Edlbacher, Siegfried Augustin Johann 

Geburtsdatum/-ort: 07.03.1886; Linz, Österreich
Sterbedatum/-ort: 05.06.1946; Basel durch Selbstmord
Beruf/Funktion:
  • Biochemiker
Kurzbiografie: 1906 VI. Abschluss d. Staats-Oberrealschule in Salzburg
1906 X.–1911 III.(?) Studium d. Naturwissenschaften an den Univ. Wien, WS 1906/07, Graz, SS 1907–SS 1908, Gießen, WS 1908/1909, Jena, SS 1909, u. Graz, WS 1909/10-WS 1910/11
1911 V. 16 Promotion an d. Univ. Graz bei R. Scholl: „Über oxidativen Abbau u. sonstige bemerkenswerte Eigenschaften des Indanthrens“
1911 SS Assistent am Chemischen Institut d. Handelshochschule Berlin
1911 X.–1913 III. Assistent am Medizinisch-chemischen Institut d. Univ. Innsbruck
1913 IV.–1932 IX. Assistent, ab SS 1915 1. Assistent, am Physiolog. Institut d. Univ. Heidelberg
1914 X.–XII. u. 1915 VIII.–1916 X. Kriegsdienst in d. k u. k Armee
1919 VII. Habilitation an d. Univ. Heidelberg: „Über die freien Amidogruppen d. Eiweißkörper“; Probevorlesung: „Synthesen im Tierkörper“
1924 XII. ao. Professor
1932 X.–1946 VI. Vorsteher d. Physiolog.-chemischen Anstalt u. o. Professor für Physiolog. Chemie an d. Univ. Basel
1939 IV.–1940 IV. Dekan d. medizinischen Fakultät
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., ab 1917 rk.
Verheiratet: 1917 (Salzburg ?) Valerie, geb. Kabella
Eltern: Vater: Maximilian (1835–1893), Dr. jur., Rechtsanwalt
Mutter: Johanna, geb. von Risch (1854 –1935)
Geschwister: unbekannt
Kinder: keine (?)
GND-ID: GND/12814419X

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 81-84

Edlbacher wurde in Linz in die Familie eines angesehenen österreichischen Juristen, Landtags- und Reichstagsabgeordneten geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Salzburg, worin er immer für seine Heimatstadt erblickte. Nach dem Abschluss der dortigen Oberrealschule studierte Edlbacher Naturwissenschaften, insbesondere Chemie, an den Univ. Wien, Gießen, Jena und Graz. Aufgrund der damaligen Bestimmungen konnte er sich an österreichischen Universitäten nur als „außerordentlicher Hörer“ immatrikulieren und bedurfte einer besonderen ministeriellen Erlaubnis für die Doktorprüfungen, wofür er zuvor Ergänzungsprüfungen zum Abitur an einer Realschule ablegen musste. Im Mai 1911 wurde Edlbacher schließlich mit Chemie im Hauptfach und Botanik und Philosophie als Nebenfächern promoviert.
Obwohl Edlbachers Doktorvater, der Organiker Roland Scholl (1865–1945), Direktor des Chemischen Instituts in Graz war, hielt Edlbacher immer den Begründer der organischen Mikroanalyse Fritz Pregl (1869–1930) für seinen wichtigsten Lehrer. Als dessen Assistent in Innsbruck hatte Edlbacher, so er selbst, „das Glück durch zwei Jahre hindurch das Werden der heutigen Mikromethodik mitzuerleben.“ Einige von Pregls Methoden konnte Edlbacher später weiterentwickeln. 1912 unterbrach Edlbacher seine Dienstzeit in Innsbruck für zwei Monate, um eine Zusatzausbildung bei der BASF in Ludwigshafen zu bekommen. Ostern 1913 wechselte er nach Heidelberg als Assistent des Biochemikers Albrecht Kossel (vgl. S. 209), bei dem Edlbacher bis zu dessen Emeritierung arbeitete und mit dem er bis zu dessen Tod verbunden blieb.
Beim Kriegsausbruch meldete sich Edlbacher als Kriegsfreiwilliger. Schon zum Jahresende entlassen rückte Edlbacher, der zeitlebens Österreicher blieb, im August 1915 erneut zum Landsturmdienst ein, bis er auf dem Reklamationswege zum November 1916 vom Militärdienst in der k. u. k. Armee entbunden wurde.
