Hau, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 03.02.1881; Großlittgen, Kreis Wittlich
Sterbedatum/-ort: 06.02.1926; Tivoli/Italien
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt, Straftäter
Kurzbiografie: 1891–1894 Apostel-Gymnasium Köln
1895–1900 Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Trier bis Abitur
1900–1901 Universitätsstudium in Berlin u. Freiburg
1901–1904 Universitätsstudium in Washington
1904 Bachelor of laws
1906 Assistant professor in Washington
1906 Rechtsanwalt in Washington
1906 XI. 7 Verhaftung in London
1907 XI. 28 Todesurteil des Schwurgerichts Karlsruhe
1908 XI. 7. Begnadigung
1907–1924 Zuchthausstrafe in Bruchsal
1924 VIII. 27 Entlassung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1901 (Mannheim) Karoline (Lina), geb. Molitor (1875–1907, Selbsttötung), Tochter des Medizinalrats Dr. Franz Molitor (1838–1901) u. d. Josefa (Josefine), geb. Stadelhofer (1845–1906)
Eltern: Vater: Johann Baptist (1853–1908), Bankdirektor
Mutter: Anna Maria, geb. Heck (1853–1884)
Geschwister: keine
Kinder: Dora Ruth (1903–1972)
GND-ID: GND/126771375

Biografie: Reiner Haehling von Lanzenauer (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 168-170

An dem regnerischen, dunklen Abend des 6. November 1906 wurde auf der Kaiser-Wilhelm-Straße von Baden-Baden die 61- jährige Medizinalratswitwe Josefine Molitor durch einen Revolverschuss in den Rücken getötet. Die einzige Begleiterin, ihre 20-jährige Tochter Olga, konnte lediglich einen großen Mann mit dunklem Mantel und dunklem Hut davoneilen sehen. Weitere Zeugen oder Spuren am Tatort gab es nicht. Gleichwohl verdichtete sich schon bald der Verdacht gegen Hau, den Schwiegersohn der Getöteten.
Als Einzelkind war Hau umsorgt in einem gutbürgerlichen Elternhause aufgewachsen. Nach dem Besuch der höheren Schule studierte er zunächst Philosophie, sodann Rechtswissenschaften. Nach einem Blutsturz hielt er sich zur Erholung in Ajaccio auf Korsika auf. Dort lernte der gut aussehende junge Mann im Hotel die Witwe Molitor mit ihren Töchtern Lina und Olga kennen. Als Lina Molitor vorab allein die Rückreise antrat, erbot sich Hau als Begleiter. Auf dieser Fahrt muss es zu engeren Beziehungen zwischen beiden gekommen sein. In Deutschland trafen sie sich wieder, entschlossen sich zu gemeinsamer Flucht in die Schweiz. Dort kam es zu einem mysteriösen Selbstmordversuch. Um einen Skandal zu vermeiden, heirateten Hau und die fünf Jahre ältere Lina, zogen alsdann in die USA. An der Universität Washington schloss Hau sein Studium erfolgreich ab, wurde assistant professor für römisches Recht und erlangte die Zulassung als Rechtsanwalt. Der türkische Generalkonsul machte ihn zu seinem Sekretär, wiederholt fuhr Hau in den Orient, wo er undurchsichtige und offenbar verlustreiche Geschäfte tätigte. Im Sommer 1906 hielten sich die Eheleute Hau wiederum in Europa auf, machten Halt in Baden-Baden. Auf der Rückreise in die Staaten wurden sie von Linas jüngerer Schwester Olga bis Paris begleitet, denn man wollte gemeinsam die Seinemetropole besichtigen. In Paris kam es zu Eifersuchtsszenen. Da erhielt Frau Molitor in Baden-Baden ein mit Linas Namen unterzeichnetes Telegramm, sie solle sofort nachkommen, Olga sei krank. Als Mutter Molitor in Paris eintraf, waren alle wohlauf, niemand wollte telegrafiert haben. Unverzüglich reiste die Mutter mit Olga nach Hause, Familie Hau setzte über nach London. Im Hotel angekommen rief eine Depesche Hau zu Geschäften nach Berlin. Da ließ er sich beim Friseur einen Bart und eine Perücke fertigen und fuhr allein zurück.
