Derwein, Herbert Carl Wilhelm 

Andere Namensformen:
  • bis 1925: Levin
Geburtsdatum/-ort: 06.04.1893; Braunschweig
Sterbedatum/-ort: 13.01.1961;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Historiker, Stadtarchivar
Kurzbiografie: 1912 September: Reifezeugnis des Herzoglichen Realgymnasiums in Braunschweig
1912-1916 Studium der deutschen Philologie, der mittelalterlichen und der neueren Geschichte sowie der Philosophie in Göttingen (1. und 2. Semester), Berlin (3. Semester), Gießen (ab Ostern 1914)
1916 Dr. phil. an der Universität Gießen, Dissertationsthema: „Der Verbrecher im deutschen Drama von Lessing bis Hauptmann“
1916/17 im Verlag B. G. Teubner, Leipzig
ab 1917 mit anfänglichen kurzen Unterbrechungen in Heidelberg
1920 Preis der Corps-Suevia-Stiftung für die Arbeit „Die Heidelberger Romantik“
1922-1924 bei der Süddeutschen Disconto-Gesellschaft tätig
1934-1935 und 1940-1941 im Badischen Flurnamenausschuß tätig
1941-1961 Angestellter der Stadtverwaltung Heidelberg, ab 1958 auf Grund eines Sonderarbeitsvertrages
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch-lutherisch
Verheiratet: 1. 1919 Johanna Maria Lydia Irma von Drygalski (1892-1953), Tochter des Königlichen Premierleutnants Franz Heinrich Arthur von Drygalski (1866-1914) und der Helena Sybilla, geb. Mezger (1869-1918)
2. 1955 Mara Emmi Hermanna Gertrud Bergmann (1896-1974)
Eltern: Vater: Wilhelm Louis Theodor Levin, Kaufmann in Braunschweig (1856-1939)
Mutter: Bertha Fanny, geb. Rehfeld (1860-1938)
Geschwister: 3
Kinder: Inge (geb. 1920)
Helmut (1922-1974)
Gisela (geb. 1924)
GND-ID: GND/120402548

Biografie: Rudolf Benl (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 58-60

Infolge einer Scharlacherkrankung ist Derwein schon in jungen Jahren ertaubt. Schulbesuch, Studium und Berufsausübung waren für ihn mit außergewöhnlicher Belastung verbunden. Mit Hilfe seiner ersten und seiner zweiten Frau konnte er in seinen Mannesjahren die bei Gesprächen und Vorträgen auftretenden Schwierigkeiten meistern. Von seinen Universitätslehrern haben ihn u. a. die Historiker Karl Brandi, Max Lehmann und Hans Delbrück, die Germanisten Ludwig Geiger und Gustav Roethe sowie der Philosoph Georg Simmel beeindruckt. Seine Dissertation entstand bei dem Germanisten Otto Behaghel. Eine Tätigkeit beim Teubner-Verlag fand durch Sparmaßnahmen des Verlags ein rasches Ende. Ein akademisches Preisausschreiben der Universität Heidelberg, das auf eine Darstellung der Heidelberger Romantik zielte, veranlaßte Derwein, nach Heidelberg überzusiedeln. Die von Derwein vorgelegte Arbeit wurde mit dem ausgesetzten Preis der Corps-Suevia-Stiftung gekrönt (Buchveröffentlichung 1922).
