Johner, Dominikus 

Andere Namensformen:
  • Franz Xaver Karl Johner (Taufname)
Geburtsdatum/-ort: 01.12.1874;  Bad Waldsee (Württemberg)
Sterbedatum/-ort: 04.01.1955;  Beuron
Beruf/Funktion:
  • OSB, Gregorianikforscher
Kurzbiografie: 1884-1887 Lateinschule in Riedlingen (Württemberg), musikalischer Elementarunterricht beim Vater
1887-1889 Oblatenschule Emaus der Erzabtei Beuron in Prag, 1889-1893 in Seckau (Österreich)
1892 Aufnahme in das Kanonische Noviziat in Beuron, Ordensname „Dominikus“
1894 Heilige Profeß, Fortsetzung der philosophischen und theologischen Studien in Beuron
1896-1900 Fortsetzung und Abschluß der Studien im Priorat Cucujaes (Portugal)
1898 Priesterweihe in Cucujaes durch den Apostolischen Nuntius in Portugal, Erzbischof Aiuti
1900 Rückkehr nach Beuron
1902-1949 Erster Kantor der Erzabtei Beuron, 1905 Studienaufenthalt bei den Benediktinern von Solesmes, zu dieser Zeit im Exil auf der Insel Wight (Großbritannien)
1903-1905 Instruktor, 1905-1913 Novizenmeister, 1913-1919 Prior, 1919-1922 Subprior, 1922-1933 und 1942-1944 Prior, 1923-1925 Instruktor
1925 Dozent für Choralwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik in Köln
1930 Professor (Titelverleihung durch den preußischen Kultusminister)
1936 Beendigung der Lehrtätigkeit in Köln
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Anton Johner (geb. 1826), Lehrer
Karoline, geb. Nußbaumer (geb. 1836)
Geschwister: 8, vier starben als Neugeborene. Franz war das achte Kind
GND-ID: GND/126505330

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 242-245

Am 15. Juli 1887 teilte Johners Vater einem Pater der Erzabtei Beuron den Wunsch seines Sohnes mit, Benediktiner zu werden. Es sei nicht seine Gewohnheit, schrieb der Vater, die eigenen Familienangehörigen zu loben, aber ohne unbescheiden zu erscheinen, dürfe er seinen jüngsten Sohn als einen Knaben „aufgeweckten, lebhaften Wesens“ schildern, mit einem guten Gedächtnis und einer klangvollen, kräftigen Stimme. „Ich glaube hoffen zu dürfen, daß er bei seiner Freude für Musik Ihrem allen edlen Künsten mit so großem Erfolge huldigenden Orden einstens keine Unehre bereiten wird.“ Diese Hoffnung sollte sich in einer Weise, die die Erwartungen des Vaters weit überstieg, erfüllen; Johner wurde zu einem der wichtigsten Choralforscher und -erneuerer seines Ordens in der ersten Jahrhunderthälfte. Joseph Kardinal Frings bestätigte ihm in einer Festschrift, die anläßlich des 75. Geburtstags Johners erschien, er sei es gewesen, der „der Gregorianik, die das Fundament aller Kirchenmusik ist, neue Geltung verschaffte“.
Von 1887-1893 wurde Johner in Oblatenschulen des Ordens in Prag und Seckau unterrichtet. Schon 1882 wurde er in das kanonische Noviziat in Beuron aufgenommen und erhielt den Ordensnamen „Dominikus“. Am 5.10.1884 legte er die heilige Profeß ab. In diesen Ausbildungsjahren wurde er, wie er später schrieb, „in das wahre Leben des Gregorianischen Chorals“ eingeführt. Er hatte das Glück, bei einem Meister des Fachs lernen zu dürfen, P. Ambrosius Kienle (1852-1905), und gleichgesinnte Altersgenossen im Kloster zu finden, die – leiblichen – Brüder P. Gregor (1867-1926) und P. Raphael (1873-1948) Molitor.
Es war auf dem Gebiet der Kirchenmusik eine Zeit des Umbruchs. Die Editio Medicaea (1614) der gregorianischen Gesänge hatte, neben anderen Ausgaben, jahrhundertelang als zwar nicht amtliche, aber weitverbreitete Choralsammlung für die liturgische Praxis gedient, und erstaunlicherweise wurde sie noch am 8.5.1873 von Papst Pius IX. den Bischöfen zur allgemeinen Einführung empfohlen – erstaunlich war dies deshalb, weil schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine Rückbesinnung auf das „wahre Leben“ des Chorals eingesetzt hatte. Die Kritik der Erneuerer richtete sich vor allem gegen die Übertragung humanistischer Formgesetze auf den Choral, wie sie in der Medicaea erfolgt war: Kürzung der Endmelismen, Schwerpunktverlagerungen und andere in die Substanz des Chorals eingreifende tonale, melodische und deklamatorische Formveränderungen. Das Zentrum der Erneuerungsbestrebungen, die auf der Grundlage der ältesten und besterhaltenen Handschriften auf eine Wiederherstellung des Chorals in seiner originalen Gestalt abzielten, lag in dem Benediktinerkloster Solesmes (Frankreich), dort entstand seit 1889 die monumentale Neuausgabe der liturgischen mittelalterlichen Einstimmigkeit „Paléographie musicale“. Ausläufer dieser Erneuerungsbewegung hatten unter anderem auch Beuron erreicht, wo Johners Lehrer P. Ambrosius Kienle zu einem der temperamentvollsten Streiter gegen die Medicaea und für die Neufassung des Chorals wurde. Er übersetzte eine der wichtigsten Solesmer Schriften ins Deutsche (Dom Joseph Pothier, Melodiés Grégoriennes d’après la tradition, 1880) und machte dadurch die Bestrebungen der Neuerer in Deutschland bekannt. Von großer Bedeutung war auch P. Raphael Molitors Buch „Die Nach-Tridentinische Choral-Reform in Rom“ (1901/02); Lucas Kunz (Literatur) nimmt an, daß dieses Werk Leo XIII. veranlaßt habe, „schon 1901 von der Medicaea Abstand zu nehmen“. Das Motu proprio Pius’ X. vom 22.11.1903 schließlich stellte den auf der Grundlage der Forschungen von Solesmes „gereinigten“ Choral in den Mittelpunkt der katholischen Kirchenmusik.
