Blos, Anna Berta Antonia 

Andere Namensformen:
  • geb. Tomasczewska
Geburtsdatum/-ort: 04.08.1866; Liegnitz/Niederschlesien
Sterbedatum/-ort: 27.04.1933;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Oberlehrerin, Politikerin, Journalistin und Historiographin weiblich emanzipierter Traditionslinien
Kurzbiografie: 1880/1881 besucht vorletzte Klasse im Victoria Pensionat in Karlsruhe
um 1881 Ausreißepisode nach London
1883/84 Externe der obersten Klasse des Prinzess-Wilhelm-Stifts, dem ersten in Karlsruhe bestehenden Seminar für die Ausbildung von Lehrerinnen an Volks-, mittleren und höheren Schulen, Wohnsitz Görlitz
1885-1890 Studium der Geschichte, Literatur und Sprachen an der Berliner Universität
1902 schwere Krankheit
ab 1905 Heirat und Umzug nach Stuttgart, Journalistin der sozialistischen Schwäbischen Tagwacht, der von Clara Zetkin herausgegebenen „Gleichheit“ und vielen anderen deutschen Zeitungen und Zeitschriften; gibt für die SPD kostenlose Kurse in Rechtschreibung und Stilistik für die parteilich organisierten Jugendgruppen
1910 als erste Frau im deutschen Reich Ortsschulrätin in Stuttgart
1918/19 Wilhelm Blos (SPD) wird Chef der provisorischen und revolutionären Regierung Württembergs, Anna Blos Mitglied im Landesvorstand der SPD
1919 7. Mär.-1920 6. Jun. Wilhelm Blos ist erster württembergischer Staatspräsident
1919/20 Anna Blos ist Mitglied bei der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar, SPD, gewählt als einzige Frau aus Württemberg (insgesamt 19 Frauen in der 165 Mitglieder starken SPD Fraktion); Mitglied des Ernährungsbeirats und der Deutschen Wohlfahrtsstelle in Berlin
seit 1918 Gründerin und Vorsitzende des Verbands Stuttgarter Hausfrauen, Mitglied im „Rat der geistigen Arbeiter und Arbeiterinnen Stuttgart“, dem „Württembergischen Goethebund“, im „Württembergischen Verein für Frauenstimmrecht“, im Propagandaausschuss zur Aufklärung über das Frauenwahlrecht usw.
ab 1919 nach Gründung der Volkshochschule Stuttgart von Anfang an im Bereich der dortigen Frauenabteilung tätig
1922-1933 Wohnung im Alten Schloss, Stuttgart
1931 Zerstörung der Wohnung samt Bibliothek durch Brand; Engagement in der Kriegsfürsorge, für Kriegerheimstätten
1927-1930 Niederschrift ihrer drei Hauptwerke, Krebserkrankung
1933 Beerdigung auf dem Stuttgarter Pragfriedhof im Ehrengrab von Wilhelm Blos
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 4.10.1905 (Weinheim) Wilhelm Blos (geb. 5.10.1849 Wertheim, gest. 6.7.1927 Stuttgart), württembergischer Staatspräsident
Eltern: Vater: Dr. Robert Johannes Tomasczewski, Oberstabsarzt (geb. 27.3.1839 Neuberum, gest. 26.2.1892 Hirschfeldau/Sagan)
Mutter: Marie Charlotte Karoline, geb. Schulz (geb. 1.7.1846 Gansenstein/Ostpreußen, gest. 31.1.1879 Karlsruhe)
Geschwister: 3:
Hedwig Elisabeth Helene (geb. 22.1.1869 Hannover, gest. 3.3.1940 Delmenhorst), verheiratet 1895 mit Ernst Georg Gustav Liedtke (geb. 8.6.1860 Tapiau, gest. 31.5.1919 Stallupönen/Preußen), Pfarrer
Prof. Dr. Egon, Dermatologe an der Königlichen Charité Berlin (geb. 1.8.1874 Liegnitz, gest. 1922 Bayrisch-Zell)
GND-ID: GND/124316506

Biografie: Mascha Riepl-Schmidt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 16-18

