Gerig, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 09.06.1885;  Rosenberg/Baden
Sterbedatum/-ort: 03.10.1944; KZ Buchenwald
Beruf/Funktion:
  • Gewerkschafter, Zentrumspolitiker, Opfer des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1891-1899 Volksschule Rosenberg
1899 ff. kaufmännische Lehre Karlsruhe; danach Tätigkeit bei verschiedenen Versicherungsgesellschaften
1915-1918 Kriegsdienst; Langemarck-Kreuz, Badische Tapferkeitsmedaille, Eisernes Kreuz II
1921-1933 hauptamtliche Tätigkeit beim Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) Sitz Hamburg
1921-1924 Mitglied des Preußischen Landtages
1923-1933 Mitglied des Reichstages; gleichzeitig geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes
1933 fristlose Entlassung beim DHV wegen „politischer Unzuverlässigkeit“
1937-1944 Angestellter bei Ford AG, Köln
1944 (23. 8.) Inhaftierung Köln
(16. 9.) Verlegung KZ Buchenwald
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1924 Hanna, geb. Degenhardt
Eltern: Vater: Wilhelm Gerig, Volksschullehrer
Mutter: Karoline Gerig, geb. Kurz
Geschwister: 9 (6 Brüder, 3 Schwestern)
Kinder: 5 (3 Söhne, 2 Töchter)
GND-ID: GND/126285640

