weihe durch Bischof Haffner, Mainz, und Inthronisation)
1898 Dr. theol. h. c. der Universität Freiburg
1899 Orden Berthold I. sowie Großkreuz des Zähringer Löwenordens mit der goldenen Kette; (württembergisches) Großkreuz des Friedrichsordens
1900? Päpstlicher Thronassistent und Comes Romanus
1906? Ehrenkreuz 1. Klasse des Fürstlich Hohenzollerischen Hausordens
1916? Badisches Kriegsverdienstkreuz sowie Friedrich-Luisenmedaille
1918 Eisernes Kreuz 2. Klasse am schwarz-weißen Band
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Gottfried Nörber, Schneidermeister und Landwirt
Mutter: Magdalena, geb. Herold
Geschwister: 5 (2 Brüder, 3 Schwestern)
GND-ID: GND/119513285

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 197-200

Nörbers außergewöhnlich lange Regierungszeit, in der sich der Übergang von der Monarchie zur Republik vollzog und das badische Staatskirchentum in eine Phase mühsam erkämpfter kirchlicher Freiheit einmündete, kann in der Freiburger Diözesangeschichte als ein wichtiger Abschnitt der Konsolidierung und religiösen Erneuerung betrachtet werden.
Dem badischen Frankenland entstammend, wuchs Nörber in bescheidenen ländlichen Verhältnissen auf. Lebensbestimmende Elemente in seiner Familie waren der Kinderreichtum und eine tiefe Frömmigkeit. Sein verspäteter Eintritt in die höhere Schule läßt erkennen, daß sich die Eltern erst allmählich mit dem Gedanken einer gehobenen Berufsausbildung des ältesten Sohnes vertraut machen konnten. Wie in dörflichen Kreisen nicht selten, war es hauptsächlich das Verdienst des Pfarrers, die besondere Begabung des Jungen zu entdecken und durch Privatunterricht den Besuch des Gymnasiums vorzubereiten.
Vom Abitur zur Priesterweihe verlief Nörbers Weg geradlinig. Früh schon war bei ihm eine ausgeprägte Begabung auf dem Gebiet der praktischen Seelsorge erkennbar. Der häufige Wechsel auf den von ihm versorgten Pfarrstellen erklärt sich hinreichend aus seiner angegriffenen Gesundheit.
Seine Wahl zum Erzbischof von Freiburg kam nach einer fast zweijährigen Sedisvakanz, auch für den Erwählten selbst, gänzlich überraschend. Da er als politisch nachgiebig und wenig profiliert galt und zudem auf der Wahlliste des Domkapitels als letzter fungierte, wurde sein Name von der die Liste prüfenden Regierung nicht weiter beachtet. Die Tatsache, daß er dem Diözesanklerus angehörte und sich bisher ausschließlich seelsorgerisch betätigt hatte, war für die Gläubigen Grund zur Hoffnung auf einen volksnahen Oberhirten.
Nörber trat sein bischöfliches Amt an, als der Höhepunkt des Kulturkampfes bereits überschritten, die Freiheit der Kirche jedoch noch nicht zurückgewonnen war. Diese Situation erhellt in besonderer Weise die von ihm erkannten Notwendigkeiten und im Laufe seiner 22 Regierungsjahre getroffenen Maßnahmen. Sehr schnell wurde deutlich, daß sich der neue Erzbischof mit der für die katholische Kirche unbefriedigenden Rechtslage nicht abfinden konnte. Um die Revision der noch geltenden Kulturkampfgesetze zu erreichen, mußte er die Kooperation mit der politischen Vertretung des badischen Katholizismus suchen. Sein Bemühen um die Wiederzulassung männlicher Ordensgesellschaften blieb jedoch ohne sichtbaren Erfolg. Die Großblockpolitik der Nationalliberalen und Sozialdemokraten verschärfte zudem den Gegensatz zum Zentrum und zur katholischen Kirche und machte daher eine Überwindung des Staatskirchentums illusorisch. Erst der Kriegsausbruch und der in seinem Gefolge proklamierte Burgfrieden bewirkten eine sichtbare Entspannung. Doch konkrete Zugeständnisse brachte erst das letzte Kriegsjahr: die Zulassung einer begrenzten Zahl von Männerklöstern und die Revision des Stiftungsgesetzes von 1870. Nörber selbst hatte noch 1918 in der Ersten Kammer die Rechte der katholischen Kirche verteidigt und dabei auf ihre tatkräftige Mitwirkung bei der Förderung der vaterländischen Aufgaben hingewiesen.