Anna Blos ist im rund 20 Jahre alten Wissenschaftszweig der „gender history“ als Frauengeschichtsforscherin, Schriftstellerin, Journalistin, Frauenrechtlerin und Friedenspolitkerin mit ihrem Werk, ihrem Werdegang und ihrer Person ein beweiskräftiges „Paradebeispiel“ für den diffizilen historischen und zeitgenössischen Umgang mit dem Thema „Frauen in der Geschichte“. Ihrem Bestreben, historische Ungereimtheiten zu relativieren und eine „richtigere“ Geschichte nachzuschreiben, ist es zu verdanken, dass wichtige Details der weiblichen Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nachzulesen sind und nicht dem traditionellen Vergessen anheim fielen, dass emanzipiert weibliche Traditionslinien, vom männlichen Forscherblick als nebensächlich abgetan, dokumentiert wurden. Angeregt wurde sie zu diesem Vorhaben von ihrem Mann Wilhelm Blos, der als altgedienter Sozialdemokrat als Siebzigjähriger vom März 1919 bis Juli 1920 fünfvierteljahrlang der erste und bisher letzte sozialistische württembergische Staatspräsident gewesen war. Dann hatte er sich resignierend über die nachrevolutionäre Entwicklung und die Rolle der Sozialisten ins Privatleben zurückgezogen, um die Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49 nachzuzeichnen. Es wurde für die Witwe Auftrag und Überlebensstrategie, nach dem Tode des geliebten Ehemannes, von Frauen zu erzählen, die an der Entwicklungsgeschichte des deutschen Volkes mitgewirkt hatten. Vor dem Hintergrund der frauenpolitischen Rückschläge der Weimarer Republik und der aufscheinenden nationalsozialistischen Gefahren warnte so die politisch überaus wache Blos besonders Frauen davor, diese Mitwirkung aufzugeben.
Die aus einer gebildeten wohlhabenden Bürgerschicht Niederschlesiens stammende Anna Blos war fast 40 Jahre alt, ausgebildete Lehrerin, engagiert in der bürgerlichen „Haus“frauenbewegung, als sie 1905 ihr Junggesellinnendasein aufgab, um den durch Sozialistengesetz und Verfolgung geeichten 56jährigen Sozialdemokraten Wilhelm Blos zu heiraten. Ihr eigenes Leben ist erst seit dieser Zeit archivisch, wenn auch bruchstückhaft dokumentiert. Ihre Familienwurzeln sind trotz Zerstörung des Familienbesitzes Hirschfeldau und der Flucht der späteren Großfamilie Tomasczewski aus dem heutigen polnischen Selenin dank des Engagements der Großnichten zugänglich, trotzdem bleiben große Lücken. Demnach war die wachsende Familie der Anna Tomasczewska dem u. a. in Wahlstatt, Biebrich, Karlsruhe, Hannover und Görlitz stationierten Vater gefolgt. Anna Blos erhielt für die damals geltenden Maßstäbe der Mädchenbildung eine hervorragende, priviligierte Ausbildung. Über ihre Studienzeit in Berlin und eine anschließende berufliche Tätigkeit gibt es keine vertiefenden Hinweise. Anna Blos gehörte wie Wilhelm Blos dem gemäßigten Flügel der SPD an, sie trug den Widerstand gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die das Proletariat benachteiligten, klar und eindeutig mit. Einer gesellschaftlich und innerhalb der eigenen Partei legitimierten Frauenpolitik (Wahlrecht für Frauen!) galt ihr Hauptinteresse. Den hauswirtschaftlichen Bereich, Kindererziehung und Gesundheitspflege nach vernünftigen und gesunden Gesichtspunkten wollte sie gesellschaftlich als Basis eines Volks„hauses“ aufgewertet sehen. Als Ortsschulrätin kämpfte sie für höhere Bildungschancen der Arbeiterkinder und bekämpfte in den Kriegszeiten des Ersten Weltkrieges mit der Einrichtung von Kinderküchen, die von den Kommunen finanziert wurden, die Unterernährung der Volksschüler.
Von Wilhelm Blos wurde Anna Blos, die oft mit ihrer zarten Konstitution haderte, im Kampf für die Rechte der Frauen unterstützt. Die gelebte Umsetzung einer gemeinsamen Emanzipation von Frau und Mann ist in ihrem Fall beispielhaft.
Quellen: NL A. und Wilhelm Blos, BA Berlin, Abt. Reich Akte 90; Brigitte Tomasczewski, Köln; Uta Scherm, Delmenhorst.
Werke: Frauen der deutschen Revolution 1848. Zehn Lebensbilder und ein Vorwort, 1928; Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder; A. Blos und Adele Schreiber, Louise Schroeder, Anna Geyer, Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus, 1930.
Nachweis: Bildnachweise: AdSB; LMZBW.

Literatur: Marie Juchacz, A. Blos, in: Sie lebten für eine bessere Welt. Lebensbilder führender Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts, 1956, 114; Hans-Joachim Mann, A. Blos – Frauenrechtlerin und Schriftstellerin, in: Unser Land und seine Sozialdemokraten, Wilhelm und A. Blos, SPD-Landesverband Baden-Württemberg, 1977; Maja Riepl-Schmidt, A. Blos, geborene Tomasczewska, Pionierin der Frauengeschichte, in: dies., Wider das verkochte und verbügelte Leben. Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800, 1990/98, 173-182; dies., A. Blos, geborene Tomasczewska, Historiographin einer weiblich revolutionären Tradition – Geschichtsschreibung im Spiegel des eigenen Lebens, in: Frauen und Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789-1848, Frauen&Geschichte B-W e.V., Haus der Geschichte B-W, Landeszentrale für politische Bildung B-W, (Hg.), 1998, 134-156; dies., A. Blos (1866-1933) und Wilhelm Blos (1849-1927), in: Politische Köpfe aus Südwestdeutschland, hg. von Reinhold Weber und Ines Mayer (SpLBW), 2005, 73-83.
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