Kühlewein, Julius Walter Wolfgang 

Geburtsdatum/-ort: 18.01.1873;  Neunstetten
Sterbedatum/-ort: 02.08.1948;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Landesbischof
Kurzbiografie: 1890 Abitur, Wertheim
1890-1893 Theologiestudium in Erlangen, Halle und Heidelberg
1893-1894 I. und II. theologisches Examen
1895-1898 Vikar in Lahr und Freiburg
1898 Pfarrer in Mauer
1901 Pfarrer Diakonissenhaus Mannheim
1906 Pfarrer Karlsruhe (Oststadt)
1921 Pfarrer Freiburg (Christuskirche)
1924 Prälat der badischen Landeskirche
1933 Landesbischof
1946 Ruhestand
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1898 Elisabeth, geb. Barner (geb. 1874)
Eltern: Vater: Heinrich Ludwig Kühlewein, Dekan
Mutter: Anna Sophia, geb. Krauß
Geschwister: 6
Kinder: 7 (3 Töchter, 4 Söhne)
GND-ID: GND/12635491X

Biografie: Hermann Rückleben (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 171-172

Prälat Kühlewein – „Erster Geistlicher“ seit 1924 – hatte sich bis zur Vollendung seines 60. Lebensjahres ausschließlich innerkirchlichen Aufgaben widmen können: Katechismus, Agende und Perikopenbuch sind untrennbar mit seinem Namen verbunden. Am 24. 6. 1933 wurde er einstimmig zum ersten Landesbischof der Badischen Landeskirche gewählt. Der seit 1919 praktizierte kirchliche Parlamentarismus bot auf Grund der vorgegebenen Parteienkonstellation kaum eine andere Möglichkeit. Das Wahlergebnis vom Juli 1932 lautete: Positive 25, Liberale 11, Religiöse Sozialisten 8 und die „Kirchliche Vereinigung für positives Christentum und deutsches Volkstum“ (die sich im März 1933 den „Deutschen Christen“ anschloß) 13 Sitze. Liberale und Positive waren seit dem 19. Jahrhundert erklärte Gegner; die Religiösen Sozialisten wollten mit keiner Gruppe „koalieren“. Welche Konstellation blieb dann noch für eine tragfähige Mehrheit? Erstes Opfer des Zusammenschlusses Positive / spätere DC war Kirchenpräsident Wurth, den letztere um keinen Preis als Landesbischof akzeptieren wollten. Nichts charakterisiert die Sonderstellung der badischen Landeskirche deutlicher als die Tatsache, daß Kühlewein Ende Juli 1933, als die „Deutschen Christen“ (DC) den designierten Reichsbischof von Bodelschwingh zum Rücktritt zwangen, mit deren Stimmen zum Landesbischof erkoren wurde. Am 11. Juli 1933 erging die Reichskirchenverfassung und in ihrem Gefolge das Reichskirchengesetz, das sämtliche kirchlichen Körperschaften aufhob und innerhalb von neun Tagen Neuwahlen vorschrieb. Deren Ergebnis – DC 36, Positive 27 Sitze – war eine absolute, aber keine verfassungsändernde Mehrheit. Die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und NS-Staat gestalteten sich im Laufe des Jahres 1933 keineswegs so radikal und explosiv wie in anderen deutschen Landeskirchen. Wechselseitiges Einlenken kennzeichnete die Szene. Als etwa ein Vortrag von Pfarrer Vath, Mannheim-Rheinau, gestört wurde, erteilte der Innenminister der Gauleitung eine Rüge. Andererseits wiederum konzedierte Kühlewein, daß am 9. Juli 1933 ein anderer Pfarrer als der wegen seiner Judenfreundlichkeit angefeindete Ludwig Maas „ausnahmsweise“ predigte. Die Begründung, die Kühlewein für diese Ausnahme gibt, ist nach Prof. Scholder, dem besten Kenner der jüngeren badischen Kirchengeschichte, charakteristisch für die Haltung der Landeskirche: „Wenn ich mich (– schrieb Kühlewein am 14. 9. 1933 an den badischen Minister des Innern –) zu dieser Maßnahme verstehen konnte, so geschah dies aus der Erwägung heraus, daß ich bis zur äußersten Grenze die Belange der Kirche zurücktreten lassen wollte, um für Staat und Kirche peinliche Zusammenstöße zu vermeiden.“ Ein drittes Beispiel hingegen zeigt die Grenzen der Kompromißbereitschaft auf: im Herbst 1933 hatte der antikirchliche HJ-Führer Friedhelm Kemper gefordert, jegliche Jugendarbeit außerhalb der HJ einzustellen. Kühlewein protestierte am 18. September, da dieser „unerträgliche“ Erlaß „die öffentliche und unüberbietbare politische Ächtung des evangelisch-kirchlichen Jugendwerks und die politische Diffamierung seiner Mitarbeiter bedeute.“ Kultusminister Wacker antwortete knapp und ablehnend: es handele sich um eine parteiamtliche Organisationsfrage, gegen die er keine rechtliche Handhabe besitze.
Hier – im Herbst 1933 – stellt sich erstmals die Frage nach den Möglichkeiten kirchlichen Lebens unter einem totalitären Regime. Welche Folgen hätte ein Konfrontationskurs gehabt; in welche Gewissenskonflikte wären nicht alleine die Pfarrer, sondern auch die gläubigen Laien gestürzt worden?