Johner, der nach Studienabschluß und Priesterweihe im Jahre 1900 aus dem fernen Portugal nach Beuron zurückgekehrt war, sah sich mitten im Strom dieser lebhaften Auseinandersetzungen, die hier nur kurz skizziert werden können. Selbstverständlich war er der getreueste Parteigänger der von ihm hochverehrten Patres Ambrosius, Raphael und Gregor – bei dem er das Orgelspiel erlernt hatte –, und als er 1902 das Kantorenamt übernahm, stand der Sieg der Erneuerer in Form des erwähnten Motu proprio kurz bevor.
Mit aller Kraft ging Johner nun daran, den „restaurierten“ gregorianischen Choral in die Alltagspraxis der Liturgie einzuführen. Dabei kam ihm zustatten, daß er ein ebenso leidenschaftlicher Musikus wie gründlicher Gelehrter war. In zahllosen Unterrichtsstunden, Vorträgen, Kursen und kirchenmusikalischen Wochen erwies er sich über den engeren klösterlichen Bereich hinaus als begeisterter und begeisternder Chorallehrer. Schon 1906 erschien eines seiner Hauptwerke, die „Neue Schule des Gregorianischen Choralgesanges“ (7. Aufl. 1937 unter dem Titel „Große Choralschule“, 8. Aufl. 1956 von P. Maurus Pfaff als „Choralschule“ herausgegeben), in der er die neue, d. h. ursprüngliche Form des Chorals und seine Methode beschrieb, wie man auch musikalische Laien zu „kunstvollendetem Choralgesang“ befähigen könne. Dabei war für ihn die Lebendigkeit des melodischen Flusses, weitab von jeder edlen Monotonie, das Ausschlaggebende: „Er suchte Mozartsche Freude und Tiefe in der Melodie“ (P. Corbinian Gindele). Seine breitgestreuten Aktivitäten fanden Resonanz und Anerkennung, die „Choralschule“ wurde ins Französische, Englische und Italienische, „Der Gregorianische Gesang, sein Wesen, Werden, Wert und Vortrag“ (1924) sogar ins Dänische übersetzt. Im Jahre 1925 wurde Johner als Dozent für Choralwissenschaft an die Staatliche Hochschule für Musik in Köln berufen; der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker (1876-1933) ernannte ihn 1930 zum Professor. Auch in diesem Amt stand die Johner bezeichnende Symbiose gründlich erarbeiteter Theorie und lebendiger Praxis im Vordergrund: neben den Vorlesungen und Übungen veranstaltete er allwöchentlich ein von den Studierenden der Hochschule gesungenes Choralhochamt, in dem er in einer Ansprache die theologische und liturgische Bedeutung der Gesänge des betreffenden Tages erklärte. 1936 gab er seine Tätigkeit in Köln auf, „wegen politischer Veränderungen“, wie er im Jahre 1952 in einem Lebensbericht behutsam formulierend schrieb. In der kirchenfeindlichen Umgebung des „Dritten Reiches“ war für den Sänger des Lobes Gottes kein Platz mehr.
Dies bedeutete natürlich nicht das Ende seiner Lehr- und Forschungstätigkeit, die er unverändert, wenn auch unter zeitgemäßen Einschränkungen, fortsetzte. In einer großangelegten Ästhetik untersuchte er, basierend auf der Formenlehre Peter Wagners (Literatur), das Verhältnis von „Wort und Ton im Choral“ (1940, 2. Aufl. 1952, 3. Aufl. 1961): Eine Priorität gebe es hier nicht, weil Wort und Ton dasselbe Ziel verfolgten, die Verherrlichung Gottes. Die Melodie habe zwar ein Übergewicht über dem Wort, sie sei aber „so geschmeidig und so biegsam und von so zarter Rücksicht“, daß das Wort nicht darunter zu leiden habe. Die musikalischen Höhepunkte des Chorals seien niemals Selbstzweck, sie ordneten sich in den Gang der Liturgie ein; sie sollten immer tiefer in diese, in die „göttliche Heilstat unter dem Schleier der Symbole“ (Odo Casel), hineinführen.
