Bittmann, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 15.08.1851;  Kehl
Sterbedatum/-ort: 24.08.1936;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Chemiker, Sozialpolitiker
Kurzbiografie: 1875 Pharmazieexamen in Freiburg
1876 Promotion in Chemie in Freiburg
1877-1878 Betriebschemiker der Badischen Gesellschaft für Zuckerfabrikation in Waghäusel
1878-1881 Erster Betriebschemiker der Dessauer Aktien-Zuckerraffinerie
1881-1882 Technischer Direktor der Zuckerfabrik Glauzig in Anhalt
1882-1892 Technischer Direktor der Aktienraffinerie Hildesheim
1892-1894 Direktor der Hannöverschen Kautschuk-, Guttapercha- und Telegraphenwerke in Hannover, der Bremer Zuckerraffinerie in Hameln und der Norddeutschen Zuckerraffinerie in Frellstedt
1895-1902 Königlicher Gewerbeinspektor und Regierungs- und Gewerberat im Regierungsbezirk Trier
1902-1914 sowie 1917-1918 Vorstand der badischen Fabrikinspektion bzw. Direktor des badischen Gewerbeaufsichtsamts
1914-1917 Referent für Arbeiterfragen und Sozialpolitik der deutschen Zivilverwaltung in Belgien und Generalreferent des Verwaltungschefs für das belgische Ministerium für Gewerbe und Arbeit
Weitere Angaben zur Person: Verheiratet: 1. 1879 Anna, geb. Wolf (gest. 1895)
2. 1897 Maria, geb. Then-Bergh
Eltern: Vater: Ernst Bittmann, Oberzollinspektor
Mutter: Berta, geb. Hänle
Kinder: 1 Sohn, 2 Töchter aus 1. Ehe
1 Sohn, 1 Tochter aus 2. Ehe
GND-ID: GND/128687827

Biografie: Wolfgang Bocks (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 58-59

Der Weg Bittmanns vom erfolgreichen Industriellen der deutschen Zuckerindustrie zum preußischen Regierungs- und Gewerberat in Trier, wo ihm u. a. die Kontrolle über das Saargebiet übertragen war, und schließlich zum Leiter der badischen Fabrikinspektion kann als durchaus außergewöhnlich bezeichnet werden. Eine Unterredung mit Bismarck hatte den äußeren Anlaß gegeben, das sozialpolitische Engagement über die hochdotierte Industriellentätigkeit zu stellen. Mit der Berufung zum Nachfolger des legendären Friedrich Woerishoffer ging für Bittmann ein alter Wunsch in Erfüllung, seine sozialpolitische Arbeit in seiner Heimat Baden fortzusetzen. Allerdings mußte er sich als neuer Leiter der damals exponiertesten deutschen Gewerbeaufsichtsbehörde jahrelang gegen vielfache Widerstände durchkämpfen, da Industrie und Innenministerium gehofft hatten, mit ihm einen Kurswechsel der progressiven und arbeiterfreundlichen Politik der Fabrikinspektion durchzusetzen. Schließlich konnte Bittmann mit seiner liberalen und unerschütterlichen Haltung die Kontinuität der Arbeiterschutzpolitik erhalten, so daß er mit seinen übrigen Beamten einen entscheidenden Beitrag zur Integrierung der organisierten Arbeiterschaft in den bürgerlichen Staat leistete. Besondere Verdienste erwarb sich Bittmann neben seinem Einsatz für Durchführung und Ausweitung der Arbeiterschutzgesetze, der Initiative zur Errichtung des ersten badischen Tuberkulosemuseums, neben seiner Schlichtungstätigkeit bei Streiks, dem Eintreten für Tarifverträge und der Anerkennung der Gewerkschaften vor allem durch seine sozialwissenschaftlichen Arbeiten über die Verhältnisse der badischen Arbeiter. Namentlich sein Werk über die badische „Hausindustrie und Heimarbeit“ war bahnbrechend. Die Wertschätzung, die Bittmann auch außerhalb Badens genoß, kam z. B. darin zum Ausdruck, daß er als Vertreter des Vorstands der Gesellschaft für soziale Reform an den Vorverhandlungen zur Einberufung einer internationalen Konferenz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Paris teilnahm und daß er der Vertreter der badischen Regierung bei der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz war. Kurz nach Kriegsbeginn erhielt er dann vom Reichsamt des Innern den Auftrag, für die Durchsetzung der deutschen Arbeiterschutzgesetze im besetzten Belgien zu sorgen. Als die Zwangsrequirierungen belgischer Arbeiter durchgeführt wurden, bat er resigniert um seinen Abschied, um noch einmal für ein Jahr in der letzten Kriegsphase die Leitung des badischen Gewerbeaufsichtsamts zu übernehmen.
Bittmann war ein unermüdlicher Kämpfer für die Rechte und die Verbesserung der Lage der badischen Arbeiterschaft, dessen Haltung in der politischen Situation des Vorkriegsdeutschland eine Ausnahmeerscheinung für einen hohen Staatsbeamten war. Er, der an vorderster Front des Arbeiterschutzes stand und auf ideale Weise Theorie und Praxis verband, kann zu Recht zu den bedeutenden Sozialpolitikern Badens und sogar des Wilhelminischen Deutschlands zugezählt werden.
Werke: Jakob Christian Schmeltzer und die Archard'sche Departements-Zuckerfabrik im St. Agnetenkloster zu Trier anno 1811-14. Ein Gedenkblatt zur Hundertjahrfeier der europäischen Zuckerrübenindustrie, Trier 1901; Eine Arbeiterreise. Berichte von 77 badischen Arbeitern über den Besuch der Ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt zu Charlottenburg, Karlsruhe 1904; Die badische Fabrikinspektion im ersten Vierteljahrhundert ihrer Tätigkeit 1879-1903, Karlsruhe 1905; Hausindustrie und Heimarbeit, Karlsruhe 1907; Heimarbeit, in: Die Zukunft 64, 1908, 201-211; Versuche zur wirtschaftlichen Sanierung von Hausindustrien in Deutschland, Wien 1909; Denkschrift über die Arbeitslosenversicherung, Karlsruhe 1909; Die jugendlichen Arbeiter in Deutschland, in: Schriften der Gesellschaft für soziale Reform 34, 1910, 5-67; Zum Kapitel Arbeiterschutz und Arbeiterwohlfahrt, in: Concordia 20, 15. 10. 1911; Deutsche Arbeiter. Aus Reiseberichten von Arbeitern badischer Betriebe über die Weltausstellung in Brüssel 1910, Karlsruhe 1911; Arbeiterhaushalt und Teuerung, Jena 1914; Ausgewählte kleinere Schriften, Jena 1920; Werken und Wirken. Erinnerungen aus Industrie und Staatsdienst, 3 Bde., Karlsruhe 1924/25; Was Franz Wittumb erlebte. Ein Schwanengesang, Lahr 1928.
Nachweis: Bildnachweise: Foto in „Werken und Wirken“ Bd. 1

Literatur: Karl Häußler, Karl Bittmann, in: Die Pyramide 42, 18.10.1936; Wolfgang Bocks, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879-1914, Freiburg 1978.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)