Während der Kriegsdienstpause und nach der Entlassung arbeitete Edlbacher eifrig zuerst bei Kossels Forschungen mit, bald aber selbständig über die Bausteine der Eiweißkörper. Kossel unterstützte ihn durch die Überlassung verschiedener Präparate. Im Mai 1919 konnte Edlbacher seine Habilitationsschrift „Über die freien Amidogruppen der Eiweißkörper“ der medizinischen Fakultät vorstellen. Kossel betonte in seinem Gutachten, dass es durch „die Arbeit mannigfache neue Anwendungen geben wird“ und befürworte das Habilitationsgesuch Edlbachers, der sich auch durch seine Tätigkeit im Laboratorium um den biochemischen Unterricht der Mediziner sehr verdient gemacht habe. Korreferent war Rudolf Gottlieb (vgl. S. 149). Am 31. Juli 1919 erteilte die Fakultät Edlbacher die „Venia legendi“ für das Fach Physiologie.
Als Privatdozent las Edlbacher „Grundbegriffe der physiologischen Chemie“ und, vierstündig pro Woche, eine „Einführung in die Chemie für Mediziner“, woraus später seine Vorlesung „Erläuterung der Grundlagen der organischen Chemie für Mediziner“ wurde. Dienstliche Hauptaufgabe Edlbachers war die „Anleitung [der Studenten] zu wissenschaftlichem Arbeiten über Biochemie“. Diese Arbeit fand später ihren Niederschlag im knapp und äußerst klar geschriebenen kleinen Buch „Praktikum der physiologischen Chemie“.
Ab SS 1924, als Kossel emeritiert war, wurde Edlbacher als ausgewiesener Fachmann auf diesem Gebiet mit dem Lehrauftrag für Physiologische Chemie betraut. Edlbacher wurde damit zum eigentlichen Nachfolger Kossels im Fach Physiologische Chemie, auf dessen Lehrstuhl ein reiner Physiologe berufen wurde. Vor Weihnachten 1924 wurde Edlbacher zum ao. Professor ernannt. Die Arbeit auf dem durch Kossel erschlossenen Gebiet unter effektiver Verwendung mikrochemischer Methoden bei Eiweißkörpern und deren Bausteinen, die Edlbacher eine zeitlang weiterführte, hat er später in der Monographie „Die Strukturchemie der Aminosäuren und Eiweißkörper“ zusammengefasst. In Kossels Nachfolge hat Edlbacher auch dessen letztes Werk „Protamine und Histone“ postum herausgegeben. Mit der Übernahme der Hauptvorlesung über Physiologische Chemie erweiterte Edlbacher sein Forschungsgebiet von den Strukturen auf die Stoffwechselvorgänge in den Zellen, wodurch Wachstum, Erhaltung und Leistung des Organismus bestimmt werden. Mehr als ein Drittel seines 1929 erschienenen Buchs „Kurzgefasstes Lehrbuch der physiologischen Chemie“, ein „Standardwerk von seltener Qualität“ (Rintelen, 1980), ist dieser Problematik gewidmet.
Edlbacher war ein ausgezeichneter Vortragender, der seine Hörer durch Anschaulichkeit in Wort und Versuch zu fesseln wusste. Seine meisterhaften Vorlesungen über Physiologische Chemie zogen immer mehr Studenten an, in seinen letzten Semestern in Heidelberg mehr als dreihundert.
Im Dezember 1931 fand die Feier zum 75-jährigen Bestehen des Heidelberger Naturhistorisch-medizinischen Vereins statt. Edlbacher hielt einen Vortrag über den Stand der Physiologischen Chemie in den 1850er Jahren, der – wie in anderen vergleichbaren Vorträgen auch – seine tiefe Einsicht in die historische Entwicklung seines Fachs erkennen lässt.
Zum WS 1932/33 erhielt Edlbacher einen Ruf nach Basel. Dort war er dann „Vorsteher der Physiologisch-chemischen Anstalt“. Obwohl o. Professor für Physiologische Chemie, hatte er anfangs nur einen Lehrauftrag im Rahmen des Lehrstuhls für Physiologie inne. Nicht zuletzt dank seiner erfolgreichen Arbeit wurde im Oktober 1937 dann ein Lehrstuhl für Physiologische Chemie in Basel eingerichtet.