Was von nun an geschah, konnte der Karlsruher Staatsanwalt ermitteln: Hau reiste keineswegs nach Berlin, sondern hielt sich einige Tage in einem Frankfurter Hotel auf. Er ließ die Perücke umfärben und einen langen Vollbart fertigen. So maskiert fuhr er am 6. November 1906 mit dem Zug über Karlsruhe nach Baden-Baden. Im Laufe des Nachmittags trieb er sich im Bereich der Molitor’schen Villa herum, ersichtlich auf jemanden wartend. Gegen 17.45 Uhr rief er von der Hauptpost aus in der Villa an, gab sich gegenüber dem abnehmenden Zimmermädchen als Postinspektor Graf aus und erklärte, Frau Molitor solle gleich auf das Postamt kommen, denn das Original der ominösen Pariser Depesche sei jetzt eingetroffen. Alsbald machte sich die Medizinalratswitwe mit ihrer Tochter Olga auf den Weg. Wenige Minuten später fiel dort der tödliche Schuss. Angesichts dieser Erkenntnisse beantragte der Staatsanwalt Haftbefehl. Hau wurde gleich nach seinem Eintreffen im Londoner Hotel von der britischen Polizei festgenommen und im Januar 1908 ausgeliefert. Er kam in Untersuchungshaft ins Karlsruher Gefängnis. Im Laufe des Verfahrens räumte er nach und nach ein, dass er am Tattage nach Baden-Baden gekommen sei und auch den fingierten Anruf ausgeführt habe. Mit dem Verbrechen habe er indes nichts zu tun, lediglich habe er seine Schwägerin Olga noch einmal sehen wollen. Die Strafverfolger erkannten hingegen das Tatmotiv in der verworrenen Finanzsituation Haus, der das Vermögen seiner Frau aufgebraucht und obendrein bei amerikanischen Freunden einen Betrag von 20 000 Dollar geliehen hatte. Man folgerte, dass der mittellose Hau durch die Tötung seiner wohlhabenden Schwiegermutter den Erbanfall an seine Frau herbeiführen wollte.
Im Mai 1907 erhob der Staatsanwalt Anklage zum Landgericht – Schwurgericht – Karlsruhe wegen Mordes. Die Hauptverhandlung dauerte vom 17. bis zum 23. Juli 1907, den Vorsitz führte Landgerichtsdirektor Dr. Carl Eller. Geladen waren 85 Zeugen und sieben Sachverständige. Auf dem Richtertisch stand ein Glasbehälter mit dem in Spiritus eingelegten Herzen des Opfers. 20 Reporter aus dem In- und Ausland drängten um den Pressetisch. Tagtäglich wurde in den Zeitungen über alle Einzelheiten des Strafverfahrens berichtet und dabei die Frage nach der Schuld des Angeklagten stets von neuem aufgeworfen – die Medien hatten den Fall zum Sensationsprozess hochgespielt. Als Folge kam es am letzten Verhandlungstage vor dem Gerichtsgebäude zu einem Volksauflauf. Neugierige blockierten die Zufahrtstraßen und suchten sich Zugang zu dem bereits voll besetzten Sitzungssaal zu verschaffen. Unruhestifter heizten die Stimmung an, gewaltsame Übergriffe drohten. Da die Polizei nicht mehr Herr der Lage war, musste man Militär zu Hilfe rufen. Mit aufgepflanztem Bajonett marschierten Leibgrenadiere heran. Es gelang, die Randalierer in die Seitenstraßen abzudrängen, einige konnten verhaftet werden.
Im Gerichtssaal war unterdessen das Urteil verkündet worden: Todesstrafe wegen Mordes und dauernder Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Der Verteidiger Eduard Dietz (➝ I 97) legte Revision ein, sie wurde im Oktober 1907 vom Reichsgericht verworfen. Nun suchte der Rechtsanwalt um Begnadigung nach. Im November 1907 verwandelte der bad. Großherzog Friedrich II. (➝ I 24) das Urteil gnadenweise in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe. Zur Verbüßung wurde Hau in die „Centralstrafanstalt für Männer“ in Bruchsal verbracht. Die ersten Jahre musste er in Einzelhaft verbleiben, danach kam er während der Arbeitsstunden auf eine Gemeinschaftszelle. Seine freie Zeit verbrachte Hau mit Lesen. Er hat während der Strafhaft eine beachtliche wissenschaftliche Leistung vollbracht, denn er übersetzte das dreibändige Werk des bekannten Rechtslehrers Rudolph von Jhering über das römische Recht in die englische Sprache. Nach über 17 verbüßten Jahren wurde Hau unter verschiedenen Auflagen Strafnachlass gewährt, am 17. August 1924 schritt er als freier Mann durchs Zuchthaustor.
