Giulini, Georg Otto 

Geburtsdatum/-ort: 31.12.1858;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 24.02.1954; Lazzago bei Como (Italien)
Beruf/Funktion:
  • Chemiker, Industrieller
Kurzbiografie: 1867-1874 Besuch der Privatschule „Bendersches Institut“ in Weinheim
1874-1877 Realgymnasium Karlsruhe
1877-1879 Studium der Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1879-1881 Studium der Chemie an der Universität Heidelberg
1881 19. Jul. Promotion zum Dr. phil. bei Bunsen
1891 Erfindung des nassen Verfahrens zum Aufschluss der Bauxite zur Herstellung der Tonerde
1893 Umgründung der väterlichen Fabrik in das Familienunternehmen „Gebrüder Giulini GmbH“
1903 Alleiniger Leiter des Unternehmens
1906 Gründung des Tonerdewerks in Maste bei Laibach
1908 Gründung des Aluminiumwerks in Martigny, Schweiz
1912 Umzug nach Lazzago bei Como
1931 31 Dez. Niederlegung der Firmenleitung
1936 24 Jul. Titel Conte
Weitere Angaben zur Person: Religion: altk.
Verheiratet: 1883 (Mannheim) Emma Henriette, geb. Diffené (1865-1931)
Eltern: Vater: Lorenz (1824-1898), Fabrikant
Mutter: Marie Eleonore, geb. Hübsch (1835-1921)
Geschwister: 4:
Caroline (Lina) Franzisca (1854-1935), verheiratete Dumrath
Paul Johann Baptist (1856-1899)
Karl Franz (1860-1906)
Wilhelm Paul (1863-1903)
Kinder: 4:
Chiara (1884-1949), verheiratet mit Ed. Röchling
Wilhelm Paolo Enrico (1886-1932)
Helen (Elena) Berta (1887-nach 1971), verheiratet mit Friedrich Herr
Otto Heinrich (Enrico, 1889-1915)
GND-ID: GND/123077508

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 102-104

Die Vorfahren von Giulini stammen aus Como in der Lombardei. Sein Vater war Mannheimer Chemiefabrikant in zweiter Generation, als Schüler von J. Liebig ausgebildeter Chemiker. Das bestimmte auch den Lebensweg des Sohnes. Giulini begann in Mannheim mit der Schule, kam aber 10-jährig in eine Privatschule, das „Bendersche Institut“ in Weinheim, das er mit der 5. Klasse beendete. Ostern 1874 brachten ihn die Eltern in das Realgymnasium in Karlsruhe, das er bis zur Obersecunda besuchte und mit 18 Jahren im Herbst 1877 verließ.
Noch im gleichen Jahr begann Giulini sein Chemiestudium an der Technischen Hochschule Karlsruhe und setzte es nach drei Semestern in Heidelberg fort. Fünf Semester studierte er Chemie bei Bunsen und 1881 bestand er sein Doktorexamen in Chemie, Physik und Mineralogie „mit der zweiten Note“; eine Dissertation musste damals in Heidelberg nicht geschrieben werden. „Das eifrige wissenschaftliche Streben, mit dem Herr Giulini seine Ausbildung abgelegt hat, gibt mir die Überzeugung, dass derselbe einen, seinen gediegenen Kenntnissen entsprechenden Wirkungskreis mit Erfolg erfüllen wird“, so urteilte Bunsen über seinen Schüler.
Nach der Promotion trat Giulini in das väterliche Unternehmen, „Schwefelsäure-, Alaun- und Vitriolfabrik“, das 1851 von Mannheim nach Ludwigshafen umgesiedelt war. Seine Brüder Paul und Wilhelm leiteten damals die Fabrik zusammen mit dem Vater; Giulini erhielt Funktionen eines technischen Direktors.