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 97-98

Die väterlichen Vorfahren Gerigs stammen aus Oberbergen am Kaiserstuhl; er selbst wurde im badischen Frankenland geboren, wo er mit neun Geschwistern aufwuchs. Der Vater war Lehrer und Organist; die Mutter arbeitete als Arztgehilfin und stand der Landbevölkerung in zahllosen Unfällen und sozialen Nöten bei. Sicher hat sie in ihren Kindern frühzeitig mitmenschliches Verantwortungsbewußtsein aus einer wahrhaft christlich-sozialen Gesinnung grundgelegt.
Die wirtschaftlich bescheidenen Verhältnisse der Familie ließen eine höhere Schulbildung der begabten Kinder nicht zu. Daher ging Gerig nach dem Besuch der Volksschule nach Karlsruhe, wo er den Beruf des Versicherungskaufmannes erlernte. Nebenher bildete er sich als Autodidakt und durch den Besuch von Abendkursen weiter. Nach der Lehre arbeitete er bei verschiedenen Firmen, zuletzt bei der Basler Versicherungsgesellschaft in Köln. Im Ersten Weltkrieg verlor Gerig vier Brüder. Daß er selbst nach der Schlacht an der Somme (1916) aus der vordersten Kampflinie zurückgezogen wurde, war nur dem Umstand zuzuschreiben, daß seine Familie dem Vaterland bereits einen überaus hohen Blutzoll entrichtet hatte.
Schon 1907 war Gerig der Gewerkschaft der kaufmännischen Angestellten, dem Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV), beigetreten. Nach dem Krieg nach Köln zurückgekehrt, bekleidete er in dieser Organisation zunächst verschiedene Vertrauensämter, bis ihm dieselbe 1921 eine hauptamtliche Stelle anbot. Da er auch Vorstandsmitglied dieses Verbandes war, versah er gleichzeitig das Amt des geschäftsführenden Vorstandes beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin, denn der DHV war als christlicher Richtungsverband dem DGB als Dachorganisation angeschlossen. Gerig, der der Zentrumspartei angehörte, lenkte alsbald die Aufmerksamkeit seiner politischen Freunde auf sich. Von 1921 bis 1924 vertrat er im Preußischen Landtag den Wahlkreis Köln, und von 1923 bis 1933 war er im Reichstag Abgeordneter des Wahlkreises Köln-Aachen. In dieser Eigenschaft wandte er sich vornehmlich der Sozialpolitik zu. Seine besonderen Interessen galten dem Siedlungs- und Wohnungswesen; aber noch tatkräftiger setzte er sich für die beruflichen Belange der Angestellten ein, nachdem ihm seine Fraktion die Vorbereitung eines umfassenden und zeitgemäßen sozialgesetzlichen Katalogs übertragen hatte. Außerdem wirkte Gerig im Kriegsopferausschuß unter dem Vorsitz von Theodor Heuss und im Finanzausschuß unter Heinrich Brüning mit. Eng fühlte er sich den christlich orientierten Vereinigungen verbunden. Es war nur folgerichtig, daß er sich vorbehaltlos hinter die sozialpolitischen Aussagen der damaligen Deutschen Katholikentage stellte und sie als Abgeordneter gesetzlich zu verankern suchte.
Gegenüber der zur staatlichen Macht drängenden NS-Bewegung verhielt sich Gerig eindeutig ablehnend. Daher sollte er nach der „Machtergreifung“ alle Nachteile zu spüren bekommen. Allein seine Mitgliedschaft in einer positiv zur Weimarer Republik stehenden Partei und sein ausgeübtes Abgeordnetenmandat genügten, um ihn schweren Verdächtigungen auszusetzen. Schon 1933 verlor er, Vater von fünf Kindern, in der Folge der Gleichschaltung der Gewerkschaften seine ihm lebenslänglich zuerkannte Stellung beim DHV. Da er es ablehnte, in die Arbeitsfront einzutreten, war jedes Bemühen, eine neue Beschäftigung zu finden, vergeblich. Der Plan, nach Brasilien auszuwandern, scheiterte an der Devisengesetzgebung. In den kommenden Jahren war Gerig ständigen Hausdurchsuchungen, Überwachungen und Bespitzelungen ausgesetzt. Vier Jahre lang lebte die Familie in großer wirtschaftlicher Not, bis Gerig 1937 auf Grund eines Gesetzes, das zum Schutze älterer Angestellter erlassen worden war, bei der Ford AG in Köln als Leiter der Werkzeugabteilung unterkam. Mußte er es als ungerecht empfinden, untertariflich bezahlt zu werden, so war für ihn noch bedrückender die ständige Sorge, auch aus dieser Stelle wegen seiner „politischen Unzuverlässigkeit“ entlassen zu werden.
Im Zuge der „Gewitteraktion“ wurden am 22./23. August 1944 ungefähr 5000 als oppositionell bekannte ehemalige Volksvertreter des Reiches, der Länder und Gemeinden verhaftet, die sich nicht hatten „gleichschalten“ lassen wollen. Dieser Terroraktion fiel auch Gerig zum Opfer. Mit vielen anderen Politikern des Rheinlandes, unter ihnen Konrad Adenauer, brachte man ihn zunächst in das „Arbeitserziehungslager“ Köln-Deutz. Doch schon kurz danach wurde er zusammen mit einigen Leidensgefährten in das KZ Buchenwald verlegt. Die zweitägige Eisenbahnfahrt im Viehwagen setzte seiner ohnehin angegriffenen Gesundheit schwer zu. Da im Lager keine freien Unterkünfte vorhanden waren, wurden die Häftlinge gezwungen, Bäume zu fällen, um sich selbst notdürftig Baracken zu erstellen. Diesen körperlichen Strapazen war Gerig nicht mehr lange gewachsen. Nach kaum mehr als zwei Wochen verstarb er im Konzentrationslager. Dem Antrag der Ehefrau auf Freigabe der Leiche wurde nicht stattgegeben.
In Köln-Deutz trägt eine Straße seinen Namen, und auf dem dortigen Friedhof erinnert ein Oberammergauer Holzkreuz an den unbeugsamen Kämpfer für Recht und soziale Gerechtigkeit.
Quellen: Nachlaß O. Gerig, in: A. für Christl.-Demokratische Politik, St. Augustin bei Bonn.
Werke: Die Reform des Reichsknappschaftsgesetzes, in: Soziale Rundschau. Monatl. Beilage zu „Merkuria“; 2. Jg. Nr. 10, 1 ff., Essen 1926.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos StAF, Bildnissammlung; A. für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin bei Bonn.

Literatur: Walter Hammer, Hohes Haus in Henkers Hand, Frankfurt 1956; Bernd Wittschier, Reichstagsabgeordneter O. Gerig und das KZ in Köln-Deutz, in: Kirchenzeitung des Erzbistums Köln. Sonderbeilage „Kölner Märtyrer 1933-45“, Nr. 13, 14 ff., Köln 1974; ders., O. Gerig, Reichstagsabgeordneter und katholischer Sozialpolitiker, in: Theologisches, hg. von Johannes Bökmann, 37. Jg., Nr. 9, Sp. 6005 ff., Abensberg 1984; Clemens Siebler, Der Leidensweg eines Zentrumspolitikers. Erinnerungen an O. Gerig, in: Deutsche Tagespost, Nr. 68, S. 3, Würzburg 1985; ders., O. Gerig aus Rosenberg - ein fast vergessenes Opfer der NS-Gewaltherrschaft, in: Fränkische Nachrichten, Nr. 130, S. 28, Tauberbischofsheim 1985.
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