Hau veröffentlichte in der Folgezeit zwei Broschüren über seinen Prozess und über seine Haftzeit, daneben beteiligte er sich an einem Film über seinen Fall. Damit hatte er gegen die Auflagen verstoßen, weshalb die Strafaussetzung widerrufen und der Entlassene zur Festnahme ausgeschrieben wurde. Jetzt floh er nach Italien. Zuletzt mietete er sich unter falschem Namen in einem Hotel in Tivoli ein. Am 5. Februar 1926 fand man in der nahen Villa Hadrian einen bewusstlosen Unbekannten, der seinen Mantel über den Kopf gezogen hatte. Er verstarb im Krankenhaus. Die Obduktion ließ auf Selbsttötung mittels Gifteinnahme schließen. Durch Fingerabdrücke konnte der Tote später als Hau identifiziert werden.
Hau war ein überdurchschnittlich intelligenter Mann, von skrupellosem Charakter, wenngleich nicht von vornherein kriminell geprägt. Erst die Furcht vor dem Verlust seiner gesellschaftlichen Stellung hat in ihm den Tatentschluss reifen lassen. Die vollständig erhaltenen Prozessunterlagen zeigen, dass seine Täterschaft außer Zweifel steht. Gleichwohl hat es Jahre gedauert, ehe der allgemeine Meinungsstreit über die Schuldfrage verebbte. Nur in Filmwerken oder Romanen wird zuweilen noch eine Tätersuche veranstaltet.
Quellen: GLA Karlsruhe 233/36045, 234/9059–234/9266 u. 309/1100.
Werke: Das Todesurteil, die Geschichte meines Prozesses, 1925; Lebenslänglich. Erlebtes u. Erlittenes, 1925; Rudolph von Jhering, Der Geist des römischen Rechts auf den Stufen seiner Entwicklung, (Übersetzung ins Englische, MS im DLA Marbach, Nachlass Jakob Wassermann. Dieser Schriftsteller hatte seinem Roman „Der Fall Maurizius“ das Raster des Verfahrens gegen Hau unterlegt).
Nachweis: Bildnachweise: GLA Karlsruhe 234/9137.

Literatur: Auswahl: Fritz Friedmann, Hau ist kein verstockter Mörder, 1907; Bruno Zabler, Va banque, eine kritische Studie zum Hau-Prozeß, 1907; Eduard Dietz, in: März, 1. Jg. 1907, 195; Paul Lindau, Karl Hau u. die Ermordung d. Frau Josefine Molitor, 1907; Erich Sello, Die Hau-Prozesse u. ihre Lehren – auch ein Beitrag zur Strafprozessreform, 1908; Alfred Hoche, Jahresringe, 1934, 246; Paul Wiegler, Schicksale u. Verbrechen, 1935, 231; Heinz Liepmann, Verbrechen im Zwielicht, 1959, 105; Erich Schwinge, Berühmte Strafprozesse, 1967, 168; Claus Seibert, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1966, 732; Karl Zippelius, in: Archiv für Kriminologie 1976, 109; Wolf Middendorff, Bad. Pitaval, 1985, 62; Helmut Dahringer, in: Aquae 1991, 79; Dirk Rodewald, in: Hans-Albrecht Koch u. a. (Hgg.), Grenzfrevel, Rechtskultur u. literar. Kultur, 1998, 109; Detlev Fischer, Recht u. Politik 2004, 58; Reiner Haehling von Lanzenauer, in: ZGO 2005, 545 u. Aquae 2005, 79. – Zeitungen: Bad. Presse vom 7., 9., 10., 14. u. 17. 11. 1906, vom 10., 11., 17.–24., 27., 29. u. 31. 7. u. vom 2., 5.–8. 8. 1907.
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