Bei Joseph Haas (1879-1960), dem bekannten Münchener Komponisten und Regerschüler, hatte Johner Harmonielehre und Komposition studiert, und Haas war es wohl, der ihn zu eigenen Kompositionen, seinen Marien- und Kommunionliedern, Zeugnissen tiefer Frömmigkeit, anregte. Von bleibender Bedeutung sind aber die von Johner geschaffenen und später kirchlich approbierten Gesänge des Proprium Beuronense.
Johner hat im Lauf seines langen Lebens neben dem Kantorenamt eine Reihe verantwortungsvoller Klosterämter ausgeübt. So war er zeitweise Instruktor der Laienbrüder, Novizenmeister, Subprior und Prior. Annahme oder Rückgabe dieser Ämter waren für ihn keine „Karrierefragen“, sondern selbstverständliche Folgerungen aus dem beim Eintritt ins Kloster gelobten Gehorsam. Noch auf dem Sterbebett bekannte er seine „Begeischderung fürs monasdische Leaba“. Urschwabe, der er war, behielt er zeitlebens den knorrigen Dialekt seiner Heimat bei. Alles, was er in der klösterlichen Gemeinschaft schaffen und vollbringen durfte – es brachte ihm den Ehrentitel „Chorallehrer Deutschlands“ ein –, stand bei ihm unter dem einzigen Vorzeichen, daß Gott in allem verherrlicht werde. An seinem 75. Geburtstag wurde er mit einer von Franz Tack herausgegebenen Festschrift „Der kultische Gesang der abendländischen Kirche“ (1950) geehrt, und am 80. Geburtstag durfte er noch, wenige Wochen vor seinem Tod, Liebe und Zuneigung seiner Brüder und vieler Schüler und Fachgenossen im In- und Ausland erfahren.
Es gehört zwar nicht zur unmittelbaren Lebensgeschichte Dominikus Johners, sei aber kurz erwähnt: Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 4.12.1963 hat, acht Jahre nach Johners Tod, den liturgischen Rang des Chorals zwar bekräftigt: „Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der römischen Liturgie eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen.“ „Wenn im übrigen ...“ („ceteris paribus“) besagt aber, daß der Choral nur in solchen Gemeinden, die mit ihm vertraut sind, gesungen werden soll. Die begeisterten Choralerneuerer in der ersten Jahrhunderthälfte hatten nicht immer im Blick, daß nur eine geübte Sängergruppe – schola – die technisch zum Teil höchst anspruchsvollen gregorianischen Gesänge aufzuführen vermag. Das Konzil zog mit dieser Relativierung der Vorrangstellung des Chorals und seiner liturgischen Allgemeingültigkeit nur die Folgerungen aus einer nun einmal gegebenen Situation.
Quellen: Personal-Akte Dominikus Johner im Archiv der Erzabtei Beuron; Konstitution über die Heilige Liturgie, Vorwort von Johannes Wagner, Einleitung und Kommentar von Andreas Jungmann, in: Das Zweite Vatikanische Konzil, Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen (LThK Bd. 1), 1966
Werke: Die wichtigsten Werke Johners sind im Text genannt; im übrigen vgl. die zehn Bücher und 70 Aufsätze nennende Bibliographie Dominikus Johners von P. Suso Mayer: Beuroner Bibliographie, Schriftsteller und Künstler während der ersten hundert Jahre des Benediktinerklosters Beuron 1863-1963, 1963
Nachweis: Bildnachweise: in: M. E., 60 Jahre Heilige Profeß (Literatur)

Literatur: (Auswahl) Ambrosius Kienle, Choralschule, 3. Aufl. 1899; Peter Wagner, Einführung in die gregorianischen Melodien, Ein Handbuch der Choralwissenschaft, Bd. I, 3. Aufl. 1911, II, 2. Aufl. 1912, III, 1921; Otto Ursprung, Die katholische Kirchenmusik, in: Handbuch der Musikwissenschaft, hg. von Ernst Bücken, 1931; Paolo Ferretti, Estetica gregoriana, 1934; M. E., 60 Jahre Heilige Profeß – P. Dominikus Johner OSB, in: St. Konradsblatt vom 03.10.1954; P. Corbinian Gindele, Der „Chorallehrer Deutschlands“, in: Deutsches Volksblatt vom 11.01.1955; Eberhard Jaschinski, In der Liturgie den ersten Platz?, in: Christ in der Gegenwart Nr. 42/1990; MGG-Artikel: Dominikus Johner, Beuron, Bd. 1 1825-1827; Karl Gustav Feilerer, Choralreform, Bd. 2, 1323-1332; Bruno Stäblein, Choral, Bd. 2, 1265-1303; ders., Gregorianik, Bd. 5, 786-796; Wolfgang Irtenkauf, Dominikus Johner, Bd. 7, 124-125; ders., Ambrosius Kienle, Bd. 7, 883-885; Lucas Kunz, Gregor Molitor, Raphael Molitor, Bd. 9, 439
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