Nörbers Hauptanliegen war jedoch der innere und äußere Ausbau seiner Diözese. Gestützt auf seine langjährige Erfahrung in der praktischen Seelsorge legte er großen Wert auf eine solide Ausbildung der Priester. Daher verlängerte er ihre Studienzeit auf insgesamt fünf Jahre, förderte die Marianische Priesterkongregation und die Priesterexerzitien. Mit der Gründung des Oberrheinischen Pastoralblattes und mit den 1906 erstmals stattfindenden theologischen Hochschulkursen gab er wichtige Anstöße für eine kontinuierliche Weiterbildung der Geistlichen.
Auch für die materiellen Bedürfnisse seines Klerus zeigte Nörber großes Verständnis. Durch eine angemessene wirtschaftliche Sicherung sollte den Geistlichen ein standesgemäßes Leben ermöglicht werden. Zur Anhebung der Gehälter derjenigen Seelsorger, die nur gering besoldet waren, wurde eine allgemeine Kirchensteuer eingeführt. Die Festsetzung ihrer Höhe und die Beschlußfassung über die Verwendung der Gelder oblag einer Kirchensteuervertretung, die im Jahre 1900 erstmals zusammentrat.
Ein breites Betätigungsfeld erschloß sich Nörber auf dem Gebiet der ordentlichen Seelsorge. Tatkräftig förderte er den Kirchenbau. Zu einem seiner persönlichen Anliegen machte er auch die Gründung neuer Pfarreien, insbesondere in den im Zuge der Industrialisierung verdichteten Wohnräumen, sowie die Errichtung neuer Dekanate, darunter, seit 1902, der Stadtdekanate Mannheim, Karlsruhe und Freiburg.
In der geistigen Auseinandersetzung mit den Spätfolgen der Aufklärung und des Liberalismus schenkte Nörber der außerordentlichen Seelsorge gleichermaßen große Aufmerksamkeit. Um den katholischen Glauben auch in den kommenden Generationen zu verankern, gründete er 1911 das Missionsinstitut (Seelsorgeamt). In Ermangelung der von der Regierung in Baden nicht zugelassenen Männerorden konnte so der außerordentliche Seelsorgebereich (z. B. Volksmissionen und Exerzitien) in die Hände einzelner befähigter Diözesanpriester gelegt werden. Dem gleichen Zweck sollte auch das seit 1917 als kirchliche Wochenzeitung herausgegebene „Konradsblatt“ dienen.
Die bischöfliche Aufsicht über die Einhaltung der kirchlichen Disziplin und Lehre nahm Nörber in direkter Übereinstimmung mit den päpstlichen Anordnungen wahr, so z. B. hinsichtlich der Frühkommunion der Kinder oder der damaligen Auseinandersetzung mit dem Modernismus. Den drängenden Fragen seiner Zeit, ob in Kirche, Staat oder Gesellschaft, zeigte er sich stets aufgeschlossen. Es tut Nörbers Bedeutung keinen nennenswerten Abbruch, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß seine Stärke nicht unbedingt in der Hervorbringung origineller Lösungsmodelle lag. Weit mehr hatte er sich auf seinen ausgeprägten Realitätssinn und sein gesundes Urteilsvermögen verlassen. Da er gern auf den Rat seiner geistlichen Mitbrüder hörte, zeigte er auch Bereitschaft, Standpunkte neu zu überdenken und zu korrigieren. Dies erklärt, daß er sich im Laufe des Gewerkschaftsstreites (1900/04) von einem scharfen Gegner zu einem warmherzigen Befürworter der christlichen Gewerkschaftsbewegung gewandelt hat.
Nörber war nicht nur ein befähigter Seelsorger und Bischof; er war auch ein Mann der sozialen Tat. Schon als junger Vikar hatte er in Mannheim mit großem persönlichen Einsatz den Gesellenverein geleitet. Als Erzbischof beauftragte er Werthmann mit der Organisation des Caritasverbandes auf Diözesanebene, und in der Fuldaer Bischofskonferenz machte er seinen ganzen Einfluß geltend, daß Freiburg auch in der Zukunft die Zentrale des Deutschen Caritasverbandes blieb.
Mit seinem sicheren Gespür für das Praktische und Notwendige ließ er auch ein neues Ordinariatsgebäude errichten (1906), in dem er den Dienstablauf nach den Spielregeln eines modernen Bürobetriebes organisiert wissen wollte. In Übereinstimmung mit dem neuen kirchlichen Gesetzbuch (1918) berief er mit Domkapitular Fritz nach 50 Jahren erstmals wieder einen Generalvikar an die Spitze der Diözesanverwaltung.