Nach der berüchtigten Sportpalastkundgebung am 13. November 1933, als die DC die Maske fallen ließen, erschienen auch in Baden DC-Aufrufe, die alle, die am christlichen Glauben und Bekenntnis festhielten, als Staatsfeinde abqualifizierten. Die Antwort Kühleweins war ein Hirtenbrief vom 27. November 1933, in dem er aufforderte, „den Glauben und das Bekenntnis unbedingt zu wahren“ - ohne sichtbaren Erfolg bei den DC.
Anfang 1934 begann das Eingliederungswerk des Reichsbischofs Ludwig Müller. Sein Rechtswalter Jäger erschien in dieser Mission auch in Karlsruhe. Voraussetzung war jedoch eine Zustimmung der Synode mit verfassungsändernder Mehrheit. Diese konnten die DC allerdings nicht erreichen, da die „Positiven“ geschlossen dagegen stimmten. Also wurde die Synode vom „Erweiterten Oberkirchenrat“, in dem die DC eine 6:5-Mehrheit besaßen, kurzerhand aufgelöst.
Eine neue vom Evangelischen Kirchenrat zu berufende Synode von 18 Mitgliedern vollzog am 14. Juli 1934 die gewünschte Eingliederung. Fortan konnte der Reichsbischof dem badischen Landesbischof Weisungen – ausgenommen in Bekenntnis- und Kultusfragen - erteilen.
Wohl nicht zuletzt im Blick auf die Aktivitäten des badischen „Bruderrats der Bekennenden Kirche“ erklärte Kühlewein in dem Hirtenbrief vom 19. November 1934 seine Absicht, die badische Landeskirche „von der derzeitigen Kirchenleitung freizumachen und ausschließlich unter seine Führung zu stellen.“ Am 14. Dezember 1934 nahm er formal seine Unterschrift unter dem Eingliederungsvertrag zurück.
Bis Mitte 1937 erscheint die Kirchenpolitik des NS-Staates relativ unentschlossen. Dann wurde der folgenschwere Plan realisiert, die Landeskirchen mit Hilfe sogenannter Finanzabteilungen finanziell auszutrocknen. Bei allen Kirchenleitungen und auch in 71 größeren badischen Gemeinden wurden „Finanzbevollmächtigte“ institutionalisiert, die, gestützt auf § 7 Absatz 2 des entsprechenden Gesetzes, in allen Entscheidungen, „die mit finanziellen Folgen verbunden“ waren, das letzte Wort sprachen. Auf diese Weise bestimmten sie schließlich sogar über die Benutzung des einzigen Dienstfahrrades. Die Absicht lag auf der Hand: man wollte die Kirchenleitung zum Rücktritt bewegen; diese aber räumte das Feld ebensowenig wie bei dem ungesetzlichen Eingliederungsverfahren, sondern stellte sich dem kleinlichen Papierkrieg im eigenen Hause. Erst der Zusammenbruch setzte diesem unwürdigen Treiben ein Ende.
Anfang November 1945 amtierten lediglich noch der Landesbischof sowie die Oberkirchenräte Friedrich und Rost. Der „Erweiterte Oberkirchenrat“, mit neuen Kompetenzen ausgestattet, berief die „vorläufige erste Synode“ für den 27. November 1945 nach Bretten: „Durch den Kampf der Bekennenden Kirche ... habe die evangelische Kirche Vertrauen behalten. Kann aber eine Kirchenleitung, die seit 1933 zwischen den Klippen umhergefahren sei, dies Vertrauen rechtfertigen?“ Hinter dieser Frage geht es um letzte, auch persönliche Entscheidungen: Christlicher Widerstand, Verantwortung für die gesamte Pfarrerschaft bis zum Opfer des eigenen Lebens.
Aktenmäßige Zeugnisse für „persönlichen Widerstand“ Kühleweins gibt es nicht, das verhinderte allein die Allgegenwart der Gestapo. Häufig gebot die Klugheit, heikle Probleme mündlich zu erledigen. In dieser Beziehung genoß der Landesbischof uneingeschränkte Hochachtung, auch und gerade die seines zeitweiligen Opponenten, des Führers der badischen Bekenntnisbewegung, Karl Dürr. Zählt es letztendlich vor der Geschichte gar nicht, wenn hinter dem Schild jener vielgeschmähten Kompromißbereitschaft den badischen Gemeinden unübersehbares Leid erspart blieb? Wer mag hier urteilen, geschweige denn richten?
Vielleicht ist auch der zeitliche Abstand noch zu gering, vertrauliche Briefe an einzelne Pfarrer oder versteckte Andeutungen in Visitationsbescheiden sind noch nicht hinreichend erforscht, um ein abschließendes Bild zeichnen zu können. So möge dann Dürrs Eingangswort vom 27. November 1945 als vorläufiges Urteil stehen bleiben: „Wir sind dem Herrn Landesbischof dankbar, daß er unter dem früheren Regime auf dem Posten blieb, aber auch dafür, daß er sein Amt jetzt der Synode zurückgab. Kritik an seiner Ausführung ist jetzt nicht unser Wunsch, er hat getan, was er konnte, und wir gehören zusammen.“
Nachweis: Bildnachweise: Foto Evangelischer Oberkirchenrat Karlsruhe, Sitzungssaal I.
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