In Heidelberg lernte Derwein auch seine erste Frau, die aus einer preußischen Offiziersfamilie stammende Irma von Drygalski, kennen, die später selbst als Schriftstellerin bekannt wurde und viele ihrer Stoffe der Geschichte Heidelbergs und der Kurpfalz entnahm; der sehr glücklichen Ehe entsprossen drei Kinder. 1953 verwitwet, ging Derwein 1955 mit einer Bekannten aus gemeinsamen Braunschweiger Jugendjahren eine – ebenfalls glückliche – zweite Ehe ein. Der Familienname ‚Levin‘ deutet auf jeden Fall weder auf jüdische noch auf eine – von Derwein angenommene – hugenottische Abkunft, sondern vielleicht auf Herkunft des Mannesstammes aus dem Harz (Leobvinus), vielleicht auf pommersch-mecklenburgische Herkunft; der Name wurde 1925 mit Genehmigung des braunschweigischen Justizministeriums in ‚Derwein‘ (nach vermutetem ‚le vin‘) geändert. Die körperliche Behinderung zwang Derwein zu fast zwei Jahrzehnte währender Tätigkeit als freiberuflicher Privatgelehrter. In diesen Jahren entstanden mehrere Arbeiten, die Derweins stets wachsende Kenntnis Heidelbergs, seiner Geschichte und seines geistigen Umfeldes unter Beweis stellten. Durch seine Betätigung in der Flurnamenforschung kam Derwein mit Eugen Fehrle (-->), dem Leiter des Badischen Flurnamenausschusses, in Verbindung. Im Jahre 1940 beauftragte Oberbürgermeister Neinhaus Derwein mit der Ordnung der Heimatbücherei der Stadt, die seit 1937 im Entstehen war. Als es Anfang 1941 schien, als könne Derwein als Mitarbeiter von Fehrle, der damals an die Universität Straßburg zu gehen im Begriff war, in Straßburg eine feste Anstellung auf dem Gebiet der Flurnamenforschung finden, wandte er sich an die Stadtverwaltung mit der Bitte, ihm eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen, wollte er doch lieber in Heidelberg bleiben. Am 1. September 1941 trat Derwein als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter endgültig und ohne Befristung in den Dienst der Stadt Heidelberg. Es gehörte nun auch zu seinen Aufgaben, Sonderaufträge des Oberbürgermeisters auf allen Gebieten der Heimatgeschichte und des Archivwesens zu bearbeiten. Er wurde außerdem als Geschäftsführer der 1938 gegründeten „Heidelberger Gesellschaft zur Pflege der Heimatkunde“ bestellt; diese wurde nach dem Kriege – 1953 – aufgelöst. In Neinhaus, der der archivalischen Überlieferung der Stadt und deren zerstreutem, sehr wertvollem Buchbesitz eine neue Ordnung und größere Öffentlichkeitswirkung geben wollte, fand Derwein einen Gönner, der stets auf seine Vorschläge einging. Derwein wuchs immer mehr in die Rolle eines Stadtarchivars hinein, obwohl Neinhaus die Stelle eines „Archivverwalters“ eigentlich erst nach Ende des Krieges zu schaffen beabsichtigte. Da die Heimatbücherei nach dem Kriege für längere Zeit von den Amerikanern beschlagnahmt war, widmete er sich in dieser Zeit um so mehr archivarischer Tätigkeit. Unverkennbar ist allerdings, daß Derwein stets mehr Historiker als Archivar gewesen ist und die archivarische Tätigkeit vom Gesichtspunkt des Historikers aus betrieben hat. Die Archivbenutzer wußten seine große Kenntnis der Bestände und aller anderen Heidelberg-Quellen sowie seine Hilfsbereitschaft zu schätzen.
Die Spuren von Derweins Wirken sind im Stadtarchiv besonders in der von ihm stammenden Ordnung der Dienstbibliothek des Archivs, innerhalb deren die ehemalige Heimatbücherei einen wesentlichen Teil ausmacht, und in deren Katalogen, die erst jetzt allmählich ersetzt werden, sowie in der von ihm aufgebauten Heidelberg-Kartei, die noch heute ständig ergänzt und erweitert wird, greifbar. Von seinen Veröffentlichungen dürften die Ortsgeschichte des Heidelberger Stadtteils Handschuhsheim, wo Derwein jahrzehntelang wohnte, das Heidelberger Straßen- und Flurnamenbuch von 1940 sowie die Abhandlung über „Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49“ die bedeutendsten sein und lange ihren Wert behalten.
Derwein starb „in den Sielen“, wie es in der Grabrede von Oberbürgermeister Robert Weber hieß. Seit 1971 trägt eine Straße in Heidelberg-Handschuhsheim seinen Namen.