In Basel hielt Edlbacher die zweisemestrige Vorlesung über Physiologische Chemie, daneben leitete er praktische Übungen in quantitativer Analyse und physiologischer Chemie. Ab 1935 kam das Kolloquium über chemische Regulationsvorgänge dazu, das Edlbacher zusammen mit dem Pharmakologen Ernst Rothlin (1888–1972) wöchentlich durchführte. Insgesamt war es ein sehr reichliches Lehrprogramm, das viel Zeit verlangte. Der Physiologisch-chemischen Anstalt wurde auch die Schweizerische Vitamin-Prüfungsstation angegliedert, was Edlbacher mit organisatorisch-administrativen Sorgen belastete. Dem bescheidenen und empfindlichen Menschen passten solche Aufgaben wohl wenig. Hier war seine Tätigkeit kaum effektiv.
Zu Edlbachers 60. Geburtstag ernannte ihn die medizinische Fakultät Basel zum Doktor med. h. c., weil er, wie die Laudatio betont, „durch seine wissenschaftlichen Arbeiten über den Auf- und Abbau der Eiweißkörper der medizinischen Wissenschaft große Dienste geleistet“ und „insbesondere durch seine Enzymforschung die biologischen Kenntnisse der Lebenserscheinungen der Körperzellen in hohem Maße gefördert hat“. Diese Ehrung wurde wohl zur letzten Freude seines Lebens. Bald starb seine geliebte Frau und nach nur zwei Wochen folgte Edlbacher ihr freiwillig nach. Beide wurden wunschgemäß in Salzburg bestattet.
Von Edlbacher stammen mehr als 150 Publikationen, darunter sechs Bücher. Thematisch lässt sein Werk deutlich den Übergang erkennen von der Erforschung der Strukturen in der Eiweißchemie hin zu den dabei ablaufenden Prozessen, hauptsächlich den Enzymen als Biokatalysatoren, unter deren Wirkung die chemischen Reaktionen in lebenden Zellen ablaufen. Wichtigste Entdeckung Edlbachers war dabei 1926 die Entdeckung des Enzyms Histidase und fortan die Erforschung der Abbauumwandlungen der wichtigen Aminosäure Histidin. Die Beschäftigung mit Stoffwechselvorgängen führte Edlbacher schließlich an Probleme des anomalen Wachstums von Geweben, insbesondere Krebserkrankungen, heran. Edlbacher hielt das Krebsproblem für ein Stoffwechselproblem und bemühte sich, den malignen Typus des Stoffwechsels zu entziffern.
Edlbachers Arbeit war ganz konzentriert auf den intermediären Stoffwechsel von Eiweißkörpern und Aminosäuren, für ihn notwendige „weise Selbstbeschränkung“; in dieser Einschränkung der Problemstellung sah er eine Bedingung für erfolgreiche Forschung, andere Bereiche der Biochemie bearbeitete er nicht. Sein Lebenswerk kreiste um die Erforschung der regulierenden Prinzipien der Enzyme im Zellstoffwechsel, wobei es sein wichtigstes Bedürfnis war, sich letztlich dem Geheimnis des Lebens anzunähern. Dabei geriet Edlbacher, der in Graz ja Philosophie studiert hatte, auch ins Philosophieren, wie die einleitenden Worte seines Vortrags über chemische Grundprinzipien des Lebens zeigen: „Theoretische Naturforschung muss, losgelöst von allen Zwecken, danach streben, allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die als konstruktive Elemente eines Weltbildes dienen können“. Im Zusammenwirken der Enzyme sah Edlbacher ein harmonisches System hierarchischer Ordnung von immer höher organisierten Einheiten. Übergeordnet erscheint bei ihm das Bemühen, sein Gebiet mit den allgemeinen Problemen des Lebens zu verknüpfen, wobei er hoffte, dass die Forschung letztlich „zu einem allmählichen, teilweisen Verständnis desjenigen Bereiches der Lebensvorgänge führen wird, der naturwissenschaftlich überhaupt erkennbar ist“ (1946).