Die Fabrik lag zunächst im Zentrum des damaligen Ludwigshafen. Erweiterungsmöglichkeiten gab es nicht; außerdem beschwerten sich die Einwohner der Stadt über zunehmende Belästigungen, vor allem Gestank und Staub. So betrieb Giulini um 1890 einen Geländeerwerb nahe dem Rheinufer, der unausweichlich schien, sowohl für die Transporte wie für die Produktion. 1893 erreiche Giulini dieses Ziel, indem er ein Fabrikgelände in Mundenheim, am südlichen Rand von Ludwigshafen, erwerben konnte. Im selben Jahr wurde die Firma umgegründet und als „Gebrüder Giulini GmbH“ eingetragen. Der Umzug dauerte 10 Jahre und ging mit einer bedeutenden Modernisierung einher. Inzwischen war Giulini wegen des frühen Todes seiner Brüder alleiniger Leiter der Firma, eine Funktion, die er drei Jahrzehnte wahrnahm. Er verband in seiner Person in beachtenswerter Weise chemisch-technologische und kaufmännische Begabungen, vermochte technische Probleme einfach und billig zu lösen und sein Unternehmen trotz mancher Widrigkeiten zur Blüte zu bringen: Von 1893 bis 1913 hatte sich die Kapazität der Fabrik verzehnfacht.
1900 baute sich Giulini ein eigenes Haus im „Nobelviertel“ von Mannheim, der Oststadt, hielt sich aber meistens in der werknahen Wohnung auf, um rund um die Uhr seinen Betrieb führen zu können. Insbesondere kümmerte sich Giulini um das Forschungslabor, das der Entwicklung und Verbesserung aller angewandten Produktionsverfahren diente. Er war ein guter Menschenkenner und verstand die für seine Zwecke befähigten Mitarbeiter herauszufinden und an sich zu binden. Giulini verlangte strengste Geheimhaltung, was Verfahren und Apparaturen anging. Nicht einmal der Chemiker einer Abteilung durfte in eine andere hinübergehen. Forschungsergebnisse wurden von Giulini laufend in versiegelten Briefumschlägen zur Wahrung der Priorität des Erfinderanspruches und Sicherstellung des Vorbenützerrechtes beim Bürgermeisteramt Ludwigshafen hinterlegt. Von Patentanmeldungen sah er ab, um Verfahren nicht vorzeitig zu veröffentlichen.
Auch von ihm selbst stammten viele Verbesserungen in der Produktion der traditionellen Firmenerzeugnisse, genauso Erweiterungen der Produktliste, wie z. B. die Benutzung des Überschusses der Fabrikationsschwefelsäure, das Verwerten der Waschsäuren, um Superphosphat zu produzieren, oder eine aus dem Rotschlamm entwickelte Masse, die nach dem Verkäufer Dr. Lux „Luxmasse“ genannt und zur Reinigung des Stadtgases von giftigen Cyan- und Schwefelwasserstoffbeimischungen verwandt wurde. Eine bemerkenswerte Lösung für die damalige Zeit: die Verwertung von Abfällen! Giulini erkannte also durchaus schon Umweltprobleme; er richtete um 1909 eine eigene Gärtnerei in Mundenheim ein, um Auswirkungen von Staub und Abgasen auf den Pflanzenwuchs zu beobachten.
Die bedeutendsten Leistungen Giulinis sind aber seine Beiträge zur Entwicklung der jungen Aluminiumindustrie. Seit 1886 begann man Aluminium durch Elektrolyse von in geschmolzenem Kryolith gelöster Tonerde herzustellen. Dem chemischen Profil des Werkes entsprechend konzentrierte sich Giulini zuerst auf die Produktion der Tonerde aus Bauxiten, womit bereits sein Vater 1865 begonnen hatte. Giulini erfand ein verbessertes „Pyrogen-Verfahren“ zum Aufschluss der Bauxite, nämlich mit Natriumsulfat und Kohle anstelle von kalziniertem Soda. Dabei wurden ab 1904 die großen Drehrohröfen eingesetzt. Die Produktion in Mundenheim begann 1906. Schon 1891 hatte Giulini das nasse Bauxitaufschlussverfahren unter Druck erfunden. Wegen des erwähnten Verzichtens auf Patentanmeldungen bekam das Nassverfahren, den Namen von K. J. Bayer, der es 1892 patentiert hatte. Nach der Vereinbarung zwischen Bayer und Giulini arbeitete das Giulini-Werk nach dem Nassverfahren aber ohne Lizenzabgabe. Das Tonerdewerk wurde von Giulini in den Jahren 1906 bis 1908 in Maste bei Laibach errichtet. Giulini begann also bereits früh mit Produktionen im Ausland.