Quellen: Stadtarchiv Heidelberg: PA Derwein; AA 13/8 a, 30
Werke: Die Beziehungen der Romantiker zum Herzogtum Braunschweig, in: Braunschweigisches Magazin 1919, 57-64, 69-76; Der Verbrecher im deutschen Drama von Lessing bis Hauptmann (phil. Diss. Gießen 1916); Eichendorff und die Herausgeber des Wunderhorns, in: Das literarische Echo 23 (1920/21), 1276 f.; Eines Gelehrten Eindrücke im Herzogtum Braunschweig (1787), in: Braunschweigisches Magazin 1921, 1-6; Die Heidelberger Romantik (1922); Christian Brentano: Der unglückliche Franzose oder der deutschen Freiheit Himmelfahrt, hg. von Herbert Levin (1923); E. Traumann: Von großen und kleinen Männern in Heidelberg. Aufsätze, hg. von Herbert Levin (1926); Die Geschwister Brentano in Dokumenten ihres Lebens, hg. von Herbert Levin-Derwein (1927); Heidelberg und die deutsche Literatur, in: Heidelberg (Monographien deutscher Städte), 76-90 (1928); Die Bauten des Heiligenberges bei Heidelberg. Mit einführendem Text von Herbert Derwein (o. J. [1929]); Vom Begräbniswesen in früheren Zeiten, in: Kurpfälzer Jahrbuch 1930, 54-68; Das Michaelskloster auf dem Heiligenberg, in: ebd., 176-182; Das Zisterzienserkloster Schönau mit den Zeichnungen des 16. Jahrhunderts aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (1931); Geschichte des Christlichen Friedhofs in Deutschland (1931); Handschuhsheim und seine Geschichte (1933); Heidelberg im geschichtlichen Überblick, in: BH 26, 1939, 88-95; Heidelberger Straßennamen, in: ebd., 159-163; Die Straßen- und Flurnamen von Heidelberg. Straßen, Plätze, Feld, Wald. Eine Stadtgeschichte (1940); Die badische Flurnamensammlung als Werk Eugen Fehrles, in: Beiträge zur Flurnamenforschung. Eugen Fehrle zum 60. Geburtstag dargebracht, hg. von Herbert Derwein, 5-9 (1940); Der Name der Stadt Heidelberg (zusammen mit Ernst Christmann), in: Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 15, 1941, 3-21; Goethe und Heidelberg, in: Goethe und Heidelberg, 25-40 (1949); Die Heidelberger Universität. Ausstellung zum Gedächtnis des 150. Jahrestages ihrer Neugründung (Mitarbeit) (1953); Zur mittelalterlichen Baugeschichte Heidelbergs, in: Festschrift für Karl Lohmeyer, 10-13 (1954); Das Heidelberger Stadtarchiv, in: Ruperto-Carola Jg. 6, Bd. 13, 1954, 147-149; Hoffmann von Fallersleben und Johanna Kapp. Begegnung in Heidelberg (1956); Der Herrengarten in Heidelberg, in: Ottheinrich. Gedenkschrift ..., 179-184 (1956); Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49. Ein Stück badischer Bürgergeschichte (1958); Heidelberg, in: Badisches Städtebuch, hg. von E. Keyser, 71-82 (1959); Ein Gespräch über Heidelberger Gassen und über den Namen „Heidelberg“, in: Heidelberg. Weltoffene Stadt am Neckar, hg. von J. W. Harrsen, 36-41 (1959); Wie vor 75 Jahren das Telefon nach Heidelberg kam, in: Postgeschichtliche Blätter 1961 Heft 1/2, 9-11; Anna von Mohl, die Lebensgefährtin des Hermann von Helmholtz, in: Ruperto-Carola Jg. 17, Bd. 37, 1965, 168-173; Geschichte der Stadt Heidelberg, in: Die Stadt- und die Landkreise Heidelberg und Mannheim. Amtliche Kreisbeschreibung, Bd. 2, 8-82 (1968); 22 Beiträge für das „Heidelberger Fremdenblatt“ zwischen Jahrgang 1938 und Jahrgang 1960/1961
Nachweis: Bildnachweise: Fotografien im Stadtarchiv Heidelberg; Bilder auch bei Schindler (siehe unter Literatur)

Literatur: M. Schaab, Herbert Derwein, in: ZGO 108, 1960, 635 f.; H. Bagusche, Heidelbergs Stadtarchivar Dr. Herbert Derwein †, in: Heidelberger Fremdenblatt 1960/1961 Ausgabe 17, 4; W. Schindler, Herbert Derwein. Mensch und Leistung. Zu seinem 70. Geburtstag am 6.4.1963, in: Ruperto-Carola Jg. 15, Bd. 33 (1963), 247-255; H. Heiberger, Handschuhsheim. Chronik eines Stadtteils (1985), 166-168
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