Vor allem die schweren und entbehrungsreichen Jahre des 1. Weltkrieges haben Nörber viel Umsicht und Tatkraft abverlangt. Viele, die vom Unglück heimgesucht wurden, erwarteten von ihm Trost und Hilfe. Dabei wurden auch der Kirche selbst große Opfer auferlegt. Schmerzlich waren die Lücken, die der Krieg beim Klerus hinterlassen hatte. Doch hatte Nörber die Kraft besessen, die Herausforderung des militärischen Zusammenbruchs, der Revolution und des politischen Neubeginns anzunehmen. Nach der Abdankung des Großherzogs bekannte auch er sich uneingeschränkt zur parlamentarischen Republik.
Mit dem Ende der Monarchie waren die letzten Hindernisse für eine unbegrenzte Niederlassung von Ordensgemeinschaften beseitigt. Aber auch in der jungen Republik sah sich der politische Katholizismus, damals unter Schofers Führung, genötigt, nunmehr mit demokratischen Mitteln für die volle Freiheit der Kirche im Staat zu kämpfen. Von diesen neuerlichen Auseinandersetzungen im Landtag hatte Nörber nur noch die Anfänge erlebt. Seit längerer Zeit von schwerer Krankheit gezeichnet, konnte er noch den 50. Gedenktag seiner Priesterweihe begehen, starb aber bereits drei Tage später im 74. Lebensjahr.
Werke: Hirtenbriefe 29. 9. 1898 bis 19. 7.1920, in: Anzeigeblatt für die Erzdiözese Freiburg, 1898-1920.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos EAF, Pfarrhaus und Sakristei Waldstetten Porträtgemälde von J. Schultis, Priesterseminar St. Peter 1909; E. Emerich Erzb. Palais Freiburg 1912; Grabplatte mit Porträtrelief von Paul Merten in der Grafenkapelle des Freiburger Münsters.

Literatur: F. Meister, Erzb. Dr. T. Nörber, in: Badenia-Sonderdruck, Karlsruhe 1898; L. Werthmann, Zum 50jährigen Priesterjubiläum des H. H. Erzb. Dr. T. Nörber, in: Freiburger Tagespost, 13. Jg. Nr. 199, 23.7.1920, 1-2; G. Stezenbach, Erzb. Dr. T. Nörber, Freiburg 1920; J. Mayer, Dr. T. Nörber, in: Necrologium Friburgense 1920. FDA Bd. 49 (NF Bd. 22) 1921, 58-61; H. Lauer, Die Zeit der Erzbischöfe J. B. Orbin, J. Chr. Roos, G. J. Komp und T. Nörber, in: Das Erzbistum Freiburg in Vergangenheit und Gegenwart, hg. von W. Burger, Freiburg 1927, 52-60; W. Kosch, Erzb. T. Nörber, in: Das Katholische Deutschland, Bd. 2, Augsburg 1933, Sp. 3278-3279; N.N., Persönlichkeiten des Landkreises und der Stadt Buchen. Erzb. Dr. T. Nörber, in: Baden. Monographie einer Landschaft, 5. Jg. Nr. 6, Karlsruhe 1953, 22; A. Stiefvater, T. Nörber, in: Gottes Reich in unserer Heimat, 1. Aufl. Karlsruhe 1959, 72-74; W. Müller, T. Nörber, in: LThK, Bd. 7, 1962, 1029; H. Köhler, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes (1878-1949), hg. von J. Becker, Stuttgart 1964, 149-152; A. Schäfer, T. Nörber Erzbischof und Patriot, in: Der Kreis Buchen. Hg. K. Theiss und H. Baumhauer, Aalen-Stuttgart 1964, 194-196; M. Stadelhofer, Der Abbau der Kulturkampfgesetzgebung im Großherzogtum Baden (1878-1918), Mainz 1969; W. Müller, T. Nörber, in: Konradsblatt, 54. Jg. Nr. 30, Karlsruhe 1970,6;H. Ott, Das Erzbistum Freiburg im Ringen mit Staatskirchentum und Staatskirchenhoheit, in: Das Erzbistum Freiburg 1827-1977, hg. vom Erzbischöflichen Ordinariat, Freiburg 1977, 87-88; W. Müller, Grundlinien der Entwicklung der Erzdiözese Freiburg, in: Gestalten und Ereignisse. 150 Jahre Erzbistum Freiburg, hg. von J. Sauer, Karlsruhe 1977, 36-37; H.-J. Kremer (Bearb.), Mit Gott für Wahrheit, Freiheit und Recht. Quellen zur Organisation und Politik der Zentrumspartei und des politischen Katholizismus in Baden 1888-1914, Stuttgart 1983; E. Gatz, T. Nörber, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945, hg. von E. Gatz, Berlin 1983, 536-537; H.-P. Fischer, Seelsorger-Bischof T. Nörber. Weitschauender Organisator und spiritueller Erneuerer der Erzdiözese; Zulassungsarbeit für die Theol. Hauptprüfung, Freiburg 1987 (Maschinenschrift).
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