Quellen: UA Heidelberg PA 887, PA 3625, Personalakten Edlbacher, Rep. 27, Nr. 254, Akademische Quästur E.; StaatsA Kanton Basel-Stadt, Sammlung biograph. Zeitungsabschnitte, Edlbacher, UA Basel F6.2, Personalkarte Edlbacher, Auskunft vom 10. 6. 2009; Auskünfte d. UA Gießen u. UA Graz vom 23. 6. 2009, des UA Wien vom 16. 7. 2009 u. des StadtA Heidelberg vom 25. 6. 2009.
Werke: (mit R. Scholl) Der Abbau des Indanthrens zum Dioxy-pyrazinoanthrachinon u. sein Verhalten gegen Benzoylchlorid u. Natriumalkoholat, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 44, 1911, 1727–1737; (mit A. Kossel) Über einige Spaltungsprodukte des Thynnins u. Percins, in: Zs. für physiolog. Chemie 88, 1913, 186–189; Das Vorkommen d. Arginase im tierischen Organismus u. ihr Nachweis mittels d. Formoltitration, ebd. 95, 1915, 81–87; Über die Pregl’sche mikroanalytische Bestimmung von Methylgruppen am Stickstoff, ebd. 101, 1918, 278–287, auch in: Sitzungsberr. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Abt. A 8, 1917, 1–12; Über die freien Amidogruppen d. Eiweisskörper, ebd. 107, 1919, 52–72, 108, 1919, 287–294, 110, 1920, 153–155, 112, 1920, 80–85; Über die Proteinsäuren des Harns, ebd. 120, 1922, 71–84, 127, 1922, 186–189, 131, 1923, 177 f.; (II u. III mit J. Kraus) Zur Kenntnis des intermediären Stoffwechsels des Histidins, I – III, ebd. 157, 1926, 106–114; 191, 1930, 225–242; 195, 1931, 267–272; Die Strukturchemie d. Aminosäuren u. Eiweißkörper, 1927; Albrecht Kossel zum Gedächtnis, in: Zs. für physiolog. Chemie 177, 1928, 1–14; Kurzgefasstes Lehrbuch d. physiologischen Chemie, 1929, 81946; Fritz Pregl zum Gedächtnis, in: Zs. für angewandte Chemie 44, 1931, 29 f.; Die Abartung des Chemismus d. Krebszelle, in: Strahlentherapie 42, 1931, 929–938; Praktikum d. physiolog. Chemie, 1932, 31948; Die Chemie d. Krebszelle, in: Schweizerische Med. Wochenschr. 63, 1933, 897–899; Die Chemie
d. Wachstumsvorgänge, 1934; The metabolism of proteins and amino acids, in: Annual Review of Biochemistry 6, 1937, 269–290; Protein-Synthese u. Gen-Struktur, in: Schweizerische Med. Wochenschrift 68, 1938, 959–961; Chemische Grundprinzipien des Lebens, in: Verhandlungen d. Naturforschenden Ges. Basel 53, 1942, 285–299; Histidase u. Urocaninase, in: Ergebnisse d. Enzymforschung 9, 1943, 131–154; Die biochemischen Arbeiten Friedrich Mieschers, in: Helvetica physiologica et pharmacologica acta 2, Supplementum II, 1944, 31–41; Das Ganzheitsproblem in d. Biochemie, in: Experientia 2, 1946, 7–18.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg: Pos I 00691; StaatsA Kanton Basel-Stadt, Sammlung biogr. Zeitungsabschnitte, Edlbacher

Literatur: Poggendorffs Biogr.-literar. Handwörterb. VI, Teil 1 1936, 637 f., VII a, Teil 1, 1956, 468 f.; W. Kutscher, Edlbacher, in: NDB 4, 1959, 314; R. Jürgens, S. E. †, in: Expe- rientia 2, 1946, 231; E. Röchlin, Siegfried Edlbacher (1886–1946), in: Helvetica chimica Acta 30, 1947, 1564 –1561 (mit Schriftenverzeichnis, dass. ohne Schriftenverzeichnis in: Helvetica Physiologica et Pharmacologica Acta 4, 1946, 359 f.); Fr. Rintelen, Geschichte d. Medizinischen Fakultät in Basel 1900–1945, 1980, 168, 328–333; D. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932, 1986, 56; P. Voswinkel, in: Biograph. Lexikon d. hervorragenden Ärzte d. letzten fünfzig Jahre von Isidor Fischer. Nachträge u. Ergänzungen, Bd. III, 2002, 356.
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