Die ersten Aluminiumfabrikanten bezogen ihr Vorprodukt, die kalzinierte Tonerde, 1893 bis 1907 ausschließlich von der Firma „Gebrüder Giulini“; Giulini galt damals als „König der Tonerde“. Ihm war aber schon früh die Notwendigkeit klar, seine Tonerde in einer eigenen oder assoziierten Fabrik in Aluminium umzuwandeln, wenn er das Tonerdegeschäft nicht verlieren wollte. Dazu ging er verschiedene kaufmännische Verbindungen ein. Obwohl Giulini schon 1912 auf seinen Familienbesitz in Lazzago bei Como übersiedelte – er war dort 1914 bis 1917 sogar Bürgermeister –, behielt er sein Haus in Mannheim, besuchte öfters Deutschland und hatte weiter entscheidenden Einfluss auf die strategischen Geschäfte der Firma. Während des Krieges, in dem Italien gegen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich stand – sein Sohn Otto war Offizier der italienischen Armee – hatte Giulini als Italiener sein Amt als Geschäftsführer der deutschen Firma offiziell niederlegt, um die Beschlagnahme italienischen Eigentums zu vermeiden. Seinen Geschäftsanteil, 1,4 Millionen Mark, hielt seine Schwiegermutter E. Diffené (gest. 1920). Kurz nach Kriegsende wurde die Alleinvertretungsbefugnis Giulinis am 5. Dezember 1918 wieder hergestellt.
Schon früher, ab 1911 suchte Giulini vergebens bei der Regierung die Unterstützung zur Errichtung einer großen Aluminiumfabrik in Deutschland zu erreichen. Erst der Krieg erzwang den Einsatz großer Reichsmittel in die Aluminiumindustrie. Von Italien aus trug Giulini zur Planung und zum Bau der Aluminiumhütten am Niederrhein (Erft-Werk) und Oberbayern (Inn-Werk) entscheidend bei und gründete die Bauxitgrubengesellschaft zur Ausbeutung der eigenen Gruben in Dalmatien und Istrien. Nach dem Krieg wurden die Inn- und Erftwerke – wie die übrige deutsche Aluminiumindustrie – verstaatlicht. Die Abfindung betrug 1920 nominell 9,5 Millionen Mark, was aber während der Inflation nur 150 000 Dollar entsprach. Giulini bemühte sich bis 1932 um Wiedergutmachung, blieb aber erfolglos. Trotz dieser Verluste erweiterte er seinen Konzern in den 1920er Jahren durch Gründung weiterer Grubengesellschaften, durch Beteiligung an der Norwegischen Elektrolyse Haugvik und durch Gründung eines Walzwerks in der Schweiz.
Ende 1931 trat Giulini von der Geschäftsführung der Firma zurück. Er behielt aber noch großen Einfluss; so ging die Gründung eines Aluminium-Walzwerkes in Antwerpen im Jahre 1933 auf ihn zurück. Erst 1935 verließ er sein Geschäft endgültig. Die Firma blieb bis 1978 Familienunternehmen.
Quellen: StadtA Mannheim Familienbögen, Zug. 12/1982, Nr. 91, Auskunft des Melderegisters; UA Heidelberg Matrikel A-702/12, Akten d. phil. Fakultät, 1881, HIV-102/96, Bl. 219-225; StA Ludwigshafen, Bestand Fa. „Gebrüder Giulini“ (weitgehend noch nicht zugänglich), darin: Chronik d. Firma, WS 3, Nr. G 268-G 273.
Nachweis: Bildnachweise: Ausschnitt aus einem Gruppenbild (Bunsen u. seine Schüler, 1879), Bibliothek des Chem. Instituts, Heidelberg; Ludwigshafener Chemiker, 1958, 31 (vgl. Lit.).

Literatur: H. Bachelin, Giulini, in: NDB, 6, 1964, 418-420; Udo Giulini, Dr. Giulini Giulini, Leben u. Wirken eines großen Pfälzer Wissenschaftlers u. Industrieführers. Pfälzische Heimatbll. 4, 1956, 89-91, auch in: Ludwigshafener Chemiker, hg. von Kurt Oberdorffer, 1958, 31-46 (mit B); Manfred Knauer, „Le roi d'alumine“: Giulini Giulini et l'industrie de l'aluminium. In: Cahiers d'histoire de l'aluminium 24, 1999, 33-38.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)